KOLUMNE Immaterial World
von Stefan Meretz
Warum gibt es einen Kopierschutz? Was schützt er vor wem? Schlichte Fragen, deren spontane Antworten auf die vorherrschende Denkform in der Warengesellschaft verweisen: Das „geistige Eigentum“ müsse nun einmal vor Diebstahl geschützt werden, denn ein jeder schließe auch seine Haustür ab, damit der Fernseher nicht weggetragen werde.
Mal abgesehen davon, dass das uns so vertraute Haustürabschließen keineswegs weltweit die Regel ist, ist auch die Analogie zur stofflichen Welt unangemessen. Sie ist willkürlich erzeugt, sie ist ideologische Form. Die digitale Kopie tastet das Original nicht an, sie nimmt nichts weg, sondern fügt der Welt höchstens etwas hinzu. In vielen asiatischen Gesellschaften ist gar die Kopie etwas Edles, Anzustrebendes. Der Kopist ahmt den Meister nach, will die Nachahmung, die Kopie, perfektionieren, will den Meister überbieten, um selbst Meister zu werden. Hierin steckt ein Verständnis der Kumulation menschlichen Wissens, das westlichen Gesellschaften abgeht. Umgekehrt ist die „westliche“ ideologische Form der „Raubkopie“ in vielen asiatischen Ländern schlicht nicht verständlich. Aber auch hierzulande kann das Alltagsbewusstsein der „Generation Handy“ nur noch schwer nachvollziehen, wem denn etwas verlustig geht, wenn eine digitale Kopie zum persönlichen Vergnügen erstellt wird – wovon auch immer.
Lässt sich das, was in den Denkformen brüchig wird und anderswo sich noch nicht vollständig durchgesetzt hat, die Ideologie des „geistigen Eigentums“, der „Raubkopie“ und mithin des „Kopierschutzes“, auch auf die politisch-ökonomische Verfasstheit der bürgerlichen Gesellschaft zurückführen?
Eine zunächst erforderliche inhaltliche Bestimmung dessen, was Kopie genannt werden kann, wird aus der begrifflichen historisch-logischen Rekonstruktion ihrer Genese im Kapitalismus gewonnen. Es geht dabei nicht um eine Geschichtserzählung, sondern um die begriffliche Abbildung des logischen Nacheinanders von notwendigen Entwicklungsschritten. Die Rekonstruktion ist mithin auch nicht zu verwechseln mit der Geschichte der Rechenmaschine. Danach werden die gewonnenen Begriffe der Kopie auf ihre ökonomische Form hin untersucht, womit wir dann in der Lage sind, Begriff und Bedeutung des Kopierschutzes aufzuklären.
Beginnen wir also mit der Kopie. Was ist eine Kopie? Die Kopie ist Ergebnis einer Reproduktion, einer Realisation eines Vorgestellten oder dem Nachmachen eines bereits Hergestellten. Im Englischen wird das auch sprachlich deutlich: „copy“ als Substantiv bedeutet nicht nur „Duplikat“, sondern auch „Exemplar“.
Begriffliche Abgrenzungen sind erforderlich. War bisher von der digitalen Kopie die Rede, so soll nun der Blick geweitet und die Formen der physischen und analogen sowie digitalen Reproduktion unterschieden werden. Dabei ist jeweils die Seite des Produkts und des Produktionsprozesses zu betrachten.
Die physische Kopie
Das Nachmachen oder Nachahmen eines stofflichen Produkts gilt als Plagiat, wenn die fremde Urheberschaft nicht offenbart, sondern als die eigene vorgeführt wird, und es gilt als Fälschung, wenn eine mit dem Hersteller des Nachgemachten identische Urheberschaft behauptet wird, die Kopie sich also als Original ausgibt. Das Nachgemachte entspricht jedoch nie vollständig dem Ausgangsgegenstand, Original und Kopie weisen stets nicht nivellierbare stoffliche Differenzen auf. Es wird mithin nicht die Sache selbst reproduziert, sondern vor allem die Idee, indem das Nachgemachte in seiner Physis möglichst dem Original angenähert wird.
Das Nachmachen setzt Wissen um den Herstellprozess voraus, das beim Kopisten vorhanden sein muss, da sonst die Kopie nicht gelingt. Die Kopie ist mithin stets als Prozess und Resultat zu begreifen. Auf der Seite des Prozesses geht es um das Produktionswissen und auf der Seite des Resultates um den Produktzweck.
Plagiat und Fälschung wurden schon historisch früh geächtet, während die offenbarte Kopie als das Nachmachen ohne falsche Urheberschaftsbehauptung erst mit dem Aufkommen der Warengesellschaft delegitimiert wurde. Was als akzeptable und verwerfliche Kopie gilt, ist Resultat gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und nicht substanziell zu begründen. Heute sind etwa Nachahmerprodukte zulässig, wenn sie viele Eigenschaften eines „Originals“ repräsentieren, nicht jedoch alle.
