von Franz Schandl
„‚Was haben Sie nur davon, noch mehr zu haben, als Sie haben?‘ fragte ich ihn, vermutlich naiv, denn für Haben hatte ich mein Lebtag nie Verständnis gehabt.“ (Günther Anders, Ketzereien)
Ist das Haben nicht eine dürftige Position? – Selbstverständlich. Bedürftig wie wir sind, wollen wir haben, eben weil wir uns das Sein als Haben vorstellen und es uns auch andauernd so vorgestellt wird. Wir praktizieren unser Leben in erster Linie über das Haben.
Ohne Haben kein Sein! Aber ist das nun wirklich eine kategorische Ansage anthropologischer Natur, oder ist sie nur eine soziale Setzung? Eine dieser vielen zeitweiligen Behauptungen, die sich für universell halten? Ist das Haben gar ein bürgerliches Bedürfnis, charakteristisch nur für diese Form der Gesellschaftlichkeit? Hier kategorisch „Ja“ zu sagen, fällt ohne eingehende historische Forschung schwer. Aber die Frage ist schon zu stellen. Der obligate Einwand hingegen, dass immer gehabt wurde, hilft nicht weiter. Weisheiten dieser Art blockieren die Erkenntnis.
Ohne Haben ist jedenfalls keine adäquate Existenz im Kapitalismus zu bewerkstelligen, selbst wenn das Haben nur die Arbeitskraft der Einzelnen darstellt. Das Haben ist es, nach dem alle verlangen. Das Haben ist dazu da, unserem Mangel abzuhelfen. Haben ist Vorgabe, wo sich eins nicht dagegen entscheiden kann. Eine Prämisse sui generis. Gierig ist nicht nur der Gierige, neidig nicht nur der Neidige. Im Nicht-Genug-Haben treffen sich scheinbar alle. Nur kein Habenichts sein! Wenn ich nichts habe, werde ich gehabt. Alles kann man mir, der ich nichts habe, anhaben. Nur wenn ich etwas habe, gehöre ich mir. Ich gehöre mir bloß als Substitut meines Habens. Die Habe ist mein Pfand. Nur wenn ich etwas habe, bin ich auch wer, so die profane Sicht. Wir sind die Charaktermasken unseres Besitzes. Haben schließt Handeln in doppelter Weise ein: sowohl im Sinn von Verfügen als auch in der Bedeutung des Geschäfts. Haben meint Erhalten, Verwalten, Gestalten, Verfügungsgewalt nennt sich dieses Recht etwas unscharf. Der Bürger muss auf jeden Fall etwas haben, um als Handelnder wie als Händler bestehen zu können.
Ohne Haben kein Sein! Im Haben liegt der schwache Trost einer Gesellschaft, die ihren Agenten nichts anderes anzubieten und vorzuschreiben vermag als das, was sie sich in der Konkurrenz wider die andern aneignen können. Haben macht Menschen roh, zu Bedrohten und zu Bedrohern, zu Opfern und zu Tätern bei der Umsetzung dieser asozialen Imperative. Die Spezies ist ganz auf Kampf trainiert, auf Invasion und Okkupation. Die Grundstruktur dieser Konstellation baut auf Aneignung und Enteignung, auf Angriff und Verteidigung. Was wir haben, wollen wir behalten und was wir nicht haben, sollen wir uns beschaffen. Wir eignen uns nur als Eigentümer. Gerade die Angst vor der steten Enteignung, lässt uns umgekehrt als permanente Aneigner auftreten, was wiederum heißt, dass andere enteignet werden müssen.
