von Franz Schandl
Spiele, so scheint es, haben alle gern. Vorstellbar und darstellbar ist unter Spielen gar manches. Das Vokabular ist breit gefächert, alles andere als präzise. Ihm auf den Fersen zu bleiben, kein leichtes Unterfangen. Der Facetten sind viele, sodass eine Gesamtschau, wie sie hier versucht wird, schwierig ist.
So gibt es Spiel als Substantiv, spielen als Verb und spielerisch als Adjektiv. Man sollte diese Wörter nicht nur in der Form, sondern wohl auch im Inhalt differenzieren. Nicht jedes Spiel ist spielerisch und nicht alles Spielerische ist schon ein Spiel. Spielen kann man auch außerhalb des Spiels. Etc.
Grammatik des Spielens
Was etwa ist Musizieren? Sind Musiker Spielleute? Spielen wir Instrumente? Spielen Tiere oder projizieren wir da ein Spiel in ihr Verhalten? Wenn etwa die Katze mit der Maus spielt, welch Spiel soll das sein, wenn eins Beute macht und das andere in Angst und Schrecken verfällt? Warum benennen wir bestimmte Bewegungen des Wassers als Spiel der Wellen? Warum heißen taxative Aufzählungen ausgerechnet Beispiele? Und warum besingen wir gar ein freies Spiel des Marktes? Wandern ist kein Spiel, Bergsteigen schon gar nicht. Vergnügen können sie aber trotzdem sein. Wie ordnen wir das alles ein und zu? Wer oder was spielt da, falls gespielt wird? Aber damit ist nur die grenzenlose Dimension der Wortfamilie und eine gewisse Heillosigkeit etwaiger Vorhaben angedeutet. Aus der Kategorie wird keine.
Beim Konsumieren von Fußballspielen, Schauspielen und Konzerten bezeichnen wir als Spiel, was für die eingesetzten Spieler Arbeit ist, wenngleich eine Arbeit, die sich doch von herkömmlichen Jobs unterscheidet. Für sie ist das Außergewöhnliche recht gewöhnlich. Wie ist das mit den von der Kulturindustrie angebotenen Spielen, was hat es damit auf sich? Kann es sein, dass das, was spielerisch ankommt, gar kein Spiel ist, sondern bloß Kampf, Sport, Theater, Inszenierung, Unterhaltung? Wenn wir spielen, ist das außerdem etwas anderes, als wenn andere für uns spielen. So gibt es Spiele, die wir passiv beobachten und Spiele, in denen wir als aktive Spieler auftreten. Erstere sind meist für die Öffentlichkeit bestimmt, letztere finden statt in unseren Refugien. Aber macht die Spezies Spiel dann überhaupt noch Sinn und wenn ja, welchen?
Inwiefern gehen Spiel und Fleiß zusammen? Ist industria nicht der Tod des Spiels durch geschäftstüchtiges Treiben? Und was sagen wir zum Pyramidenspiel? Die Grammatik des Spielens führt geradewegs in die Diffusion. Eine Typologie hätte schon ihren Reiz und auch ihre Notwendigkeit, sie kann hier aber nur gefordert und nicht eingelöst werden. „Der Begriff Spiel bleibt ständig in merkwürdiger Weise abseits von allen übrigen Gedankenformen“, heißt es bereits bei Johan Huizinga (Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel (1937), aus dem Niederländischen übertragen von H. Nachod, Reinbek bei Hamburg 1987, S. 15).
Die Assoziation allerdings ist vorrangig eine positive. Spielen, das tut man gern. Das Spiel ist freilich nicht nur Surrogat für entgangenes Leben, es ist auch Mittel für soziale Kontakte. Ob zu zweien oder mehreren. Die Verbindung von Spiel und Geselligkeit ist aber nicht ehern. Zwar ist es durchaus zu begrüßen, alleine spielen zu können, doch ist das auch eine Frage des Pensums. Das Vereinsamen an den Playstations, betrifft nicht bloß Kinder. Der Rückzug stellt mitunter auch eine Flucht dar.
