von Martin Taurer
Das dem Warenfetisch innig verhaftete Denken kann nur mit der Beseitigung der kapitalistischen Relationen insgesamt andauernd entwirrt werden.
Konzeption
Der Kostnix-Laden (KNL) in der Zentagasse 26 wurde von der Initiative W.E.G. (Wertkritische Emanzipatorische Gegenbewegung) gegründet und existiert seit nunmehr über zehn Jahren. Inspiriert von bereits bestehenden Umsonstläden wie beispielsweise in Hamburg sowie dem Bestreben nach einer Möglichkeit, Facetten abstrakter Theorie praktisch zu erproben und auf diesem Wege kommunizierbar zu machen, sollte diese Idee umgesetzt werden. Das Bedürfnis nach einer hierarchiefreien, kollektiven Organisationsform war von Beginn an fester Bestandteil, Entscheidungen werden bis heute in einem offen zugänglichen Plenum getroffen. Die Anzahl und Zusammensetzung der Mitwirkenden unterlag und unterliegt einem stetigen Wandel. Kriterien dafür, sich einbringen zu können, sind einerseits negativ bestimmt und beziehen sich auf diskriminierende Verhaltens- und Ausdrucksweisen. Andererseits soll die Kritik an der Wertvergesellschaftung im Wesentlichen geteilt werden. Im KNL begegnet sich ein in vielerlei Hinsicht heterogenes Publikum, ein Sitzbereich mit Internetzugang und Kaffee lädt zum Verweilen ein. Ein tauschfreier Raum, in welchem Menschen ihre nicht (mehr) benötigten Gegenstände hinbringen oder auch andere abholen können, war zum Zeitpunkt der Gründung ein (auch innerhalb linker Bewegungen) noch weit weniger bekanntes Konzept, als dies heute der Fall ist.
Diskrepanz
Der Wunsch nach einer weitgehend ohne Tauschprozesse auskommenden Herangehensweise spiegelte sich u.a. in dem operativen Anspruch wider, die erforderliche Infrastruktur kostenfrei zur Verfügung gestellt zu bekommen. Und tatsächlich ist es nach fruchtlosen Unterredungen mit der Bezirksvertretung in Neubau gelungen, bereits angemietete und ungenutzte Räume im privaten Kulturverein VEKKS (Verein zur Erweiterung des kulturellen und künstlerischen Spektrums) beziehen zu können. Infolge von Mieterhöhungen ist der KNL jedoch seit ein paar Jahren gezwungen, einen Beitrag zu den laufenden Kosten zu leisten, die Totalität hat uns also nicht vergessen …
Vergleichbar mit den Erfahrungen ähnlich unverschämter Ansprüche nach sich der Marktlogik verweigernden Handlungsräumen (wie sie beispielsweise von Hausbesetzungen ausgehen), ist der unausweichliche Kompromiss also eingegangen worden. Die Spendenbox ist ein Stück weiter in den Vordergrund gerückt und führt uns die Unmöglichkeit einer schlüssigen Umsetzung theoretischer Postulate direkt vor Augen. Unter anderem an dieser Stelle zeigt es sich, dass die Kommunikation unserer Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen (und den unweigerlich damit einhergehenden Widersprüchen im wirklichen Handeln) vordergründig betrieben werden muss, soll der KNL nicht Fehldeutungen ausgeliefert werden. Eben anhand des konkreten Scheiterns des Versuches Richtiges im Falschen umzusetzen, tun sich Perspektiven zur Vermittlung der verhängnisvollen Allgegenwärtigkeit ökonomischer Prämissen auf.
Perzeption
Die langjährige Erfahrung hat die Chance zur Ermunterung zum Nachdenken über die gesellschaftlichen Verhältnisse offenkundig aufgezeigt, wenngleich gescheiterte Kommunikation bzw. dem Desinteresse geschuldete Nicht-Kommunikation der häufigere Fall geblieben ist. Die Auffassung, dass es sich beim KNL um ein Service der Gemeinde oder des Bezirks handelt, muss zuweilen richtig gestellt werden. Das (zum Teil gewollte) Unverständnis und/oder Totschweigen der zugrunde liegenden Intentionen spiegelt sich auch in einigen der zahlreich vorhandenen Medien-Berichte wider. Wir sind bei Interview- und Reportageanfragen mittlerweile sehr vorsichtig geworden und weisen bei Zusagen unsererseits deutlich darauf hin, dass oberflächliche oder verzerrende Berichterstattungen unerwünscht sind.
