von Franz Schandl
Der Sexualfetisch ist in der Konstruktion einer der einfachsten, in seinen unendlichen Varianten aber einer der raffiniertesten und delikatesten Gebrauchswertfetischismen. Aufdringlich, fixiert, früher meist verschämt, zusehends aber unverschämt und allgegenwärtig.
Einst dienten Überlegungen zum Thema in erster Linie dazu, Modell-Perversionen vorzuführen. Der Fetischismus galt als eine „Störung des Trieb- und Affektlebens“, wie etwa Wilhelm Stekel (1868-1940) in seiner voluminösen Studie gleichen Namens unermüdlich nachzuweisen versuchte. Auch Richard Krafft-Eibeling behauptete: „Der Fetischismus. Er beruht auf der Betonung der Vorstellung von einzelnen Körperteilen oder Kleidungsstücken des anderen Geschlechts, oder gar bloß Stoffen, mit welchen sich dasselbe zu kleiden pflegt, mit Wolllustgefühlen. Das Pathologische dieser Erscheinung ergibt sich u.a. grell daraus, dass der Körperteilfetischismus nie eine direkte Beziehung zum Sexus hat, dass ein Teileindruck vom Gesamtbild der Person des andern Geschlechts alles sexuelle Interesse auf sich konzentriert und dass in der Regel der Koitus beim Mangel des individuellen Fetisch unmöglich oder wenigstens nur unter Zuhilfenahme bezüglicher Phantasiebilder erzwingbar und selbst dann unbefriedigend ist. Ganz besonders zeigt sich das Pathologische der Erscheinung aber darin, dass der Fetischist als das eigentliche Ziel seiner Befriedigung nicht den Koitus betrachtet sondern irgend eine Manipulation an dem interessanten, als Fetisch wirksamen Körperteil oder Gegenstand.“ (Psychopathia sexualis. Mit besonderer Berücksichtigung der konträren Sexualempfindung. Eine klinisch-forensische Studie (1912), München 1993, S. 48-49) Für den Fetischisten ist „der Fetisch der ganze Vorstellungsinhalt“ (S. 176), dieser führe letztlich zu „psychischer Impotenz“ (S. 178). (Alles zitiert nach Hartmut Böhme, Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne, Reinbek bei Hamburg 2006, S. 390-391)
Version und Perversion
Das Urteil war gesprochen und es hallte lange nach. Doch schon bald kamen Zweifel auf an dieser doch rigiden Sicht. Sigmund Freud schränkte dezidiert ein: „Der pathologische Fall tritt erst ein, wenn sich das Streben nach dem Fetisch über solche Bedingung hinaus fixiert und sich an die Stelle des normalen Zieles setzt, ferner wenn sich der Fetisch von einer bestimmten Person loslöst, zum alleinigen Sexualobjekt wird. Es sind dies die allgemeinen Bedingungen für das Übergehen bloßer Variationen des Geschlechtstriebes in pathologische Verirrungen.“ (Drei Abhandlungen über die Sexualtheorie (1905), Studienausgabe, Frankfurt am Main 2000, Band V, S. 64) Und Havellock Ellis meinte bereits 1922, dass der Fetischismus „in seinem Wesen etwas absolut normales“, „lediglich eine ‚entwickelte und dissoziierte‘ Form des ‚erotischen Symbolismus‘“ sei. (Zitiert nach Valerie Steele, Mode, Sex und Macht, Berlin 1996, S. 54)
Wir beschreiben hier den Fetischismus nicht als Abweichung von irgendeiner Norm, sondern als spezifische und konzentrierte Fixierung. Sexuelle Fetischismen sind Versionen der Sexualität, keine Perversionen. Unterstellt man letzteres, werden sie diskriminiert, nicht bloß in diesem oder jenem konkreten Fall, sondern pauschal. Alles, was sich abweichend bewegt, wird tendenziell als pervers tituliert, nicht selten ist dies mit Ausschluss oder gar Repression verbunden. Aus Devianz wird Delinquenz. Die Fetischismen werden damit allen kritischen Debatten weitgehend entzogen und als abartig denunziert. Was artig ist, entspricht hingegen der geforderten oder tolerierten Konvention. Was sich außerhalb dieser vollzieht, steht unter Verdacht. Ein nicht unbeträchtlicher Teil sexueller Möglichkeiten wird diffamiert und somit in doppeltem Wortsinn unmöglich gemacht. Die Reduzierung der sexuellen Varianz, die Stigmatisierung gewisser Praktiken, die Degradierung bestimmter Vorlieben, das alles macht den Sex zu einer stets bedrohten Freude. Aus Lust wird Unlust.