Dieser Zwang mobilisiert gegeneinander. Er entsolidarisiert. Kooperation ist lediglich eine Unterabteilung der Konkurrenz. Als Hüter des Habens sind wir die Verhüter des Seins. Alles Genügsame, Zurückhaltende, Vorsichtige, Mitfühlende fällt dem sukzessive zum Opfer. Empathie ist nicht. Aneignen heißt ausschließen. Was ich habe ist mein, ein besitzanzeigendes mein, „denn das ‚Meine‘ unterscheidet sich nicht so sehr durch eine grundsätzliche Unvergleichbarkeit des Gehaltes von ‚Deinem‘, als dadurch, dass das Meine für das Du, das Deine für das Ich nicht ‚Habe‘ ist. Es handelt sich um Differenzen des Bezugs“, schreibt Günther Anders (=Günther Stern, Über das Haben, Bonn 1928, S. 74 f.) Schon John Locke ging davon aus, dass bereits „den Kindern die richtige Vorstellung von Meum und Tuum einzupflanzen“ sei. (Alfred J. Noll, John Locke und das Eigentum. Eine Einführung in den Second Treatise of Government und seine „great foundation of property“, Wien 2016, S. 165)
Dumm und einseitig
„Der Mensch – dies ist die Grundvoraussetzung des Privateigentums – produziert nur, um zu haben. Der Zweck der Produktion ist das Haben. Und nicht nur hat die Produktion einen solchen nützlichen Zweck; sie hat einen eigennützigen Zweck; der Mensch produziert nur, um für sich zu haben; der Gegenstand seiner Produktion ist die Vergegenständlichung seines unmittelbaren, eigennützigen Bedürfnisses.“ (MEW 40, S. 459) Das „für sich“, von dem Karl Marx schreibt ist kein „für uns“, zumindest kein unmittelbares. Es bedarf besonderer Metamorphosen, um zu den Objekten zu gelangen. Geben und Nehmen werden unter die Kuratel des Habens gestellt. Haben demonstriert Aneignung der Gebrauchswerte durch Hingabe eines Tauschwerts. Nichts ist einfach (da), alles untersteht dem Komplex des Warentauschs. Waren sind zum Kauf und Verkauf, ob sie verzehrt werden, ist sekundär, auch wenn der reelle wie ideelle Verbrauch im Interesse fortwährender Zirkulation nicht abreißen soll.
Das Haben setzt der Allseitigkeit der Sinne und Bedürfnisse die Einseitigkeit des Eigentums gegenüber. In seinen Frühschriften hat Marx das so skizziert: „Wie das Privateigentum nur der sinnliche Ausdruck davon ist, dass der Mensch zugleich gegenständlich für sich wird und zugleich vielmehr sich als ein fremder und unmenschlicher Gegenstand wird, dass seine Lebensäußerung seine Lebensentäußerung ist, seine Verwirklichung seine Entwirklichung, eine fremde Wirklichkeit ist, so ist die positive Aufhebung des Privateigentums, d.h. die sinnliche Aneignung des menschlichen Wesens und Lebens, des gegenständlichen Menschen, der menschlichen Werke für und durch den Menschen, nicht nur im Sinne des unmittelbaren, einseitigen Genusses zu fassen, nicht nur im Sinne des Besitzens, im Sinne des Habens.
Der Mensch eignet sich sein allseitiges Wesen auf eine allseitige Art an, also als ein totaler Mensch. Jedes seiner menschlichen Verhältnisse zur Welt, Sehn, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen, Denken, Anschauen, Empfinden, Wollen, Tätigsein, Lieben, kurz, alle Organe seiner Individualität, wie die Organe, welche unmittelbar in ihrer Form als gemeinschaftliche Organe sind, sind in ihrem gegenständlichen Verhalten oder in ihrem Verhalten zum Gegenstand die Aneignung desselben. Die Aneignung der menschlichen Wirklichkeit, ihr Verhalten zum Gegenstand ist die Betätigung der menschlichen Wirklichkeit; menschliche Wirksamkeit und menschliches Leiden, menschlich gefasst, ist ein Selbstgenuss des Menschen.
Das Privateigentum hat uns so dumm und einseitig gemacht, dass ein Gegenstand erst der unsrige ist, wenn wir ihn haben, also als Kapital für uns existiert oder von uns unmittelbar besessen, gegessen, getrunken, an unsrem Leib getragen, von uns bewohnt etc., kurz, gebraucht wird. Obgleich das Privateigentum alle diese unmittelbaren Verwirklichungen des Besitzes selbst wieder nur als Lebensmittel fasst und das Leben, zu dessen Mittel sie dienen, ist das Leben des Privateigentums Arbeit und Kapitalisierung. An die Stelle aller physischen und geistigen Sinne ist daher die einfache Entfremdung aller dieser Sinne, der Sinne des Habens getreten. Auf diese absolute Armut musste das menschliche Wesen reduziert werden.“ (MEW 40, S. 539 f.)
