von Franz Nahrada
Erweiterte Ausgabe eines Artikels aus der Zeitschrift CONTRASTE. Auf dem Kongress Solidarische Ökonomie in Wien werden an die zwanzig Veranstaltungen stattfinden, die sich bewusst zur Kernthematik „eine Welt ohne Geld“ bekennen. Der folgende Artikel wurde aus diesem Anlass geschrieben.
Es scheint, dass die Zeit der monolithischen politischen Organisationen in der antikapitalistischen Bewegung vorbei ist, dass aber dafür ein neues „organisiertes“ Phänomen die Runde macht, das immer größere Bedeutung gewinnt. Es handelt sich dabei um diskurspolitische Interventionen, den Versuch, über bestimmte Begriffe Schwerpunkte in unserem Denken und Handeln zu setzen. Mindestens drei solcher diskurspolitischer Interventionen sind in den letzten Jahren entstanden: der Diskurs um die Solidarische Ökonomie, der Diskurs zu den Commons und zuletzt um das bewusste Negieren des Geldes als Vergesellschaftungsmedium, die Demonetarisierung. Daneben gibt es freilich noch die Peer-to-Peer Ökonomie, den Diskurs um Susbsistenz und Kreislaufwirtschaften (Circonomy), das Wiederentdecken der Schenkwirtschaft und vieles andere.
Die Vermutung, dass es sich um verschiedene Aspekte ein und derselben Sache handelt liegt nahe, und doch ist es so, dass die einen am grundsätzlichen Verhältnis der ökonomischen Akteure zueinander (Solidarische Ökonomie, P2P Ökonomie, Circonomy), die anderen am kollektiven Bezug auf die inhaltlichen Elemente des Reichtums (Commons, Subsistenz) und die letzten an der Aufhebung der versachlichten und entfremdeten Form der ökonomischen Beziehung selbst (Demonetarisierung, Schenkökonomie) ansetzen.
Die weitere Vermutung ist dass diese Diskurse nicht nur im Bezug aufeinander, sondern auch immanent viele Antworten im Raum der Möglichkeiten entwickeln, wie wir besser leben und wofür wir uns einsetzen können. Ihr Pluralismus erscheint nicht als Mangel, sondern als Voraussetzung einer raschen und kreativen Entfaltung von Praktiken, die nur in ihrer Fülle und Vielzahl ein Jenseits vom kapitalistischen System möglich machen und Antworten auf die ungelösten Fragen dazu geben.
Eine Welt ohne Geld ?
Die Demonetarisierungsdebatte ist dabei so ziemlich der jüngste der Diskurse, und wahrscheinlich der schwierigste. Wie auch bei den anderen Diskursen geht es zunächst darum, zu entbergen, dass die herrschende Vorstellung vom Wirtschaften Praktiken ausgeblendet hat, die immer da waren und nur im Bewusstsein mehr oder weniger stark ausgeblendet waren.
Das Muster “Geldfreie menschliche Beziehung” hat dabei durchaus die doppelte Bedeutung, dass einerseits Geld nicht die menschliche Beziehung vermittelt, aber andererseits auch, dass die beteiligten Menschen gewaltfrei miteinander umgehen. Das Andere des Geldes ist eben gerade nicht die Kommandowirtschaft, Rationierung, Zuteilung, Anordnung – sondern die freie Übereinkunft und die Orientierung am menschlichen Bedürfnis.
Dabei richtet sich der Diskurs gegen eine Weltanschauung, für die das Geld nicht nur Garant der Freiheit ist, sondern die auch so tut, als sei Geld die natürlichste Sache von der Welt und das tauschende Verhalten (ich gebe nur, wenn ich direkten Gegenwert bekomme) nun einmal die Verkehrsform erwachsener Menschen schlechthin. Geld wird im herrschenden Denken zum “Kommunikationsmittel der Bedürfnisse” verklärt, mit dem schlichten “Argument”, dass im herrschenden Wirtschaftssystem das Bedürfnis ohne Geld stumm und machtlios ist. Da können Millionen Menschen verhungern, Milliarden in verschiedensten Formen der Verwahrlosung existieren, da können Gesundheit und elementare Existenz massenhaft draufgehen, die gute Meinung vom Geld – oder vielleicht einem anderen, besseren Geld – als notwendigem Kommunikationsmittel über Bedarf und Produktion ist nicht totzukriegen. Zumindest war das bis vor Kurzem so.
