von Tomasz Konicz
Wir alle kennen und lieben unseren Road Runner, den pfeilschnellen Laufvogel, der in den gleichnamigen Cartoons von Warner Bros. immer wieder den Fallen und Nachstellungen seines Fressfeindes, des Kojoten Wile E. Coyote, entkommt. Die allerwenigsten Liebhaber dieser Zeichentrickserie sind sich aber dessen bewusst, dass eine immer wiederkehrende Schlüsselszene der Road Runner Cartoons – der zentrale „Running Gag“ der Serie – eigentlich die perfekte allegorische Darstellung des bisherigen Krisenverlaufs darstellt. Immer wieder rennt der Kojote bei seinen Verfolgungsjagden nach dem Road Runner über die Klippen eines tiefen Abgrunds, stürzt aber nicht sofort in die Tiefe, sondern läuft zunächst in der Luft weiter, bis er sich plötzlich der Tatsache bewusst wird, dass da kein Boden unter seinen Füßen ist. Erst dann folgt der tiefe Fall.
In einer solchen geschichtlichen Krisenphase befindet sich das kapitalistische Weltsystem. Der Kapitalismus ist längst über die Klippen hinausgestürmt, das System hängt in der Luft – nur hat sich diese Tatsache bislang noch nicht herumgesprochen. Die Grundlage, auf der der Kapitalismus dem Maximalprofit seit seinen frühsten Anfängen vor rund 500 Jahren hinterherjagt, ist die Verwertung von Arbeitskraft in der Warenproduktion. Seit rund drei Jahrzehnten geht das Kapitalverhältnis aufgrund eskalierender innerer Widersprüche eben dieser seiner Substanz verlustig.
Dieser Grundwiderspruch der kapitalistischen Produktionsweise entfaltet sich so: Die Lohnarbeit bildet die Substanz des Kapitals, doch zugleich ist das Kapital bemüht, durch konkurrenzbedingte Rationalisierungsmaßnahmen die Lohnarbeit aus dem Produktionsprozess zu verdrängen. Derjenige Kapitalist, der als erster eine Rationalisierungsmaßnahme erfolgreich einführt, kann auf Extraprofite hoffen, solange diese Innovation noch nicht in dem betreffenden Industriezweig verallgemeinert wurde. Zugleich nimmt aber die in dem betroffenen Industriezweig generierte Wertmasse dadurch absolut ab. Marx hat für diesen autodestruktiven Prozess die geniale Bezeichnung des „prozessierenden Widerspruchs“ eingeführt. Dieser Widerspruch kapitalistischer Warenproduktion, bei dem das Kapital mit der Lohnarbeit seine eigene Substanz durch konkurrenzvermittelte Rationalisierungsschübe minimiert, ist nur im „Prozessieren“, in fortlaufender Expansion und Weiterentwicklung neuer Verwertungsfelder der Warenproduktion aufrechtzuerhalten. Derselbe wissenschaftlich-technische Fortschritt, der zum Abschmelzen der Masse verausgabter Lohnarbeit in etablierten Industriezweigen führt, ließ auch neue Industriezweige oder Fertigungsmethoden entstehen.
Aus diesem prozessierenden Widerspruch resultiert somit der berühmte industrielle Strukturwandel – die Fähigkeit des Kapitals, sich immer wieder „neu zu erfinden“ –, auf den die bürgerliche Kapitalismusapologetik so stolz ist. Seit dem Beginn der Industrialisierung im 18. Jahrhundert ist die kapitalistische Wirtschaftsweise von einem Strukturwandel gekennzeichnet, bei dem die Textilbranche, die Schwerindustrie, die Chemiebranche, die Elektroindustrie und zuletzt der fordistische Fahrzeugbau als Leitsektoren dienten, die massenhaft Lohnarbeit verwerteten. Mit dem Aufkommen der mikroelektronischen Revolution scheiterte der industrielle Strukturwandel ab den achtziger Jahren. Diese neuen Technologien schufen weitaus weniger Arbeitsplätze, als durch deren gesamtwirtschaftliche Anwendung wegrationalisiert wurden. Die Produktivkräfte sprengen somit „die Fesseln der Produktionsverhältnisse“ (Marx) und das Kapital stößt an eine „innere Schranke“ (Robert Kurz) seiner Entwicklungsfähigkeit.
