von Karl Reitter
Was wurde in dieser Studie tatsächlich gemessen? Vorgeblich die Niedergeschlagenheit angesichts des Verlustes des Arbeitsplatzes. Aber war es nicht auch, oder sogar primär, der Verlust des Einkommens? Damals wurde die Arbeitslosenhilfe ja nur für ein Jahr (oder so) ausbezahlt, dann wurde sie nach und nach auf Null gesenkt; „ausgesteuert“ hieß das damals. Diese Ausgesteuerten konnten nur mit Hilfe von Verwandten oder Bekannten überleben. Was war also der Grund für die festgestellten psychischen Probleme, war es der Verlust der Arbeit oder das Wissen, in einigen Monaten schlichtweg keinerlei Einkommen zu haben. Wenn ich wüsste, dass meine Pension in einem Jahr auf Null gesenkt wird, wäre ich auch fix und fertig.
Was würden wir von einer Studie halten, die sich „Die unverheirateten Mütter und das tragische Schicksal unehelicher Kinder von Marienthal“ nennt und in der dokumentiert wird, dass diese Mütter unter Schuldgefühlen und Niedergeschlagenheit leiden, und dass es den Kindern alles andere als gut geht. Das Faktum würden wir wohl kaum bezweifeln. Wie sollte es in einer katholischen Kleinstadt bei all dem bösen Gerede auch anders sein? Die Gefühle und Empfindungen der Frauen würden wir als echt akzeptieren. Aber wir würden sehr wohl darauf verweisen, dass diese psychischen Auswirkungen unehelicher Schwangerschaften kulturell und moralisch durch die Verhältnisse bestimmt sind. Wir würden sicher nicht dafür plädieren, dass Kinder nur in der Ehe geboren werden sollten, was diese Studie ja „beweisen“ würde. Aber genau das macht diese Studie, nur statt Ehe heißt es eben Lohnarbeit. Dieser Punkt zeigt auch die Gesinnung der AutorInnen.
Alle sozialgeschichtlichen Untersuchungen zeigen, dass die Menschen erst mühsam mit einer Mischung aus Ideologie und Gewalt an die Lohnarbeit gewöhnt werden mussten – ein Prozess der über Jahrhunderte ging. Davon steht kein Wort. Zwischen den Subjekten der Studie (den untersuchenden WissenschaftlerInnen) und den Objekten (den Erwerbsarbeitslosen – dieses Wort wird selbstverständlich NICHT verwendet, als ob Erwerbsarbeitslose nichts arbeiten würden), ist eine unüberwindliche Demarkationslinie gezogen, als ob es Wesen aus verschiedenen Welten wären – was ja wiederum de facto stimmte.