Absenz und Präsenz
Für Huizinga ist das Spiel eine ontologische Angelegenheit: „Das Vorhandensein des Spiels ist an keine Kulturstufe, an keine Form von Weltanschauung gebunden.“ (Homo Ludens, S. 17) Er definiert so: „Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ‚Andersseins‘ als das ‚gewöhnliche Leben‘.“ (S. 37)
Johan Huizinga will zeigen, „dass Kultur in Form von Spiel entsteht, dass Kultur anfänglich gespielt wird“. „Dies ist nicht so zu verstehen, dass Spiel in Kultur umschlägt, vielmehr dass der Kultur in ihren ursprünglichen Phasen etwas Spielmäßiges eigen ist, ja dass sie in den Formen und der Stimmung eines Spiels aufgeführt wird.“ (S. 57) Präziser noch: „Kultur beginnt nicht als Spiel und nicht aus Spiel, sondern in Spiel.“ (S. 88) Das Spiel ist jedenfalls älter als die Kultur. Sobald sie sich verfestigt, und das muss sie, will Kult Kultur werden, ist sie Alltag und Konvention, somit kein Spiel mehr.
Spiele finden den Zweck in sich selbst, sie dienen keinem über sie hinaus gehenden Ziel. „Der Spieltrieb“, so Friedrich Schiller, „würde dahin gerichtet sein, die Zeit in der Zeit aufzuheben, Werden mit absolutem Sein, Veränderung mit Identität zu vereinbaren.“ (Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, 14. Brief) Wir spielen um des Spielens Willen. Spielen steht abseits materieller reproduktiver Notwendigkeiten, es ist ein ideelles Bedürfnis, das wir nicht missen möchten. Wenn wir uns darauf einlassen, verlassen wir diese Welt, ohne sie wirklich zu verlassen. Anwesend sind wir abwesend. Obwohl zugegen, sind wir im Spielen stillgelegt, beschäftigt, ohne arbeiten zu müssen.
In einer Fußnote zum 27. Brief schreibt Schiller: „Die meisten Spiele, welche im gemeinen Leben im Gange sind, beruhen entweder ganz und gar auf diesem Gefühl der freien Ideenfolge, oder entlehnen doch ihren größten Reiz von demselben. So wenig es aber auch an sich selbst für eine höhere Natur beweist, und so gern sich gerade die schlaffesten Seelen diesem freien Bilderstrom zu überlassen pflegen, so ist doch eben diese Unabhängigkeit der Phantasie von äußern Eindrücken wenigstens die negative Bedingung ihres schöpferischen Vermögens. Nur indem sie sich von der Wirklichkeit losreißt, erhebt sich die bildende Kraft zum Ideal, und, ehe die Imagination in ihrer produktiven Qualität nach eigenen Gesetzen handeln kann, muss sie sich schon bei ihrem reproduktiven Verfahren von fremden Gesetzen frei gemacht haben. Freilich ist von der bloßen Gesetzlosigkeit zu einer selbständigen innern Gesetzgebung noch ein sehr großer Schritt zu tun, und eine ganz neue Kraft, das Vermögen der Ideen, muss hier ins Spiel gemischt werden – aber diese Kraft kann sich nunmehr auch mit mehrerer Leichtigkeit entwickeln, da die Sinne ihr nicht entgegenwirken und das Unbestimmte wenigstens negativ an das Unendliche grenzt.“
Sind wir in den Spielen präsent, dann sind wir im Alltagsleben absent. Spiele bezeugen ein Wegsein im Dasein, ein Weggetretensein im Zugegensein. Man eröffnet sich suggestiv eine Parallelwelt. Insofern erlebt man im Spiel durchaus etwas Ekstatisches. Im Spiel scheinen wir keine Pflicht zu erfüllen, sondern einer Neigung nachzukommen. Wir sind hier unbestimmt und somit frei, können etwas tun oder auch lassen. Wir vermögen zu beginnen, wann wir wollen und können aufhören, wann es uns so passt. Meistens.
„Spielen ist kein Tun im gewöhnlichen Sinne.“ (Huizinga, Homo Ludens, S. 43) Im Spiel entfalten wir Besonderheiten statt Allgemeinheiten. Spiel ist das gelungene zeitweilige Entkommen aus dem Alltag. Nicht, dass wir die Konvention brechen, sei gesagt, aber wir verdrängen sie doch für Stunden, weil unser Denken und Fühlen in diesen Momenten woanders sich dünkt. Wir versetzen uns aus eigenen Kräften, entziehen uns Zeit und Raum. Spiele halten uns fit, lassen die alltägliche Trägheit vergessen, indem wir kurzweilig und kurzzeitig in eine fiktive Welt eintreten.