Um nicht an den eigenen Widersprüchen zu kollabieren, musste der Kapitalismus während der neoliberalen Revolution der achtziger Jahre den Boden der Arbeitskraftverwertung verlassen und sich in die luftigen Höhen einer finanzmarktdominierten Wirtschaftsstruktur begeben. Auf das Scheitern des industriellen Strukturwandels reagierte das System mit der Etablierung des Finanzsystems als „Leitsektor“. Kapitalverwertung wird somit im zunehmenden Ausmaß auf den Finanzmärkten simuliert. Da innerhalb der Finanzsphäre dauerhaft keine reelle Kapitalverwertung betrieben werden kann (deswegen spricht ja seit einigen Jahren alle Welt von einer notwendigen „Reindustrialisierung“), wurde das Wachstum in den vergangenen drei Jahrzehnten im Endeffekt durch einen historisch einmaligen Boom der wichtigsten Ware befeuert, die der Finanzsektor anzubieten hat: des Kredits. Das kapitalistische Weltsystem läuft somit auf Pump, auf dem durch Kreditvergabe immer weiter in die Zukunft verlegten Vorgriff künftiger Verwertung. Der Kredit generiert die Nachfrage, die eine an ihrer Produktivität erstickende kapitalistische Warenproduktion überhaupt noch aufrechterhält. Bei den aufgenommenen Krediten handelt es sich ja im überwältigenden Ausmaß nicht um Investitionskredite in die Warenproduktion, die deren Erweiterung oder Modernisierung zum Ziel hätten, sondern um Immobilien- oder Konsumkredite.
Der zentrale Mechanismus, der die zunehmende finanzmarktgenerierte Verschuldung in reales Wirtschaftswachstum transformiert, ist die Spekulationsblase. Das System prozessiert somit sei den achtziger Jahren im zunehmenden Ausmaß auf der „heißen“ Luft immer wieder aufsteigender und sich abwechselnder Spekulationsblasen. Sobald eine Blase platzt, droht der Absturz, der durch das Aufkommen einer neuen Spekulationsbonanza verhindert wird. Die beim Platzen einer Blase aufkommende Ahnung, dass das System nur noch per heißer, kreditgenerierter Luft aufrechterhalten wird (der „Abgrund“, in den etwa der damalige Finanzmister Steinbrück 2008 in einem Spiegel-Interview blickte), muss durch das Aufkommen neuer Spekulationswellen verdrängt werden. Mensch könnte hier von einem regelrechten Blasentransfer sprechen, bei dem all die Finanz- und geldpolitischen Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Folgen einer geplatzten Spekulationsdynamik aufgewendet werden, dazu beitragen, die Grundlagen einer neuen Blasenbildung zu schaffen. Letztendlich kann die kapitalistische Finanzpolitik das Spekulationsfeuer nur mit Benzin löschen.
Dies ist aber kein linearer, sondern ein dynamischer Prozess. Die Kosten und Aufwendungen zur Stabilisierung des Weltfinanzsystems steigen mit dem Platzen einer jeden Blase immer stärker an, bis sie perspektivisch die Finanzkraft selbst der größten Volkswirtschaften übersteigen werden. Diese Krisentendenzen lassen sich sehr gut an der nun platzenden Schuldenblase in vielen Schwellenländern konkret nachvollziehen (siehe Konkret 3/14). Neben der Türkei sind hiervon unter anderem Südafrika, Argentinien, Indien, Indonesien, Ukraine, Malaysia und Brasilien bedroht. Betroffen sind Volkswirtschaften mit einem hohen Leistungsbilanzdefizit, niedrigen Devisenreserven und hoher Verschuldung, die in den vergangenen Jahren einen durch Kapitalzuflüsse befeuerten Boom – eine sogenannte Defizitkonjunktur – erfuhren. Die enormen Kapitalzuflüsse in die Semiperipherie konnten dort seit 2008 Wachstum generieren – und sie ließen etliche „Wirtschaftswissenschaftler“ von einer neuen globalen Ära fabulieren, in der Schwellenländer als Träger des globalen Wachstums fungieren würden. Durch die Niedrigzinspolitik in den USA oder Europa waren Investitionen in den Schwellenländern – etwa im Immobiliensektor – aufgrund höherer Renditen besonders profitabel.