Historisch fällt die unmittelbar physische Kopie sowohl in die Phase der vorkapitalistischen, handwerklichen Reproduktion von Artefakten wie in die der Manufaktur-Produktion im beginnenden Kapitalismus. Der intendierte Zweck des Produkts – wofür es da sein soll – ist hier noch vollständig als Produktionswissen auf Seiten der tätigen Personen konzentriert. Die Manufaktur unterscheidet sich von der handwerklichen Produktion durch die formale Unterordnung der Arbeit unter ein Kapital, das sich die Waren und damit den Mehrwert aneignet, während der Handwerker über seine Arbeit noch selbst bestimmt und sein Produkt selbst verwertet.
Die gesellschaftliche Bedeutung wird als realisierter Zweck im Produkt vergegenständlicht, das Produktionswissen bleibt als intendierter Zweck hingegen flüchtig, da es außer in symbolischen Repräsentanzen – Entwürfe, Pläne, Modelle – fast keine stofflichen Fixierungen erfährt. Das verändert sich fundamental mit der industriellen Revolution. Die Kopien als Ergebnisse des ungenauen manuellen Reproduktionsprozesses besitzen eine so unterschiedliche individuelle physische Qualität, dass sie als Unikate anzusehen sind. Unmittelbar physisches Kopieren führt also auch in dieser Hinsicht stets zu individuellen Produkten, gleichsam stofflichen Originalen. Allein der Zweck wird mit jeder neuen Realisation vervielfältigt.
Kopie und Kopierschutz im Medium des Stofflichen
Die handwerkliche Kopie als wiederholtes Herstellen des gleichen Produkts war implizit dadurch begrenzt, dass der Handwerker Wissen über den Herstellprozess besaß, das dem fertigen Produkt nicht ohne weiteres anzusehen war. Dieser mehr oder minder große Wissensvorsprung konnte durch andere manuelle Kopisten jedoch aufgeholt werden. Zünfte, Gilden und herrschaftlich vergebene Privilegien fungierten hier als „Kopierschutz“.
In dem Maße, wie mit der industriellen Revolution Werkzeuge und Prozesswissen „in“ die Maschinerie transferiert wurden, wuchs die Bedeutung des vergegenständlichten Wissens. Die manuelle Produktkopie konnte mit dem industriell gefertigten Produkt nicht mehr konkurrieren, da ihre Herstellung zu aufwändig war. Das Kopisten-Interesse richtete sich nun auf die
(Kopier-)Maschinerie selbst. Diese wiederum, d.h. ihre Bau- und Funktionsweise, musste geheim gehalten werden, da sie in gegenständlicher Form einen wesentlichen Teil des Kopierwissens repräsentierte. Oft waren es die Kopisten des maschinell verkörperten Kopierwissens, die als „late adaptors“ Fehler in der ursprünglichen Maschinerie vermeiden und diese verbessert kopieren konnten. Experten auf diesem Gebiet waren etwa deutsche Firmen, die den technologischen Vorsprung englischer Produzenten aufholen und schließlich überflügeln konnten – bis sie selbst ihren Vorsprung mit staatlicher Hilfe gegen andere Kopierbegehren zu sichern wussten. Zentrales Mittel war das Patent, die staatlich abgesicherte befristete Monopolgarantie der Verwertung.
Ökonomisch erweisen sich die stofflichen Massenkopien als ganz normale Waren. In getrennter Privatproduktion hergestellt, werden sie auf dem Markt gegen Geld getauscht und erlangen auf diese Weise gesellschaftliche Geltung und Allgemeinheit. Der Markt fungiert als Indirektion, der die Privatarbeiten miteinander vermittelt und gesellschaftlich verallgemeinert. Vermittlungsmaßstab ist dabei nicht die Nützlichkeit, sondern der Wert, also der für die Produktion der Waren gesellschaftlich-durchschnittlich erforderliche Arbeitsaufwand. Damit erzwingt der Markt als Mittler der Privatarbeiten die Aufspaltung in Gebrauchswert (der Nützlichkeitsabstraktion) und Wert (der Arbeitsabstraktion). Gesellschaftliche Allgemeinheit erlangen die Waren vermittels ihrer Arbeitsabstraktion, der abstrakt-allgemeinen Arbeit.
Die analoge Kopie
Mit der Industrialisierung beginnt die Epoche der kapitalistischen Massenproduktion. War die handwerkliche Kopie aufgrund ihrer je individuell unterschiedlichen reproduktiven Qualität – wie das Original selbst – ein Unikat, so ist das Massenprodukt aufgrund der in der Maschine vergegenständlichten und damit objektivierten „Handwerkertätigkeit“ strukturell gleichförmig. Nicht eine stoffliche Vorlage ist Vorbild für die singuläre handwerkliche Reproduktion, sondern eine objektivierte algorithmische Produktionslogik definiert das beliebig oft hervorzubringende Produkt.
Der intendierte zu vergegenständlichende Zweck liegt also nicht mehr als lebendiges Erfahrungswissen beim Handwerker vor, sondern wird als ingenieurmäßig zergliedertes und resynthetisiertes Wissen „in“ eine Maschinerie implementiert. Das Wissen um den intendierten Zweck ist vom Menschen in die Maschine gewandert und kann nun als analoge Stoff-Kopie massenhaft realisiert werden. Das Massenprodukt als Analogkopie ist also multipler Träger des immer gleichen Gebrauchszwecks, der als Doppelverhältnis von Gebrauchswert und Wert schließlich in die Warenzirkulation eingeht. Was hier kopiert wird, ist der Gebrauchszweck, aber nicht die Produkt-Inkarnation. Trotz Gleichförmigkeit sind die einzelnen Kopien nicht identisch, sondern nur analog. Es bleibt jedes einzelne Produkt „Individuum“ mit je eigener „Biographie“ der Vernutzung.