Konzentrieren und dekonzentrieren
Spiele verlangen aber kaum nach Reflexion, umso entschiedener nach Konzentration. Die Phantasie zieht bestimmte Register: Rechnen, Feilschen, Täuschen, Kämpfen, Reagieren, Taktieren. Wie tue ich? geht stets vor Was tue ich? resp. Was tue ich da überhaupt? Anders als die Arbeit bleibt das Spiel meist folgenlos. Es schafft keine Werte und Waren, sondern Freude und Lust.
Es ist nur ein Spiel, heißt es, und das sollte es auch wirklich bleiben. Was ich beim Spielen zusehends weniger vertrage, das ist das zwänglerische Streben nach Perfektion. Leute, die kreuzworträtselartig alles wissen, deren Spielzüge kalt und berechnend sind, die aus dem Spiel Ernst machen. Ärgerlich sind Leute, die triumphieren wollen und damit die gemeinsame Freude verderben und sogar Freundschaften erschüttern. Gambler, die mit allen Wassern gewaschen sind, verleiden Spielen den Charakter des Spielerischen. In der Perfektion gehen Spiele unter, eben weil dann nicht mehr gespielt, sondern nur noch gekämpft wird. Bei dem von mir favorisierten Tarockieren ist mir das Mitzählen der gefallenen Tarock, meist zu anstrengend gewesen. Spielen dürfen geht vor Gewinnen müssen. Ich muss nicht, wenngleich gewinnen immer lustiger ist als verlieren.
Spieler, die Spiele zu ernsthaft betreiben, nerven. Das gnadenlose Können ist in die Schranken zu weisen. Das Denken bis zur letzten Konsequenz (mir sonst nicht fremd), hat hier nichts zu suchen. So liebe ich am Spiel auch das fulminante Risiko (das ich im Leben verachte); ich sage Spiele an, die man eigentlich verlieren muss, allerdings gewinne ich ab und zu auch solche. Jenseits des schnöden Kalküls schafft das dann eine ganz kontrafaktische Freude. Gerade deswegen mag ich auch Schach nicht (falls das überhaupt noch ein Spiel ist). Ein Kriterium des Spiels ist die Leichtigkeit. So gesehen ist Konzentration mit Dekonzentration verbunden. Zu viel Seriosität schadet jedem Spiel, macht Spieler verbissen und erbittert. Wenn bei Spielen nicht mehr blöd geredet werden kann, dann stimmt etwas nicht.
Spiele leben von diversen Schwächen mehr als von vermeintlichen Stärken. Spiele beherbergen spezifische Kombinationen von Können und Müssen, Geschick und Missgeschick, Fehler und Kalkül, Glück und Pech, Zufall und Plan. Spiele entzünden und entzücken sich an Fehlern, die ruhig gemacht werden dürfen. Damit schwindet freilich der Wille zum Sieg. Treten absolute Könner auf den Plan, ist die totale Blockade nahe. Spiele werden sodann um ihre Entfaltung und Wirkung gebracht, gelegentlich werden sie unspielbar. Beispiele wären hier Fuchs und Henne, aber auch Mühle. Hängt man sich da allzu sehr rein, funktionieren sie nicht, scheitern an ihren Grenzen.
Eins und uneins
Ohne Spiele hielte man es kaum aus. Permanent verlangt also das Spiel nach uns wie wir nach ihm. Sei es das Glücksspiel, das Kartenspiel, das Fußballspiel oder gar die Olympischen Spiele. Ob wir aktiv sind oder passiv, ist da nicht so entscheidend. Entscheidend ist, dass wir das Spiel benötigen, es ist das Surrogat verschiedenster Wünsche. Aber nicht nur für uns, auch für das System ist Spielen eine eherne Bedingung.
Der Spiele Regeln und die kapitalistische Logik, sie mögen zwar nicht eins sein, aber sie sind auch nicht uneins. Spiele wie Monopoly (in Österreich: DKT – Das kaufmännische Talent) haben einen direkten Bezug zur Geschäftswelt. Je nach Spiel konfirmieren sie sich, erweisen sich als Verwandte, mal näher, mal weitschichtiger. Spiele sind analogisiert oder analogisierbar. Das Spiel ist so bestenfalls eine Freiheit in, aber keine Freiheit von. So sehr wir uns bemühen, das Spiel von seiner Formgebung abzulösen, so wenig gelingt es, wiewohl der Anspruch anspruchsvoll ist und permanent gestellt werden sollte.