Akzeptanz und Devianz
Ob eine sexuelle Handlung oder Haltung akzeptabel ist oder nicht, hängt nicht primär von ihr ab, sondern von den Umständen, in denen sie sich verwirklicht oder zeigt. Kurzum: die selbe Bewerkstelligung kann sowohl erfüllend als auch erdrückend wirken, entscheidend ist, wie die Beteiligten sie empfinden bzw. ob sie diese gewollt haben oder nicht. Es hängt also an der konkreten Kommunikation der Akteure, nicht an den Gegenständen oder Praktiken. Es gibt keine Perversionen an sich. Wenn jemand gern Schuhe schnuppert, ist das sozial wie ökologisch, sexuell wie individuell in jeder Hinsicht tragbar. Ob es auch ertragreich ist, ist keine Frage, die eine allgemeine Antwort erforderlich macht.
Hier Urteile abseits der jeweiligen Konstellationen zu treffen, ist absolut unseriös. Das Sexuelle und das Korrekte gehen sowieso nicht zusammen, ohne dass Ersteres völlig verunglückt. Es gilt aufzupassen, dass diese Correctness nicht generell zur Attacke auf Erotik und Libido wird. Der Terror der Norm ist meist größer (vor allem in Summe) als jeglicher Terror der Abnorm, wenngleich es solchen schon auch geben kann. Sexualität auf einen Codex zu bringen ist nur möglich, wenn man Phantasie Gewalt antun will.
Gelingende Sexualität ist eine menschliche Aufführung, die von ihrer Inszenierung oder besser eigentlich von ihrem Spiel weiß, aber dies in Momenten der Zelebration vergisst. Eins wäre weder verkopft noch hätte es den Kopf verloren. Menschliche Sexualität bleibt zweifellos eng an die Phantasie gebunden, ja letztlich ist sie deren Produkt. Phantasie ist kein Instinkt, sondern ein soziales Konstrukt, eine außernatürliche, d.h. kulturelle Leistung. Und diese ist an und für sich deviant. Kurzum: Das Extravagante und das Vagante sind nur Spielarten und Varianten.
Die sexuelle Konvention ist Ausgeburt eines domestizierten Fetischismus. Dieser ist, obwohl vorhanden, so ausgedünnt, dass er nicht als solcher wahrgenommen wird. Im Gegensatz zu seinen bösen Geschwistern gilt er als erlaubte und empfohlene Norm, mag sie auch langweilig und arm sein, weil in ihr lediglich das kontingentierte Potenzial an Entfaltungsmöglichkeiten realisiert wird. Im Prinzip ist dieser Standard (aufgrund gesellschaftlicher Zwänge und Zwangsvorstellungen) auf der Ebene einer niedrigen Triebabfuhr angesiedelt. Man sollte diese weder bagatellisieren noch akzeptieren.
Fetischismus heißt, dass das Performative und Partikulare, das Idealisierte und Fixierte, extrem auffällig in Erscheinung treten. So betrachtet wären Sexualfetischismen (wie übrigens auch alle anderen Alltagsfetischismen) nur Steigerungen oder Übersteigerungen von Motiven und Aspekten, die als gegeben anzunehmen sind. Die Fetischismen wären nicht anderer Qualität als das Gewöhnliche, sondern bloß von anderer Quantität und Signifikanz. Der Fetischist ist dann eben einer, der nicht das vorgegebene Maß einhalten möchte. Was den Komparativ betrifft, ist dieser nicht einfach als „besser“ oder „schlechter“ einzustufen, reichhaltiger ist er auf jeden Fall. Aber auch hier gilt es immer zu fragen nach den jeweiligen Situationen und nach deren Ausgestaltung, um Urteile zu treffen, die jenseits der Vorurteile sind.