Die Massenproduktion ist eine Voraussetzung für die Entwicklung hin zu stoffneutralen Produkten. Während bei stofflich gebundenen Produkten Nützlichkeit und gesellschaftliche Bedeutung unmittelbar in ihrer physischen Beschaffenheit aufgehen, sind stoffneutrale Produkte solche, bei denen die physische Gestalt nur als Träger von Relevanz ist. Hiermit sind vor allem Wissensprodukte gemeint. Analoge Kopien beziehen sich somit nicht nur auf stofflich gebundene Massenprodukte, sondern auch auf prinzipiell stoffneutrale Inhalte auf stofflichen Trägermedien. Produktzweck und -bedeutung werden nun nicht mehr von der stofflichen Beschaffenheit des Trägers, sondern vom getragenen Inhalt bestimmt.
Der Text eines Buches mag als gebundene Ausgabe oder als Paperback erscheinen und unterschiedliche ästhetische Qualitäten aufweisen, der Text selbst ist davon jedoch in der Regel nicht betroffen. Vergleichbares gilt für Musik oder Film, die zur Aufzeichnung verschiedene Trägermedien verwenden. Da hier nichtstofflicher Inhalt und stofflicher Träger getrennt sind, ist zwar ein Plagiat am Inhalt erkennbar, eine Fälschung hingegen nicht so ohne weiteres. So musste auch erst der Begriff des Raubdrucks geschaffen werden, um in der frühen Neuzeit den Nachdruck gut verkaufter Bücher zu ächten, da es noch kein exkludierendes Verwertungsrecht gab. Auch das Zitat als sozial zulässige Form der Reproduktion entstand in diesem Kontext. Während zunächst gar die Urhebernennung nicht obligatorisch war (etwa im Musikzitat), ist sie heute rechtlich abgesicherte Pflicht (Texte) oder muss gesondert erlaubt und ggf. lizensiert werden (Musik etwa bei der GEMA bzw. AKM).
Die auf separate Träger transferierten Inhalte können sich nun ihrerseits auf die Produktion selbst beziehen. Damit können algorithmisches Produktionswissen und die maschinelle Form, die dieses Wissen annehmen kann, gegenständlich getrennt werden. Frühe Beispiele sind Jacquard-Webstühle, bei denen ein Teil der Produktionslogik in Form von gelochten und zusammengebundenen Holzbrettchen oder Pappkarten getrennt von der Maschine vorliegt und je nach intendiertem Zweck gewechselt werden kann. Die Maschine erzeugt ihre Prozessschritte durch unmittelbar mechanisches Auslesen der Karten-Löcher. Das Webmuster als Teil des Gebrauchszwecks ist nun von der Maschine in eine externe Repräsentanz gewandert.
Die Lochkarten des Jacquard-Webstuhls sind stoffabhängig. Sie können zwar aus Holz (wie anfangs) oder aus Pappe (wie später) oder einem anderen Material (etwa Kunststoff) bestehen, doch sie müssen den physischen Anforderungen der maschinellen Auslesemechanik genügen. Die Neutralität gegenüber dem Stoff bezieht sich hier also auf den Inhalt, auf das sich von der Maschine emanzipierte algorithmische Produktionswissen. Die Maschine repräsentiert nun nicht mehr einen spezifischen Gebrauchszweck, sondern ist diesem gegenüber tendenziell neutral. Wer nur das Produktionswissen kopieren will, muss nun nicht mehr die Maschine nachbauen, sondern nur noch die gelochten Brettchen. Doch diese Reproduktionen müssen zur Maschine passen, für die sie gemacht sind, was die Materialwahl eng begrenzt und eine bestimmte Qualität der analogen Kopie voraussetzt, die nicht unterschritten werden darf, damit die Lochbrett-Kopie mit einer baugleichen Maschine ebenfalls funktioniert. Insofern ist der automatische Webstuhl immer noch eine Spezialmaschine, allein das Produktspektrum (das Webmuster) hat sich erweitert. Diese zweckbezogene Stoffneutralität in Bezug auf den Wissensinhalt bei gleichzeitiger Stoffabhängigkeit des Wissensträgers wird erst im digitalen Zeitalter überwunden.
Analoge Kopie und Kopierschutz
Mit der Trennung von Ausführungsmaschine und Wissensträger richtet sich das Kopisten-Interesse nun auf beide Aspekte. Da die Ausführungsmaschine im analogen Zeitalter eine Spezialmaschine ist, die einen stofflich-spezifischen Wissensträger benötigt, um als komplette Maschine fungieren zu können, sind beide isoliert voneinander funktionslos. Gegeben jedoch, die Ausführungsmaschine liegt vor (etwa weil als Produktionsmittel erworben), so ist nun der Wissensträger, der die Produktionslogik repräsentiert, im Kopisten-Fokus. Können die passenden Lochbrettchen des Jacquard-Webstuhls kopiert werden und liegen die Rohstoffe vor, so steht der Produktion der neuesten Stoffmode nichts mehr im Wege. Der Urheber des neuen Musters wird düpiert und ggf. finanziell ruiniert. Hier nun haben das moderne Urheberrecht und seine Derivate (Gebrauchsmuster, Markenrecht etc.) einzuschreiten. Es musste sich jedoch zunächst aus dem traditionellen Privilegienrecht befreien und zu einem Verwertungsrecht werden.