Sein als Haben
Das bürgerliche Subjekt definiert sich durch die Habe: Sei das ein Haus, ein Grundstück, eine Armbanduhr, ein Auto, ein Konto, ein Kleidungsstück. Derlei gilt dem Exemplar als privat zugeschrieben. Mein. Dein. Sein. Besitzanzeigend! „Eigentum meint ursprünglich nichts als das Verhalten des Menschen zu seinen natürlichen Produktionsbedingungen als ihm gehörigen, als den seinen, als mit seinem eignen Dasein vorausgesetzten; Verhalten zu denselben als natürlichen Voraussetzungen seiner selbst, die sozusagen nur seinen verlängerten Leib bilden. Er verhält sich eigentlich nicht zu seinen Produktionsbedingungen; sondern ist doppelt da, sowohl subjektiv als er selbst wie objektiv in diesen natürlichen anorganischen Bedingungen seiner Existenz.“ (MEW 42, S. 399) Die organische Bedingung des Lebens ist der Leib, die anorganische ist die Habe. Ganz körperlich ist das gemeint: Habeo meint mihi est! Mangelwesen bereichern sich durch ihre Habe.
Haben hat schon eine frappante Logik: Habe zu haben befreit davon, Habe haben zu müssen. Je mehr einem gehört, desto weniger ist man hörig. Die Hörigen lechzen nach Gehörigem, um nicht hörig sein zu müssen. Die bürgerliche Freiheit des Habens gestaltet sich als eherne Pflicht zur Habe. Der mündige Bürger, unser autonomes Subjekt ist dem unterworfen. Ohne Habe ist es nichts. Ohne Habe ist es tatsächlich ein homo sacer. Auch politische Rechte werden als Habe gedacht (Staatsbürgerschaft, Menschenrechte, Asyl etc.) Nichts ist selbstverständlich, auch solche Rechte sind bloß als kleine Korrektur der großen Ungeheuerlichkeiten zu fassen.
Haber und Nichthaber in der bürgerlichen Gesellschaft sind sich zumindest in der Praxis darüber einig, haben zu wollen. Wir haben so allesamt eine struktive Beziehung zu den präsentierten Dingen, weil nur die In-Besitz-Nahme uns die nötige Zuverlässigkeit und Zuversicht verspricht. Haben oder Nichthaben, das ist die entscheidende Frage. Hast was, bist was! Gegenstände sind nicht profan da, sie bedürfen einer kodifizierten Aneignung. Produkte sind Waren. Was wir brauchen, das müssen wir haben, und zwar in der besonderen Form eines Rechtstitels, der als öffentliches wie als privates Vertragsverhältnis konzipiert ist und deswegen als gültig (legal wie legitim) angenommen wird. Der Reichtum dieses Systems erscheint sodann als „ungeheure Warensammlung“ (MEW 23, S. 49).
Haben-Wollen meint Kaufen-Können. Das scheinbar gemeine Haben ist eine ordinäre Kategorie des Marktes. Es ist geradezu von unsäglicher Brutalität: Wer etwas braucht, muss es erwerben. Kein Lebensmittel ohne Zahlungsmittel. Nur Notprogramme verhindern den sozialen Genozid. Diese sind Programme sowohl für als auch gegen die Not. Für die Not sind sie, weil sie diese aufrechterhalten, gegen die Not sind sie, weil sie diese lindern. Tatsächlich sind sie abgefeimter Natur, das gilt insbesondere für den bürgerlichen Sozialstaat, der seine Insassen mit monetären Almosen abspeist und so die Anpassung mitbetreibt. Aktuell entpuppt er sich immer mehr als Disziplinierungsinstrument für alle Subalternen.
Mehr haben
Je mehr man hat, desto besser man ist. Sein löst sich als Haben ein. „Der Füller und die Pfeife, die Kleidung, das Arbeitszimmer, das Haus, das bin ich. Die Totalität meiner Besitztümer reflektiert die Totalität meins Seins. Ich bin das, was ich habe.“ (Jean-Paul Sartre, Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie (1943). Deutsch von Hans Schöneberg und Traugott König, Reinbek bei Hamburg 1993 S. 1012) Der hat sich was geschaffen. Die hat was erreicht. Was wir haben, das sollen wir sein. Unser Sein liegt in unserem Haben.
