Unweit der Pestsäule am Wiener Graben buhlt dieser Tage noch eine zweite, herausragen wollende Senkrechte um Beachtung. Aus einiger Ferne gewärtigt das wache Augenpaar drei Ovale, welche wie die Glieder einer Kette sich ineinander schließen, die an ihren beiden Enden oben und unten recht unbeholfen nach einem Grund für ihre Symbolhaftigkeit zu suchen scheint. Nähergekommen, geben sich die Ringe als um ihr Spielfeld verminderte Fußballstadien zu erkennen – eine Chiffre für unser passiviertes Leben im Spektakel? Der verdutzte Betrachter, der hilfesuchend der bienenwabenförmigen, gelben Plakette am Postament sich zuwendet, schlittert nun in schiere Ratlosigkeit, da steht zu lesen: „Wussten Sie? In der Wiener Industrie arbeiten über 170.000 Menschen. Damit könnte man 3mal das Ernst-Happel-Stadion füllen. Made in Vienna“
Es bedarf einer kurzen Sammlung, ein, zwei weiterer Lesegänge, um die Botschaft in ihren gewaltigen Bezügen erfassen zu können. Möchte man die Verdinglichung „Damit“ der 170.000 gern als seltenen Hang zur sprachlichen Exaktheit auslegen, bedarf die bizarre Verhältnissetzung zwischen Füllmasse und ihrer Behältnisse recht besehen kaum noch den Hinweis darauf, dass diese innerstädtische Fragwürdigkeit schlicht als beißende Kritik an Arbeit und Herrschaft und ihren Lebensbeschädigungen zu verstehen sei.
Fast ist es nun verwunderlich, das Ungetüm mit seiner ausnehmend hässlichen Anmutung nicht schon eher erkannt zu haben: Die subtile panem-et-circenses-Anspielung, die monströse Kette – Allegorie der knechtenden Arbeit –, die praktisch in der Luft hängt, funktionslos, grundlos, nutzlos – ein akrobatischer Kraftakt ohne die geringste Grandezza; die provozierende Frage „Wussten Sie?“, die Korrespondenzen zur Pestsäule usw. – raffinierter, subversiver, schärfer und ironischer kann Kunst nicht sein.
Der Einwand, die Installation sei gar kein Kunstwerk, vielmehr eine PR-Attacke von Industrie und der Stadt Wien, möchte genannte Qualitäten dann immerhin diesem kleinen Beitrag hier überlassen.