Dass tauschfreie Praxis auch in völliger Abwesenheit von Kritik an Warenfetisch, Eigentum, Wert, Arbeit, Kapital oder auch Politik erfolgen kann, lässt sich beispielsweise an jüngst entstandenen Umsonstladen-Projekten in Österreich ablesen. Die Vermengung mit diversen Vorstellungen von „gerechteren“ Tauschformen (Tauschkreise, Alternativwährungen, …), die Betonung auf Müllvermeidung und karitativem Charakter sowie das Herhalten als Werbeträger für den jeweiligen Standort (ob Gemeinde oder Pfarre) zeugen von der integrativen Macht der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse. Den Anspruch, einen ernsthaften Bruch mit der Tauschlogik anzudeuten, ignorierend sowie der entsprechend radikalen Kritik entledigt, kann so das Verlangen nach harmonischer Resteverwertung befriedigt werden. Die brutale Verrechnung außen vor lassend bleibt dann immerhin die Option, an andernfalls nur schwerlich oder gar nicht erschwinglichen Anteilen des gesellschaftlichen Reichtums zu partizipieren.
Potenzial
Der KNL in der Zentagasse bildet mittlerweile für viele regelmäßige Besucher*innen sowie Betreiber*innen des Ladens einen fixen Bestandteil zur Deckung diverser materieller Bedürfnisse. Überhaupt ist der immense konkrete, individuelle Nutzen von nicht an der Verwertung ausgerichteten Projekten keinesfalls zu unterschätzen. Selbst im direkten Vergleich mit dem Verkauf der eigenen Arbeitskraft am Markt und dem daran anschließenden käuflichen Erwerb von Gebrauchsgegenständen bleibt der regelmäßige Besuch im KNL effizient und „konkurrenzfähig“. Diese Rechnung aufmachend, bleibt die investierte Zeit sowie die verausgabte Energie (wenn von einer durchschnittlichen Bezahlung am Arbeitsmarkt ausgegangen wird) „lohnenswert“. Hier ergibt sich die Problematik eines ausschließlich am fassbaren persönlichen Vorteil orientierten Agierens seitens mancher Nutzer*innen der Infrastruktur. Das Bemühen um eine weitere Verbreitung von radikaler Kritik an den Verhältnissen läuft dort ins Leere, wo der KNL zu einem Dienstleistungsbetrieb desavouiert wird.
Das dem Warenfetisch innig verhaftete Denken kann nur mit der Beseitigung der kapitalistischen Relationen insgesamt andauernd entwirrt werden. Es bedarf also einer permanten Anstrengung, den KNL nicht ausschließlich zu einer willkommenen Ergänzung zur tristen Selbstverwertung verkommen zu lassen. Werden die eigene Konditionierung auf marktförmige Verhaltensweisen und daran anknüpfende (unbewusst wirksame) Denkmuster nicht immer wieder aufs Neue aufgeschlüsselt, verpufft auch der größte Teil des vorhandenen Potenzials des KNL, dem Fahrwasser gängigen Kosten-Nutzen-Kalküls zumindest partikular entrinnen zu können. Das Moment des Nicht-Verkaufens und des Nicht-Bezahlens ist eine wirkmächtige Erfahrung, welche wertkritischen Überlegungen zwar zuspielen, auf das Erlebnis reduziert jedoch ebenso einfach verglimmen kann.
Monetarisierung
Aus der beachtlich großen Anzahl an Gegenständen, welche im KNL weitervermittelt werden, ergeben sich weitere direkte Anforderungen an die alltägliche Praxis. Die auf solidarischer, kollektiver Planung beruhende bestmögliche Bewerkstelligung der stattfindenden freiwilligen Umverteilung muss unter anderem immer dort misslingen, wo Produkte nicht für den persönlichen Bedarf, sondern für den Wiederverkauf mitgenommen werden. Die Verlockung ist groß, den KNL als zusätzliche Quelle für Handelswaren zu missbrauchen. Wie hoch der Anteil an Objekten ist, welche ihren Weg wieder zurück in den Warenkreislauf finden, lässt sich nur erahnen.
Um den Weiterverkauf ein Stück weit abschwächen zu können, wurde in den ersten Jahren eine Drei-Teile-Regel angewandt. Soll heißen: Pro Person und Tag dürfen maximal drei Teile mitgenommen werden. Schon bald zeichnete sich ab, dass sich vor allem Bücher und Kleidung in rauen Mengen anhäufen, eine Anpassung der Regel war die Folge. So galten in weiterer Folge fünf Kleidungsstücke bzw. drei Bücher als ein Teil.
