von Hedwig Seyr
Mitten in der Großstadt Wien blicke ich tagtäglich aus meinem Zimmer hinaus auf einen Hofgarten, darf ihn sogar pflegen und gestalten. Ein kleiner Bambushain erfreut mich selbst im tiefsten Winter mit seinen grünen Blättern. Drei Birken habe ich vor Jahren als Winzlinge aus der Waldviertler Erde ausgegraben und hier eingesetzt, jetzt wachsen sie schon über den zweiten Stock hinaus und beleben mit ihren schlanken Stämmen, dem feinen Geäst und ab dem Frühling mit den zartgrünen Blättchen den Hof. Ihr mehr oder weniger sichtbares Schwanken lässt mich schon durchs Fenster die aktuelle Windstärke erkennen. In zwei Hochbeeten gedeiht im Sommer einiges Gemüse. Die Rosenstöcke und alle anderen liebgewordenen Pflanzen, die ich wie Mitbewohner betrachte, erfreuen meine Augen und mein Herz. Ein zufriedenes Gefühl der Dankbarkeit kommt über mich.
Da höre ich plötzlich, dass sich vor der Hoftüre etwas bewegt. Eine Amsel oder eine Maus? Ich schaue nach. Nein, was ist denn das? Da liegen ja lauter Kartons herum, auch auf den Stufen, die ich doch immer sorgfältig kehre. Wer hat denn die hierher gebracht? Das sieht ja schrecklich aus! Ich trete hinaus und pralle zurück: Unter den Kartons richtet sich ein Mann, in Lumpen gehüllt, langsam auf, da ein zweiter, ein dritter, in gebeugter Haltung, sie heben langsam die Köpfe, blicken mit traurig-zornigen Augen, ihre Bewegungen werden heftiger, sie breiten die Arme aus, sie schwanken auf mich zu, sie bedrängen mich. Ich weiche zurück in die Wohnung und … erwache angsterfüllt.
Und doch war mir das Elend im Traum nur noch die paar Meter näher gekommen, die „meinen Garten“ von der Straße trennen.