Gegen dieses hahnebüchene Bedingungsdenken – ohne Moos nix los, ohne Göd ka Musi – macht der Demonetarisierungsdiskurs zunächst einmal geltend, dass unsere vergangene und gegenwärtige Realität voller geldfreier Elemente ist, und dass die allgemeine Ausblendung auch darüber funktioniert, dass man diese in lauter Besonderheiten auflöst, statt etwas Allgemeines zu finden.
Von der ursprünglichen gebenden Liebe der Mutter zu ihrem Kind, sozusagen der geldfreien Urerfahrung jedes Menschen, die Genevieve Vaughan als Ausgangspunkt verschiedenster kultureller Praktiken rekonstruiert, über die Ethnographien von Schenkökonomien, Potlach-Ritualen, Stammes-, Hof- und Dorfgemeinschaften, wie sie zum Beispiel die Bielefelder Subsistenzforschung (Mies, Bennholdt-Thomsen, Werlhof) vorgelegt hat, über die Entdeckung von durchaus gewaltigen geldfreien bedürfnis- oder zielorientierten Beziehungsnetzen innerhalb von Orden, Gilden, Organisationen, Unternehmungen, hin zu intentionalen Gemeinschaften wie den Reduktionen der Jesuiten in Paraguay, den israelischen Kibuzzim und vielen anderen: eine Unmenge an Belegen läßt zweifeln an dieser behaupteten Universalität des Geldes. Moderne Entwicklungen wie die freie Softwareentwicklung oder die wachsende Bedeutung des Freiwilligensektors ergänzen diesen Befund.
Doch bleibt die Demonetarisierungsdebatte nicht beim Konstatieren und Verbinden von Fakten stehen. Sie fragt, wieso diese geldfreien Beziehungen vom Geld als “offiziellen” Medium der Kommunikation umhüllt, überlagert, durchsetzt, infiltiltriert werden konnten und können. Sie fragt weiters, welcher Leistung es bedürfe, um ein geldfreies System der Arbeiten und Bedürfnisse ins Recht und in die Wirklichkeit zu bringen.
Diese Debatte um und das Ringen um geldfreie Gesellschaften ist ja an sich keineswegs neu; im Urchristentum ist sie genauso zu finden wie in linken Strömungen der organisierten Arbeiterbewegung, im Anarchismus, Maoismus, Trotzkismus, bei Che Guevara: und dennoch erschien der Anspruch auf eine grundsätzliche Kritik des Geldes noch vor wenigen Jahren ein absolut toter Hund zu sein. Vielleicht auch deswegen: weil Geldfreiheit mit Unterordnung unter ein moralisches Diktat verstanden wurde. Schon Danton wusste, dass die Währung der Moral das Blut ist. Die elementare Abscheu davor hat die Geldgesellschaft in einer Art sekundären Moral lange zusammengehalten, getragen von der irrigen Annahme, dass mit Geld jeder nach seiner Façon selig werden könne und niemanden anderen um Erlaubnis fragen müsse.
Mit der Krise von 2008 entstand grundsätzliches Mißtrauen gegen die bisher sakrosankte Welt des Geldes. Eine Ahnung geht um, dass nicht die Gier einzelner Menschen „schuld“ ist am Zusammenbruch bisher noch als in obigem Sinn rational empfundener Verhältnisse, sondern dass es gerade die sachgemäße Entwicklung der Logik des Geldes selber ist, die zur massenhaften und unseligen Vernichtung von Reichtum und Lebenschancen führt. Diese Logik funktionierte nur mehr durch Simulation, durch Aufrechterhaltung eines an sich schon nicht mehr lebens- und existenzfähigen Zustandes. Das Mittel der Simulation war und ist die Verschuldung, die Erzeugung von Geld aus Nichts beziehungsweise aus dem vagen Versprechen, dass die Schaffung von Geld zur massenhaften Entstehung von geldwertem Reichtum führt. An diesem Versprechen und am Versuch, es praktisch wahr zu machen, droht unsere Welt gerade zugrunde zu gehen. Das Geld erzeugt mit ungeheurer Wucht eine Privatmacht, die sich über alles und jedes hinwegzusetzen droht und deren Werke so wenig durchdacht, so unkoordiniert, so redundant, so lückenhaft, so chaotisch, so aggressiv, so verschwenderisch sind, dass aller reale Reichtum, alles kulturelle Erbe, alle Zukunft darin verbrannt werden. Der Glaube, dass das ganze Spiel noch zu einem sinnvollen Resultat führen könnte, ist am Zusammenbrechen, ohne dass schon ein Ausweg sichtbar geworden wäre.
