von Franz Schandl
Hierzulande setzt niemand mehr auf Christian Kern. Fast alle sprechen vom Supergau und es ist dem auch kaum zu widersprechen. Die Sache scheint gelaufen zu sein. Auf was soll die SPÖ noch hoffen? Auf einen Mitleidseffekt? Nun, nicht einmal der wird eintreten. Und auch wenn es gelingt Sebastian Kurz und die ÖVP mit in den Sumpf zu ziehen, ist damit nichts gewonnen. Im wahrsten Sinne des Wortes haben der sozialdemokratische Kanzler und sein Team ihre Chancen verspielt.
Kern gilt als gescheitert. Es droht das schlechteste Wahlergebnis der Zweiten Republik. Das wäre ein Desaster sondergleichen. Der Macher wäre am Ende, bevor er noch zu machen begonnen hat. Die kurze Amtszeit seines Vorvorgängerns Alfred Gusenbauer wird er noch unterbieten. Auch mit der sehr späten Forcierung programmatischer Inhalte, lässt sich das nicht mehr ändern. Zu erinnern ist auch daran, dass der SPÖ-Chef es selbst gewesen ist, der alles auf die Karte der Erscheinungskonkurrenz des smarten und eloquenten Managers gesetzt hat. Was er losgetreten hat, ist auf ihn zurück gefallen.
Der fulminante Amtsantritt war also bloß ein Ereignis und kein Aufbruch. Bei nahezu allen Entscheidungen verhielt Kern sich zögerlich, war Getriebener nicht Akteur. Der Kanzlerbonus entglitt ihm in diesem Frühjahr innert weniger Wochen. Der Regierungschef entpuppte sich als unentschlossener Zauderer. Zuerst cooler Manager, dann sozialer Gerechtigkeitskämpfer, einmal gegen CETA, dann dafür, einmal für eine Maschinensteuer, dann wieder ganz leise.
Nicht einmal nach dem Koalitionsbruch durch Sebastian Kurz im Mai hat er die Volkspartei aus der Regierung geschmissen. Gelegentliche Ultimaten an den präpotenten Koalitionspartner ließ er stets verstreichen. Und in der Flüchtlingspolitik kam der SP-Vorsitzende nie über eine Nachtrabpolitik hinaus: Kurz prescht vor, Kern wehrt ab, doch schließlich knickt er ein. Trittsicherheit oder gar Führung sieht anders aus. An der Silbersteinkante ereilte Kern sodann der frontaler Crash. Weder inhaltlich noch strategisch brillierte er, ja es gelang ihm nicht einmal zu blenden. Die Monotonie des Herausforderers triumphiert über die Kakophonie des Kanzlers. Während Kurz einen Kurs fährt, fährt Kern in den Konkurs. Es ist ein geradezu furioses Scheitern.
Silly and dirty
Wer keine Strategie hat, muss zumindest eine PR-Strategie haben oder sich zukaufen. So hat sich in den letzten Jahren ein intransparentes System von Beratung, Intrige, Strippenzieherei, Verrat, vor allem auch: Verkauf und Einkauf von brisanten Infos breitgemacht. Da tummeln sich Wichtigtuer und Bluffer, Obskuranten und Maulwürfe, Spione und Doppelagenten, und auch gar nicht wenige Idioten. Was auffliegt, sind zumeist nur Details, die, wenn sie lediglich kriminalisiert werden, nur bewirken, dass es nach der ritualisierten Empörung lustig und munter wie ehedem weitergeht. Die politische Auseinandersetzung ist zu einer Unterabteilung der PR geworden. Politik, das ist das Leben zwischen dem Consulting-Sumpf und den Coaching-Blasen.
Wir erleben das Zurückdrängen und Eliminieren der Parteiapparate, die Abrüstung des Funktionärskorps, deren Ersetzung durch Coaches und Berater, PR-Fuzzis und Einflüsterer. Ihr Beschädigungseifer ist unersättlich. In Wahlzeiten übernehmen ausgesprochen gut bezahlte Leute das Ruder, besetzen die War Rooms und gestalten die Politik. Das kann aufgehen aber auch schiefgehen. Manchmal übersteigen die nichtintendierten Effekte die intendierten. Der Topberater Tal Silberstein, dessen Verhaftung in Israel die Krise der SPÖ so richtig zuspitzte, ist ein Campaigner der Sonderklasse. Jahrelang galt er als Garant sozialdemokratischer Wahlerfolge.
