von Lorenz Glatz
Ich war am 8. Mai am Abend auf dem Wiener Heldenplatz
– stark verspätet, aber noch vor dem 4. Satz der abschließenden 9. Symphonie, auf die allein es mir ankam – beim „Fest der Freude“ zum 70. Jahrestag der Befreiung, wie es nun auch bei uns heißt. Bei der 9. beschäftigt mich seit geraumer Zeit, dass sie, die in die „Ode an die Freude“ ausklingt, in Kubricks Clockwork Orange die Begleitmusik brutaler Gewalt ist und Kurt Sowinetz die Melodie der Ode durchaus stimmig, wie mir vorkommt, zum folgenden Text singt: „Olle Menschn sama zwider , i mechts in die Goschn haun / Mia san olle Menschn zwider, in die Goschn mecht ichs haun. / Voda, Muada, Schwesta, Bruada und de gaunze Paklrass, / Olle Menschn sama zwider, waunn i Leit siach, geh i haß“.
Erstmals ist mir diesmal aufgefallen, was für einen so an den Worten klebenden Menschen wie mich erst eine „Offenbarung“ ist, nämlich dass es in der Symphonie ja im „Einleitungstext“, bevor die Ode beginnt, heißt: „O Freunde, nicht diese Töne! Sondern lasst uns angenehmere anstimmen, und freudenvollere.“ Mit „diese Töne“ ist aber das „Original“ der Melodie der Ode gemeint, das gerade davor erklungen ist und bei mir (nur bei mir?) einen ziemlich bedrohlichen Eindruck hinterlässt. Es waren die Töne, die den „Freunden“ (also dem Komponisten und damit dem Orchester, das seine Musik spielt) sozusagen ohne Aufforderung eingefallen sind. Wenn sie diese Töne nun „ALS“ „angenehmere anstimmen, und freudenvollere“, ist das eigentlich eine recht verzweifelte Angelegenheit, man könnte sagen, es wird ein freundlicher Text über eine unfreundliche, bloß „angenehmer“ und „freudenvoller“ variierte Melodie gelegt, über eine Melodie, die in Kurt Sowinetz‘ Text einen durchaus originalen Ausdruck findet und die durchaus zu Grausamkeit passt. In diesem Sinn ist der Schiller-Text zur Beethoven-Musik als Europahymne wohl ein gelungene Wahl.