Und selbstverständlich ist die Phase extrem expansiver Geldpolitik seit 2008 eine Folge der geplatzten Spekulationsblasen auf den Immobilienmärkten der USA und etlicher Staaten Europas. Das „billige Geld“ der Notenbanken mitsamt den Liquiditätsspritzen der Fed, die jahrelang allmonatlich 85 Milliarden US-Dollar in die Märkte pumpte, hat das spekulative Feuer in den Schwellenländern erst entfacht, das nun allein durch die Reduzierung der Anleiheaufkäufe durch die US-Notenbank (auf 65 Milliarden Dollar) abgewürgt wird – und die Semiperipherie des kapitalistischen Weltsystems in eine schwere Krise zu treiben droht.
Der 2008 zusammenbrechende Immobilienboom wurde übrigens durch die geldpolitischen Maßnahmen der US-Notenbank initiiert, mit denen die Folgen der 2001 zusammengebrochenen Börsenspekulation mit US-Hightechaktien (Dot-Com-Blase) gemildert werden sollten. Dabei waren beim damaligen Blasentransfer noch keine dermaßen extremen Maßnahmen notwendig: Die Fed senkte den Leitzins von 6,5 Prozent in 2000 auf weniger als zwei Prozent im Zeitraum zwischen 2002 und Ende 2004. Dies genügte, um Hypothekenkredite mit variablem Zinssatz auch für Menschen attraktiv zu machen, die sich eigentlich kein Haus hätten leisten können. Derzeit reicht solch eine Nullzinspolitik nicht mehr aus, um das System zu stabilisieren, das, einem Schuldenjunkie gleich, regelrecht abhängig ist von den Liquiditätsspritzen der US-Notenbank.
Inzwischen fällt sogar der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft auf, dass der Spätkapitalismus regelrecht abhängig ist vom Schuldenmachen, Gelddrucken und der zwangsläufigen Blasenbildung. Der ehemalige US-Finanzminister Larry Summers preschte hier vor, indem er die historische einmalige expansive Geldpolitik der US-Notenbank wie auch die Finanzblasen der vergangenen Jahrzehnte zu einer wirtschaftlichen Notwendigkeit erklärte. Spekulationsblasen und eine lockere Kreditpolitik hätten in der vergangenen Dekade nur ausgereicht, um „moderates Wachstum“ zu generieren, so Summers gegenüber der Financial Times. Ohne die Unterstützung durch „unkonventionelle Politik“ (Negativzinsen und Gelddruckerei in historisch beispiellosem Ausmaß) würden die USA und die wichtigen globalen Volkswirtschaften nicht mehr in der Lage sein, „zu Vollbeschäftigung und starkem Wachstum“ zurückzukehren. Die Blasenbildung überdecke dabei eine Periode lang anhaltender Stagnation, in der sich die Weltwirtschaft befinde, so Summers. Dieser Zustand könne noch „eine ziemlich lange Zeit“ anhalten. In der Financial Times sprach er gar von der Stagnation als einer „neuen Normalität“ (ironischerweise besteht eine Aufgabe der „Wirtschaftswissenschaften“ gerade darin, die haarsträubenden Zumutungen kapitalistischer Vergesellschaftung zur Normalität zu erklären).
Ähnlich argumentiert in der New York Times der bekannte US-Ökonom und Nobelpreisträger Paul Krugman, der angesichts der gegenwärtig zusammenbrechenden Spekulationen in vielen Schwellenländern ein globales „Zeitalter der Blasen“ konstatierte. In einem Blogbeitrag verfolgte Krugman die Spur dieser Blasenökonomie über die Internetaktienblase der neunziger Jahre und die Asienkrise von 1997/98 bis in die 1980er Jahre zurück, die „späten Jahre der Reagan-Expansion“. Krugman stimmt der Einschätzung Summers zu, dass „wir uns in einer Ökonomie befinden, die Blasen benötigt, um nahezu Vollbeschäftigung zu erzeugen“. Doch sei dies nicht erst seit der Finanzkrise von 2008 der Fall, „es ist wohl wahr seit den 1980ern, wenn auch mit einer zunehmenden Intensität“. Gut zwei Dekaden, nachdem Wertkritiker wie Robert Kurz diese Zusammenhänge dargelegt haben, macht die bürgerliche Ökonomie endlich Bekanntschaft mit der inneren Schranke des Kapitals.
