von Maria Wölflingseder
„Money makes the world go round, go round…!“ – Genau so ist es. So lange es Geld gibt, wird das Geld die Welt beherrschen. Die Aufgabe der Marktwirtschaft ist es, aus Geld mehr Geld zu machen. Ohne Gewinnmaximierung kein Überleben. Das ist der Zweck aller Übungen. Geld ist mitnichten ein unschuldiges Mittelchen zu schönen Zwecken, sondern durchdringt unser Leben bis in die intimsten Regungen. Alles – immer mehr auch jenes, das bis dato nicht für vermarktbar gehalten wurde – wird kommerzialisiert. Warum muss immer mehr in die Warenform gepresst werden? Weil dieses Wirtschaftssystem nur bei ständigem Wachstum funktionieren kann – auch wenn die Umwelt und die Menschen dabei zugrunde gehen. Die versuchten Reparaturen schlagen dann auch ordentlich zu BIP-Buche. Aber in einer endlichen Welt ist unendliches Wachstum unmöglich. Schließlich ist da noch die Konkurrenz, ebenfalls eine „natürliche“ Zutat unserer Gesellschaft. Sie gebärdet sich einmal lockerer, dann wieder kaltblütig.
Das Geld bzw. der Markt haben sukzessive Gott abgelöst und sind zu unserer neuen Religion geworden. Eine noch nie da gewesene universelle, totalitäre Religion. Wir können uns ihrem Zwang nicht entziehen. Die Anhänger von herkömmlichen Religionen wissen um ihre eigene Religiosität. Sie bekennen sich zu ihr. Nicht so die Mitglieder der Waren- und Geldkirche. Ihr tägliches Handeln ist so sehr theokratisch durchdrungen, dass die Religiosität als quasi-natürlich wahrgenommen wird und Reflexion kaum zulässt. Offenbar umso weniger, je härter die Zeiten sind. – Ein kurios anmutendes, aber durchaus verräterisches Ritual: Anstatt mit Weihwasser besprengt sich der heutige Gläubige mit „Liquid Money“. Dieses neue Parfum, dieser „Fragrance of Success“ ist als „His Money“ und „Her Money“ erhältlich und duftet nach frischen Dollarnoten.
All die aktuellen unerfreulichen Erscheinungen und Entwicklungen sind systemlogisch nichts Abnormes, sondern die immanente Fortsetzung des blinden Zwangs zur gnadenlosen Verwertung. Eine Wirtschaftsform, die auf Lohnarbeit beruht, muss jedoch aufgrund der exorbitant gestiegenen Produktivität im Zuge der mikroelektronischen Revolution an ihre strukturellen Grenzen stoßen. Über all die negativen Auswirkungen pflegt man sich heute allerorten eifrig zu empören, aber ihre tatsächlichen Ursachen zu erkennen, scheint das größte Tabu zu sein. So bewegt sich alle Kritik nur innerhalb der Mauern des Hochsicherheitstrakts (sicher für wen?). Sie ist lediglich bemüht, die „Auswüchse“ zurechtzustutzen. Hat das alles nicht längst die Lächerlichkeit von Botox-Spritzen für den Todeskandidaten Kapitalismus?
Aber nicht nur die Herrn und Damen Vertreter und Vertreterinnen der herrschenden Weltunordnung rechnen sich die Köpfe heiß, sondern auch die meisten Kritiker dieser Verhältnisse. Die besseren Rechenkünstler wollen sie sein. Die Geldreligion wird aber nicht infrage gestellt, sondern ihre Sakramente Arbeit, Geld und ökonomischer Wert werden nur erneuert. Die Nachfrage nach dieser Art von Reformation ist groß. Während die, die tiefer schürfen, zurzeit nur auf Granit beißen.
So sehr die Bemühungen jedes Einzelnen, die Verhältnisse zu verbessern, zu schätzen sind, sowenig kommen wir umhin, auf ihre Hilflosigkeit und letztlich auf ihre Wirkungslosigkeit hinzuweisen.