Mit der Ablösung der Informationsträger von der Ausführmaschine wird die Produktion von Informationsträgern selbst kommodifiziert, wobei zunehmend die Produktion des physischen Trägers zum subalternen Moment der repräsentierten Information wird. Der Arbeits- und Materialaufwand analoger Tonträger ist verglichen mit dem getragenen Ton gering. Da jedoch die Ausführungsmaschine eine Spezialmaschine ist, die erst zusammen mit dem spezifischen Träger funktioniert, und da die analogen Informationsträger ohne hohen Aufwand nicht in gleicher Qualität wie das Original hergestellt werden können (so sind etwa Kopien analoger Tonträger immer von minderer Qualität als die Vorlage), gibt es hier eine technisch-immanente Schranke, die unbegrenztes Kopieren verhindert. Diese technische Begrenzung bildet zusammen mit dem Urheberrecht eine wirksame Kopierbehinderung, so dass ein expliziter technischer Kopierschutz noch kein Thema ist.
Ökonomisch unterscheiden sich die Informationsträger nicht wesentlich von herkömmlichen Massenwaren. Sie können in dem Maße zur eigenständigen Ware werden, wie Ausführmaschinen (etwa Abspielgeräte für analoge Tonträger) hinreichend weit verbreitet sind. Auch hier besteht eine stoffliche Kopplung von Träger und getragenem Inhalt, wenngleich Menge und Herstellaufwand des Trägers minimal geworden und mit hoher Stückzahl ideal skaliert sind. Während jeder Träger ein „Individuum“ darstellt, ist jedoch der informationelle Inhalt allgemeiner Natur. Er erscheint auf jedem einzelnen Produkt und kann potenziell auf einen anderen Trägertyp wechseln, sofern für den neuen Trägertyp eine spezielle Ausführmaschine existiert (etwa von der analogen Schallplatte auf das analoge Tonband).
Da der Herstellaufwand zusätzlicher Informationsträger gering ist im Verhältnis zum initialen Aufwand, den Inhalt zu produzieren, steht ein ideales Mittel bereit, um Extra-Mehrwerte zu realisieren. Ein Extra-Mehrwert kann immer dann erzielt werden, wenn es gelingt, den Aufwand für die produzierte Ware unter den gesellschaftlichen Durchschnitt zu drücken. So erklärt sich etwa das Streben der Kulturindustrie nach der Generierung von „Hits“ durch Schaffung eines uniformen Massengeschmacks.
Die digitale Kopie
Die locker gewordene Bindung von Trägermedium und Inhalt löst sich mit der digitalen Kopie völlig auf. Im Fokus steht nun ausschließlich die Reproduktion des Inhalts, während das Trägermedium gegenüber dem Inhalt (wie vorher das Produktionswissen gegenüber der Maschine) neutral wird. Bei Analogkopien spiegelte sich die Qualität des Trägermaterials noch in der Qualität des Produkts wider, so dass eine identische Reproduktion schwierig bis unmöglich war. Eine Kopie bedeutete (fast) immer auch einen Qualitätsverlust des getragenen Inhalts. Bei digitalen Kopien sind Hergestelltes und erneut Hergestelltes identisch. Eine Unterscheidung von Original und Kopie ist hier nicht mehr substanziell zu treffen, sondern ausschließlich sozial: Wer hat von wem was kopiert? Aufgrund ihrer Trennung von einem bestimmten stofflichen Träger – es muss nur irgendeiner sein – sind im Digitalen alle Kopien Originale und umgekehrt.
Zweites besonderes Merkmal in der Sphäre des Digitalen ist die Entkopplung des Prozesses der Reproduktion vom stofflichen Aufwand, wobei Entkopplung nicht bedeutet, dass gar kein Aufwand anfällt. Zwar ist der Einsatz von Material, Energie und Arbeit im Moment der Reproduktion verschwindend gering, bei der Herstellung der infrastrukturellen Voraussetzungen der Kopie ist jedoch ein erheblicher Aufwand an Material, Energie und Arbeit erforderlich. Im Unterschied zur Produktion stofflicher Güter ist der Aufwand also fast vollständig in die Infrastruktur gewandert.