Der Markt, der kein Spiel ist, usurpiert alles, so auch das Spiel. Spielerisch ist er aber sehr wohl, der Markt, er ist das böse „Spiel“ des Geldes. Dieses transformiert sich durch den gesamten Warenpöbel, suggeriert uns, dass er ohne es nichts, aber auch gar nichts ist. Die Koppelung Geld und Spiel ist keine Ausnahme. In nicht wenigen Spielen ist es überhaupt erst das Geld, das diese interessant macht. Pokern ohne Geld wäre absolut langweilig. Sogenannte Glücksspiele boomen, man denke an den Glücksspielkonzern NOVOMATIC („Gaming innovation starts here“), an dieses Universum, das von einarmigen Banditen bis hin zu den vielarmigen Casinos reicht. Glück wird hier immer so verstanden, dass man ohne Arbeit zu viel Geld kommt. Glück quantifiziert sich im Geld. Je mehr, desto! Größere Summen machen glücklicher als kleinere.
Wir verbringen viel Zeit beim Spielen. Die Kreativität, die wir dadurch entfalten, ist oft prädestinierter Natur. Der Wetteifer tritt auf als Konkurrenz, der Vergleich als Ranking, das Spiel als Sieg und Niederlage, als Kampf und Durchsetzung. Kartenspiel wie Computerspiel sind Kinder des Krieges. Da geht es um das (Ab)Stechen, das (Aus)Löschen, das (Um)Schmeißen, das (Ver)Nichten, das (Weg)Schießen, das (Zer)Stören. Der König sticht den Buben, die rote Figur schlägt die schwarze und irgendein Computer-Conny zerstört die Panzer mit seiner Panzerfaust. Das Spielerische ist weniger spielerisch als man meint. Auch wenn diese Geschehnisse bloß imaginiert sind, ist davon auszugehen, dass sie eine gewisse Mentalität fördern und entwickeln. Das Spiel, so vergnüglich es uns auch erscheint, ist keine freie Potenz der Geselligkeit, sondern eben auch Vorbereitung und Darstellung des bürgerlichen Lebens. Wie sollte es heute auch anders sein? Mit unseren Lebensäußerungen reproduzieren wir die vorgefundene Welt.
Geld-Spiel-Sucht
Je mehr wir uns bemühen, desto mehr überwältigt uns das Spiel. Festzuhalten ist aber eine elementare Differenz: Gehört das Spiel uns oder sind wir ihm ausgeliefert? Hier trennen sich tatsächlich Spielfreude und Spielsucht. Das Wollen gerät ins Müssen. Zu fragen ist jedoch auch gleich: Gibt es Spielsucht ohne Geld? Wohl schon, aber zumeist ist sie direkt mit Geld verbunden. Spannung entzündet sich monetär. Viele Spieler bluten finanziell aus, während etwa Computerspielsüchtige, vorausgesetzt sie spielen nicht um Geld, nur Zeit, wenn auch viel Zeit verlieren.
Die Ursache der Geldspielsucht liegt im Geld, nicht im Spiel. Das aus seiner Selbstreferenzialität entlassene Spiel ist hier bloß Vehikel. Das Problem ist keineswegs das Spiel, auch wenn Spiele geradewegs so konzipiert werden, dass sie nur mit Geld funktionieren. Spielsucht und Glücksspiel sind Fehlbegriffe, die aber unter der Herrschaft des Kapitals wohl einer raffinierten Verblendungslogik folgen, indem sie ausgerechnet den zentralen Faktor, das Geld, in den Benennungen verschweigen, so tun als sei es lediglich Mittel und nicht Zweck.
Die Verwertung selbst ist ein typisches Beispiel einer Spielsucht genannten Geldsucht, die den Inhalten völlig blind gegenüber steht, aber nach erzielbaren Quanta giert. Auch beim Börsenspiel dreht es sich ganz primitiv darum, aus Geld mehr Geld zu machen, also um G–G‘. Natürlich ist auch das Zocken eine schräge Form von Arbeit, wenngleich Aktionäre und Broker sich doch eher als Gambler oder gar Big Player empfinden und nicht als Finanzarbeiter. Abzocken ist freilich kein besonderes Charakteristikum dieser Partie, sondern von allgemeiner Gültigkeit. Die proletarischen Youngsters, die in Spielhöllen ihr Geld verschleudern, wollen und machen nichts anderes. Das Geld, das sie in die Automaten werfen oder wetten, das möchten sie vermehren. Es handelt sich hier zweifellos um das Casino oder die Börse des kleinen Mannes, die dieser Verlockung zu schnellem Geld zu kommen, entsprechen. Die einen spielen Lotto, die anderen Toto, die dritten versuchen in die Millionen-Show zu gelangen. Erweitert um zahlreiche televisionäre und digitale Schienen, lässt Lumpazivagabundus grüßen.
