Spekulationsblasen und Sparterror

Wie Berlin die derzeitige Liquiditätsschwemme nutzen will, um Europa nach deutschem Vorbild umzuformen

von Tomasz Konicz

„Krise? War da was?“ Mit dieser rhetorischen Frage, die mit dem immer kürzeren Erinnerungshorizont im Medienbetrieb kokettiert, leitete die Financial Times Deutschland (FTD) einen Bericht zur gegenwärtigen Aktienhausse ein. Während die Eurozone in die Rezession übergeht, feiert der deutsche Aktienindex ein regelrechtes Kursfeuerwerk, das ihn inzwischen über die Marke von 7000 Punkten katapultierte. Dabei ist diese jüngste Aktienrallye gerade auf die Krisenmaßnahmen zurückzuführen, die von der EZB zur Stabilisierung der Eurozone eingeleitet wurden.

Die europäische Zentralbank hat seit dem Dezember 2011 rund eine Billion Euro in den europäischen Finanzsektor gepumpt, um mittels dieser Liquiditätsschwemme taumelnde Banken zu stabilisieren und die Zinslast der Euroländer zu senken. Das Kalkül: Die Banken erhalten von der EZB unbegrenzte Kredite zu einem Prozent für drei Jahre, mit denen höher verzinste Staatspapiere der Euroländer gekauft werden sollen, um die Zinsdifferenz als Profit einzukassieren. Dieses Verfahren geht auch zum Teil auf, wie die jüngste Emission von spanischen Staatsanleihen verdeutlichte, deren Verzinsung auf inzwischen nur noch 2,4 bis 3,3 Prozent sank.

Zugleich fließt diese an die Banken zu Traumkonditionen verteilte Liquiditätsschwemme der EZB nicht nur in die Anleihemärkte, sondern auch in den Aktienmarkt oder auch die Immobilienmärkte. Das Grundprinzip ist einfach: Sobald genügend Geld ins Finanzsystem gepumpt wird, steigt irgendwo eine Spekulationsblase auf. Im Endeffekt setzt durch die Geldschwemme der Notenbank eine Preisinflation innerhalb des Finanzsystems ein, die ja nicht nur zur Aktienhausse, sondern auch zu den rasant steigenden Immobilienpreisen in der BRD beiträgt.

Direkte, zielgerichtete Aufkäufe von Staatsanleihen durch die EZB – die solche Spekulationsexzesse minimiert hätten – hat die Bundesregierung verhindert, um den Anschein zu wahren, keine inflationstreibende Geldpolitik zu betrieben. Im Endeffekt soll das Freigeld für die Banken, das erneute Spekulationsexzesse befördert, den von Berlin durchgesetzten Sparterror in Europa komplettieren: „Die EZB hat mit ihrem Geld, das sie den Banken gegeben hat, deutlich gemacht, dass sie den Euro auch stützen und das Bankensystem stabilisieren will,“ so Merkel Anfang März. In den kommenden Jahren soll nach dem Willen Merkels ganz Europa nach deutschem Ebenbild einer Art europäischer Agenda 2010 unterzogen werden. Bei der Kanzlerin kling das dann so: „Das bedeutet für uns, die Politiker, wir haben Zeit, die Wettbewerbsfähigkeit, das Wachstum, die Arbeitsplätze in Europa zu verbessern. Wir müssen unbedingt diese Zeit nutzen.“

Während die Liquiditätsschwemme für den Finanzsektor die Zinsen niedrig hält, soll also die gesamte Eurozone mittels drakonischem Sparterror, Lohnkahlschlag und Sozialabbau auf „Wettbewerbsfähigkeit“ und Haushaltskonsolidierung ausgerichtet werden. Dieses Vorhaben ist aber vollends illusionär. Letztendlich gleicht das Bemühen, die gesamte Eurozone auf eine totale Exportorientierung auszurichten, einem ideologisch verblendeten Kampf gegen die Arithmetik: Deutschlands Exportüberschüsse, die hauptsächlich zum Aufschwung beitragen haben, sind nur durch die Verschuldung in der Eurozone realisiert worden – eine Ausdehnung dieser Exportorientierung auf die gesamte Eurozone wäre ebenfalls nur auf Kosten anderer Volkswirtschaften oder Währungsräume möglich, die die gesamteuropäischen Handelsüberschüsse per Schuldenbildung aufnehmen müssten.