Ausgerechnet in einer Sozietät, wo es schrecklich viele Nichtshaber gibt, ist das Haben ein generelles Interesse. „Im Augenblick fordern die organisierten Minderheiten das Recht auf Haben, daher unterstützen sie den Status quo,“ schreibt Ivan Illich. (Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik, „Tools for conviviality“. Deutsch von Thomas Lindquist, Reinbek bei Hamburg 1980, S. 133) Daran hat sich nichts geändert. Mehr Lohn, mehr Rechte, mehr Dinge, mehr Besitz. Mehr von alledem. Der eherne Komparativ mündet in ein allseitiges Bekenntnis zum Wachstum. Ohne ginge die Wirtschaft zugrunde. Und das stimmt auch. Diese Versessenheit ist immens und elementar. Nicht zu zügeln ist sie, sondern nur zu beseitigen.
Selbst wenn man die Forderung nach einem größeren Stück Kuchen nicht einfach zurückweisen kann, ist jede Programmatik, die darauf abstellt, fatal. Sie perpetuiert nicht nur die Zustände, sie konsolidiert sie in den Köpfen als ewig. Die ganze Haben-Debatte kommt heute als Verteilungsfrage (Umverteilung, Verteilungsgerechtigkeit, Fairness …) rüber und kaum über sie hinaus. Sie pickt geradezu am bürgerlichen Boden fest. Unten und Außen schreien nach Berücksichtigung. Sie fordern Teilhabe und Mitbestimmung. Weder Haben noch Bestimmung erscheinen als Probleme, das Problem besteht lediglich darin, dass nicht alle genug haben. Gerade die Forderung nach Gerechtigkeit spielt auf dieser Ebene. Nicht ein Nein! wird postuliert sondern ein Wir auch!
Das frenetische und rituelle Bekenntnis zum Eigentum kollidiert jedoch mit der Realität. Eigentum ist für die meisten das Eigentum der anderen, etwas, an das sie kaum herankommen, so sehr sie sich mühen. Ein Medium nicht der Freiheit sondern der Abhängigkeit und Unterdrückung. Vergessen werden darf nicht, dass die Mehrheit auf diesem Planeten zu Landlosen, Besitzlosen, Wehrlosen degradiert ist. Mehr als verdingen, darben und auswandern ist da nicht. Expropriierte Habenichtse bilden eine hungernde wie hungrige Mehrheit.
Die kategorische Frage ist aber nicht, wem das Eigentum gehört, sondern ob es Eigentum überhaupt geben muss. Die „Expropriation der Expropriateure“ (Karl Marx) wäre doch gänzlich verfehlt, wenn sie neue Expropriateure hervorbrächte. Dem Eigentum ist nicht der Kampf um das Eigentum entgegenzusetzen, sondern die stete Aktion gegen das Eigentum. Nicht Ermächtigung zum, sondern Befreiung vom Eigentum. Die Debatte um Commons ist hier von großer Relevanz. Die Losung der Vergesellschaftung der Produktionsmittel ist alles andere als passé, sie muss nur eingebettet werden.
„Der Versuch, das Privateigentum an Produktionsmitteln abzuschaffen, gleichzeitig aber die Verkehrsformen von Ware und Geld beizubehalten, kann nur in gesellschaftliche Paradoxien führen“, schreibt Robert Kurz: „Das Privateigentum wird nämlich fälschlich als bloß ‚subjektive Verfügungsgewalt‘ der sogenannten Besitzenden und damit ‚Herrschenden‘ deklariert, der Augenschein von Selbstherrlichkeit und vermeintlicher Willkür seitens der kommandierenden Personage des Kapitals für bare Münze genommen.“ (Antiökonomie und Antipolitik, krisis 19 (1997), S. 68) Die Verfügungsgewalt über das Eigentum ist primär eine Fügungsverpflichtung gegenüber dem Eigentum. Fügung kommt als Verfügung daher und die Fügsamen glauben auch noch daran, dass ihre Bestimmung Selbstbestimmung sei.
Ein Manko dieses Beitrages besteht freilich darin, das Vokabular, in unserem Fall also Habe und Haben, Besitz und Eigentum nicht ausreichend differenziert und definiert zu haben und somit der gängigen Auffassung, dass dies alles mehr oder weniger gleich sei, nicht entgegengetreten zu sein. Doch das sind keine Synonyme, auch wenn sie weitgehend synonym auftreten. Was fehlt ist auch die Erörterung der juristischen Dimension (Sachenrecht etc.), die unbestreitbar eine wichtige ist. (Vgl. dazu sehr kompakt Alfred J. Noll, John Locke und das Eigentum, S. 205 ff.) Hier war es vorerst wichtig, sich auf den umfangreichsten Begriff des Habens zu konzentrieren. Weitere Versuche auf dieser Ebene bräuchten allerdings feinere Unterscheidungen. Zu finden ist übrigens auch keine Genesis des Habens, aber das hätte uns schlicht und einfach überfordert.