Emanzipierte sich zunächst die Prozessbeschreibung vom auszuführenden Produktionsprozess, so nun die Prozessbeschreibung vom Trägermaterial. Das Triplet von digitaler algorithmischer Beschreibung, Träger der digitalen Repräsentanz des Beschriebenen und Prozessmaschine, die die algorithmische Beschreibung ausführt, ist stets vorhanden. Es macht nun keinen Unterschied mehr, ob Stahl produziert oder Musik abgespielt wird. Digitalität bedeutet Universalität, also vollständige Neutralität gegenüber einem Inhalt: Jeder Inhalt kann kodiert werden, für den eine Abspielmaschine bereit steht. Was hingegen das Fehlen einer Abspielmaschine bedeutet, erfährt man, wenn man beim neuen Computer verzweifelt nach dem Einschub für die „steinzeitlichen“ Disketten sucht. Die Archivierung ist damit im digitalen Zeitalter zu einem wesentlichen Problem geworden. Der Universalität des Codes entspricht die Universalität der Abspielmaschine Computer. In der Güterproduktion wird sie begleitet von der universalisierten Prozessmaschine, etwa dem Produktionsroboter. Die zeitweilig gehegte Vorstellung einer total digitalisierten und damit automatisierten Produktion (Computer Integrated Manufacturing) ist dennoch eine Illusion, da in automatisierten Prozessen Neues als genuin Unbekanntes (wozu auch Störungen gehören) nicht abgebildet werden kann (vgl. Baukrowitz 2006: 102ff.).
Digitale Kopie und Kopierschutz
Die Trennung von externem Informations- und Wissensträger und Ausführungsmaschine war ein großer Schritt in der Entwicklung. Im Vergleich dazu mutet der Wechsel von der analogen zur digitalen Repräsentationsform der Information gering an. Die Folgen waren jedoch ungleich tiefgreifender. Die analoge Repräsentationsform klebt immer noch an einer bestimmten stofflichen Darstellungsweise, die es vermag, kontinuierliche Übergänge abzubilden. Seien es die Rillenform der Schallplatte, die Magnetisierungsintensität des Tonbandes oder Schablonengestalt bei der Hosen-Produktion – stets werden kontinuierliche Skalen unmittelbar-stofflich, eben analog, dargestellt. Die Messgenauigkeit begrenzt die Abbildungsgenauigkeit.
Mit dem Wechsel zur digitalen Form werden diese und noch etliche andere Begrenzungen aufgehoben. Die Materialgebundenheit des Trägers entfällt, es muss nur irgendein Träger sein, der in der Lage ist, zwei Zustände dauerhaft darzustellen. Die Abbildungsgenauigkeit ist potenziell unbegrenzt, durch einfache Erweiterung der binären Zahlendarstellung lassen sich Grenzen ins Große oder extrem Kleine nahezu beliebig verschieben. Der Art der Information und damit der Art der repräsentierten Inhalte sind keine Grenzen gesetzt. Kurz: Die digitale Form ist eine universelle Form der Repräsentation. Ihr steht mit dem Computer eine ebenso universelle Ausführungs- oder besser: Vermittlungsmaschine gegenüber, die auf keinen speziellen Anwendungszweck mehr festgelegt ist und beinahe beliebige Ausführungsmaschinen mit entsprechenden Steuersignalen versorgen kann. Der Computer ist zum universellen Vermittler der gesellschaftlichen Infrastruktur aufgestiegen: Internet, Produktion, Konsumgüter, Dienstleistungen.
Mit der digitalen Form ist die Erstellung einer Kopie dramatisch einfacher und aufwandssparender geworden. Die binären Codes lassen sich beliebig kombinieren und setzen als Binär-Kombinat neue Bedeutungen und Anwendungszwecke in die Welt. Jede digitale Erfindung ist im Moment ihrer Schöpfung nur einen Mausklick von ihrer globalen Verbreitung durch Kopie entfernt. Die Kopie ist nicht mehr ein außergewöhnliche Ereignis, sondern der Kern der digitalen Bewegungsweise des binären Codes. Die allgemeine digitale Infrastruktur basiert auf der Kopie. Sie zu unterbinden, hieße, die Infrastruktur abzuschalten und die Gesellschaft stillzulegen.
Ökonomisch schreibt die digitale Kopie die Tendenz fort, die schon mit der analogen Kopie begann. Der Hauptaufwand bei der Herstellung der Waren bezieht sich direkt auf den Inhalt, während die Verbreitung nun aufgrund der digitalen Form nahezu beliebig geworden und somit in die allgemeine digitale Infrastruktur gewandert ist. Der Universalität der digitalen Form muss die soziale Form als proprietärer Ware widersprechen, da sonst das Gut nicht verwertet werden kann. Voraussetzung für die Warenform ist die Knappheit des Guts. Die Knappheit ist zwar – anders als die VWL meint – keine natürliche Eigenschaft des Guts, sondern eine soziale Form der Produktion des Guts als Ware (vgl. Meretz 2007: 68f.), aber die Singularität und Begrenztheit des stofflichen Guts lässt sich leicht dafür nutzen, die Knappheit auch tatsächlich zu arrangieren – etwa indem der Zugriff auf die Ware unterbunden wird, die Produktion gedrosselt wird, Lieferboykotte organisiert werden, Güter gezielt vernichtet werden etc.
Das ist mit universellen digitalen Informationsgütern nicht so ohne weiteres möglich. Nutzung und Knappheit widersprechen sich. Nutzung bedeutet Kopie, Warenform bedeutet Verhinderung von Kopie. Gute Kopien müssen von im Sinne der Verwertung schlechten Kopien separiert werden. Diese Separation kann nur gelingen, wenn die Produzenten der Inhalte, die diese Inhalte in die Warenform pressen wollen, sowohl das digitale Gut wie auch die Infrastruktur kontrollieren und manipulieren können. Dieses Ziel wurde und wird auch verfolgt. Hierbei haben sich zwei technische Ansätze herausgebildet.
