von Franz Schandl
Bis vor einem Jahr bestand die österreichische Außenpolitik vor allem darin, symbiotisch mit der deutschen aufzutreten. Abweichungen gab es, wenn überhaupt, selten. Gelegentlich betätigte Ex-Kanzler Werner Faymann den linken Blinker, ohne allerdings abzubiegen. Der Sozialdemokrat wirkte dabei wie der kleine verlässliche Bruder, der aus Wien auf Besuch gekommen war, und der es stets verstand Angela Merkel von ihren eigenen Ansichten zu überzeugen.
Inzwischen ist alles anders. Österreich ist vom Appendix der Deutschen zum Scharfmacher in der Europäischen Union aufgestiegen. Das hätte man so eigentlich nicht erwartet, ist auch mehr Folge der innenpolitischen Konstellation, mithin taktisch begründet. Die ehemalige Toleranz ist dahin. Merkels lavierende Flüchtlingspolitik hat die österreichischen Partner anscheinend in die Flucht getrieben, nicht nur die Schwesterpartei ÖVP, sondern auch die Sozialdemokraten. Unter Christian Kern hat sich diese Marschrichtung nicht geändert, sie wird nur geschickter, insbesondere schicker moderiert.
Getrieben vom heimischen Rechtspopulismus und seinen Erfolgen, hat man beschlossen, diesen weniger abzuwehren als zu kopieren. Obgleich „beschlossen“ ist zu viel gesagt. Man hat einfach nachgegeben, weil man sich nicht mehr zu wehren wusste. Sebastian Kurz (ÖVP), der Außenminister, machte hier den jungen Vorreiter, dem letztlich die gesamte Regierung folgte. Hinkte man früher um Jahre der FPÖ-Politik nach, so hat sich der Abstand mittlerweile auf ein paar Wochen verkürzt. „Schärfer als Strache, härter als Hofer!“, so präsentiert sich die Wiener Bundesregierung und erhält dafür auch Lob freiheitlicher Spitzen, freilich mit dem berechtigten wie süffisanten Verweis, dass man dort derlei schon immer vertreten habe.
Der restriktive Kurs gestaltet sich hierzulande wohl um einiges weniger brachial als in den osteuropäischen Nachbarländern. Aber Sprache und Absicht sind eindeutig. Man nimmt sich kein Blatt mehr vor dem Mund. Heeresminister Peter Doskozil (SPÖ) nannte Merkels Politik unlängst nicht nur falsch, sondern schlicht „unverantwortlich“. Er plädiert für einen europäischen „Rückführungsgipfel“ und fordert in der Boulevardzeitung Österreich: „Wir müssen auch militärische Operationen in den Herkunftsländern überlegen, um die Flüchtlingswellen am Ursprung anzupacken.“ Er spricht von „Stabilisierungsmissionen“ und „interessensgeleiteter Neutralitätspolitik“. Anscheinend bedarf es im Mittleren und Nahen Osten oder in Afrika noch zusätzlicher Fronten.
Ein Jahr wie 2015 dürfe jedenfalls nie wieder passieren, so der alpenländische Staatskonsens, es gelte das Land abzuschotten, Notverordnungen durchzusetzen und nur mehr eine bestimmte Anzahl an Flüchtlingen reinzulassen. „Es muss allen klar sein. Die Migrationswellen haben keine Chance, nach Österreich zu kommen“, sagt Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP), ebenfalls ein Scharfmacher der Koalition. Wirtschaftsflüchtlinge, die sich weigern auszureisen, sollen laut Sobotka mit Gefängnis bestraft werden.
Der Wille könnte indes am Können scheitern. Viele Fragen bleiben bei alledem ungeklärt. Was ist mit den Dublin-Fällen, die nicht zurückgewiesen werden können (etwa weil Ungarn keine Flüchtlinge zurück nimmt), oder die Bayern (wie angkündigt) Asylsuchende nach Österreich retour schicken. Dann bekommt man im Südosten nicht los, was man loswerden will, dafür aber im Nordwesten dazu, was man nie und nimmer wollte. Einmal mehr könnte aus einer martialischen Pose eine peinliche Posse werden.
