von Stefan Meretz
Die Struktur der Commons illustriere ich gerne mit der nebenstehenden Grafik. In anderen Darstellungen geht es nicht um Commoning und Produkte, sondern das Commoning wird aufgetrennt in seine Aspekte Gemeinschaft und Regeln, während die Produkte sowie der (hier rote) rückbezügliche Pfeil zu den Ressourcen fehlen. |
Ich fand die Wiederentdeckung der Fähigkeit von Gemeinschaften, sich jenseits von Markt und Staat eigenständig Regeln zu geben, immer verständlich, meinte aber auch früher schon, dass die notwendige Betonung des sozialen Aspekts nicht zu Lasten der Tatsache gehen dürfe, dass aus all dem Commoning auch immer »was heraus kommt«.
Inzwischen denke ich, dass hinter der unterschiedlichen Weise der Illustration tatsächlich eine inhaltliche Differenz steckt. Diese Differenz bezieht sich jedoch nicht auf divergente Commons-Theorien, sondern auf unterschiedliche Commons und zwar auf den realen Unterschied von alten und neuen Commons. Ausgedrückt in Formeln sieht das so aus:
Alte Commons = Ressourcen + Gemeinschaft + Regeln
Neue Commons = Ressourcen + Commoning + Produkte
Alte oder traditionelle Commons beziehen sich vorwiegend auf vorfindliche natürliche Ressourcen, also auf Wasser, Wälder, Wiesen, Landschaften usw., sofern für diese Ressourcen ein in der Regel lokales Commoning existiert (die Atmosphäre gehört daher nicht dazu: ein globales Commoning existiert nicht). Sicherlich gibt es auch Aktivitäten der Neuschöpfung und Weiterentwicklung, doch sind solche Aktivitäten stets dem Ziel der Erhaltung existierender Ressourcen untergeordnet. Insgesamt sind traditionelle Commons ressourcen- und erhaltungsbezogen.
Mit neuen (engl.: »emerging«) Commons sind in der Regel solche Projekte gemeint wie Wikipedia, Freie Software, Open Design, Open Hardware usw. — also nichts, was wir vorfinden, sondern etwas, das wir neu schöpfen. Bestandteil von Neuschöpfung und Weiterentwicklung ist dabei als untergeordneter Aspekt immer auch die Erhaltung des bisher Geschöpften. Insgesamt sind neue Commons produkt- und entwicklungsbezogen.
Die Differenz von alten und neuen Commons wird deutlich, wenn wir uns nochmals die Gütersystematik vor Augen führen (siehe untere Abbildung). Dort ist eine der fünf Dimensionen die der Ressourcen, die unterschieden werden in solche, die wir vorfinden (»natürlich«) und solche, die wir herstellen. Der Begriff »natürlich« kann hierbei nur als Näherung verstanden werden, da es »natürliche« im Sinne von »unberührten« Dingen auf der Erdoberfläche kaum noch gibt (höchstens darunter).
Güter-Systematik
Vorfindlichkeit ist gleichwohl ein fließender Begriff, denn inzwischen wachsen Generationen heran, die etwa Freie Software »vorfinden«, während die natürlichen Ressourcen oft ebenfalls Resultat langandauernden Einwirkens und Gestaltens durch Menschen waren. Dennoch ist der Unterschied intuitiv klar: Bei traditionellen Commons sind Natur-Ressourcen selbst Gegenstand des Commoning (Erhaltung, Pflege, begrenzte Nutzung), während bei neuen Commons Ressourcen stets Ausgangspunkt für die Neuschöpfungen und Weiterentwicklungen sind. Dabei erweitert sich der Ressourcen-Begriff auf alles, was für diese Entwicklungen benutzt wird: also nicht nur Natur-Ressourcen, sondern ebenso Vorprodukte, Wissen, Fertigkeiten, Produktionsmittel usw.
Eine Zwischenposition — das wird hier nicht vertieft diskutiert, aber dennoch erwähnt – nehmen »soziale Commons« (eigentlich ein Doppelmoppel) ein, also solche, bei denen es um »unmittelbar soziale« Aktivitäten geht wie etwa die Pflege von jüngeren, älteren oder anderweitig unterstützungsbedürftigen Personen (engl.: »Caring«). Sofern es ein Commoning gibt (klar: kommerzielle Verwahrstätten gehören nicht dazu), handelt es sich um Commons, bei denen Schöpfung und Erhaltung in eins fallen.