Subtraktion und Surrogat
Standardisierter Sex ist subtrahierender Sex. Das Subtrahierte freilich verschafft sich auf Umwegen sein Recht, heute vornehmlich in der Pornographie. Die kann folgenloser konsumiert werden als etwa die Prostitution oder der Swingerclub. Pornographie ist besser als ihr Ruf, vor allem besser als die herrschende sexuelle Tristesse, allerdings ist und bleibt sie Surrogat, also Ersatz für das stets Versäumte, das auch dort nur simuliert werden kann. Aber es wird zumindest angesprochen, nicht einfach verdrängt oder gar verboten. In der Pornographie äußert sich das Versäumte voyeurisierend und masturbierend, aber nicht (oder äußerst selten) koitierend. Pornographie entledigt sich der Anstrengungen des Vögelns, gerade weil es virtuell um nichts anderes geht. Pornographie ist keine Begegnung zwischen Menschen, sondern eine zwischen Menschen und Artefakten.
„Es ist falsch, die Differenz von Pornographie und Erotik als Wesensunterschied zu interpretieren“, sagt Peter Gorsen. (Sexualästhetik. Grenzformen der Sinnlichkeit im 20. Jahrhundert, Reinbek bei Hamburg 1987, S. 80) Pornographie nimmt die sexuellen Mängel wahr und lindert sie auf ihre Weise. Pornographie ist der bürgerliche Abort unbefriedigter Geilheit. „Pornographie, sozialkritisch und sozialkreativ genommen, schillert in der insurgierenden Ambivalenz real unerfüllten Glücks und der Idee seiner realen Erfüllung. Indem Pornographie zugleich das von ihr Unerfüllbare festhält, setzt sie den Aufforderungscharakter zu ihrer eigenen Abschaffung. Sie verschafft Genuss, aber unbefriedigenden.“ (Ebenda, S. 90)
Es ist die Diskrepanz zwischen Akt und Veröffentlichung, auf der Pornographie sich konsolidiert. Wird das eine gewollt, gilt das andere als verpönt oder grenzwertig. Zwar lässt diese Spannung nach, aber vorhanden ist sie nach wie vor. So gibt es eigentlich keine pornographische Handlung, sondern nur eine pornographische Darstellung. Pornographie ist die bewusste Verletzung eines Tabus, das auf dem formellen wie informellen Gebot des Nichtzeigens beruht. Scham wird verletzt, Intimität gebrochen. Indes, warum soll man etwas, das ist, nicht zeigen? Pornographie ist kein Außen, das via Internet immer mehr in die Mitte der Gesellschaft rutscht. Es war nie an einem anderen Ort, es wechselt dort nur vom Untergrund in die oberen Stockwerke.
Das Exzentrische der obszönen Phantasie kommt nicht aus dem Genre, sondern ist Ausdruck vorhandener Begierden. Es sind Rekonstruktionen, die sich dort einfinden, verdichten und vehement illustrieren. So auf die Schnelle sind folgende Fetischisierungen augenfällig: eine Fetischisierung der Geschlechtsorgane, eine Fetischisierung des zentrierten Blicks, eine Fetischisierung von Kleidung, Utensilien, Accessoires, eine Fetischisierung ritueller Abläufe. Diese taxative Aufzählung beansprucht keine Vollständigkeit. Das Feld ist weit…
Pornographie ist also weniger eine Verzerrung der Geilheit als eine offensive und oft auch aggressive Demonstration derselben. Sie ist ein sonderbarer Projektionsapparat, der das Scharfe noch verschärft, oft bis zur ideellen Verätzung. Das macht mitunter Angst, zu Recht wie zu Unrecht. Es wäre jedenfalls an der Zeit, darüber zu sprechen, denn zweifellos steckt im Porno viel Wahrheit. Pornographie ist weniger falsch oder gar verlogen als das Hauptabendprogramm oder die flächendeckende Werbung. Pornographie ist gerade deswegen erhellend, weil sie die männlich-heterosexuell codierte Obszönität der Sexualität kenntlich zur Schau stellt. Da ist so ziemlich alles am Tisch. Sie bringt auf den Punkt, was nicht auf den Punkt gebracht werden dürfte. Sie hört mit dem Andeuten auf. Jedes Mal geht es zur Sache, von der es nur noch eine zu geben scheint.