Die War Rooms der SPÖ, die streckenweise unter Ausschluss der Parteispitzen agierten sind zu Selbstbeschädigungsstätten geworden. Eigensinn und Illoyalität, Geldgier und Gerissenheit interagieren wie in schlechten Filmen. Keine Verschwörungstheorie reicht an diese Verschwörungspraxis heran. Bezahlte Krieger fungieren als Prätorianer der Partei. Niemand hatte sie unter Kontrolle. Wenn die SPÖ Facebook spielt, dann erinnert es entfernt an Kafkas „In der Strafkolonie“. Dort erklärt ein Offizier detailreich eine Hinrichtungsmaschine, in die er zuletzt selbst gerät.
Unter Kampagne versteht heute kaum jemand noch die Mobilisierung der Mitglieder und Sympathisanten für bestimmte Ziele, man versteht darunter PR-gestylte Inszenierungen in den medialen Supermärkten. Man zieht nicht selbst in den Kampf, sondern lässt ihn führen. Söldner der Kulturindustrie stehen am Krankenbett (nicht nur) der Sozialdemokratie, plustern sich auf und pumpen Partei wie Publikum mit Drogen voll. Zwischendurch ist man ganz high. Geht was daneben, ist es blöd gelaufen, dann wird der Magen ausgepumpt, die notwendige Darmspiegelung live übertragen und auf allen Sendern kommentiert.
Anstatt trägen Parteisekretären (oft gegendert) sitzen bestbezahlte und schwer munitionierte PR-Burlis (meist ungegendert) an den Schalthebeln und geben es sich kräftig. Wie Orks laufen sie durch die virtuellen Welten. Und das Problem ist, da läuft nichts aus dem Ruder, das ist auch nicht von gestern sondern von morgen. So gesehen ist das kein „erbärmliches Schauspiel“, sondern so werden die Wahlkämpfe der Zukunft ausschauen, nicht nur hierzulande. Die Parteien werden bloß den Schluss ziehen, dass neben der Spionage mehr in die Spionageabwehr investiert werden muss.
In Wien tanzt die Skandalrepublik ihre Untergangspolka. Da sind die Netzwerker in ihrem Element, ihre Augen glänzen vor Durchtriebenheit und ihre Fingern zittern, wenn sie ans Werk schreiten. Wie semmeln wir wem was rein? Gib’s ihm! Der Typus des Funktionärs wurde durch den des Hasardeurs ersetzt. Die mittlerweile zusammengestauchten Apparatschiks waren meist loyal, diszipliniert wie solidarisch, man konnte sich auf sie verlassen, ihr Engagement war (so altbacken es erscheint) integer, von kleinen Spritzen Vitamin P abgesehen. Dieser Protektionismus hielt sich aber meist in amikalem und erträglichem Rahmen. Ihr Gemüt ist der Gerissenheit der PR-Fuzzis und sonstiger Abstauber in jeder Hinsicht vorzuziehen. Man kann ihnen die Hand geben, ohne picken zu bleiben.
Die SPÖ vertraut ihren eigenen Genossen nicht mehr, doch sie ersetzt Lahmarschigkeit nicht durch Klarsichtigkeit oder Zurückgebliebenheit durch Perspektive, sondern durch den Wahnwitz der Gambler. Was denkt sich die Partei eigentlich, wenn man Leute besoldet, die schon vorab für ÖVP, Neos, Stronach oder Lugner unterwegs gewesen sind? Dass das besonders flexible Kerlchen sind? Ein Fußi wurde doch nicht angeheuert, weil er so clean, so untückisch und unrüde ist, oder? Wer einen Fritz Marsch etwa durch einen Rudi Fußi ersetzt, hat einen Vogel, aber keinen schrägen sondern einen groben. Oder wurde der gar nicht als Schlammcatcher engagiert? Fußi lieferte jedenfalls den Beweis, dass Biederkeit, Heimtücke und Trottelei sich verhalten wie Positiv, Komparativ und Superlativ. Die Dessous der Macht sind nur mächtig, solange sie nicht aufgedeckt werden, alsdann erweisen sie sich als stillos, wirken grauslich und peinlich, letztlich lächerlich.
Scheißegal
Wenn es schon scheißegal ist, wo eins herkommt, so muss es wohl auch scheißegal sein, ob eins zwischendurch plaudert, die Seiten wechselt oder sich eigenmächtig inszeniert. Bestechung und Geldannahme nicht ausgeschlossen. Doch gerade mit dieser Szene der Wanderwunderwerbegurus haben sich die Sozialdemokraten mehr eingelassen als alle anderen. Der Versuch mit antisemitischen und rassistischen Parolen die ÖVP zu schädigen und dabei auf die Fährte der FPÖ zu locken, ist nicht überdrüber, er ist letztklassig. Die Rechnung wird nun präsentiert. Im Skandalranking 2017 führen die Kern-Leute die austriakische Shortlist an.