Inhaber als Werthaber
Haben-Sollen meint Haben-Wollen. Erst dann dürfen wir reale Bürger sein, nicht bloß im formellen sondern im materiellen Sinne: Besitzbürger; und tatsächlich (wir werden das an anderem Ort noch zeigen) ist ein Bürger ohne Besitz als unfertig und mangelhaft zu denken. Vollwertig ist der Bürger nur, wenn er über ein bestimmtes Vermögen verfügt, um sich ein „gutbürgerliches“ Leben leisten zu können. So reduziert sich das Reichsein auf das Vielhaben. So herrschen Gier und Neid, zwei nur auf den ersten Blick unterschiedliche Temperamente. Neid ist passive Gier wie Gier aktiver Neid ist. Sie schließen einander nicht aus, sie fungieren im gleichen Koordinatensystem des Habens, nur die Perspektive ist aufgrund der Positionen unterschiedlich.
Was wir von Leuten halten, hängt davon ab, was sie haben oder auch zu haben scheinen. Das Auto, etwa steht deswegen so hoch im Kurs, weil es leicht herzeigbar und ein kaum zu übersehender mobiler Gegenstand ist. Erich Fromm bezeichnete es zurecht als ein „Teil-Ich“ (Haben oder Sein, Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, München 1979, S. 93), Mit einem Fahrzeug lässt sich demonstrieren, was man so hat, und das an verschiedenen Orten. Mit einem Wagen fährt man zweifellos auf einem performativ hohen Level. (Die spannende Dialektik von verborgenem und demonstriertem Reichtum kann hier nicht weiter ausgeführt werden.)
Eine zentrale Frage ist mit Erich Fromm durchaus so formulieren: „Wer bin ich, wenn ich bin, was ich habe, und dann verliere, was ich habe?“ (Haben oder Sein, S. 136) Ein Habenichts ist ein Taugenichts, ist ein Nichtsnutz. Wert haben und Wert sein sind eins. Der Wert ist eine Qualität, die als Quantität gemessen werden kann. Ranking und Rating verraten wie wir einzustufen sind. Unser ganzer Alltag tickt so, auch dort, wo er Wert als Würde, also ideellen Wert begreift.
Konventionelle Kritik wollte Wert sein stets vom Wert haben trennen. Was sie nicht wollte, ja sich geradezu verbot, war, den Wert als Leitkategorie auch nur anzutasten. Finger weg! Beschwörung und Begeisterung dominieren mehr denn je. „Ihre Werte und unsere“, war da schon das Höchste der Gefühle. Werte haben wollte man auf jeden Fall, oft sogar die selben. Unbehagen agiert meist auf der vorgegebenen Ebene von „Ihre Werte sind unsere“. Die gängige Litanei behauptet ja, dass die Werte schon in Ordnung seien, würden sie nicht mutwillig verraten werden. Man dupliziert die herrschende Moral durch ihre Einforderung. Unkritische Kritik entpuppt sich als Affirmation. Der Aufstand für die Abschaffung des Werts und die Entwertung der Werte, der wollte lange nicht reifen. Es gab zwar einige Fährten von Karl Marx bis Günther Anders oder Ivan Illich, mehr aber war kaum. Auch heute ist die Kritik vom Wert und seinen Werten noch immer keine substanzielle Größe der Gesellschaftskritik. Wertkritik war da ein erster Anlauf.
Wer was? Was wen?
Das Verb „haben“ hat seine vorrangige Bedeutung darin, anderen Verben eine zeitliche Dimension zu verordnen. Dort, wo es lediglich als Hilfszeitwort auftritt, interessiert es uns an dieser Stelle aber nicht. Die zwei wichtigsten Verben, die wir verwenden, sind sein und haben. Sie prägen die gesamte Sprache. Aber schon in den obligaten Satzkonstruktionen bemerken wir einen fundamentalen Unterschied. Sofern sie nicht als Hilfsverben gebraucht werden, folgt dem Wort haben meist ein Substantiv, während das Wort sein meist Adjektiven vorangeht.