Pornographie ist die Exhibition der Kopulation. Im Gegensatz zu ihrer großen Mutter, der alles ein- und aussaugenden Kulturindustrie, ist sie um einiges redlicher. Die Sexualästhetik reicht gegenwärtig ja weit über das Sexuelle hinaus, die Waren selbst versuchen sich permanent als sexuelle Erscheinung, vom Autoreifen bis zur Klobrille. Der PR-Bereich funktioniert nach diesen Gesetzen. Die gesamte Kulturindustrie ist pornoid ohne pornographisch zu sein. In ihr geht es ganz unverschämt, aber doch versteckt immer um dasselbe. Auf den Koitus wird angespielt, aber er wird nicht gespielt, obzwar nicht öffentlich, ist er stets zugegen. Insofern macht es durchaus Sinn, dass in Pornos Fernsehserien und Spielfilme gecovert werden. Was dort fehlt, wird jetzt nachgeholt. Das Unterschlagene reklamiert sich in die Produkte.
Serieller Koitus
Das Schlimme an der Pornoindustrie ist nicht die Pornographie, sondern die Industrie. D.h. jenes Aggregat, das dem billigen Produzieren von Matrizen dient und jede Ästhetik und Exklusivität ständig schlägt. In der Pornographie präsentiert sich die Schönheit der Geschlechter in ihrer derbsten Prägung. Nicht, dass sie den Koitus zeigt, ist ihr anzukreiden, zu kritisieren ist, dass sie ihn industrialisiert, d.h. ihn seriell fabriziert, sodass die Ähnlichkeit der Szenen schnell ermüdet. Pornostars und noch mehr die in Pornos auftretenden Nichtstars sind oft einem atemberaubenden Tempo der Vernutzung ausgeliefert, eben weil die Darstellerinnen und die (meist schlechter bezahlten) Darsteller von Sequenz zu Sequenz hecheln. Es sind gehetzte Akkordarbeiterinnen und -arbeiter, die sich in diesen Filmen tummeln. Die Frage ist nicht nur: Was haben sie zu zeigen?, sondern auch: Wie ist es ihnen dabei ergangen? Letztere lässt nichts Gutes ahnen.
Es ist das Fließband, das stört. Und die Flut. Demütigend und verletzend am Porno ist nicht die Sichtbarkeit des Akts, diese Offenlegung der Geschlechter und ihre Vereinigungen, sondern das Serielle der Form. Das unermüdliche Herstellen des immer Gleichen gleicht der Abfütterung des Publikums durch Fast-Food. Einmal mehr siegt die Redundanz der Ware. Die Singularität – ja auch jene der gestellten Szenen – wird zugemüllt. Sie werden ihrer Einzigartigkeit beraubt und als multiplizierbar betrachtet. In den exponierten Bildern verschwinden Gefühle und Empfindungen, Geilheit gebärdet sich totalitär und untergräbt damit auch ihr Vermögen. Es fehlt an Finesse. Lust deformiert sich zur Lüsternheit, Aufmerksamkeit verliert sich im Peeping. Es schmeckt nicht mehr, es ist alles zu viel. Die sexuelle Wüste des Alltags kontrastiert sich in einem Kaleidoskop eingebildeter Omnipotenz.
Doch diese illustrierte Geographie der Körper, insbesondere natürlich der Geschlechtsorgane, ist schon eine wilde und abenteuerliche Entdeckungsreise in eine uns zutiefst eigene Welt. Wenn jemand meint, da sei nichts zu lernen, irrt er gewaltig. Zweifellos verfügt das Genre inzwischen über inhaltliche Spektren und subversive Fähigkeiten, die man der Branche gar nicht zutrauen würde. Es ist doch nicht alles gleich und vieles harrt differenzierter Einschätzungen. Für die meisten Pornos aber gilt: Der fragmentierte Blick wird selten defragmentiert. Fixiert bleibt er isoliert, ist befangen am Gegenstand, den er dann nicht mehr deuten kann. Mögen die Bilder auch noch so eindringlich sein, sie leeren mehr als sie füllen. Sie sind ein Versprechen, das nicht hält und eingelöst werden kann, sondern lediglich als Versatzstück oder Lüge hängen bleibt. Hunger wird nicht gestillt, Durst wird nicht gelöscht, aber Interesse und Verlangen werden perpetuiert.
