Konjunkturkiller Wirtschaftskrieg

Wirtschaftssanktionen zwischen Russland und dem Westen könnten Auslöser für einen neuen globalen Krisenschub sein

von Tomasz Konicz

»Schwach, fragil, unstetig« – auf diesen Nenner brachte der Vorsitzende der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, die konjunkturelle Entwicklung in der Eurozone. Es sei »insbesondere die Lage in der Ukraine und Russland«, die Anlass zur Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung des Euroraumes gebe. »Das große Risiko sind die Energiepreise«, so Draghi, der hiermit das Eskalationspotenzial beim Wirtschaftskrieg zwischen dem Westen und Russland andeutete.

Mehr Kritik an der Geopolitik der EU kann sich ein europäischer Geldpolitiker wohl kaum erlauben. Damit stellt sich die Frage, ob den politischen Eliten der westlichen Welt die Tatsachen, die durch einen kurzen Blick auf die Statistiken erschlossen werden können, nicht gegenwärtig waren, als sie zur Sanktionspeitsche gegenüber der Russischen Föderation griffen. War es schlichte Ignoranz oder eine aus der Überschätzung der eigenen Potenziale resultierende Machtgeilheit, die den Westen auf den derzeitigen ökonomischen Kamikaze-Kurs einschwenken ließen? Haben insbesondere Europas Eliten tatsächlich geglaubt, ihren Sanktionen würden keine Reaktionen Moskaus folgen?

Die Eurozone befindet sich nach der längsten Rezession ihrer Geschichte und dem jahrelangen Spardiktat, das die Bundesregierung dem Währungsraum oktroyierte, genau in der Lage, vor der viele Kritiker dieser desaströsen Politik warnten – am Rande der Deflation. In den meisten Krisenländern hat es eine wirtschaftliche Erholung seit Krisenausbruch nicht gegeben (Italien etwa befindet sich wieder in einer Rezession), und selbst in der BRD ist die Wachstumsdynamik im Frühjahr deutlich erlahmt. Die EU könne sich »einen Fehltritt bei ihrer Wirtschaftsaktivität kaum erlauben«, warnte ein Analyst gegenüber dem US-Sender CBS, es brauche nicht viel, und sie finde sich »erneut im Kontraktionsmodus«.

Der Sanktionskrieg zwischen dem Westen und Moskau dürfte den Tropfen darstellen, der das Fass zum Überlaufen bringt und einen neuen globalen Krisenschub initiiert. Das nun einsetzende Gejammer über die russischen Einfuhrverbote für Lebensmittel ist in den Ländern am größten, die am lautesten harte Strafen gegenüber Russland forderten. Litauens Unternehmer seien »geschockt« von den russischen Sanktionen, meldete die polnische »Gazeta Wyborcza«, und auch Polens Konjunktur werde unter dem russischen Importstopp polnischer Agrarerzeugnisse leiden. Die deutsche Exportindustrie wurde von russischen Sanktionen bislang verschont, doch am vergangenen Donnerstag warnte Russlands Regierungschef Dimitri Medwedew, dass die Importverbote auch auf etliche Industriebranchen ausgedehnt werden könnten.

Doch auch ohne zusätzliche Sanktionen werden Deutschlands Exporte in den postsowjetischen Raum abnehmen – denn Russlands Wirtschaft taumelt ebenfalls am Rande einer Rezession. Die Einfuhreinbußen aus Europa will Russland durch verstärkte Importe aus Brasilien zumindest teilweise kompensieren. Die Frachtkosten dürften dabei keine große Rolle spielen, da der entsprechende Baltic Dry Index, der auch als ein konjunktureller Frühindikator gilt, auf einen langjährigen Tiefstand abgestürzt ist. Auch die Weltwirtschaft befindet sich in einer Phase konjunktureller Erlahmung.

Der Weltmarkt bildet das bröcklige gemeinsame Fundament, auf dem die Großmächte ihre geopolitischen Machtspiele treiben. Mit jeder Sanktionswelle, die den geopolitischen Gegner in eine Wirtschaftskrise treiben soll, wird somit auch das kriselnde spätkapitalistische Weltsystem destabilisiert. Die krisenbedingt eskalierenden geopolitischen Auseinandersetzungen wirken als Krisenbeschleuniger: Die Weltwirtschaft konnte nach dem großen Krisenschub von 2007/08 nur durch massenhafte Gelddruckerei und eine sprunghafte Erhöhung der Staatsverschuldung stabilisiert werden; sie wird von den entsprechenden Liquiditätsblasen am Leben erhalten, die diese Politik generierte. Die geopolitischen Auseinandersetzungen dürften das Platzen dieser Finanzmarktblasen beschleunigen.

aus: Neues Deutschland, 16.08.2014

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