Ein kurzer Rundblick: „OikoCredit – in Menschen investieren.“ Diese Aufforderung einer Bank, die Mikrokredite vergibt, prangte kürzlich von Wiener Werbeplakaten. Muhammad Yunus hat diese Art von Kredit für mittellose Frauen in Bangladesch mit seiner Grameen-Bank forciert und bekam dafür 2006 den Friedensnobelpreis. Als entscheidender Beitrag zur Armutsbekämpfung wurden diese Kredite gefeiert und fanden viele Nachahmer. Heute wird die Kritik daran lauter. Gerhard Klas hat das Buch „Die große Illusion oder das Geschäft mit der Armut“ (Assoziation A, Berlin/Hamburg 2011) vorgelegt, in dem die Mikrofinanz-Industrie durchleuchtet wird. Mit dem Ergebnis: Das Kreditgeschäft funktioniert auf Kosten und nicht zum Nutzen der Armen. – Daran zeigt sich einmal mehr, dass die Marktwirtschaft samt und sonders nicht mehr funktioniert, auch nicht, wenn man Arme, egal ob in Europa oder in Asien, zu Ich-AGs macht.
Das Geld erfolgreich zu drehen und zu wenden, versuchen auch die Experten der Österreichischen Armutskonferenz, der Psychologe Martin Schenk und die Theologin und Philosophin Michaela Moser, in ihrem Buch „Es reicht! Für alle! Wege aus der Armut“ (Wien 2010). Ihr Credo: Geld ist genug da, man braucht es nur gerecht verteilen. Alles sei nur eine Frage des politischen Willens! Der Rechtspolitologe und Rechtssoziologe Nikolaus Dimmel bläst ins selbe Horn und stellt seine Rechenkünste unter – universitären – Beweis: Wenn Sie einem Börsenmakler und einem Sozialarbeiter jeweils 20 Euro geben – wer legt das Geld besser an, wer macht mehr Gewinn? Natürlich Letzterer.
Besonders bemüht um die Runderneuerung des Kapitals ist auch die Multifachfrau und Coach Angelika Hagen. Einfach, aber wirksam setzt sie ein „Sozial“ vor das Kapital. Wie in jedes Kapital müsse man auch in Sozialkapital, also in soziale Beziehungen investieren, um einen entsprechenden Ertrag zu erzielen. Und wenn wir einsehen, dass nicht Konkurrenz, sondern Zusammenarbeit der bessere ökonomische Wert sei, wären wir schon in einer neuen Ära! In ihrem „Lehrgang zum Sozialkapital-Manager“ an der Sigmund Freund Privat Universität (2009) und mit dem Baustein-Buch „Lernen ist Beziehung – Ein Spiel- und Übungsbuch zum Begreifen von Sozialkapital“, herausgegeben von Unterrichtsministerium (2011) reüssiert sie mit ihrem Konzept. Dazu gehören auch Ideen zu „Vermögenskultur und Sozialkapital“ oder „Lust auf Arbeit – Wie Arbeit aus freiem Willen Menschen beflügelt“.
Auch in der Esoterik-Bewegung – genauer im Esoterik-Business – tummeln sich nach wie vor Beflissene, die sich um die im Konkurrenzkampf erlittenen körperlichen und seelischen Beulen und Wunden in vielerlei Art kümmern. Etwa mit einem Wochenend-Angebot: „Ich-Marke. Werde zu dem Genie, das du bist!“ Auf dass die „Geldmagie“ ihre Wirkung entfalte. Das Wort „Kursgebühr“ oder „Kosten“ wird dabei gerne durch „Energieausgleich“ und ähnliche Euphemismen ersetzt.
Wie wäre es, anstatt all den Rechenkünsten und all der Sakrosanktifizierung von Geld, Markt und Wirtschaftswachstum der Phantasie freien Lauf zu lassen? Schon Albert Einstein hielt sie für wichtiger als Wissen. Denn Wissen ist beschränkt, Phantasie nicht.