Mensch ärgere
Das knapp vor dem Ersten Weltkrieg erfundene und 1914 in Serie gegangene Mensch ärgere dich nicht ist ein Klassiker, worin es nur um eines geht, ums Zählen resp. Rechnen, ums Rausschmeißen und ums Reinkommen. Exklusion und Inklusion für Anfänger, wird da geboten und gefordert. Einfach handhabbar, dominiert das reine Gegeneinander: jeder gegen jeden. Auf keinem Feld ist Raum für zwei. Wir teilen nicht, wir eignen an. Am jeweiligen Standort ist Platz nur für einen Stein, eben für mich oder für dich. Wer einen anderen aktiv auf seinem Feld trifft, darf oder besser muss ihn schlagen, also beseitigen. Was man will, daran will man andere hindern.
Der Würfel entscheidet über Vorrückungen, somit über das Reinkommen und Rausschmeißen, über Glück und Pech, Freude und Ärger. Ärger soll wettgemacht werden, indem andere geärgert werden. Denn wo sich alle ärgern, kann es schließlich keinen Ärger mehr geben. Die gefinkelte Pointe des einfachen Spiels liegt darin, seine Logik als die Logik des Lebens zu begreifen: Schlag, oder du wirst geschlagen! Doch einfach gefallen sein, darf man als Geschlagener wiederum auch nicht. Wir, die wir nur ein Leben haben, haben im Spiel viele. Sich aufrichten ist angesagt, nachsetzen ebenso und revanchieren erst recht. Auf zur nächsten Chance, bis zum süßen oder bitteren Ende.
Es ist schon verständlich, wenn Kinder alle Steine umschmeißen, unverständlich ist eher, wenn sie es nicht tun. Sich das zu verbieten, nennt man einen Lernprozess. Spielerisch dringt der Ernst des Lebens in unschuldige Herzen ein. In solchen Spielen erfahren sie die Gesetze des die Welt beherrschenden Marktsystems. Aber das unterscheiden Kinder und auch Erwachsene nicht so, da ihnen die Welt so erscheint, „wie sie ist“ und nicht als konstitutioneller Zwang. Fortwährend konkretisierend, abstrahieren sie nicht. Leben und bürgerliche Existenz werden andauernd verwechselt weil identifiziert – was zweifelsfrei kindisch ist.
Darüber hinaus kennt das wirkliche Leben ungleiche Würfel, manche haben keine Augen, andere 64 oder mehr. Und auch die Figuren sind alles andere als gleich. Mensch ärgere dich nicht ist in seiner Konstruktion eben nicht nur kapitalistisch und militaristisch, es ist auch ein zutiefst demokratisches Spiel, strikt auf Parität und Gerechtigkeit bedacht. Am Anfang sind alle gleich. Ein Prototyp zweifellos.
Von Level zu Level
Eng verknüpft sind viele gängige Spiele mit dem Punkten und somit einem Ranking. Der Vergleich führt ständig in Sieg oder Niederlage, so will es das apodiktische Schema. Spiel ist demnach Wettkampf oder Wettbewerb, selbst wenn es sich nicht unmittelbar kommerziell ausdrückt oder auswirkt, treibt sich das Geschäft stets in seiner Nähe herum. Geschäftstüchtigkeit schimmert in den meisten Spielen durch, sitzt in ihnen. Geradezu spielerisch erlernen wir den Ernst.
Viele Spiele, vor allem auch an Computern sind Plan-Soll-Spiele. Vorgaben sind zu erfüllen. Die Reise führt von Hürde zu Hürde, von Level zu Level, von Score zu Score. Mehr, besser, schneller. Man hat sich hoch zu lizitieren. Spiele sind dem Komparativ verschrieben, und der ist durch Konkurrenz und Wachstum konnotiert. Wir sollen Highscorer des vorgegebenen Daseins sein. Simulieren meint Trainieren.