Erster Ansatz war (und ist) der digitale Kopierschutz des Produkts, also die Verknüpfung der Nutzung der digitalen Information mit der Verfügbarkeit eines Schlüssels, der über andere Kanäle verteilt wird (z.B. als Aufdruck auf der CD-Hülle). Doch da auch die Schlüssel leicht in die digitale Form gebracht und über die gleiche allgemeine Infrastruktur verbreitet werden können, geschieht dies auch. Wenn solche Schlüssel nicht durch Leaks direkt aus der Quelle stammen, so werden sie entweder per Cracking enttarnt oder durch Manipulation der Quellcodes des Produkts allgemein nutzbar gemacht. Jeder „Schutz“ im Medium des Digitalen kann in diesem Medium auch entdeckt, umgangen oder anderweitig ausgehebelt werden. Es ist nur eine Frage von Kenntnissen und Aufwand, also der Zeit, bis neue digitale Sperrmechanismen unbrauchbar gemacht worden sind. Der Hase holt den Igel oft schon auf den ersten Metern ein.
Der zweite technische Ansatz besteht darin, nicht nur das digitale Gut, sondern auch die Infrastruktur als Ausführmaschinerie zu kontrollieren. Dies ist die Grundidee des digitalen Rechtemanagements (DRM), das inzwischen weitgehend gescheitert ist. DRM kombiniert ein verschlüsseltes Produkt mit einer virtuellen Ausführmaschine, die allein in der Lage ist, das verschlüsselte Produkt „abzuspielen“. Viele DRM-Systeme existieren nur in Softwareform, das eigentliche Ziel ist jedoch die Verknüpfung von DRM-Software mit DRM-Hardware. In einem DRM-Chip wird ein individueller Schlüssel hinterlegt, der von den Inhalte-Kontrolleuren bei Nutzung eines Inhalts ausgelesen werden kann (vgl. dazu auch Meretz 2007: 74ff). Nur bei technischen Insel-Geräten wie Settop-Boxen, DVD-Playern, Spiele-Konsolen, eBook-Readern u.a. ist eine gewisse Haltbarkeit der Digitalkontrolle gegeben. Was DRM bei eBook-Readern bedeutet, wurde schlagartig klar, als Amazon passender Weise die ordentlich erworbenen Texte der Orwell-Romane „1984“ und „Animal Farm“ aus der Ferne auf den Lesegeräten ihrer Kunden löschte – samt persönlichen Notizen (vgl. auch Stallman 2009).
Der DRM-Ansatz offenbart den unauflösbaren Widerspruch, in dem sich das Kapital befindet. Einerseits ist die digitale Infrastruktur das ideale Medium zur Distribution informationeller Produkte, steht sie doch allen frei zur Verfügung. Offenheit und Neutralität sind hierfür die entscheidenden Bedingungen. Andererseits sind es genau diese beiden Bedingungen, die jegliche Aktivitäten wider die Warenform ermöglichen: Von der „Raubkopie“ bis zu Schaffung von freien Kultur- und Wissensgütern. DRM ist nun der Versuch, in das öffentliche Netz ein virtuelles Privatnetz einzubauen, das von den Verwertern kontrolliert wird. Eine vollständige Kontrolle würde jedoch die Abschließung des quasi-privaten Netzes voraussetzen. Doch eine solche Abschließung ist einerseits sehr aufwendig und schwer zu erreichen, da alle virtuellen „Übergangspunkte“ ins allgemeine öffentliche Netz kontrolliert werden müssten, und andererseits würde es die Innovationen abwürgen, die erst die Voraussetzung für neue verwertbare Produkte sind. Dieser Widerspruch zwischen Offenheit und Kontrolle muss zugunsten der Offenheit ausgehen, da sonst die komplette Verwertungsbasis abgeschnürt wird. Die schlichte Regel im Konkurrenzkampf lautet: Wer offener ist, setzt sich durch (vgl. Bauwens 2009).
Keine Regel ohne Ausnahme. Mit der fast vollständigen Kontrolle der Firma Microsoft über die Desktop-Betriebssysteme besteht eine Sondersituation, weil die Firma hier noch zu Zeiten einer sehr schwachen allgemeinen digitalen Infrastruktur eine Monopolstellung erreichen und seit dem mit unfeinen Tricks bis heute verteidigen konnte. Sie kann es sich noch leisten, nicht offen zu sein, aber die ersten Einbrüche in die Dominanz sind gelungen. So musste Microsoft das alte proprietäre und geschlossene Dokumentenformat der Büroanwendungen durch eine neue offene Version ablösen (das sog. OOXML), um eine ISO-Zertifizierung zu erlangen. Das offene Open Document Format (ODF), das u.a. von der Büroanwendung OpenOffice verwendet wird, hatte diesen Status schon vorher erreicht. Zudem musste Microsoft die nationalen Standardisierungsgremien mit massiven Interventionen zur Zustimmung drängen, da der vorgelegte und dann beschlossene Entwurf (6000 Seiten!) dem Transparenzgedanken widerspricht. Immerhin musste Microsoft auf zahlreiche mit der OOXML-Spezifikation verbundene Patente verzichten.
