von Uli Frank
Einem lieben Wunsch kann leicht passieren, dass er etwas findet, was er zu schnell für das Gesuchte hält. Columbus glaubte bis an sein Lebensende daran, 1492 den Seeweg nach China (das damals zu „Indien“ zählte) entdeckt zu haben, obwohl er auf einem ganz anderen Kontinent gelandet war. Manchmal ist es sicherer, auf unerwartete oder gar unerwünschte Entdeckungen zu setzen.
Zwei ganz normale VWL-Professoren (Ralf Reichwald/Frank Piller, Interaktive Wertschöpfung, Wiesbaden 2006) entdeckten z.B. vor sieben Jahren etwas Neues, was sie in ihrer gewohnten wertfixierten Sprache „interaktive Wertschöpfung“ nannten. Sie hatten routinemäßig betriebswirtschaftliche Modelle untersucht und zu ihrer Überraschung festgestellt, dass es tatsächlich etwas Neues zu beobachten gab, das mit der klassischen BWL nicht zu erklären war: „Die interaktive Wertschöpfung ergänzt die … beiden klassischen Koordinationsformen (Hierarchie und Markt) durch einen dritten Weg: das Organisationsprinzip einer ‚commons-based-peer-production‘. Diese Organisation des Wertschöpfungsprozesses verlangt eigene Organisationsprinzipien und Kompetenzen der Akteure. Beispiele bilden die Selbstselektion und Selbstorganisation von Aufgaben durch (hoch) spezialisierte Akteure, deren Motivation vor allem die (eigene) Nutzung der kooperativ geschaffenen Leistungen ist. Hinzu kommt jedoch eine Vielzahl weiterer sozialer, intrinsischer und extrinsischer Motive“ (S. 314).
Auch in der aktuellen Keimformdebatte sind mir die Entdeckungen am liebsten, die nicht durch eine allzu präformierte Sicht zustande kommen; Keimformen also, die auf den ersten Blick kaum als solche zu erkennen sind. Keimformen, die in der Mitte oder am progressiven Rand des alten Systems entstehen und dann empirisch nachweisen müssen, dass sie eventuell die Potenz haben, auch über die Logik des bestehenden Systems hinauszugehen.
Zum Beispiel das Geschäftsmodell „Flatrate“ oder „all inclusive“: Diese beiden erfolgreichen Geschäftsmodelle der letzten 10 Jahre sind vollständig kapitalistisch kalkuliert: Sie sollen Kunden anlocken und Marktanteile vergrößern (müssen sich also „rechnen“), beinhalten aber eine Logik, die durchaus im Widerspruch zum ehernen Äquivalenztausch-Prinzip unserer Geld-Logik steht. Sie erlauben in einem begrenzten Rahmen (der natürlich zuvor mit Geld dem Geltungsbereich der Geldlogik abgekauft wurde) nach eigenen Bedürfnissen zu leben – ohne sich auf die Matrix des Wertes zu beziehen.
Wenn die Unternehmer und Manager der Geldlogik eines können (müssen), dann ist es das: Rechnen. Und wenn dabei das Geschäftsmodell Flatrate oder all inclusive erfolgreich wird, ist das nicht nur kein Nachteil, sondern in der Form der „Nachfrage“ ein Beweis dafür, dass das Neue tatsächlich (massenhaft) verstanden und gewollt wird. Offensichtlich ist es nicht nur denkbar, sondern empirisch feststellbar, dass Menschen auch ohne monetäre Fremdbestimmung mit (hier erst einmal temporär) freien Gütern vernünftig umgehen können.
Ein Hotelier auf Mallorca sagte mir in einem Interview, er glaube an „all inclusive“ und gehe davon aus, dass es sich in nächster Zeit weiter durchsetzen werde. Es zeige, dass sich seine Kunden spätestens am dritten Tag daran gewöhnt hätten, nach ihren Bedürfnissen zu leben. Spätestens dann würden sie aufhören, sich die teuersten Speisen und Getränke vom Buffet zu nehmen und die pauschal bezahlten Ansprüche nach dem alten Nachkriegsmotto auszunutzen: lieber den Magen verrenkt als dem Wirt was geschenkt! Sie würden dann tatsächlich nur das und soviel davon nehmen, wie sie gerade Lust hätten – so wie alle anderen Lebewesen auf der Erde.