Wir strengen uns an ohne zu fragen, wozu. Wir sind fleißig ohne zu fragen, weshalb. Wir sind konzentriert ohne zu fragen, warum. Auch hier gilt einmal mehr: Wir haben zu können, nicht aber zu kennen. So sind wir auch im unbestimmten Spiel wiederum bestimmt, selbst wenn es keineswegs autoritär und kontrollierend erscheint. Trotzdem erzeugen Spiele Befriedigungen, die ganz sinnlich genossen werden können, Augenblicke des Glücks und der Zufriedenheit stellen sich ein. So geht es uns einigermaßen gut, und funktionieren tun wir auch noch.
Spiel statt Sinn?
Postmodernen Denkern wie dem Hannoveraner Philosophieprofessor Hans von Fabeck ist das Leben bereits zum Spiel geworden: „Gleichwohl gibt es das gute Leben in der Postmoderne bereits.“ (Vom Sinn zum Spiel. Ein Leitfaden in die Postmoderne, Wien 2015, S. 12) Das Spiel wird gegen den Sinn ausgespielt, um es sogleich im aktuellen Dasein triumphieren zu lassen. Fragmentierung und Flexibilisierung, Enttypisierung und Differenzierung werden als freies Spiel interpretiert und nicht als realkapitalistische Drohung. Diese Veränderungen erfahren in manchen postmodernen Theorien ja tatsächlich blanke Affirmation. Da sind die alten Korsette weg, und schon umjubelt der freie Bürger diverse Zumutungen als einen „Spiel-Raum fragmentarischer Vielfältigkeit zwischen Virtuellem und Realem, Privatem und Öffentlichem, in dem prinzipiell jedes menschliche Handeln (unter Regeln und mit Mitspielern) zu einem besonderen sozialen Spiel werden kann“ (S. 91).
Fabecks Rede liest sich wie ein Plädoyer der Charaktermasken: „Spieler in der Postmoderne zu sein, heißt dann auch, gewöhnlich mehr als nur eine Rolle zu spielen.“ (S. 75) Zum postmodernen Subjekt vermerkt er kategorisch: „Er ‚spielt‘ in diesem Sinne also nicht nur eine ‚Rolle‘, er ist sie (wenn er sie gut spielt).“ (S. 101) Gefragt ist eins, das als sein eigenes Marionettentheater (Wie stelle ich mich vor? Wie trete ich auf? Wie komme ich an? Wie komme ich durch?) zügig durch die Gegend eilt, gezwungen wie fähig immer an den richtigen Schnüren zu ziehen. Abermals wird Freiheit ganz hegelisch als adäquate Programmierung gedeutet. Dieses Ich ist ein reflexives Sich, a priori dem Objekt untergeordnet.
Indes ist der Grundgedanke, dass das Leben Spiel sein soll und nicht Sinn zu haben hat, schon richtig, nur dieses bereits erfüllt zu sehen, völlig abwegig. Es steht nicht an, viele Rollen zu spielen, sondern keine spielen zu müssen, es geht nicht um eine Multiplikation der Identitäten, sondern um eine Negation derselben. Der Spieler hat also dezidiert kein Subjekt zu sein, Fabeck identifiziert Dividuieren mit Individuieren. Dort, wo Rollen gespielt werden, soll das freiwillig geschehen und auch in einem Bewusstsein, welches das Ich und das Sich nicht verwechselt. Das Leben soll Schauspiele einbeziehen, aber es soll kein Schauspiel sein. – Vergessen wir nicht: Wenn der Spieler seine Rolle ist, spielt er keine Rolle mehr!
Es gilt nicht dem vorgezeichneten „Ich bin viele“ zu entsprechen, sondern durchaus auf seiner eigenen Defragmentierung zu bestehen: Ich will mich!, das einem Ich will nicht! folgt. Defragmentierung heißt, dass eins sich nicht als bloß Zerrissener, sofern als authentische Einheit haben will, so sehr die Praxis auch stört. Allerdings ist das einmal mehr das Einfache, das schwer zu machen ist. Das Ich, soweit konstituierbar, ist eine Anforderung außerhalb der Rollen, ist es das nicht, dann ist es gar nicht vorhanden, sondern durchgestrichen und somit inaktiv.