Haben? Der Terminus steckt voller Tücken. Habe ich Produktionsmittel, um Mehrwert zu lukrieren? Habe ich Kredit, um auf der Ebene des fiktiven Kapitals mitspielen zu können? Solche Handhabe ist zweifellos etwas anderes als die Habe, die zur unmittelbaren Existenz notwendig ist: essen, kleiden, wohnen, agieren, kommunizieren. Wenn ich einen Hunger habe, ist das etwas anderes, als wenn ich einen Porsche habe.
Eine Habe, über die man so gar nicht verfügen kann, ist auch der Arbeitsplatz. Was habe ich, wenn ich ihn habe? Die Habe eines Arbeitsplatzes ist ebenfalls nicht meine. Mit dem Platz ist man nur bedient, solange er den Arbeitenden zur Verfügung gestellt wird. Diese Fügung ist daher nicht meine. Der Arbeitsplatz ist somit kein Besitz, sondern ein Lehen, das einem (derzeit noch unter Auflagen von Fristen) jederzeit entzogen werden kann. Der Arbeitsplatz spiegelt Subordination wider, Lohnabhängigkeit und Unselbständigkeit, wie der bürgerliche Alltagsjargon so unerschrocken offen zu Protokoll gibt. Der Haber eines Arbeitsplatzes ist nicht der Arbeitsplatzhaber, sondern der Arbeitsplatzgeber, der ihn aber auch bloß hat, wenn er ihn vergeben kann. Rationalisiert er ihn aus Kostengründen weg, dann hat er ihn auch selbst nicht mehr. Aber auch die Arbeitskraft (nicht zu verwechseln mit der tätigen Energie der Fähigkeiten und Fertigkeiten) kann ich als Habe nur einsetzen, wenn sie mir abgekauft wird.
Was man nicht alles haben kann: Ich habe eine Tochter, ich habe einen Acker, ich habe Lust, ich habe Ferien, ich habe Schmerzen. Habe ich? Wer hat wen, wenn ich eine Krankheit habe? Hat da nicht sie mich und nicht ich sie? Keineswegs will ich sie haben. Diese Habe hat mit „mein“ nichts zu schaffen, auch wenn sie in mir sitzt. Im Regelfall möchte man sie nicht haben resp. loswerden. Da ist auf einmal ein Haben, das hat mit Vermögen und Verfügen gar nichts zu tun. Auch das Haben der Tochter, des Ackers oder der Lust verweisen auf ganz unterschiedliche Bezüge. „Kann man Liebe haben?“, fragt Erich Fromm. (Haben oder Sein, S. 63) Man kann sie bekommen und geben, aber haben kann man sie nicht. Je näher wir das Haben betrachten, desto schräger wird es.
Günther Anders ätzte bei einem ähnlichen Anlass einmal über Martin Heidegger: „‚Ich kann arm werden‘, bedeutet bei ihm: ‚Ich habe die eigenste Möglichkeit der Armut‘; obwohl es im Ernst nur bedeuten kann: die Armut hat die Möglichkeit über mich; oder das Elend kann mich haben. Was es nicht will, das man ihm tu, fügt sich bei ihm das Dasein selber zu. Kurz: der Möglichkeitsbegriff wird benutzt, um die Wirklichkeit der Ohnmacht oder der Unfreiheit zu bagatellisieren.“ (Über Heidegger, hgg. von Gerhard Oberschlick in Verbindung mit Werner Reimann als Übersetzer, München 2001, S. 133 f.)
Und noch ein Beispiel zur Illustration: „Wir haben zu essen“ ist nicht gleichbedeutend mit „Wir essen“. Aber schon von Kindesbeinen an wird jedes unmittelbare Verlangen zu einem Haben-Wollen und einem Kaufen-Müssen. Das ist nun alles andere als banal, das ist spezifisch, wenn auch das spezifisch Allgemeine. Gerade durch das Haben werden Verben zu Substantiven. Wir arbeiten nicht, wir haben Arbeit. Wir freuen uns nicht, wir haben Freude. Wir schlafen nicht miteinander, wir haben Sex. Aus Tun wird Haben.
Haben und Halten
„Etwas ‚haben‘ können wir nämlich allein deshalb, weil wir fähig sind, etwas zu halten, und zwar ohne etwas sofort zu konsumieren.“ Günther Anders charakterisiert weiters das Haben als „Monopol des Menschen“ (Ketzereien, S. 192). Tatsächlich verharrt beim Haben das Objekt zumeist im Warteraum. Er ist Ort und Zeit des Habens. Das Horten bei einigen Tierarten, das vielleicht dem Haben ähnlich scheint, ist ein instinktives Ansparen von Nahrung, eine zeitliche Verzögerung von unmittelbarem Fressen, biologisch bedingt, Natur pur. Haben ist bloß den Menschen eigen.