Deswegen ist die Frage nach der Welt ohne Geld keine esoterische Fragestellung mehr. Immer mehr Menschen beginnen sich zur Notwendigkeit zu bekennen, dieser verrückten Ökonomie ihren Nervus rerum zu ziehen, ihre fundamentale Macht zu brechen. Längst ist auch der prekäre Zusammenhang von Staat und Geld klar geworden. Das Politische, die scheinbar andere Seite der freien Willkür, hat sich nur auf der Grundlage des Geldsystems halten und entwickeln können. Jetzt wo das Geldsystem zusammenbricht steht auch der Kaiser ohne Kleider da. Die Finanzkrise des Staates ist zur Krise des Politischen selbst geworden, und alle Antworten in dessen Rahmen sind selbst nur mehr prekär und scheinhaft, weil sie immer von der Annahme dass Geld für die Wohltaten des Staates vorhanden sein muss ausgehen. [Die Grundeinkommensdebatte macht hier keine Ausnahme, sie ist einerseits das letzte Opium der Geldsubjekte, aber markiert andereseits auch einen Wendepunkt, indem sie auch schon auf ein Jenseits der Geldbeziehung schaut. Wenn man sich aber auch aus dieser illusionären Vorstellung heraushalten will, bleibt einem nichts anderes übrig als das Geld direkt infrage zu stellen.]
Diese grundsätzliche Infragestellung der Geldlogik ist aber wie gesagt schwierig, weil sie uns aufnötigt, aus all dem, was unsere Existenz heute ausmacht, theoretisch wie praktisch auszusteigen. Ausgangspunkt ist unter anderem die Feststellung, dass das Geld vom einzelnen Menschen gerade nicht aufgehoben werden kann, auch wenn es spannende Experimente gibt, geldfrei zu leben. Zu dicht ist das Netz der Abhängigkeiten, das um uns gewebt ist, zu wenig haben wir zu geben, auch wenn wir zumindest ab und zu noch einen Schlafplatz für Couchsurfer zur Verfügung stellen können. Spätestens beim Frühstück sind wir dann wieder von einer ganzen Welt von Ware-Geld-Relationen abhängig. Davon dürfen wir uns nicht beirren lassen. Der Gedanke muss sich herausnehmen, nach dem Grund zu fragen, auch wenn uns das kein Geld einbringt. Und nur wenn wir die Gesetze des Geldes durchschauen, können wir an eine wirkliche Aufhebung denken. Diese hat freilich mindestens vier Dimensionen.
Demonetarisierung als Theorie…
Die erste ist die Erklärung des Geldschleiers. Was ist das eigentlich für ein Kommunikationsmittel, das eindimensional immer nur eines kommuniziert: ich bin so viel, eine Zahl, ein rein quantitativer Ausdruck. Und zwar von allem. Ist das nicht extrem verrückt? Die Antwort gibt die Theorie. Weit davon entfernt, ein neutrales Schmiermittel der Ökonomie zu sein, ist das Geld durch seine universell quantifizierende und inhaltsleere Natur nichts anderes als die Form des Wertes: selbstzweckhafter Produktion von Zugriffsmacht auf gesellschaftlichen Reichtum. Geld kann niemals vernünftige Produktion steuern, es ist das Spiegelbild einer für Herrschaftszwecke eingerichteten Welt und von untereinander unkoordinierten Akteuren. Nur deswegen und nur dafür taugt ein „Kommunikationsmittel“, das nichts kommuniziert.
Die nächste Dimension bildet die Frage nach der Funktionsweise von geldfreien Gesellschaften — durch ein Denken, das sich die Freiheit nimmt, utopisch und visionär zu sein, und daher auch die Bedingungen präzis anzugeben vermag, die die Weiterentwicklung der Gesellschaft braucht.
Eine dritte Dimension besteht darin, die Triebkräfte und Energien zu indentifizieren, die im Bestehenden schon vorhanden sind, um das Geld überflüssig zu machen.
Und erst eine vierte Dimension umfasst die praktische Kunst, diese Triebkräfte zu aktivieren und zu verbinden, um wirkliche Veränderung herbeizuführen.