Die Erotik der Verdinglichung ist satt, aber schal. So macht dieser Fetischismus nicht heiß, sondern fühlt sich trotz der prächtigen Aufnahmen recht kühl und leblos an. Prototypisch dafür könnten etwa die meist gut gemachten Filme von Andrew Blake stehen. Männer erfahren darin zwar eine heilsame Relativierung, aber nicht durch die Wärme der Frauen, sondern durch ihre Kälte. Domestizierung hat Dominanz abgelöst. Newtonsche Modelle haben bei Blake laufen gelernt. Die Frauen treten auf als Herrinnen, die Männer als Statisten einer Staffage. Sex wird zu einer Frage von Styling und Stellung, von Make-up und Close-up. Diese Momente sind nicht bloß inkludiert (wogegen wenig zu sagen wäre), sondern sie exkludieren alles andere. Nicht dass die Geschichten meist ohne Geschichte sind, stört, was mehr stört, ist, dass Sexualität zu einem existenziell losgelösten Ereignis verkommt, dass Leben gar nicht mehr stattfindet, und wenn dann nur als billiges Luxussujet einer bourgeoisen Selbstbespiegelung firmiert, das nichts weniger als seine immanente Utopie preist. Da ist nichts Feuriges. In ihren schlechteren Passagen sind diese minimalistischen Filme von einer geradezu trostlosen Ernsthaftigkeit. Lachen kann man selten, doch Lust ohne Lachen ist keine.
Die sinnliche Entleerung findet natürlich nicht nur im inhaltlichen Genre, sondern auch im technischen Medium selbst ihr objektives Limit. Am allerauffälligsten ist das haptische Manko. Das Streicheln zu spüren ist erhebend und befriedigend, das Streicheln anzusehen hingegen äußerst langweilig. Was Haut und Hände können, das vermag kein Auge zu begreifen. So findet es auch keinen Eingang. Damit ist aber einem zentralen Aspekt der Sexualität der Weg in diese Filme abgeschnitten, die Berührung wird im Porno liquidiert resp. nur in der zugespitzten Form der Handgreiflichkeit ins Visuelle übersetzt. So wird das Auge in der Pornographie noch um vieles mehr überdimensioniert, als das schon im Alltag der Fall ist. Das optische Tier wird so gelegentlich zum optischen Ungeheuer. Wobei die virtuelle Macht eine Lächerlichkeit sondergleichen ist, ein Computerspiel für erwachsene Kinder, meist Knaben. Das ist übrigens auch gut so. Ähnlich wie dem Spüren ergeht es dem Schmecken und Riechen, sie sind im Porno nicht stellbar, weder vor noch dar. Auch Stimmung und Gefühl fristen ein trauriges Dasein, wirklich geglückt sind daher jene Szenen, wo es Regie und Choreographie gelingt, diese doch überspringen zu lassen. Darin, das Kaum-Präsentierbare zu präsentieren, besteht eine wirklich große Kunst.
Scham und Intimität sind gesellschaftliche Konstrukte ebenso wie Schamlosigkeit oder Exhibitionismus. Woher rührt nun die Darstellungseinschränkung und warum erleben wir gerade jetzt deren Niedergang? Folgt der verordneten Scham nun der verordnete Exhibitionismus? In einem Zeitalter, wo die Spannung zwischen Geheimnis und Exhibitionismus zusehends nachlässt, wird sich seine Position wohl ändern. Das einst Verschämte tritt ja immer unverschämter in Erscheinung, insbesondere in den virtuellen Welten gibt es keine Schranken mehr.
Nicht nur in der Pornographie herrscht das performative Gebot, die gesamte Kulturindustrie legt nahe, dass Aufführung und Ausstellung Pflicht sind. Die aktuelle Entwicklung ist äußerst zweischneidig. Einerseits ist sie eine Lockerung oder Aufhebung alter Verbote und Ächtungen, andererseits mündet sie in neue Verpflichtungen. Was man einst nicht zeigen durfte, das hat man auf einmal zu demonstrieren. Was läuft, ist eine Reformatierung, eine immanente Verschiebung der Akzente und Muster. Die Befreiung der Scham ist aber weder die Schamlosigkeit noch die Unverschämtheit, sondern ein selbstbestimmtes Individuum, das über sich und seine Grenzen selbst entscheidet. Nicht: Ich stehe zur Verfügung, sondern: Ich setze meine Fügungen.
