Die erfolgreiche Anfechtung der Bundespräsidentschaftswahlen durch die FPÖ beschert den Österreichern eine neuerliche Stichwahl zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer.
von Franz Schandl
Eigentlich gibt die Bundesverfassung, konkret der Art. 141 B-VG keine Wahlaufhebung her. Einer Wahlanfechtung ist nur dann stattzugeben, „wenn die behauptete Rechtswidrigkeit des Verfahrens erwiesen wurde und auf das Verfahrensergebnis von Einfluss war“. Ersteres ist zwar der Fall, zweiteres keineswegs. Faktum bleibt, dass die Verletzungen der Wahlordnung von völlig untergeordneter Bedeutung gewesen sind und auf das Gesamtwahlergebnis keinerlei Einfluss hatten. Vom Indikativ flüchtete der Verfassungsgerichtshof (VfGH) allerdings in den Konjunktiv. Gerhart Holzinger, der Präsident des Gerichts hielt eindeutig fest, dass es keiner tatsächlich nachgewiesenen Manipulation bedürfe die Wahl aufzuheben, sondern dass schon allein die Möglichkeit der Manipulation reiche, die Wahl wiederholen zu müssen.
Alfred Noll, Professor für Öffentliches Recht in Wien schreibt: „Der VfGH hat in langjähriger Praxis den expliziten Text der Verfassung gehörig umgeformt und prüft nicht, ob die behauptete Rechtswidrigkeit auf das Wahlergebnis einen Einfluss hatte, sondern ob diese Rechtswidrigkeit einen Einfluss haben konnte. Das macht einen Unterschied. Damit hat er die in der Verfassung aufgestellte Frage nach dem tatsächlichen Einfluss von Gesetzesverstößen auf das Wahlergebnis geändert in die Frage danach, was hypothetisch von Einfluss sein kann bzw. könnte.“
Scheinbar mühelos gelang es den Verfassungsrichtern aus einigen Unregelmäßigkeiten einen Verfassungsbruch zu zimmern. Nach diesen strengen Kriterien hätte man wohl ausnahmslos alle Bundeswahlen der letzten Jahrzehnte wiederholen müssen. Denn dieser Wahlgang im Mai stellte keine wie immer geartete Ausnahme dar, Modus und Routine der Behörden waren nicht anders. Doch wo kein Kläger, dort auch kein Verfassungsrichter. Retrospektiv stellt der Verfassungsgerichtshof der österreichischen Demokratie somit ein absolut schlechtes Zeugnis aus.
Die für die Wahlkarten zuständigen Bezirkswahlbehörden fühlten sich nicht zu Unrecht durch die stete Zunahme der Briefwähler überfordert. So glaubten manche die Auszählung beschleunigen zu müssen, indem sie etwa schon am Sonntag (statt Montag) damit begonnen haben oder gleich auf die Beisitzer der Parteien verzichteten. Meist mit deren Wissen und Zustimmung. Auch gab es Druck vom Innenministerium, zeitgerecht fertig zu werden und stets wollen diverse Medienvertreter wissen wie es denn steht. Das war bekannt und wurde von allen nun empörten Obrigkeiten geduldet.
Hinter vorgehaltener Hand wird das auch bestätigt. Alle, die jemals mit der formalen Seite von Wahlen befasst waren, können nur den Kopf schütteln. Dass dieses Verhalten der Wahlbehörden und Wahlbeisitzer das Verfassungsgericht irritiert, irritiert wirklich. Wenn Entsetzen und Erstaunen sich so aufpudeln, stellt sich meist die Frage, was ausgeblendet werden soll. Vertuscht werden soll, dass dieses Procedere seit Jahrzehnten eingespielt ist und auch niemanden störte, da es für alle Beteiligten – Innenminiserum, Medien, Wahlbehörden, Wahlbeisitzer, Parteien – praktikabler und von Vorteil gewesen ist. Interessant auch noch, dass der Verfassungsgerichtshof die (von der FPÖ gar nicht monierte) Weitergabe von Teilergebnissen vor Wahlschluss an Hochrechner und Medien verboten hat. Dieser Datenfluss ist seit 1993 (!) Usus.