Haben steht für eine Vollmacht. Die Habe ist etwas, das eingelöst werden kann (aber nicht muss), wenn der Haber es für richtig oder gegeben erachtet. Die Habe ist eine Potenzialiät, die als Potenz eingesetzt werden kann. Haben, das ist die Potenz der Latenz. Haben ist nicht die einfache Verwendung und Eignung, es ist vielmehr eine komplizierte Aneignung. Im Haben kommt das Mögen als Vermögen daher. „Besitzen ist für mich haben, das heißt der eigentliche Zweck der Existenz des Gegenstands sein.“ (Sartre, Das Sein und das Nichts, S. 1009)
Besitzen besteht darin, etwas benutzen zu können und andere von diesem Nutzen ausschließen zu können. Was hier stilistisch etwas unglücklich klingt, ist aber geradewegs inhaltlich so gemeint. Es ist überhaupt kein Zufall, dass wir „zu können“ doppelt und kursiv gesetzt haben und nicht „benutzen“ oder „ausschließen“. Beide Male ist das zu können definitiv. Beide Kriterien müssen erfüllbar, aber nicht unbedingt erfüllt sein. Der Nutzen ist hingegen nicht unmittelbar zwingend, ebensowenig wie der Ausschluss von anderen es ist. Haben ist also nicht platt die Verfügung betreffend Gegenstände, Leistungen, Verfahren oder sonstiges. Haben ist das Vermögen zu dieser Verfügung. Beziehungen, die sich im Haben äußern, sind nicht unbedingt exklusiv, aber sie vermögen zu exkludieren.
Haben gewährleistet den Zugriff, aber Haben ist nicht dieser Zugriff. Im Gegenteil, der Zugriff mindert das Haben bis hin zum Nichts. Dem Prozess des Konsums geht im bürgerlichen Normalfall der Status des Habens voraus. Um etwas zu verzehren, muss man aktuell ein Besitzrecht vorweisen, daran zehren zu dürfen. Verzehren meint zerstören. Wenn ich gegessen habe, ist das Essen weg. Der Konsum liquidiert das Haben. Haben löst sich ein, indem es sich auflöst. Der Gebrauch des Habens ist der Verzehr. Je mehr es sich auflöst, desto weniger habe ich. Wenn ich also etwas unmittelbar benötige, muss ich es zwar unbedingt haben, kann aber dieses „haben“ nicht in ein „Haben“ transformieren, weil als solches konsolidieren. Haben ist ohne Halten nicht zu haben. Jede Habe, die vom Eigner selbst im Konsum realisiert wird, bedeutet, sie zu liquidieren. Liquid bin ich, wenn ich liquidieren kann.
Habe umfasst Produktions- und Reproduktionsmittel. Die Auswirkungen sind jedoch unterschiedlich in der Konsequenz. Erstere können sich auch mehren, letztere können nur schwinden. Jeder private Konsum verzehrt die Habe. Dem gegenüber steht allerdings der produktive Konsum. Während es im unproduktiven Konsum um das ledige Verzehren geht, geht es im produktiven Konsum um das Vermehren, letztlich um das Vermehren von Kapital. Prototypisch dafür steht die Mehrwert-Schaffende Funktion des Gebrauchswerts der Ware Arbeitskraft: G-W-G’. Der eigentliche Gebrauchswert der Arbeitskraft erlischt, die Arbeitsmaterialien (ver)schwinden, aus lebendiger Arbeit wird tote.
Und noch ein Punkt wäre anzumerken. Besitzen meint: ich sitze drauf, niemand darf es mir nehmen. Die Digitalisierung als jüngstes Kind einer Ökonomie der Information relativiert dies freilich. Bei virtuellen Gütern trifft das, unabhängig ob sie eingepreist werden oder nicht, in dieser Form nicht mehr zu. Sie verschwinden nicht, wenn sie konsumiert werden. Ihr Dasein hat eine andere Qualität, eben weil diese Güter nicht materiell, sondern immateriell wesen. Das Genommene kann so auch verbleiben. Die Realität des Virtuellen ist eine andere.