Mehr, als es ist
In Schuhen mehr als Schuhe, in Strümpfen mehr als Strümpfe zu sehen, das sind durchaus schräge, aber keineswegs schreckliche Leistungen unserer geistigen und emotionalen Potenz. Manche Gelüste mögen etwas lächerlich sein, aber auch das spricht nicht gegen sie. Der Fetischismus macht freilich stets mehr aus alledem, er suggeriert, dass dem auch real so ist, nicht nur in seiner Imagination. Weil er diese als objektive Überwältigung inszeniert, nimmt er seine eigene Phantasie nicht ernst, sondern verdrängt sie durch Auslagerung. Im Fetischismus geben wir uns unseren Geschicken hin, ohne sie als solche zu erkennen. Strumpf und Schuh jedoch strahlen nichts aus, was wir nicht in sie halluzinieren. Warum gestehen wir den toten Dingen und leblosen Symbolen mehr Energie zu als unserer Sinnlichkeit, die doch das alles erschafft? Warum glauben wir diesen Kräften nur, wenn wir sie falsch positionieren?
Der eigenartigen Fragen wären gar viele: Warum ist die Übertragung einer Magenoperation weniger delikat oder appetitlich als die Übertragung eines Koitus? Nicht, dass ich das beantworten könnte, aber die Frage scheint mir gar nicht seltsam. Oder banaler: Was macht der Stöckelschuh, wenn er uns anmacht? Er tut gar nichts, aber er löst zweifellos etwas aus. Natürlich ist diese Phantasie spezifisch geprägt. Warum gerade High Heels mehr reizen als Gummistiefel wäre auf deren Entwicklung, auf die Historie von Bein und Schuh, und hier wiederum primär auf die geschlechtlichen Aspekte derselben zu untersuchen. Biologisch bedingt ist da aber gar nichts. Dass Frauen in Röcken zur Welt kommen, gilt inzwischen als widerlegt.
Der Sexualfetischismus hat eine sehr einfältige Geschlechtergeschichte. Der Mann ist das lenkende Wesen und die Frau hat das ledige und gestaltbare Unwesen zu sein. Implizit gilt das auch aktuell noch, selbst wenn die Geschlechter nicht mehr einfach biologisch bestimmbar sind. Dass Frauen nicht einmal zum Fetischismus fähig seien, wie es speziell die alten Fetischismustheorien postulierten, war jedenfalls nicht als Kompliment gemeint. Camille Paglia lobte den Fetischismus gar als Notwehrprogramm bedrohter Männer: „Der Mann ist Fetischist. Ohne seinen Fetisch würde die Frau ihn einfach wieder verschlingen.“ (Die Masken der Sexualität. Aus dem Amerikanischen von Margit Bergner, Ulrich Enderwitz und Monika Noll, München 1992, S. 47)
Mode und Magie
Der Zusammenhang von Mode und Magie, von Kunst und Fetisch ist so offensichtlich, dass jedes Leugnen sinnlos ist. In der Ästhetisierung sind ähnliche Mechanismen am Werk wie in der Fetischisierung. Keine Ästhetik ohne Ästhetisierung. Ästhetisierung äußert sich ja als konzentrierte Bewunderung und selektive Berauschung und hat nichts mit einer nüchternen Sichtung zu tun. Ja, ist Ästhetisierung ohne Anästhetisierung zu haben? Kann das Schöne auch außerhalb seiner Differenz wahrgenommen werden? Ist jeder Vergleich eine Wertung und somit schon durch den Wert kontaminiert?
Wird jemand als attraktiv bezeichnet, dann ist vorerst nicht von einem Menschen die Rede, sondern in welchem Ausmaße eine bestimmte Person den Maßen entspricht. Das mag traurig stimmen, aber alles andere wäre Lüge. Natürlich, nichts ist vergleichbar, alles ist einmalig. Aber wer auf den Tausch und die Werteskala trainiert ist, der vergleicht stets auf diese Weise. Dieser Maßstab ist im Kopf und unsere Sinne verhalten sich dementsprechend. Sie spuren. Selbst die Geschmäcker sind zu deuten als relative Abweichungen von den Normen.