Wenn der bekannte Verfassungsrechtler Heinz Mayer zu alledem nun meint: „Das hat in einer Demokratie keinen Platz“, dann fragt man sich: Wo lebt der gute Mann? Die Schuld auf die Bürokratie und ihre Handlanger, die Wahlzeugen der Parteien zu schieben, ist doch ausgesprochen billig. Verfassungslosigkeit ist mehr bei den Verfassungsrichtern als bei den Wahlbehörden und den Beisitzern auszumachen.
Der Nachgeschmack ist auf jeden Fall bitterer als die Vorgangsweise. Denn das Erkenntnis der Verfassungsrichter bestätigt implizit den Verdacht der Manipulation des Abstimmungsergebnisses, auch wenn jene dezidiert darauf hinweisen, dass es dafür weder Indizien geschweige denn Beweise gibt. Das Gerücht, höchstgerichtlich aufgeladen und genährt, wird von den Freiheitlichen unverschämt weiterverbreitet. Irgendwas wird schon gewesen sein. Der Superlativ des Konjunktivs ist die blanke Halluzination. Nicht wenige FPÖ-Sympathisanten werden sich in ihren Verschwörungstheorien direkt beflügelt sehen. In den „sozialen Medien“ tobt es sich richtig aus.
Im Prinzip ist das Ganze eine immens aufgeblasene Geschichte, auch wenn sich das kaum jemand zu sagen traut. Da wurde aus der Lässigkeit eine Fahrlässigkeit und aus dieser ein Rechtsbruch ungeheurer Dimension. Für den fraglos lockeren Umgang der Wahlbehörden müssen die Österreicher nun zahlen und ein drittes Mal innerhalb eines Jahres den Versuch starten, einen Bundespräsidenten zu wählen. Das alles belastet die Politik nachhaltig. Die FPÖ hat das vordergründig nicht nur in Kauf genommen sondern darauf spekuliert. Zweifellos ist sie die Nutznießerin dieser juristischen Auseinandersetzung, selbst dann, wenn Van der Bellen sich noch einmal gegen Hofer durchsetzen kann.
Die devote, ja geradezu peinliche Selbstgeißelung der Systemträger ist nicht nur unrühmlich und unerträglich, sie ist auch pure Heuchelei. Wenn der bis 8. Juli amtierende Bundespräsident Heinz Fischer meint, dass die Demokratie eine Bewährungsprobe bestanden habe und er stolz darauf sei, dann bedankt er sich ohne es zu wollen bei Heinz-Christian Strache, dessen Wahlanfechtung diese Entscheidung erst ermöglichte. Insofern kann sich die FPÖ durchaus als Etappensiegerin fühlen. Sie bestimmt die Themen, sie macht die Vorgaben, sie sagt, wo es lang zu gehen hat. „Man muss der FPÖ dankbar sein, weil sie zeigt, wie verlottert unsere Institutionen mittlerweile sind“, schreibt die Boulevardzeitung Österreich. FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl sprach nach dem Urteil von „einem guten Tag für Österreich“.
Während das offizielle Österreich ganz parteiübergreifend den Spruch als Lebenszeichen der Demokratie interpretiert, erscheint auf internationaler Ebene diese Annullierung einer Wahl aus formalen Gründen als einzigartige Blamage und enormer Schaden. Österreichs Rechtsstaat entpuppe sich dabei weniger „robust“ (Kanzler Kern) denn marod. Dieser Eindruck mag zwar einmal mehr überzogen sein, doch angeschlagen ist jener zweifellos, weniger aufgrund der Schlampereien, sondern dadurch, dass man bewusst (FPÖ) oder bewusstlos (Verfassungsgericht) diese zu einer Staatsaffäre stilisierte.
Das Bundespräsidentenamt ist nun über den Sommer verwaist. In dieser Zeit führt ein Dreierkollegium der Nationalratspräsidenten die Geschäfte des Staatsoberhaupts. Das war bisher, etwa wenn ein Amtsinhaber während seiner Amtszeit verstorben ist, schon einige Male der Fall gewesen. Pikanterweise sitzt in diesem Kollegium aber auch der Dritte Nationalratspräsident namens Norbert Hofer. Er ist sozusagen die nächsten Wochen Kandidat für das Amt, das er gleichzeitig schon provisorisch mitausübend wahrnimmt. Ned deppert.