Technische Behinderungen als Maßnahmen zur Unterbindung von Digitalkopien haben nur Aussicht auf Erfolg, wenn sie von einer rechtsförmigen Absicherung (vgl. dazu ausführlich Nuss 2006: 67ff) flankiert werden. Grassmuck schreibt:
„DRM ist als Selbsthilfe der Industrie gedacht. […] DRM versprach nun, dass die Unterhaltungsindustrie die Knappheit, die Voraussetzung für ihren Markt ist und die bislang das Gesetz sicherte, zukünftig würde selber herstellen können. Die Techniker haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass DRM nicht funktionieren kann, doch erst als nicht mehr zu leugnen war, dass jedes einzelne auf dem Markt eingeführte DRM-System innerhalb kürzester Zeit geknackt wird, mussten die Verwerter einsehen: die Antwort aus der Maschine, die technische Selbsthilfemaßnahme, die den Staat nicht braucht, ist ohne seine Gesetze und sein Gewaltmonopol wirkungslos.“ (Grassmuck 2006: 168)
Das Umgehungsverbot für DRM-Mechanismen war daher die zentrale Forderung der Content-Industrie und fand 1996 schließlich in das World Intellectual Property Organization (WIPO)-Abkommen über Urheberrechte Eingang. Mit dem Digital Millenium Copyright Act (DMCA) überführten die USA 1998 die Bestimmungen in nationales Recht, die EU folgte 2001 mit einer entsprechenden Richtlinie. Deutschland hat die EU-Vorgaben – u.a. das Umgehungsverbot für DRM – 2003 und 2008 umgesetzt. Die rechtlich legale Privatkopie wurde damit weitgehend abgeschafft (vgl. Weißenborn 2009).
Kampf um die Warenform
Die Entwicklung von der stofflichen über die analoge zur digitalen Kopie spiegelt die doppelt-algorithmische Revolution in der Produktivkraftentwicklung des Kapitalismus wider. Dabei fällt die unmittelbar-physische Kopie in die Phase der Handwerker- und Manufaktur-Produktion des beginnenden Kapitalismus, die analoge Kopie in die Phase der Übertragung von Werkzeug und Produktionswissen des Handwerkers auf eine Maschine und ihre algorithmische Integration der Einzelprozesse zur Fließfertigung als fordistisch-tayloristisch organisiertem Gesamtprozess und schließlich die digitale Kopie in die Phase der Trennung von flexibler Prozessmaschine und digitaler algorithmischer Universalmaschine (Computer) in der postfordistischen Produktion (vgl. dazu auch Meretz 2003).
Bezog sich die Kopie zuerst auf den physisch verkörperten Zweck, dann auf den physischen Träger des mit ihm verkoppelten Inhalts, so schließlich nur mehr auf die auf einem beliebigen Träger dargestellte digitale Repräsentanz des Inhalts. Alle drei Elemente werden heute getrennt produziert: Inhalt, Träger und digitale Repräsentanz. Es liegt auf der Hand, dass in diesem Verhältnis der Träger unbedeutend und die digitale Repräsentanz verschwindendes Moment ist. Vorausgesetzt ist dabei immer die Existenz einer Ausführungsmaschine. Sofern diese zur Verfügung steht – die chemische Fabrik, das Autowerk, der Musikplayer, das BKA –, repräsentiert der Inhalt das fertige „Produkt“: das Medikament, das Auto, das Musikstück, die Rasterfahndung. Die Ausführungsmaschine ist dabei immer weniger die einzelne zweckgebundene Spezialmaschine, sondern sie wird zunehmend in eine allgemeine Infrastruktur integriert, deren universelle Darstellungsweise die digitale Form und universelle Prozessweise die digitale Kopie ist.
Für den Kapitalismus, dessen Basis die Verwertung von lebendiger Arbeit ist, entsteht damit ein fundamentaler Widerspruch. Das gleiche Medium, die allgemeine digitale Infrastruktur, ist Ort und Mittel von Produktion, Distribution und Konsumtion.
Als Produktion soll das digitale Medium abgesperrt und exklusiviert werden, um die private Form der Produktion zu gewährleisten. Mittels physischer Trennung von Geräten, Daten und Wissen von der allgemeinen Infrastruktur durch technische (Firewalls, virtuelle geschlossene Netze) und organisatorische (Verschwiegenheitspflicht per Arbeitsvertrag) Maßnahmen soll die Allgemeinheit ausgeschlossen bleiben. Gleichzeitig ist die Allgemeinheit permanent präsent: in der wissenschaftlichen Kooperation, bei der Verwendung der allgemeinen Infrastruktur, im Austausch mit den Kunden, bei der Nutzung des Kundenwissens zur Produktoptimierung bis hin zur kundengenerierten Produktinnovation per „Crowdsourcing“. Patent und Urheberrecht sind die rechtlichen Mittel, um den Widerspruch von Privatheit und Allgemeinheit in der Produktion in einer Verwertung ermöglichenden Bewegung zu halten. Doch der Anteil der allgemeinen Voraussetzungen der Produktion wächst stetig an. Jede private Abgrenzung stößt potenzielle Innovatoren ab. Nur wer offen ist, kann sich durchsetzen. Die Strategie lautet: Gib einen Teil der privaten Produktion (Wissen, Patente, Geräte, Arbeitskräfte, Code, Dokumente etc.) in die allgemeine Infrastruktur und gewinne dadurch an innovativer Kraft, Vertrauen und Wissen. Nur wer selber offen ist, kann die allgemeine Infrastruktur für sich instrumentalisieren.