Mode ist Bekleidung, die bewusst als Verkleidung auftritt. In der Tendenz ist das natürlich jede Kleidung, in der Mode jedoch wird dies extra hervorgestrichen und ständig betont. Das Extravagante macht sich einmal mehr zum Meister. Das Artifizielle hat das Funktionelle ausgebootet. Mode meint Modifikation des Körpers, und Fetisch meint diese noch weiter vorantreiben zu müssen. „Mode ist der Komparativ von etwas, wovon Fetischismus der Superlativ ist“, behauptete James Laver (Modesty in Dress, Boston 1969, S. 119). Im Fetischismus übertreibt die Gesellschaft sich selbst. Aber sie erfährt dadurch auch ihre Pointe: Sieh mich an und erkenne dich!
Fixierung und Fragment
Vor allem die Fragmentierung von Körperzonen durch Gegenstände und Utensilien wird als Akzentuierung par excellence erfahren. Nehmen wir etwa den Nylonstrumpf und betrachten wir das obere Ende desselben, dort also, wo dieser meist noch intransparent verstärkt die Haut darunter zum Verschwinden bringt. Gerade jene farbliche Diskrepanz zwischen Stoff und Fleisch ist absolut markant und unübersehbar. Schwarz erzeugt zweifellos den größten Kontrast, offenbart eine optimale Fokussierung. Der Oberschenkel wird also nicht bloß wie das übrige Bein besonders betont, jener wieder übertrieben gekantet. Drastisch ist das. Wo Körper und Gegenstand aufeinander treffen, ist die Entzückung am größten.
Damenstrümpfe sind etwa dazu da, Frauenbeine zu exhibitionieren. „Man sieht die Stelle zwischen Strumpf und Rock. Ich habe diese Stelle an den Mädchen sehr gerne. Überhaupt glaube ich, dass jeder Mann diese Stelle sehr gerne hat“, notierte Ödön von Horvath (Die stille Revolution. Kleine Prosa. Mit einem Nachwort von Franz Werfel, Frankfurt am Main 1975, S. 58). Es ist die scharfe Kante zwischen Haut und Produkt, die diesen immensen Charme auslöst. Nur die exquisite Kombination macht es möglich. Aber auch hier gilt: Was aktiviert und attraktiviert, ist der konstruktive Blick darauf. Es ist Einstrahlung, nicht Ausstrahlung. Das Sinnliche wie das Übersinnliche kommt von den gesellschaftlich dimensionierten Sinnesorganen, nicht von den Fetischen. Nicht die Fetische fetischisieren uns, sondern wir fetischisieren die Fetische. Die Fetische ergreifen uns nicht, wir ergreifen sie, auf dass sie uns haben. Schon Ludwig Feuerbach wusste: „Das Beispiel wirkt auf Gemüt und Phantasie. Kurz, das Beispiel hat magische, d.h. sinnliche Kräfte: denn die magische, d.i. unwillkürliche Anziehungskraft ist eine wesentliche Eigenschaft, wie die Materie überhaupt, so der Sinnlichkeit insbesondere.“ (Das Wesen des Christentums (1849), Stuttgart 1969, S. 225)
Scharf an der Kante ist die scharfe Kante. Sie figuriert als ein Zeichen mit vorgegebenen Mustern. Man springt auf etwas an. Die Raffinesse der Kantungen kann durch Multiplizierungen noch gesteigert werden, in etwa durch Tanstockings mit schwarzer Naht und schwarzem Rand, durch Netz- und Spitzenstrümpfe sowieso, wenn auch etwas anders konturiert. Kein sinnlicher Fetisch, der sodann nicht zu seiner industriellen Reproduktion findet.
Valerie Steele schreibt: „Die Beine sind der Weg zu den Genitalien. Strümpfe lenken die Augen des Betrachters beinaufwärts, während Hüfthalter die Genitalien rahmen. Vielen Männern erscheinen die Beine als Wegweiser zum gelobten Land, ein Effekt, der noch verstärkt wird, wenn sie mit Strümpfen mit Naht bekleidet sind.“ (Mode, Sex und Macht, S. 138) Wenn dies aber stimmt, und nichts spricht dagegen, dann ist diese Variante eine, die geradezu nicht auf sich, sondern auf das „normale Ziel“, nämlich auf den Koitus hin orientiert. Der Fetisch ist dann kein Ersatz, sondern Instrument, ja Vehikel, zumindest in der Suggestion. Das ist er zumeist. Das Verfahren, Extremfälle zu konstatieren und den Fetischismus an ihnen zu charakterisieren, ist unseriös. Der Fetischismus ist keineswegs als Krankheit zu identifizieren. Niemand wird das Essen verurteilen, weil es welche gibt, die sich zu Tode fressen.