Für das Fußvolk der SPÖ waren die letzten Jahre in vieler Hinsicht deprimierend und die letzten Monate noch demotivierend dazu. Anstatt zu laufen, haben sich viele zurückgezogen, ja manche laufen sogar über, selten nach links, zumeist zu den Freiheitlichen. Bei denen gibt es zwar auch nur eine falsche Wärme, aber immerhin. Natürlich kann die Klasse (schon aufgrund ihres Ausrinnens) nicht mehr so gedrillt werden, schwerer wiegt aber die Degradation der Mitglieder durch die Partei selbst. Die alte Kombination aus Disziplin und Solidarität hat sich erledigt. In der SPÖ ist kalt und still geworden.
Wir erleben eine Enteignung der Partei durch die Auslieferung an PR-Abenteurer. Die Mischung aus verwaisten Parteizentralen und eingekauften Schlitzohren ist hochexplosiv. Wenn Kern jetzt meint, er habe von alledem nichts gewusst, was Silberstein und sein hiesiges Gefolge via gezinkten Facebook-Seiten anstellten, dann ist das vielleicht glaubhaft, aber es spricht doch mehr gegen ihn als für ihn. Das Gewähren-Lassen dieser Kampagne war schlicht dumm. Schuld ist Kern aber nicht, weil er etwas gemacht oder unterlassen hat. Schuld ist er, weil er gar nicht kapiert, dass die Möglichkeiten von alledem auch auf seinem Mist gewachsen sind. Sein Gespür für das politische Getriebe wie auch das politische Personal überhaupt, ist mangelhaft.
Der tiefe Fall in den asozialen Medien verdeutlicht, dass die Übertrixer im Umfeld der SPÖ gegen die primitiven Fallensteller der ÖVP eine Niederlage erlitten haben. Waterloo und Watergate reichen einander die Hand. Die Sache ist ja noch nicht abgeschlossen. Dass da Maulwürfe im Spiel waren macht die Angelegenheit nur noch blamabler als sie ohnehin schon ist. Was Taktik und Performance betrifft, haben sich Kern und sein Team ins Out bugsiert. Schon dass man sich von Altlasten wie Alfred Gusenbauer nicht zu trennen vermag, spricht gegen die SPÖ.
Dass die Kern-SPÖ die Kurz-ÖVP heftig verunglimpfen wollte, steht außer Zweifel. Dass sie dabei ihrerseits von der ÖVP gelegt wurde, ist sehr wahrscheinlich. Aber was hilft es weiter? Der investigative Zauber stiftet oft mehr Verwirrung als Klärung. Zu analysieren wäre ein gesellschaftliches Symptom anstatt Ereignisse zu kriminalisieren und sich mit gegenseitigen Klagen einzudecken. Leaken, liken oder linken führen nicht aus dem Sumpf, sondern erweitern seine Zone. Die Schlacht der Schmutzkübel erreicht so nur neue Höhepunkte. Die einmal entfachte Dynamik lässt sich kurzfristig sowieso nicht abstellen. Alle sind geladen und alle laden nach.
Doch was steht an? Das Kreieren von Claqueuren, die Erzeugung aufgeputschter Fans, kurzum die Reduzierung der Kommunikation auf das Niveau persönlichen Hasses und serieller Kalauer. Hetze pur, man denke nur an die minderbemittelten Kotzkohorten in der Postingszene. Auf dass der Pegel des „Kotmeeres“ (Karl Kraus) steige, sprengen die Stoßtrupps der Parteien nun gegenseitig ihre Kläranlagen. Und zu allem Überfluss gelangt die politische und mediale Saalschlacht dann auch noch als juristische Parodie vor den Bezirksgerichten zu einer weiteren Nachinsznierung. The „democratic circus“ (David Byrne) inszeniert gerade einen absolut abstoßenden Tiefpunkt. Zwischen ÖVP und SPÖ brechen die Gedärme. An allen Orten stinkt es kräftig und selbst die kleinen Oppositionsparteien, Grüne und liberale Neos drohen in der Gacke unterzugehen. So haben Kern und Kurz (ganz ohne Strache) den schmutzigsten Wahlkampf der 2. Republik hingekriegt. Wir leben in der Epoche der Latrinenhaubitzen.
