Wut des Gegenwärtigen

Der österreichische Ausnahmefall gerät zum europäischen Paradigma

von Franz Schandl

Was als österreichische Absonderlichkeit seinen Anfang nahm, hat sich inzwischen zu einem gesamteuropäischen Phänomen ausgewachsen. Was etwas unpräzise als Rechtspopulismus bezeichnet wird, ist mittlerweile von veritabler Größe. Auch der Schlüsselstaat Deutschland scheint das im Eilzugstempo nachzuholen. Prototyp und entwickeltste Kraft ist aber immer noch die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ). Es ist nicht ausgeschlossen, dass ihr Kandidat Norbert Hofer am 22. Mai die Bundespräsidentschaftswahl gewinnt.

Die Geschichte beginnt im September 1986. In einem dramatischen Parteitag eroberte der junge Jörg Haider die Spitze der FPÖ. Von da an ging es bergauf. Abgesehen von kleinen Dellen, eilte man von Erfolg zu Erfolg. 1999 war es schließlich gelungen, die ÖVP bei den Nationalratswahlen zu überholen und zur zweitstärksten Kraft des Landes zu avancieren. Bereitwillig überließ man den gedemütigten Verlierern, also der konservativen Volkspartei den Vortritt und inthronisierte Wolfgang Schüssel zum Kanzler einer ÖVP-FPÖ-Regierung.

In den folgenden fünf Jahren kollabierten die Freiheitlichen weniger deshalb, weil sie auf der Ebene der Regierungsbeteiligung entzaubert wurden und versagten (das auch), sondern primär deswegen, weil Haider selbst durchknallte. Der Egomane hatte sich nicht mehr im Griff und zerschlug gleich einem trotzigen Kind mutwillig sein Spielzeug. Er demontierte seine eigene Regierungsmannschaft und spaltete schließlich die Partei in FPÖ und BZÖ. In einem „Reinigungsprozess“ trennte man sich von den „Treulosen“. Dass Haider 2008 dann schwer alkoholisiert in überhöhtem Tempo verunglückte, komplettierte dieses Bild eines Rasenden.

Fan und Führer

Die meisten Analysen der FPÖ sind vergangenheitsfixiert und konzentrieren sich auf historische Parallelen. Immer wieder suchen sie die Gründe für den Aufstieg in einer mangelhaften Aufarbeitung des Nationalsozialismus und im positiven Rekurs freiheitlicher Funktionäre auf diesen. Da fündig zu werden, ist nicht schwer. So behauptete Haider eine „ordentliche Beschäftigungspolitik“ der Nazis, bezeichnete KZs als „Straflager“, philosophierte über „charakterlich anständige“ SS-Männer, und setzte das Schicksal der Sudetendeutschen mit jenen der Juden gleich. Da wurde wenig ausgelassen.

Haider und auch Strache wurden jedenfalls in geradezu obsessiver Manier als Wiedergänger des Nazismus und nicht als Exponenten aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen interpretiert. Enthüllungen und Ermittlungen in jene Richtung brachten aber wenig. Die Freiheitlichen zu entlarven führte im Gegenteil zu einem Surplus an Aufmerksamkeit für die Inkriminierten. Die Angegriffenen inszenierten sich als Opfer und ihr Publikum sah das ebenso. Dass die Skandalquote der Saubermacher zweifellos weit über dem Durchschnitt liegt, tangiert kaum. Investigierend ist denen nicht beizukommen. Jede Affäre macht sie stärker.

Die meisten Wähler wählen FPÖ nicht, weil sie auf die faschistischen Akzente setzen. Andererseits ist es ihnen auch egal, dass diese dort gepflegt und gehegt werden. Jene sind weder Faschisten noch Antifaschisten, sie sind von der indifferenten Sorte, fragmentierte und diffuse Wesen, die auf affirmative Reflexe trainiert sind, Stars anhimmeln und Fans abgeben. Einen Führer brauchen jene, die sich nicht auskennen, aber genau wissen, wo es lang geht. Der Fanatiker ist der Affirmatiker par excellence, dessen Idealtypus. In ihm wird der zaghafte, ja verzagte Verteidiger (seiner selbst) zum Stürmer (gegen die anderen). Die Frage, was Leute zum Mob macht, darf nicht vornehm verdrängt werden. Sie ist von elementarer Bedeutung.

Populisten erscheinen als die wahren Rebellen und Tabubrecher. Die trauen sich was. Die sind nicht Mainstream. Die sagen es ihnen rein. Die lassen sich nichts gefallen. Dabei wirken sie frischer und frecher als ihre Kontrahenten. Sie öffnen Ventile, wo sie alle anderen zuhalten. Anhänger Haiders waren weniger als rechte Recken zu typisieren, sondern als Fans eines alpenländischen Rockstars. Die Partei wurde modisch zurechtgeschnitten, in ihrem Auftreten erinnerte sie kaum an eine Retrotruppe des Faschismus. Auch die Blasmusik wurde auf den großen Events zusehends von hymnischer Rockmusik abgelöst. Aufgemascherlt, durchgestylt, so präsentierten sich die freiheitlichen Spitzen, insbesondere Haider. Statt aggressiv hinterwäldlerisch postmodern impertinent. Auf jeden Fall showtauglich. Österreich war nicht hinten nach, sondern vorneweg. Haider kein Politiker von Gestern, sondern die Inkarnation des Morgen. So zumindest sah er es und ebenso sein Fanclub, der immerzu wuchs.

