Aus der Zeit gefallen

von Franz Schandl

Wer damals mit den Achtundsechzigern zu tun hatte, dürfte von ihm wissen, dem 2010 verstorbenen Hans Peter Sagmüller, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Aramis. Nun liegt über ihn eine fingierte Autobiographie vor, die von Andreas Staudinger doch recht nahe am Objekt recherchiert worden ist. Wer Aramis kannte, erkennt ihn wieder. Der Roman behandelt das Leben eines Revolutionärs der besonderen Sorte. Wobei Sorte schon übertrieben ist, war Aramis doch zeitlebens ein Einzelgänger, beharrlich und schroff, alles andere als jedermanns Freund.

In den Anfangstagen des Aufbruches war er ein enger Gefährte von Elfriede Jelinek und Wilhelm Zobl gewesen, etwas, das bald auseinandergebrochen ist, unter anderem auch, weil er deren Einritt in die KPÖ nicht goutierte. Am Sozialismus interessierten ihn mehr die Agrarsozialisten (z.B. Gustav Landauer) als Proletariat oder Partei. Der Industrialisierung stand er ablehnend gegenüber. „ich gehörte nirgends wirklich dazu“, sagt er. „die leninisten ödeten mich an in ihrer rigiden, den geist kastrierenden marxexegese, die neomarxisten gingen mir in ihren völlig von der realität abgehobenen diskursorgien auf die nerven, die feministinnen waren mir in ihrem völlig übertriebenen humorlosen penishass zutiefst zuwider, die kindergartenpädagoginnen waren mir zu theorielos tantenhaft, die friedrichshofkommunarden zu sklavenhaft ottofixiert, die hippies viel zu unreflektiert, die strukturalisten zu weltfremd.“ (126) „ich geriet zwischen alle fronten. fiel aus allen bindungen.“ (127) „ich zog mich aus der ‚szene‘ zurück.“ (130) „städte wie wien atmen den pesthauch des untergangs.“ (140) „ich wäre in der großstadt zwangsläufig terrorist geworden.“ (289)

Während die meisten Achtundsechziger sich wieder reintegrierten oder für einige Jahre in autoritäre Kadergruppierungen oder gar die Mühl-Kommune abdrifteten, kehrte Aramis spätestens Mitte der Siebziger der Stadt endgültig den Rücken. Aussteiger war er, aber ohne dieses alternative Brimborium. Er machte sich keine Illusionen, sondern schritt in aller züchtigen Selbststrenge ans Werk.

Aramis zog es aufs Land, sein Leben bestand fortan darin, sich alte baufällige Gehöfte anzueignen, die von ihren Eigentümern de facto schon aufgegeben worden waren. Gebäude, die zu verfallen drohten und von ihren Besitzern pachtfrei auf Zeit übergeben wurden. „wo immer ich auch unterwegs war, sah ich landhäuser, die es herzurichten, zu bewohnen galt.“ (162) Sein letztes Lebensprojekt war die Baustelle Schloss Lind in der Weststeiermark. Anfang der Neunzigerjahre entlehnte er es dem Stift Lamprecht und bewahrte es so vor dem Verfall.

Aramis war eine Mischung aus Revolutionär und Ritter. Adelige Attitüden inbegriffen, der Schlossherr war reichlich ausgestattet mit einem andere düpierenden Überlegenheitsgefühl. Immer ging es ihm darum, das Leben selbst zu bestimmen, oft auch das der anderen. Es war jedenfalls eine ziemlich unorthodoxe Lebensweise. „ich simplizius“ (192), heißt es an einer Stelle. Als „ aus der zeit gefallen“, betrachtete er sich. Sich selbst verstand der Lebenskünstler als Gesamtkunstwerk, als Maler, Schafzüchter, Gärtner, Restaurator, Museumsgründer, Liebhaber, Ofenbauer. Sieben Kachelöfen setzte er auf Schloss Lind.

Alles was er betrieb, war von hochgradiger Ernsthaftigkeit. Halbe Sachen waren seine Sachen nie. Er brachte sich nicht nur durch, er brachte auch etwas weiter. „ohne sozialversicherung, ohne steuern zu zahlen.“ (300) Ganz stolz war er „auf der hände schweißwerk: das ist kontinuität!“ (300) Aramis war alles andere als untätig, vielmehr besessen in seinem Tun. Und auch in seinem Sein. So trug er etwa keine Jeans mehr, entwickelte für sich eine eigene Tracht. Stets ging es um den Stil. „ich wollte endgültig unverwechselbar werden“ (209), sagt er.

„aber um ehrlich zu sein: ich bin auch dem gott dionysos verpflichtet, dem gott des rausches, des weins, der ausschweifung! so sehr ich mich disziplinieren kann, so sehr kann ich explodieren, falls die umstände es erlauben.“ (304) „ein offenes haus, ein freudenhaus, ein lusthaus im wahrsten sinne des wortes“ (368), sollte seine in Staudingers Roman „Arche“ genannte Wohnstatt sein. So verwegen der Ansatz gewesen ist, so beschränkt waren jedoch die Möglichkeiten. „mein hang zu mehreren frauen deutete sich schon an: eine war mir selten genug.“ (59) „die begriffe treue und untreue hatte ich immer für völlig unangemessen gehalten.“ (258) Ebenso Eifersucht. Postulat und Resultat kollidierten des öfteren gewaltig. In Liebessachen bezeichnete er sich als guten Anfänger, was jedoch auch bedeutete, dass die Beziehungen (Liebschaften wie Freundschaften) meist an den rigorosen Ansprüchen scheiterten. Rücksicht nehmen war seine Sache nicht, dafür aber war er zielstrebig, verlässlich, konsequent. Wenig ließ er gelten, aber was er gelten ließ, verehrte er heiß.

Gehasst hat er das normale Leben, diese „endlose repetition der norm“ (436). Für seine Zeitgenossen hatte er wenig übrig: „im umgang mit menschen bleibt die verachtung, die nur mit ausnahmen rechnet.“ (436) „gut, ich bin auch gescheitert, aber immerhin habe ich mein leben lang alles erdenkliche versucht“ (364), resümiert er. „wenn ich mein leben betrachte, scheint mir alles folgerichtig.“ (417)

„ich bin FERTIG“ (332), verkündet Aramis kurz vor seinem Freitod, der freilich inszeniert, ja zelebriert werden sollte und nicht nur ihm einiges an Anstrengung abforderte. „mein eilig vorbereitetes sterbefest wurde leider nur ein schlachtfest ohne toten.“ Erst der zweite Versuch sollte gelingen. Der Tod erscheint nicht als Niederlage, sondern als höchste Konsequenz. Ein Kranker oder gar hilfsbedürftiger Alter, „dieses verfallende und verfallene“ (420), wollte Aramis nicht sein. Immer wieder ging es auch um den Tod. „es ist die intensität des lebens, die ich immer gesucht habe. sie gewinnt man nur im angesicht des todes (des abschieds, des endes, der auslöschung?), des unwiederholbaren, unwiderruflichen.“ (437)

Andreas Staudinger: Paradiessucht. Roman, Wieser, Klagenfurt-Celovec 2017, 440 Seiten, € 19,80

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