Dabei sind allein die Auswirkungen der bisherigen Austeritätsprogramme in Südeuropa schlicht desaströs. Die von Berlin durchgesetzte Rosskur wird kein Europa nach deutschem Ebenbild formen, sondern die ökonomisch strauchelnden Staaten Südeuropas – und hiernach den gesamten Währungsraum – vollends in die Depression führen.

Eine dramatische Verschärfung erfuhr etwa die Lage in Spanien, dass seit dem Amtsantritt der Rechtsregierung um Ministerpräsident Rajoy einen strikten Sparkurs verfolgt. Angesichts der bereits beschlossenen Sparmaßnahmen schrumpfte die Wirtschaftsleistung Spaniens im vierten Quartal 2011 um 03, Prozent gegenüber dem Vorquartal. Die Regierung Rajoy geht für dieses Jahr von einer sich verschärfenden Rezession aus, die zu einer Kontraktion der Wirtschaft um insgesamt 1,7 Prozent führen soll. Spanien wies im Februar die europaweit höchste Arbeitslosenquote von 21,2 Prozent aus, wobei die Jugendarbeitslosigkeit inzwischen sogar auf 46 Prozent angestiegen ist. Zum Vergleich: Vor Krisenausbruch lag die Arbeitslosigkeit südlich der Pyrenäen Mitte 2007 bei rund acht Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei circa 15 Prozent. Der Abschwung auf der iberischen Insel wird – ähnlich wie in Griechenland – durch eine einbrechende Binnennachfrage ausgelöst, die aufgrund der Sparmaßnahmen einbricht. So sanken die Einzelhandelsumsätze im Spa Spanien im vergangenen Januar um 4,8 Zähler gegenüber dem Vorjahreszeitraum, wobei die Dramatik des Einbruchs aus einer längerfristigen Perspektive sichtbar wird: Gegenüber dem März 2007 schrumpften die Umsätze des Einzelhandels sogar um 23 Prozent.

Diese sich zuspitzende Wirtschaftslage nötigte die Regierung Rajoy, den von der EU vorgegeben Sparplan infrage zu stellen. Ursprünglich wollte Madrid das spanische Haushaltsdefizit von 8,5 Prozent in 2011 auf 4,4 Prozent senken, doch die an Fahrt gewinnende Rezession lies die spanische Defizitprognose auf 5,8 Prozent ansteigen. Nach kontroversen Verhandlungen in Brüssel am vergangenen Montag musste Madrid weitere Einsparungen in Höhe von 0,5 Prozent des BIP zusagen, um eine leichte Erhöhung der Defizitgrenze auf 5,3 Prozent eingeräumt zu bekommen. Spanien müsse „größere Konsolidierungsanstrengungen 2012“ unternehmen, mahnte Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker, der zugleich bekräftigte, dass Spanien ab 2013 sein Haushaltsdefizit unbedingt unter Grenze von drei Prozent des BIP drücken müsse.

In Italien vertieft sich ebenfalls der anhaltende Abschwung, der bereits in der zweiten Jahreshälfte 2011 einsetzte. Selbst die EU-Kommission geht in ihrer Prognose davon aus, das im ersten Quartal 2012 die Wirtschaft südlich der Alpen um 0,7 Prozent gegenüber dem Vorquartal schrumpfen werden. Dabei könnte sich diese Prognose als zu optimistisch erweisen, da der jüngst gemeldete Einbruch in der italienischen Industrieproduktion mit rund 2,5 Prozent gegenüber dem Vormonat rund drei Mal so hoch ausfiel, wie von Experten prognostiziert. Die Technokraten-Regierung um den von Merkel und Sarkozy durchgesetzten Ministerpräsidenten Mario Monti hatte ebenfalls Austeritätsprogramme durchgepeitscht, die mit Mehrwertsteuererhöhungen, Rentenkürzungen und einer weiteren „Flexibilisierung“ des Arbeitsmarktes einhergehen – und die zum Einbruch der Binnennachfrage führten. So sanken die Pkw-Neuzulassungen in Italien im Februar um18,9 Prozent, was übrigens auch deutsche Hersteller wie Audi (-35 %), Mercedes (-14%) oder Opel (-40%) traf. Die Einzelhandelsumsätze sind in Italien bis zum Dezember aber noch relativ moderat um 6,3 Prozent gegenüber dem Hoch vom Februar 2008 gefallen, was aber angesichts der noch anstehenden Sparmaßnahmen – wie etwa weiterer Mehrwertsteuererhöhungen – sich rasch ändern dürfte.