Der aus der Entsubstanzialisierung des Kapitals resultierende Krisenprozess vollzieht sich als ein blinder, eigengesetzlicher Prozess hinter dem Rücken der Marktsubjekte; er nimmt für die Politik die Gestalt der berüchtigten, quasi objektiven „Sachzwänge“ an. Unfähig, jenseits des kapitalistischen Bezugsrahmens zu agieren, befindet sich die bürgerliche Politik somit in einer Krisenfalle: Sie kann nur zwischen verschiedenen Wegen in die Krise wählen. Die Politkaste kann einerseits bemüht sein, mittels Gelddruckerei und Konjunkturprogrammen (einer Verstaatlichung der Defizitkonjunktur) die Verschuldungsdynamik möglichst lange aufrechtzuerhalten, oder sie kann die Kamikazestrategie wählen und durch Sparprogramme einen deflationären Schock mitsamt dem folgenden Wirtschaftszusammenbruch auslösen. Für diese Variante entschied sich ja bekanntlich die deutsche Politik in Europa – die Folgen sind bekannt. Mittels Gelddruckerei, Konjunkturspritzen und Niedrigzinsen haben hingegen die USA und auch China auf den Krisenschub reagiert und das System stabilisiert – um den Preis der nun zusammenbrechenden Spekulationsdynamik in den Schwellenländern. Doch wie sollten die Folgen künftiger Verwerfungen auf den Finanzmärkten kompensiert werden, wenn bereits jetzt die Geldpolitik am Rande ihrer Möglichkeiten agiert?
Hier kommt ein weiteres Charakteristikum kapitalistischer Krisenpolitik ins Spiel: Es ist das Bemühen, die Krisenfolgen einfach auf andere Subjekte abzuwälzen. Der auf der heißen Luft immer wieder neu aufsteigender Blasen prozessierende Kapitalismus hat die Tendenz, immer neue Regionen seiner Peripherie einfach in den Abgrund fallen zu lassen. Volkswirtschaften und Staaten können dies vor allem durch eine aggressive Wirtschaftspolitik realisieren, indem sie möglichst hohe Leistungsbilanz- und Handelsüberschüsse erzielen. Bei dieser neomerkantilistischen Wirtschaftsausrichtung wird mit diesen Überschüssen logischerweise auch Arbeitslosigkeit und Verschuldung exportiert. Perfektioniert hat diese Strategie die BRD, die aufgrund der Agenda 2010 seit der Euroeinführung extreme Handelsüberschüsse gegenüber den Eurostaaten erzielte – um nach Ausbruch der Krise deren südliche Peripherie, die zuvor mittels der Handelsüberschüsse in die Schuldknechtschaft manövriert worden war, in den sozioökonomischen Zusammenbruch zu treiben.
Letztendlich ist in der gegenwärtigen historischen Phase einer tiefen Systemkrise erfolgreiche kapitalistische Wirtschaftspolitik nur noch auf Kosten anderer Wirtschaftsräume möglich. Die Illusion einer heilen kapitalistischen Arbeitsgesellschaft in der BRD beruht ironischerweise gerade auf den hierzulande verteufelten Auslandsschulden. Deswegen scheitert auch klassisch sozialdemokratische, auf Nachfragebelebung ausgerichtete Wirtschaftspolitik, wie jungst etwa in Frankreich (siehe Konkret 3/14). Die Stützung der Binnennachfrage führte bei offenen Märkten und einer gemeinsamen Währung einfach dazu, dass Frankreich gegenüber der BRD das größte Handelsdefizit aller Länder der Eurozone verzeichnete. Der französische Binnenmarkt dient somit – genauso wie zuvor die kollabierten Märkte Südeuropas – der Sanierung und Expansion der deutschen Industrie.