Mal wieder ein paar Formeln zum Verhältnis von Produktion (Neuschöpfung/Weiterentwicklung) und Reproduktion (Erhaltung), wobei der Pfeil die Bedeutung von »ist Aspekt von« hat:
Alte Commons: Produktion => Reproduktion
Neue Commons: Reproduktion => Produktion
Soziale Commons: Reproduktion => Reproduktion
Sicherlich ist die (Sphären-) Spaltung von Reproduktion und Produktion ein Resultat kapitalistischer Entwicklung und nicht ewig und natürlicherweise die notwendige Art und Weise, die Lebensbedingungen der Menschen herzustellen und zu erhalten. Doch davon müssen wir zunächst ausgehen, sollten aber die Perspektive der Überwindung der Sphärenspaltung nicht aus dem Blick verlieren.
Dies alles so überlegt wird mir klar, warum es zwischen den »alten« und »neuen« Commoners so oft ein Unverständnis der jeweils anderen »Seite« gibt. Es handelt sich schlicht um eine reale inhaltliche Differenz, hinter der unterschiedliche Commons mit unterschiedlichen Praktiken stehen. Diese Differenz sollte nicht kaschiert, sondern offen thematisiert und möglichst begriffen werden. Dieser Artikel ist ein Vorschlag dazu.
Eine reale Aufhebung der Differenz von alten und neuen Commons wird erst jenseits des Kapitalismus möglich sein, da die kapitalistische Verwertungslogik den Unterschied von Produktion und Reproduktion erst als Gegensatz erzeugt und schließlich in (geschlechtlich, d.h. sexistisch strukturierte) Sphären geschoben hat.
Erst mit dem Aufkommen der neuen Commons ist die Perspektive der Aufhebung denk- und machbar geworden. Entscheidende neue Qualität, die die neuen Commons ins Spiel gebracht haben, ist die Vernetzbarkeit. In der obersten Grafik wird das durch den roten selbstbezüglichen Pfeil von den Produkten zu den Ressourcen veranschaulicht. Selbstbezüglich heißt hier nicht, dass es die gleichen lokalen Commons sein müssen, die eigene von ihnen geschöpfte Produkte als Ressource nutzen, sondern es können potenziell alle Commons sein.
Damit ist eine allgemeine Vernetzbarkeit aller Commons gegeben — ein Element, dass bei den traditionellen Commons so nicht vorhanden war. Sie konnten sich immer nur auf sich selbst im Sinne gleicher (Natur-) Ressourcen beziehen, was die Bildung von Meta-Commons (Commons von Commons in polyzentrischen Systemen) keineswegs ausschloß. Doch eine universelle Vernetzbarkeit und damit gesellschaftliche Verallgemeinerbarkeit ist erst auf Grundlage der neuen Commons möglich. Nun erst ist es möglich, an eine commonsbasierte Aufhebung der Warenproduktion zu denken.
Nebenbei gesagt widerspreche ich damit auch Vorstellungen, die von einem gleichsam beliebigen Ausstieg aus dem Kapitalismus oder von einem »Überspringen« der kapitalistischen Entwicklungsphase etwa auf Grundlage der unter feudalen Verhältnissen historisch gewachsenen Commons ausgehen. Erst die kapitalistische Entwicklung ermöglichte die Entstehung und Entfaltung der neuen Commons — technologisch wie auch sozial.
Das klingt sehr nach alten Über- und Unterordnungsverhältnissen. Dem ist aber nicht so. Aus meiner Sicht hat die Revitalisierung der Commons insgesamt mit der doppelten Krise des Kapitalismus zu tun: Die Warenproduktion ist immer weniger (bis drohend gar nicht mehr im Falle eines großen Crashes) in der Lage, die Lebensbedingungen der Menschen zu sichern, wobei sie gleichzeitig die natürlichen Lebensgrundlagen immer »effizienter« ruiniert. Auf diese doppelte Krise geben die doppelten Commons eine doppelte Antwort, sozial wie ökologisch — potenziell zumindest –, indem sie im Kern (=Keimform) eine neue Produktionsweise verkörpern.
Die »alten Commoners« bringen ihre Erfahrungen bei der Erhaltung natürlicher Ressourcensysteme ein. Darauf können sie sich aber nicht ausruhen. Sie müssen neues hinzu lernen, das durch die neuen Commons in die Welt gekommen ist und die Chancen auch für »ihre« Commons erkennen. Die »neuen Commoners« hingegen bringen aus der kapitalistischen Kernlogik oftmals einen Produktivismus mit, der leicht natürliche Grenzen aus dem Auge verliert. Da müssen die »neuen Commoners« hinzulernen. Und alle zusammen müssen schließlich einsehen, dass dies nur jenseits der Warenproduktion geht. Das ist die aktualisierte Bedeutung des Slogans des »jenseits von Markt und Staat«.
Müssen? Ja, heraus führt kein Weg dran vorbei.