von Tomasz Konicz
Britanniens Regierung setzt rigorose Haushaltskürzungen um. Finanzminister verteidigt Steuervergünstigungen für Reiche und Abgabenerhöhungen für Benachteiligte
Premierminister David Cameron und sein Kabinett haben die Daumen über Millionen Briten gesenkt. Die liberalkonservative britische Regierung ist offenbar wild entschlossen, den größten Sozialkahlschlag in der Geschichte des Landes zu exekutieren. Die bereits zum Teil im Jahr 2010 beschlossenen Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung sind seit Anfang dieses Monats in Kraft – und der Protest dagegen reißt nicht ab. Am Dienstag sah sich Finanzminister George Osborne genötigt, den vor allem seine Handschrift tragenden Plan zu rechtfertigen.
Osborne gab sich betont volksnah. Vor Beschäftigten im Lager einer Supermarktkette verteidigte er die Kürzungen als hart, aber unumgänglich. Dabei gehen die Maßnahmen vor allem zu Lasten von Normal- und Geringverdienern sowie der Empfänger von Sozialleistungen. Denen ist durchaus bewußt, daß sie damit die Zeche für die Rettung der Großbanken zahlen. Nach Ausbruch der Finanzkrise waren nicht nur zahlreiche kleine Geldhäuser, sondern auch Giganten der Londoner City, wie die Royal Bank of Scotland oder Barclays, faktisch pleite und wurden vom Staat aufgefangen. Das brachte dem Vereinigten Königreich 2010 ein Haushaltsdefizit von rund elf Prozent des Bruttoinlandsproduktes ein.
Am Wochenende war der Chor der Kritiker nochmals lauter geworden. Neben Gewerkschaftsvertretern, linken Aktivisten und Parteien, meldeten sich auch Kirchenvertreter zu Wort und gingen auf Distanz zu den Plänen. Justin Welby, Erzbischof von Canterbury und damit geistliches Oberhaupt der anglikanischen Kirche, hatte bereits Anfang März davor gewarnt, daß »Kinder und Familien« am stärksten von den Kürzungen betroffen sein würden. Die neue Gesetzgebung könne »200000 Kinder« zusätzlich in bittere Armut treiben, so Welby. Am Sonntag kritisierten vier weitere Glaubensgemeinschaften die Maßnahmen als »ungerecht«, weil dabei die »Verwundbarsten« den höchsten Preis zu entrichten hätten. Der anstehende Kahlschlag sei von einer »falschen Auffassung« getragen, derzufolge die »Menschen ihre Armut irgendwie selbst verschuldet« hätten, so die Kirchenvertreter.
Dies sehen auch rund 250000 Briten so, die in einer Onlinepetition Arbeitsminister Iain Duncan Smith auffordern, ein Jahr lang von 53 Pfund in der Woche zu leben. Der Politiker hatte zuvor in einer Radiosendung behauptet, er könne das, nachdem ihm ein Arbeiter vorgerechnet hatte, daß dies genau die Summe sei, die ihm nach der Kürzung von Mietzuschüssen noch bliebe.
Besonders empört sind die Briten über die sogenannte Schlafzimmersteuer (Bedroom Tax). Bewohner von Sozialwohnungen müssen demnach mit Kürzungen ihrer Sozialhilfe rechnen, wenn diese aufgrund der neuen Reglungen als zu geräumig eingestuft werden. Bis zu einer Million Haushalte könnten hiervon betroffen werden – in jedem dritten lebt zudem ein Behinderter. Cameron und Osborne hoffen so, 465 Millionen Pfund jährlich »einsparen« zu können. Zudem soll ein großer Teil derjenigen, die bislang von der Zahlung der Gemeindesteuer aufgrund niedriger Einkünfte ausgenommen waren, jetzt zumindest teilweise zur Kasse gebeten werden. So will London zusätzlich 480 Millionen Pfund in die chronisch leeren Staatskassen spülen. Der linksliberale Guardian geht davon aus, daß bereits ab April auf rund 440000 arme Familien Mehrbelastungen von durchschnittlich 16,90 Pfund pro Woche zukommen werden.
Damit sich die Betroffenen nicht allzu sehr dagegen wehren, plant die Koalition, das juristische Vorgehen gegen die verschärften Regelungen zu erschweren. Haushalte mit einem Jahresverdienst ab 32000 Pfund sollen künftig keinerlei staatliche Rechtshilfe mehr in Anspruch nehmen können. Bei Familien, denen mehr als 14000 Pfund jährlich zur Verfügung stehen, wird nun eine »Bedürftigkeitsprüfung« durchgeführt. Das soll für den Etat weitere 350 Millionen Pfund bringen. Bei der Sozialhilfe entschied sich die Regierung, deren Erhöhung auf ein Prozent jährlich zu begrenzen, um sie so deutlich unter der Inflationsrate zu halten. Die lag jüngst bei 2,8 Prozent. Diese reale Kürzung – sie wird etwa 9,5 Millionen Menschen treffen – soll dem Staat insgesamt knapp drei Milliarden Pfund einbringen.
Auch das Renteneintrittsalter soll steigen, von 65 auf 66 Jahre (jährliche »Einsparungen«: rund fünf Milliarden Pfund). Und im öffentlichen Dienst wird weiter Jobkahlschlag betrieben. Rund 490000 Angestellte will Osborne in den nächsten vier Jahren auf die Straße setzen, für ihn bedeutet das nur rund acht Milliarden Pfund weniger Ausgaben.
Gekürzt wird auch das Arbeitslosengeld, das nur noch über einen Zeitraum von zwölf Monaten gezahlt werden soll. Überdies meldete die linke Zeitung Morning Star, daß die Regierung die Absenkung des in Großbritannien üblichen Mindestlohns plane. Die für dessen Festsetzung zuständige Low Pay Commission werde massiv unter Druck gesetzt. Schließlich soll der ohnehin zerrüttete britische Gesundheitsdienst stärker für den »privaten Wettbewerb geöffnet« werden. Mittelfristig soll das fünf Milliarden Pfund bringen. Komplettiert wird der Angriff gegen die Armen mit einem Bonus für Besserverdiener und Reiche: Eine Reform soll den derzeitigen Spitzensteuersatz von 50 auf 45 Prozent absenken.
Begleitet wird dieses »Sparprogramm« von einer Hetzkampagne der Regierung, bei der die – noch – arbeitenden Lohnabhängigen gegen die bereits arbeitslosen aufgewiegelt werden. Der Sozialkahlschlag komme vor allem »hart arbeitenden Menschen« zugute, behauptete Osborne am Dienstag: »Zu lange hatten wir ein System, in dem Menschen, die das Richtige tun, sich bestraft fühlten«. Man werde nun dafür sorgen, »daß sich Arbeit wieder lohnt«.
(Junge Welt, 05.04.2013)