Die erste breite und weltweite theoretische Artikulation eines neuen radikalen Demonetarisierungsbewusstseins wird markiert durch den Film „Zeitgeist – Moving Forward“ des amerikanischen Filmemachers Peter Joseph, der seine Darstellung einer durch Geschäft und Gewalt malträtierten Welt in eine globale Revolte umkippen lässt, die sich spontan durch Wegwerfen von Geld artikuliert. Freilich steht zunächst ein recht fragwürdiges Bild einer geldfreien Gesellschaft bei dieser Wunschvorstellung Pate: die technokratischen Visionen von Jacques Fresco, der ein mit allen notwendigen Daten gefüttertes Elektronengehirn die Bedürfnisse und Ressourcen ein- und zuteilen lässt. Alle haben angegeben, was sie brauchen und wieviel sie freiwillig beitragen wollen, der Computer berechnet die optimale Verwendung der Ressourcen, und los gehts.?
…und als Praxis
Hier aber beginnen schon die Debatten. Wo beginnt die Freiwilligkeit? Was ist, wenn sich Bedürfnisse und Ressourcen nicht ausgehen? Hat nicht jeder andere Vorstellungen von der Welt, in der er leben will?
Offensichtlich ist der Diskurs auf diese Weise nicht zu führen. Demonetarisierung kann nicht vorgestellt werden als ein Zustand, den man vielleicht noch mit mathematischen Formeln beschreiben kann. Vielmehr ist Demonetarisierung verbunden mit der durchaus schmerzhaften (gleichzeitig furchterregenden und befreienden) Erkenntnis, dass eine Ablösung von Geld als Träger der Vermittlung menschlicher Kommandogewalt über fremde Arbeit nur zu haben ist, wenn aus dem wortlosen Kommando ein wirklicher Kommunikationsprozess geworden ist.
Mit anderen Worten: nur durch die Einübung und das Wiedererlernen einer Betrachtungsweise, in der die eigene Reproduktion, das eigene Bedürfnis im Kontext eines positiven Bezugs zu den Bedürfnissen anderer steht, ist Demonetarisierung zwischen Menschen denkbar. Nur wenn Ihnen ihr wirklicher Austauschprozess (nicht das Tauschen von Äquivalenten!) zu ihrem wahren Lebensprozess, zu ihrem wirklichen Bewusstsein geworden ist, können sie sich des Fetischs Geld entledigen. Das wird in verschiedenen Größenordnungen verschieden zu bewältigen sein.
Aber es gilt: Wer dem Geld adé sagen will, der verabschiedet sich auch von einer gewissen Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit. Dies wird ein langer Prozess sein, und er wird nicht an einem, sondern an verschiedensten Orten gleichzeitig beginnen. Vielleicht beginnt er auch mit „Inseln der Demonetarisierung“, mit wiederenstehenden Solidargemeinschaften, die sich in einem „Innen-Außen-Verhältnis“ zur Welt definieren.
Wir hören wieder Ausdrücke wie „Stamm“ und „Phyle“. Aber diesmal hat Demonetarisierung keinen moralischen Beigeschmack mehr: diese „Inseln“ wissen, dass sie keine Inseln bleiben dürfen, dass jeglicher „lokale Kommunismus“ immer wieder von der Macht des Geldes vernichtet worden ist. Sie müssen sich zur Aufgabe setzen, die einzig wahre Existenzbedingung einer geldfreien Gesellschaft herzustellen: ein globales Aggregat aus Angeboten die in Quantität und Qualität, in Originalität und Diversität die Welt des spektakulären und illusorischen Reichtums übertrifft, der als Ergänzung zu offener Repression das Begehren der funktionalen und funktionslosen Massen zu kontrollieren und zu kanalisieren versucht.
Die Antwort liegt also in der Mobilisierung globaler Wissenskooperation ebenso wie in der Bewahrung und Vervielfältigung kultureller Eigenarten; in der Entwicklung kooperativer Kreislaufschlüsse ebenso wie im Erzielen von neuen Graden der stofflichen Autarkie. Vielleicht ist das Beste, das wir sagen können, dass es in der Natur kein Geld gibt – und dass wir immer mehr bemerken, dass wir von dem grandiosen Zusammenspiel der Prozesse, der endlosen Zahl von Nischen und Besonderungen, der Biotope und Vernetzungen, der genialsten Technologien und der verschwenderischsten Schönheiten in der Welt vor dem Menschen unendlich viel lernen und es noch viel besser machen können.