Es ist nichts damit gewonnen, die große Erzählung gegen die kleinen Erzählungen – das Patchwork diverser Rollen – auszutauschen. Die Postmoderne ist, was ihre Resultate betrifft, eine Regression der Moderne, kurzum eine modernde Moderne, alles andere als post. Zentral ist nach wie vor die Frage, ob wir postgeschichtlich oder prägeschichtlich sind. Hier scheiden sich postmoderne Auffassungen (vgl. S. 115) fundamental von den unseren, da wir mit Marx davon ausgehen, dass wir noch in der Vorgeschichte leben, der wirkliche Eintritt in eine selbst gemachte Geschichte, wenn überhaupt, erst bevor steht.
Hans von Fabeck hingegen will keine verbindlichen Allgemeinheiten mehr sehen, die fallen wohl unter das Verdikt der großen Erzählung: „Das Allgemeine gibt es in der Postmoderne aber nur noch in seiner dekontextualisierten, fragmentierten Form: als unterschiedliche Spielregeln für unterschiedliche Spiele.“ (S. 100) Zwei Seiten weiter schreibt er jedoch postwendend, und man ist einigermaßen überrascht: „Die Postmoderne hingegen lebt vom ständigen Wechsel, in Unrast und Beschleunigung. Wo das Bessere der Feind des Guten, ist Stillstand Verlust. Das zeigt sich denn auch am Passepartout der Postmoderne, am Geld. Allein zur Sicherung seines Bestands gegen die Drohung der Entwertung durch Inflation steht es unter dem Zwang seiner Vermehrung im erfolgreichen Investment – dem finanziellen ‚Engagement auf Zeit‘.“ (S. 102f.) Wie wahr! Das Geld als nicht enden sollende Zahlung ist die große Erzählung, die hier einfach übersehen wird.
Ernst und Regel
Der postmoderne Philosoph fordert dann auch noch den Ernst im Spiel ein: „Um zu spielen, muss man das Spiel als Spiel ernst nehmen“ (S. 93), sagt er. Ich plädiere für das schiere Gegenteil, dafür, dass der Ernst zusehends aus dem Spiel verschwindet, mehr als das heute der Fall ist. Um wirklich zu spielen, muss das Spiel noch um vieles spielerischer werden. Im Spiel spiegelt sich zwar der bürgerliche Ernst des Daseins, aber das Spiel ist nicht der Ernst des Lebens. Die Wiederholung im Spiel wäre sodann Variation, nicht Kopie. Je weiter jene sich entfalten kann, desto befreiter das Spiel. Von Interesse ist auch, ob Spiele Lockerungen der Regeln durch freie Vereinbarungen zulassen oder nicht. Ist der Spielraum eine enge und fensterlose Kammer, oder bewegen wir uns auf einem freien Feld? Ziel ist also die Loslösung, nicht die Festigung des Spiels.
Jedes Spiel unterscheidet den regulativen Ablauf und die konkrete Entwicklung. Während der Ablauf formalistisch geprägt ist, ist die Entwicklung situationistisch geprägt. Je größer die Abweichung, desto qualitativer das Spiel. Natürlich ist Schnapsen resp. 66 mit Tarock oder Schafkopf verwandt, trotzdem haben sich die letztgenannten im Niveau weit über das Grundspiel erhoben. Regeln, oft konzipiert als starre Prinzipien, werden zu bloßen Vorschlägen ohne absoluten Anspruch. Sie sind freie Assoziation, nicht Gesetz und Vorschrift.
Das Spiel ist eben kein System, es ist mehr als angewandte Systematik. Spieler sind keine User. Die Schemata werden schemenhafter, sie schimmern nur noch durch, wo einstens rigide Regeln diktierten. Leichtigkeit macht sich leichter. Wie viel game ist noch und wie viel play ist schon im Spiel? Da gibt es zweifellos Abstufungen. Das Spiel bleibt reglementiert, aber das Spielen ist sodann nicht nur variantenreicher, sondern auch variationsreicher. Spielen wird spielerischer. So gibt es auch Spiele, die kapitalistischer sind als andere. Pokern mit Tarockieren zu vergleichen, ist eine Beleidigung.