Besonders aus dem Fenster gelehnt hat man sich betreffend der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Da stehen die Zeichen auf Abbruch. Zumindest in Wien. Und am besten gleich und sofort. Selbst Kanzler Kern vertritt diese ultimative Ansicht, ungeachtet dessen er sich bei einem Treffen sozialdemokratischer Parteiführer Ende August in Paris eine Abfuhr geholt hat. Diese Aktion stellt jedoch mehr als eine durchaus berechtigte Kritik Erdoğans dar, sie ist eine finale Brüskierung, vor allem auch jener oppositionellen Kräfte in der Türkei, die nicht der AKP zuzurechnen sind. Dass diese Verhandlungen aktuell zu Erfolgen führen, glaubt sowieso niemand. Doch ein formaler Abbruch wäre ein Zeichen schroffer Zurückweisung.
„Es darf mit Recht die Frage gestellt werden, ob Österreich überhaupt noch eine Außenpolitik hat? Da der jetzige Außenminister aber gerade auf allen Kirtagen tanzt, die ihm der politische Alltag bietet, steht die Frage im Raum, wer künftig wirklich die Außenpolitik dieses Landes machen wird.“ Das schreibt Erhard Busek (Die Presse, 14. September) über seinen zukünftigen Nachfolger als Bundesparteiobmann der ÖVP, die Jahrtausendbegabung Sebastian Kurz. Die Sache wird auch nicht besser weil Christian Kern hier mit seinem Außenminister einig ist. Tatsächlich gerät etwas aus den Fugen, doch man weiß nicht genau warum. Es nur auf die Politiker zu schieben, ist billig. Im Unterschied zu den hochgradig verunsicherten etablierten Kräften, versteht es der Populismus Sicherheiten anzubieten, so falsch sie auch sein mögen. Natürlich wirkt plausibel, was nicht plausibel ist, aber das ist in der Politik nicht unbedingt ein Problem.
Das Problem ist auch nicht die vehemente Kritik an der Türkei, das Problem ist vielmehr, dass dieses verschoben wird, wenn ganz abstrakt von „den Türken“ die Rede ist. Wenn also das konkrete Unbehagen in das abstrakte Ressentiment kippt. Es geht überhaupt nicht darum, die Türkei weiß zu waschen, aber doch stets nachzufragen, was gesagt wird, wie es gesagt wird, und an welchen Stimmungen und Aversionen man andockt. Es ist eine Frage der Aufladung. Wenn Innenpolitik Außenpolitik spielt, will man den Boulevard und die autoritären Stimmungen in der Bevölkerung bedienen. Ein formeller Einspruch ist beim dieswöchigen informellen EU-Gipfel in Bratislava seitens Österreichs trotzdem kaum zu erwarten. Das von Kurz raus posaunte Veto bezog sich auf die Eröffnung weiterer Kapitel in den Beitrittsgesprächen. Doch die stehen sowieso nicht zur Debatte.
Natürlich gilt das oben Gesagte auch umgekehrt. Wenn etwa der türkische Außenminimister, Melvüt Cavusoglu Richtung Wien meint „Die rassistische Rhetorik ist ein Faktum“, so hat er zwar nicht Unrecht, aber da appelliert einer an humanistische Standards, die wiederum in der Türkei zur Zeit sukzessive sistiert werden. Und wenn Erdoğans Mob in Wien kurdische Lokale ramponiert, ist das völlig inakzeptabel. Da geht die Toleranz auf Zero. Doch aus einer strikten Ablehnung eines konkreten Ereignisses auf eine phobisch aufgeladene nationale Antipathie, seien es Türken, Araber, Russen, zu schließen, ist fatal. Das da ist zu kritisieren, nicht die da.