Rache des Weghabens
Vom Haben zum Weghaben ist der Weg nicht weit, ja die Frist wird immer kürzer. Zumindest bei Lebensmitteln ist das offensichtlich. Das Bewahren ist im Schwinden begriffen. Das Behalten wird durch die Haltbarkeit limitiert. Damit wird das Haben nun keineswegs als Prinzip in Frage gestellt, wohl aber jede konkrete Habe. Hurtig wechseln die Moden, schnell ist etwas perdu. Wegwerfen ist angesagt. Die Lebensdauer aller Produkte muss verringert werden. Aneignung wird begrenzt, indem Eignung begrenzt wird, reell wie ideell. Jede Habe unterliegt dem Gesetz steigender Obsoleszenz. Deswegen wachsen die Altlasten.
Am Müll haben wir etwas, das wir eigentlich nicht haben wollen, aber geradezu fanatisch herstellen. Der Müll ist die immanente Rache des Habens und alles andere als eingebildet. Das Problem wird daher auch ganz orwellisch mit dem Begriff der „Entsorgung“ belegt und somit sprachlich „gelöst“. Wüsste man nicht, dass man nicht zu Verschwörungstheorie neigen darf, dann müsste man hier von einer Verschwörung sprechen. Auf jeden Fall verschwört sich die Sprache gegen ihre Nutzer, nicht theoretisch sondern ganz praktisch.
Der Käufer darf jedenfalls nicht zum Schatzbildner werden, d.h. sich in Ruhe und Gelassenheit seiner Gegenstände frönen, er muss ständig auf Trab gehalten werden, Altes durch Neues zu ersetzen, Kontingente immer wieder ergänzen, dieses und jenes auch noch besitzen zu wollen. „Hast du schon?“, lautet die reklamierende als imperative Frage. Haben ist also geprägt von einem verordneten Haben-Sollen, das als Müssen und Wollen tief sitzt und unablässig seine Aufdringlichkeiten entfaltet. In uns und aus uns. Werbung ist hier lediglich das letzte Glied. Die Antwort des Kunden lässt nicht auf sich warten: Ich will. Der Kaufzwang ist dem Käufer als Kaufverlangen obligat. Es ist das Interesse des Marktes, dass Produkte verbraucht, nicht gehortet oder gewartet werden. Mehr als uns an den Dingen zu erfreuen, die wir haben, sollen wir nach den Dingen gieren, die wir nicht haben. Und die Reklame verkündet unentwegt ihre Botschaft: Jedes Nicht ein Noch-Nicht.
Man kann zwar nicht genug bekommen, aber man kann durchaus mehr als genug haben. Indes wer zu viel hat, kann das Gehabte gar nicht mehr wirklich haben, also für einen allfälligen Gebrauch parat halten. Es liegt dann auf dem Konto oder im Lager, droht zu verderben und zu verfaulen. Selbst auf Geldanlagen trifft das zu. Noch dazu lauern andere, die es einem abnehmen möchten.
PostScript
Puncto Habgier schreibt einer ihrer Ideologen Folgendes: „Es gibt viel zu wenig Gier. Die Konsumenten sind nicht mehr gierig darauf, Autos oder andere Produkte zu kaufen, die Unternehmer sind nicht mehr gierig darauf, künftig fette Gewinne zu erzielen und dafür heute das Risiko von Investitionen auf sich zu nehmen. Irgendwann werden auch die Moraltheoretiker erkennen müssen, dass ohne Gier gar nichts läuft. Sie ist nicht der einzige, aber weitaus wirksamste Antrieb der Menschen, sich anzustrengen, mehr zu leisten, zu lernen, mehr zu arbeiten …“ (Andreas Unterberger, Bitte mehr Gier!, Wiener Zeitung, 18. Oktober 2008, S. 2)
Zweifellos gibt es Habsucht, aber gibt es Seinssucht? Vielleicht sollte es sie geben, nämlich als die unbescheidene essenzielle Suche das Leben leben zu können, es eben nicht zu versäumen im existenziellen Eifer der Gierigen und Neidigen. Der Kampf um die Existenz, wäre dann den Aktivitäten für das Dasein gewichen. Das, was heute schon als Hedonismus gebrochen und deformiert sich in Szene setzt, sollte sich wahrlich in der großen Kommune ungebrochen und unformiert entfalten können. Für alle, nicht nur für die wenigen.