Besonders hart haben die von Brüssel und Berlin oktroyierten Sparmaßnahmen Portugal getroffen, dass eine rasante Beschleunigung seiner Rezession erfährt: Im dritten Quartal schrumpfte die Wirtschaft Portugals um 0,6 Prozent gegenüber dem Vorquartal, im vierten Trimester waren es schon 1,3 Prozent. Für dieses Jahr erwartet das verarmte Land unterschiedlichen Prognosen zufolge einen Wirtschaftseinbruch von 3,3 bis zu sechs Prozent! Die Arbeitslosenquote stieg in Portugal inzwischen auf 14,8 Prozent, wählend die Rechtsregierung von Ministerpräsident Passos Coelho alle Hebel in Bewegung setzt (wie Massenentlassungen und Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst oder überstürzte Privatisierungen), um das Defizitziel von 4,5 Prozent für 2012 trotz Rezession zu realisieren.

Wohin diese von der Regierung Merkel ganz Europa verordnete Austeritätspolitik führt, illustriert der dramatische Zusammenbruch Griechenlands, das inzwischen buchstäblich in den Kollaps gespart wurde. Hellas – das allen Prognosen zufolge 2012 das vierte Jahr in folge in Rezession verbleiben wird – wurde durch den Sparterror Berlins und Brüssels in ein Dritte-Welt-Land zugerichtet, wie die Finantial Times Deutschland (FTD) meldete. Sollte die Kontraktion der Wirtschaft anhalten, werden Länder wie Peru oder Vietnam an Griechenland vorbeiziehen, so die FTD. Bei einer stärkeren Rezession würde sogar Bangladesh ein höheres Bruttoinlandsprodukt (in Relation zur Kaufkraft) aufweisen. Die Zeitung spricht von einem „historisch beispiellosen“ Kollaps der Wirtschaft: „Einige Experten fürchten, dass das BIP 2012 erneut um bis zu acht Prozent schrumpft nach voraussichtlich rund 6,5 Prozent 2011.“ Es handele sich „wohl um die schwerste Rezession der Nachkriegszeit in einem westlichen Land“, erklärte Barry Eichengreen, Wirtschaftshistoriker an der Universität Berkeley, gegenüber der FTD.

Dabei wird sich auch Deutschlands Exportindustrie dem Abwärtssog in der Eurozone längerfristig nicht entziehen können – trotz steigender Ausfuhren in Schwellenländer. Die Auftragseingänge der deutschen Industrie aus der Europäischen Union gehen inzwischen dramatisch zurück, wie die FTD berichtete:

„Bereits ab der Jahresmitte waren die Neuaufträge aus den Ländern der Währungsunion immer weiter eingebrochen, nachdem im Sommer die Schuldenkrise erneut eskaliert war. Zudem ging infolge starker Einsparungen in vielen Absatzmärkten die Nachfrage nach deutschen Produkten zurück.“
Quelle:
http://www.ftd.de/politik/international/:ausfuhren-euro-krise-peinigt-deutsche-exporteure/70007536.html

Der von Berlin durchgesetzte Sparterror wird letztendlich auch die vom Export abhängige deutsche Volkswirtschaft in Rezession übergehen lassen – und die in der BRD lebende Bevölkerung wird sich mit ähnlichen Kahlschlagsprogrammen konfrontiert sehen, wie sie gerade in Griechenland, Portugal oder Spanien durchgesetzt werden.

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