Boulevardkrieg
Zu allem Überfluss hat sich der schwer angeschlagene SP-Vorsitzende auch noch in einen Privatkrieg mit Wolfgang Fellner, dem Herausgeber des Boulevardblatts Österreich verstrickt. Der feiste Tritt gegen den Revolverjournalismus (Entzug der jahrelangen Kooperation und fälliger Inserate) ist durchaus zu goutieren, allerdings erfolgte er in einem Augenblick, wo jener nur noch als Revanchefoul wahrgenommen wurde. Seither hat sich Fellner in Kerns Slim-Fit-Hosen verbissen und lässt nicht locker. Für Beobachter mit Sicherheitsabstand wirkt das wie eine ungustiöse Schägerei. Auch wenn Christian Kern meinen mag, dass hier der Hund den Herrn beißt, hätte er wissen können, dass auf die Hilfsjournaille kein Verlass ist. Sie war eine Kanaille, sie ist eine Kanaille und sie wird eine Kanaille bleiben.
Anlass des Bruchs war ein unvorteilhaftes Psychogramm des Kanzlers, erstellt von einem Mitarbeiter Gusenbauers an die Adresse Tal Silbersteins(!), das Fellner abdrucken ließ. Darin hieß es: „Bundeskanzler Kern ist nicht kampagnefähig. Leider Gottes ist eine der wesentlichen Schwachstellen der Kanzler himself. (…) Er hat ein äußerst schwaches Nervenkostüm und ein Glaskinn. Er ist eine Prinzessin und ungemein eitel. Er ist unsicher.“
Fellner ist inzwischen selbst voll in den Wahlkampf eingestiegen: „Der Anstand würde es gebieten, dass Kern den heutigen Tag nützt, um seinen Rücktritt bekannt zu geben“, trompetet er am 1. Oktober. Am 6. schickt er Kern via Meinungsumfrage in den Keller und am 8. setzt er auf dem Cover Sebastian dem Nullten gar die Krone auf. „Der kritische Journalismus hat gesiegt“, verkündet Fellner ganz weggetreten. „Mit Ausnahme von Kern sind alle Kandidaten bei dieser Wahl spannend und gut“. „Kanzler Kern wird am Sonntag die Rechnung für sein skandalöses Verhalten erhalten.“ Da wird einem der SPÖ-Obmann beinahe wieder sympathisch. Wer solche Feinde hat, kann so übel nicht sein.
Dankbarkeit ist keine politische Kategorie. Letztlich konnten die Fellner-Medien nur groß werden durch das apportierende Agieren der SPÖ, da man sie mit Interviews, Infos und Inseraten kräftig fett fütterte. Partei wie öffentliche Körperschaften ließen sich da nicht lumpen. Bis gestern war es stets ein Geben und Nehmen. Jetzt jedoch kommt der zum Rücktritt aufgeforderte Kern als Unperson und beleidigte Leberwurst rüber. Hat er das nötig? Nun, nötig hat er es nicht, aber es unterläuft ihm wie so vieles. Souveränität sieht anders aus.
Kujonieren
In der Alpenrepublik wurde das System campaignisierender Olympiaden regelrecht hochgezüchtet. Ständiges Kujonieren ist sein Kennzeichen. Dies alles aber den Politikern anzuhängen, wäre indes zu kurz gedacht. Die Absender haben viele Adressaten, die regelrecht danach gieren. So fällt dieser politische Kot, bereitwillig transportiert durch alle Kanäle der Kulturindustrie, auf fruchtbaren Boden. Wer meint, die Parteien seien schuld an dieser Entwicklung hat einen drittklassigen Faktor erkannt, nicht mehr. Da treibt man die Kandidaten gleich Gladiatoren in unzählige Duelle und beschwert sich danach, dass sie sich in der Arena als solche verhalten. Auf jeden Fall weiß niemand wie diese Dynamik aufzuhalten resp. wie lange sie noch auszuhalten ist. Die Politik übt sich zusehends im semifinalen Crash, wobei abermals niemand sagen kann, wie der aussieht oder ausgeht.
Wenn Kern nächste Woche nicht abtritt, wird er sich auf der Oppositionsbank wiederfinden. Das ist zwar nicht die Rolle, die er anstrebt, aber eine andere wird nach dem 15. Oktober nicht mehr möglich sein. Indes will ein nicht unbeträchtlicher Teil der SPÖ (anders als in der SPD) unbedingt an der Regierung bleiben. Man sollte gerade in Österreich den Sog der Futtertröge nicht unterschätzen. In diesem Fall wird Christian Kern dann wohl die Flucht in die Privatwirtschaft antreten.
Im Windschatten all dieser Ereignisse könnte es neben dem prognostizierten Erfolg von Sebastian Kurz freilich ein noch böseres Erwachen geben, dann, wenn Heinz-Christian Strache kräftig zulegen kann. Die FPÖ erscheint, man glaubt es nicht und sie ist es auch nicht, als die saubere Kraft.