Auch unter Heinz-Christian Strache wurde das beibehalten, wenngleich die Inszenierung an Theatralik und Unberechenbarkeit verloren hat. Strache ist intellektuell ein kleineres Kaliber, dafür ist er aber psychisch um einiges stabiler als sein Vorgänger. Die Erfolgsgeschichte auf Haider zu reduzieren, erwies sich spätestens dann als falsch, als es dem gelernten Zahntechniker Strache gelungen ist, die Partei ab 2005 zu konsolidieren und ihren Wiederaufstieg einzuleiten. Der ist bisher ungebrochen.

Die wahre Kraft des Rechtspopulismus speist sich aus seiner ungeheuren Synchronität. Man müsste den gesamten kulturindustriellen Komplex aus Medien und Reklame, Management und Marke, Politik und Entertainment einer kritischen Analyse zu unterziehen. Aber über dieses Parallelprogramm, wird nicht geredet, da ginge es wirklich ans Eingemachte. Die Fernsehprogramme, die Abstiegsängste, die entfesselte Konkurrenz, das endlose Ranking, die galoppierende Entsicherung des sozialen Gefüges, die virtuellen Welten der neuen Medien. Prekarisierung, Flexibilisierung, Deklassierung, Atomisierung, das alles ist Nektar für den Rechtspopulismus.

Stete Verweise auf die Geschichte lenken von der Gegenwart ab, blenden diese aus und negieren Motive und Ängste des freiheitlichen Publikums. Diese den Menschen abzusprechen, ist auch Unsinn. Nur weil das Unbehagen heute in obligater Weise ins Ressentiment kippt, heißt das nicht, dass das Unbehagen unberechtigt wäre. Zweifellos ziehen diese Leute die falschen Schlüsse, aber sie ziehen Schlüsse, während die gesellschaftliche Mitte und auch ihr linker Appendix meinen, es könne und müsse so weitergehen.

Es ist die Wut des Gegenwärtigen, die sich hier fortwährend entlädt und gegen die die herkömmlichen Agenturen und Apparate in Machtlosigkeit erstarren. Indem die konventionellen Kräfte den Forderungen nachgeben, verschaffen sie jenen zusätzliche Legitimation. Die Freiheitlichen sind nicht anders, sie sind bloß extremer. Sie sind der wahre Komparativ. Wenn man sich die Inhalte anschaut, verkörpert der Rechtspopulismus eine zutiefst affirmative Revolte. Kritik ist ihm völlig fern. Arbeit, Geld, Nation, Automobilisierung, Wachstum, Leistung, von alledem will diese Rechte mehr. Typische Merkmale sind:
Erstens: Eine stramme abendländische Ausgrenzungspolitik, die zwischen rabiatem Regionalismus, renoviertem Nationalismus und modernem Eurochauvinismus changiert. Ja zum Standort und zur Festung Europa. Grenzen dicht. Ausländer raus. Wir gegen Die.
Zweitens: Ein Antikapitalismus des dummen Kerls: Misstände und Verwerfungen werden personifiziert und bestimmten Gruppen („Sündenböcken“) angelastet. Schuld sind Politiker, Bürokraten, Bonzen, Sozialschmarotzer, Spekulanten, Banker, Gauner, Abzocker etc..
Drittens: Ein fanatischer, klassenübergreifender Glaube an die produktive und wertschaffende Arbeit: In diesem Kult des kleinen Mannes darf der fleißige Inländer nicht um seinen Ertrag geprellt werden. Arbeitswille ist Pflicht, Arbeitsverweigerung ein Verbrechen.

Die populistische Zuspitzung ist keine Alternative zum System, sondern Trieb desselben. Darin ist er dem Faschismus ähnlich, aber sie sind nicht gleichartig. Der Faschismus fiel in die Aufstiegsgeschichte des Kapitalismus, der sogenannte Rechtspopulismus ist Folge seines Niedergangs. Seine Aggressivität ist mehr defensiv als offensiv, sie will exkludieren, nicht inkludieren. Nicht einmarschieren und erobern, sondern ausweisen, ja gar nicht erst reinlassen. Aber das alles ist inzwischen herrschender Konsens.

Ante Portas

Dass das Establishment keine Perspektiven hat, ist offensichtlich. Der Autoritarismus der Rechten hingegen wird als Antwort der Zeit wahrgenommen und nicht als das was, er ist, hilfloser aber gefährlicher Ausdruck struktureller Krisen. Die gesellschaftliche Linke erscheint in diesem bösen Spiel entweder als Vertreter der Ohnmacht oder als Anhängsel der Macht. Das sind undankbare bzw. fatale Rollen. Die Verteidigung des Gegebenen ist jedenfalls kein Konzept, geschweige denn ein Programm.

Die Euro-Rechte steht ante portas. Der Aufstieg solcher Kräfte ist, sollten sich die soziale Verhältnisse nicht grundlegend Richtung solidarischer Gesellschaft ändern, unaufhaltbar. Die Abwehrschlacht, das Nie wieder! der Anständigen wird letztlich verhallen. Das geht an den Leuten vorbei, da finden sie sich nicht wieder. Vor allem ist da ist keine Perspektive, die dem restriktiven Kurs wirksam begegnen könnte. Wer heute den Status Quo verteidigt, fördert diese Strömungen. Jener ist nicht Schutzwall, sondern Vorstufe.

Ergo ist die Frage zu stellen, ob es einen isolierten und zentrierten Kampf gegen den Rechtspopulismus geben kann und soll. Ob die Auseinandersetzung sich nicht auf das System selbst fokussieren müsste und nicht auf dessen falschen Feinde der affirmativen Revolte. Auf der Agenda stünden dann Alternativen zur Herrschaft von Arbeit und Arbeitslosigkeit, Geld und Konkurrenz. Die Schablonen bürgerlich-kapitalistischer Herrschaft sind antastbar.

image_print