Leicht und locker
Ziel des Spiels ist die Freundschaft, nicht die Feindschaft. Man spielt miteinander, auch wenn man gegeneinander spielt. Vor allem weil man weiterhin miteinander spielen möchte. Anders als im Krieg ist man nicht zum Kampf abkommandiert, die Konfrontation ist nicht aufgezwungen und stellt auch nicht die Integrität der Körper in Frage. Das Spiel ist nicht der Hort, aber doch ein ständiger Keim der Emanzipation. Unter dem Vorzeichen des Kapitals rutscht jenes freilich immer wieder in dieses zurück. Dies wiederum ist sozial konstituiert, nicht ehern. Es gilt, so absurd das klingt, das Spiel von seinen Beimischungen zu säubern und als Eigenheit zu etablieren.
Spiele, wie wir sie kennen, und das Spielen, das das befreite Leben sein könnte, hängen so zwar zusammen, sind aber auseinander zu halten. Und doch ist es das Spielen, das mehr kann als es jetzt ist: „Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt,“ so ein bekanntes Dictum Schillers. (Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 15. Brief) Dadurch, dass wir spielen können, erkennen wir, dass es auch anders ginge.
Es brütet da was, ohne dass es ausgebrütet wird. So betrachten wir das Spiel als Amalgam aus kapitalistischem Gefängnis und individueller Versuchung. Auf jeden Fall erlauben das Spiel, das Spielen und das Spielerische einen Spielraum. Manchmal mehr, manchmal weniger. Im Spiel konzentriert sich auch der Zauber des Lebens, dieser ist jenem wesentlich, anders als der bürgerliche Ernst ist er jenem nicht oktroyiert. „Der Kult pfropft sich auf das Spiel auf, das Spielen an sich aber war das Primäre.“ (Huizinga, Homo Ludens, S. 27)
Wirklicher Reichtum ist ideeller Schatz: Liebe, Freundschaft, Geselligkeit, Müßiggang, Kreativität, Sorge, Spiel. So wird das Spiel eine zentrale Komponente der befreiten Gesellschaft sein. Spielerisch werden wir die Dinge erschaffen und spielerisch werden wir sie uns aneignen. „Nicht anders wird einmal die Welt, unverändert fast, im stetigen Licht ihres Feiertags erscheinen, wenn sie nicht mehr unterm Gesetz der Arbeit steht, und dem Heimkehrenden die Pflicht leicht ist wie das Spiel in den Ferien war.“ (Adorno, Minima Moralia, Gesammelte Schriften 4, S. 127) Oder gemäß Schillers 15. Brief: „Mit einem Wort: indem es mit Ideen in Gemeinschaft kommt, verliert alles Wirkliche seinen Ernst, weil es klein wird, und indem es mit der Empfindung zusammentrifft, legt das Nothwendige den seinigen ab, weil es leicht wird.“
Dezidiert ist das Spiel gegen die Arbeit in Stellung zu bringen. Zuerst die Arbeit, dann das Spiel, ist inakzeptabel, umzukehren und zu überwinden. Leistungswilligkeit ist Affirmation. „Es gab noch etwas Anderes, dem ich aufrichtig misstraute: Arbeit. Arbeit, so schien es mir schon in frühester Jugend, ist eine dem Dummkopf vorbehaltene Tätigkeit. Sie ist das genaue Gegenteil von Schöpfung, die Spiel ist und eben darum, weil sie keine andere Daseinsberechtigung hat als sich selbst, die stärkste Antriebskraft des Lebens ist.“ (Henry Miller, Sexus (1947), Deutsch von Kurt Wagenseil, Reinbek bei Hamburg 2011, S. 280) Hier lockt einer auf die richtige Fährte, zweifelsohne. Indes, wer den Autor kennt, darf das aristokratische Bukett nicht übersehen, wir unterstellen ihm: Die Trottel sollen arbeiten, aber für Miller ist das nichts.
Doch wenn man das abzieht, dann kann man darauf bauen. Niemand darf durch Arbeit in geistiger Armut gehalten werden. Das Spiel wird also nicht bloß unproduktiver Zusatz sein wie heute, sondern schöpferischer Ansatz unseres Tuns. Das Spiel affiziert auch das Gewöhnliche und Alltägliche, dringt in alle Sphären des Lebens ein, verlässt die angestammten, ja eingezäunten Reservate. Spielen ist sodann mehr als Kontemplation, es ist Kreation. Spielen wird unmittelbar produktiv. Das Spiel wird sich aber nicht nur ausdehnen, es wird sich auch transformieren. Kreation und Kontemplation werden sich vielfach nur noch in Aspekten und Akzenten unterscheiden lassen, aber nicht mehr kategorial. Locker soll es werden!