Torso und Liebe
Zu erwähnen wäre auch die spezifische Attraktion des Torsos. Es ist der ins Visuelle übersetzte Wunsch zur Einschränkung des Gegenübers, nicht als Ganzes soll es wahrgenommen werden, sondern als Teil, als Ausschnitt. Bei Männern, die auf den vagabundierenden wie voyeurisierenden Blick trainiert sind, ist das besonders ausgeprägt. Man kapriziert sich. Pathologisch wird diese Sichtung, wenn sie chronisch wird, eins nur noch Brüste und Beine, Löcher und Ärsche zu visualisieren und natürlich auch anzuvisieren versteht. Die Lust am Partikularen ist am Steigen, während die Lust am Ganzen im Sinken ist. Das gilt nicht bloß hier, sondern überall. Es ist das Partikulare, das uns immer wieder fasziniert.
Die Reduzierung resultiert wohl aus dem Drang, nicht alles wissen zu wollen. Nicht weil man die anderen partout verachtet, sondern weil man sie als seinesgleichen erkennt, hat man so eine begrenzende Sicht. Was folgt ist ein partikulares Interesse am anderen, gerade so wie es die Warengesellschaft vorgibt. Man weiß doch nie, was so in einem anderen steckt. Daher konzentrieren wir uns nicht auf ihn oder sie sondern auf Aspekte, die zweckdienlich sein könnten.
Zuneigung ist schwierig, und so beschränkt man sich auf Interessen. Wahrnehmung zugeteilter Rollen ist ja auch offizielles Programm, Fragmentierung bürgerliche Konvention. An den anderen interessieren Funktionen und Rollen, die für uns nutzbar oder abwehrbar sind. Alles Verhalten der vom Kapital dominierten Subjekte baut auf partikularen Interessen. Nur die Liebe vermag dies in ihren besten Momenten zu überwinden. Da ist man dann tatsächlich bereit, den Anderen ganz hinzunehmen und sich selbst ganz hinzugeben. „Die alles Liebe ist die größte Kraft, die alles schafft“, skandierten Laibach auf Nova Akropola (1985). Aber das würde hier zu weit führen und natürlich auch eine Debatte provozieren, inwiefern nicht gerade die Liebe als bürgerliches Konstrukt, das sie auch, aber nicht nur ist, auf der gemeinsamen Täuschung aufbaut.
Fest steht: Liebe baut mit fetischistischen Materialien. Fiktionen sind es, die Balken biegen und halten. In der Liebe erkennen sich zwar Menschen uneingeschränkt als Menschen an, versetzen sich dabei aber doch in einen Sinnenrausch, der auch als selektive wie entschiedene Halluzination dechiffriert werden kann. Einerseits bedeutet Liebe, sich dem anderen auszusetzen und hinzugeben, das Individuum als Ganzes anzunehmen, nicht auf partikulare Gleise abzustellen. Andererseits tummeln sich die fetischistischen Projektionen. Alles, was behagt, wird zum Popanz und alles, was nicht behagt, kommt in den Orkus der Verdrängung. Man sieht, was man sehen will, und übersieht, was man nicht sehen will. Dieser Zustand ist nicht durchzuhalten, vor allem auch, weil er im Alltag regelmäßig verunglückt. Popanz und Verdrängung sind nicht von Dauer. Das Spektrum der Aufmerksamkeit ändert sich. So hält die Liebe nie, was sie verspricht, und verspricht sich doch immer wieder…
Um das ansprechende Ganze herzustellen, ist es freilich nötig, ganze Teile auszublenden. Nur so kann das Richtige im Falschen richtig werden. Man richtet es sich richtig. Das ist zweifellos überhaupt die gängige Methode, das Falsche einzuschränken, indem man es wegzaubert. Diese Notwendigkeit ist alles andere als zu verachten, in dieser Illusion blüht gar einiges, allerdings scheitert auch einiges gerade an ihr. Somit liegt in ihr auch bloß eine sehr begrenzte Perspektive, selbst wenn sie im Augenblick ihrer Erscheinung das allergrößte Glück verspricht.