Das, was die BRD in der Eurozone vorexerziert hat – die Abwälzung aller Krisenfolgen auf deren Peripherie – vollzieht sich nun auf ähnliche Weise auf globaler Ebene gegenüber vielen Schwellenländern. Mit der Reduzierung der Anleihekäufe durch die Fed ändern die globalen Kapitalströme ihre Fließrichtung und kehren den von Kapitalabflüssen, Rezession, Massenarbeitslosigkeit und Pauperisierung bedrohten Schwellenländern zunehmend den Rücken, währen die Zentren aufgrund verstärkter Kapitalzuflüsse eine Stabilisierung erfahren. Davon hat sogar die krisengeplagte Eurozone aufgrund sinkenden Zinsniveaus profitiert: „Die Finanzprobleme der Schwellenländer verstärkten sogar die Attraktivität der Krisenländer im Euroraum,“ bemerkte etwa die FAZ. Die Schwellenländer sind als Rohstofflieferanten und Billiglohnstandorte von Bedeutung, nicht aber als Märkte. Die nun einsetzenden Verwerfungen in den Schwellenländern dürften kaum „zu einer ausgewachsenen Ansteckung“ der reichen Länder führen, beruhigte die Financial Times in einem Kommentar, da sie als Absatzmärkte keine allzu große Rolle spielten. Und genau darauf – auf die Begrenzung der Krisenfolgen auf die Semiperipherie – spekuliert die Fed bei der „Tapering“ genannten Reduzierung ihrer Gelddruckerei.
Den ungehinderten Zugriff auf die Rohstoffe und Ressourcen der nun vor dem Absturz stehenden Semiperipherie regelt das neue Welthandelsabkommen, das protektionistische Maßnahmen im globalen Süden massiv einschränkt. Zugleich forciert der globale Norden die Abschottungstendenzen gegenüber den zunehmend als Konkurrenz wahrgenommenen Schwellenländern – und hier insbesondere gegenüber China. Kein anderes Ziel verfolgt das angestrebte Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP). Beiden Seiten eröffne das Freihandelsabkommen die Möglichkeit, die „globale Führung“ des „alten Westens“ in einer multipolaren Welt erneut geltend zu machen, kommentierte das Wall Street Journal anlässlich der Aufnahme der Verhandlungen. Die Neue Zürcher Zeitung wurde noch deutlicher: Die TTIP diene nicht der „Liberalisierung des Handels“, sie stelle vielmehr in erster Linie einen Schutzmechanismus vor „allzu starker Konkurrenz“ dar. Die angestrebte Freihandelszone sei ein protektionistischer Versuch, „ein Handelsregime unter Ausschluss Chinas und anderer Schwellenländer zu schaffen.“
Das Kalkül dahinter erläuterte die Deutsche Welle: „Wo es viele Gewinner gibt, muss es auch ein paar Verlierer geben“, da die Volumina des Welthandels durch das TTIP keinen schnellen Anstieg, sondern eine Umleitung erfahren würden. Während die großen Handelsblöcke den Warenaustausch untereinander verstärken dürften, würden die Importe aus „Lateinamerika, Asien und Afrika“ in diese „Super-Freihandelszonen“ abnehmen. Die chinesische Zeitung Global Times kommentierte, dass das TTIP China „in die Ecke“ drängen würde, weil die Volksrepublik und andere Schwellenländer es sich nicht leisten könnten, aus diesem ausgeschlossen zu werden und letztendlich „mit an Bord“ kommen würden – zu Bedingungen des „Alten Westens“, versteht sich.
Schließlich reagieren die Staaten in den Zentren des Weltsystems mit verstärkter äußerer Expansion auf die krisenbedingt zunehmenden inneren Widersprüche und Verwerfungen. Nachdem Frankreich in wirtschaftspolitischer Hinsicht kapituliert und den Widerstand gegen den deutschen Sparsadismus aufgegeben hatte, kündigte die BRD ein verstärktes militärisches Engagement in Afrika an. Der forcierte Drang der EU nach Osten – bei dem Berlin wiederum die treibende Kraft bildet – hat die Zurichtung Russlands und des gesamten postsowjetischen Raumes zu einer Peripherie Europas zum Ziel. Durch die Intervention des Westens in der Ukraine sollte Russland die Möglichkeit genommen werden, das Kremlprojekt der „Eurasischen Union“ zu realisieren, das als Gegengewicht zur EU fungieren sollte.
aus: Konkret 4/2014