Letzlich haben wir die Beschränkung vor ein paar Jahren komplett fallen lassen. Einerseits aus pragmatischen Gründen, da es stets mühsam war, das Limit zu kommunizieren und durchzusetzen. Andererseits, weil es kaum zum gewollten Ergebnis einer angemesseneren Verteilung geführt hat. Menschen mit erhöhtem Bedarf mussten unnötigerweise auf eigentlich vorhandene Dinge verzichten, während sich am Wiederverkauf interessierte Besucher*innen eben auf die Objekte mit dem denkbar höchsten Marktpreis konzentrierten. Des Weiteren waren Leute, welche den KNL seltener aufsuchen können, benachteiligt.
Anstelle einer mehr oder weniger starren Regel haben wir nun die Gelegenheit, Gespräche über Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse anderer Nutzer*innen zu führen. Zur Intervention gezwungen sind wir aber nach wie vor, letzten Endes autoritär auftreten zu müssen ist eine bittere Erfahrung und belastet uns immer wieder auch emotional. Konstant auftretendes Konkurrenz-Verhalten und scheiternde Appelle an die Achtsamkeit gegenüber anderen begleiten uns beharrlich und führen in Extremfällen zu KNL-Verboten. Inwieweit hier mitgebrachte Wühltisch-Mentalität durch eine „Kostnix-Mentalität“ auch noch befördert wird, ist ebenso Teil unserer Reflexionsprozesse.
Um die bedarfsgerechte Weitergabe zu forcieren, führen wir seit einigen Monaten eine Liste, auf welche KNL-Besucher*innen ihre Wünsche eintragen lassen können. Die benötigten Produkte werden dann, sobald sie in den Laden gebracht werden, zurückgelegt. Das Prinzip hat sich rasch bewährt und lässt einen entspannteren Umgang mit eher eingeschränkt verfügbaren Gegenständen zu. Der Enttäuschung mancher KNL-Nutzer*innen über lange Wartezeiten (bis hin zur Unendlichkeit) kann dann auch nur mit einer weiteren ernüchternden Wahrheit begegnet werden, nämlich dem Verweis auf die eigentliche Aufgabe einer bislang nicht absehbaren gesellschaftlichen Transformation, an deren Ende eine rational organisierte, versöhnte Menschheit steht. Das ist keineswegs zynisch gemeint. Hier sei noch einmal darauf verwiesen, dass im Regelfall leider kaum oder keinerlei kritisches Gedankengut transportiert werden kann. Es bleibt meist bei der für sich selbst sprechenden Praxis und führt somit im Fall von unbedienten Erwartungshaltungen auch zu Ressentiments.
Akzidens
Neben den erneut zu Markte getragenen Gegenständen ist ein weiteres (oft unberücksichtigtes) Phänomen zu bedenken. So dient die aus dem KNL mitgenommene Fahrradhose der Fahrradbotin / dem Fahrradboten als Betriebsmittel und auf diesem Wege letzten Endes wiederum der Verwertung. Auch das schicke Hemd für das nächste Bewerbungsgespräch verschmilzt mit den Anforderungen an die Selbstgestaltung als marktförmiges Subjekt. Selbst der dem unmittelbaren Genuss dienende Kostnix-Kaffee bleibt der Mehrwertproduktion insofern mittelbar zuträglich, als die (der kapitalistischen Ausbeutung der Arbeit nachgeordnete) Sphäre der Freizeit die menschliche Arbeitskraft reproduziert. Im KNL kann der Glamour der Ware beschmutzt werden, das erneute Erstrahlen lässt sich nicht verhindern. Trotzdem sollte deutlich (gemacht) werden, dass Ansatzpunkte für weiterführende Kritik hier wesentlich vorhanden sind.
Produktion
Im KNL werden keine Erzeugnisse angefertigt, die gemeinsam organisierte Verteilung steht hier im Vordergrund. Es gab in den vergangenen Jahren jedoch häufiger Überlegungen in diese Richtung. Ohne großartige Keimform-Thesen bemühen zu wollen, bieten sich hier durchaus Aufsehen erregende Möglichkeiten. Seit 2013 gibt es den Versuch der Initiative SoliLa! (Solidarische Landwirtschaft), eine bedürfnisorientierte Stadtlandwirtschaft aufzubauen, im vergangenen Herbst konnten wir bereits Gemüse an Besucher*innen des KNL verteilen. Die Verblüffung vieler darüber, dass hier Menschen ohne Profitinteresse produktive Prozesse anstoßen und dies auch Früchte trägt, erhöht naturgemäß die Sprengkraft der in Form gegossenen Idee einer nicht auf Tausch basierenden Herstellung und Verteilung von Gütern.
Hier tun sich Perspektiven auf, welchen Beachtung zukommen sollte. Vermutlich ist, um Ansätze eines solidarischen Netzwerks (mit zu entwickelnden Aussichten auf Wirkmächtigkeit!) zu verwirklichen, mehr als eine Handvoll Menschen vonnöten.