Die Distribution braucht unabdingbar die Offenheit der digitalen Infrastruktur als „freien Markt“. Gleichzeitig möchten die privaten einzelnen Marktteilnehmer „ihren“ Marktanteil in zwei Richtungen kontrollieren: Einerseits sollen Konkurrenten fern und andererseits soll das Produkt beim Nutzer privat gehalten werden. Durchsetzung eigener proprietärer Funktionen als „Standards“ – zuletzt beim Kampf um das hochauflösende DVD-Format, bei dem sich die Blu-ray-Disc durchsetzte – war lange Zeit die dominante Bewegungsform für die erste Zielstellung und DRM für die zweite. Im Bereich der Online-Dienste sollten zunächst die Nutzer im „eigenen“ Netz gehalten und von Konkurrenten abgeschottet werden, während nun diejenigen gewinnen, die ihre Schnittstellen offen legen, die Kooperation unterstützen und teilweise auch ihre Daten zur Verfügung stellen. Der „freie Netzmarkt“ braucht die Netzneutralität, die Infrastruktur-Dienstleister sind hingegen an gezielter Verwertung separierter Netzausschnitte mit definierter Transportqualität interessiert. Auch hier tobt also der Kampf zwischen Offenheit und Privatheit, der im Kern ein Kampf um Warenform und Verwertung ist.
Auch bei der Konsumtion tritt dieser Widerspruch offen zu Tage. Kopierschutz und Kopierkontrolle sollen technisch verhindern, dass ein genuin allgemeines Gut auch tatsächlich sozial verallgemeinert wird. Doch verkapselte Geräte als digitale Inseln sind technisch weniger interoperabel als solche, die ihre Spezifikationen offen legen und den Zugriff anbieten. Neue Formen der Digitalkontrolle werden ersonnen, etwa bei Spielen. Durch die Kopplung von Spielerwerb und Online-Verbindung sind neue Abrechnungsmodelle möglich. Entsprechende Tendenzen der Verlagerung ins allgemeine Netz mit Bindung an einen Verwerter im Bereich der Anwendungssoftware (SaaS: „Software as a Service“) untermauern diese Tendenz. Doch jede neue Schließung auf der Seite der proprietären Verwerter provoziert eine Innovation auf der Seite Schöpfer offener und freier Produkte.
War die Bewegung Freier Software der Reflex auf die proprietäre Enteignung der Software, so ist die freie Design-Bewegung der Ausdruck des produktiven Aneignungsbestrebens im Bereich der Hardware. Denn Hardware ist in erster Linie selbst auch wieder Software im weitesten Sinne: Konzeption, Entwurf, Gestaltung, Kodierung. Bei digitalen Konsumgütern vorwiegend im Kulturbereich wird der Trend zur prosumerischen Aneignung des Guts zur Erzeugung derivater neuer Güter (z.B. als Remix) besonders deutlich – mit der Folge einer Diversifizerung des Massengeschmacks im ungekannten Ausmaß. Gerade hier haben die großen Kulturkonzerne als erstes auf die Digitalkontrolle per DRM verzichtet, da sich in der Konkurrenz das Private nur als Allgemeines durchsetzen kann. Die unkontrollierbare Weiterverbreitung wird zähneknirschend hingenommen (und gleichzeitig rechtlich weiter bekämpft), um die Verwertung überhaupt zu retten. Ein digitales Kulturgut taugt nicht mehr als Ware. Ernst Lohoff (2007) hat hieraus den Schluss gezogen, dass digitale Informationsgüter keine Waren mehr sind.
Fazit
Die Kopie war und ist Wesensmerkmal der gesellschaftlichen Produktion aller Mittel zum Leben – unabhängig von der Gesellschaftsform. Die entwicklungslogische Rekonstruktion hat den Formwandel der Kopie im Kapitalismus von der unmittelbar-physischen Kopie über die Analogkopie bis zur digitalen Kopie gezeigt. Dabei trennten sich die Elemente, die zuvor vereint als menschliches oder dinglich repräsentiertes Wissen und Können existierten. Die Trennung ermöglichte ihre getrennte Entwicklung in ungekanntem Ausmaß bis auf Basis der digitalen Form die Reintegration zu einer potenziell globalen allgemeinen digital-basierten Infrastruktur auf den Weg gebracht wurde. Kopierschutz und Kopierkontrolle sind dabei nur mehr einzig Ausdruck der Notwendigkeit, Produktion und Verwertung in der privatkapitalistischen Form zu halten. Sachlich und sozial ergibt die Beschränkung der weiteren infrastrukturellen Integration auf digitaler Basis keinen Sinn. Was historisch folglich ansteht, ist, dass die Gesellschaftsform der faktischen Allgemeinverfügbarkeit der Produkte folgt und die private Produktions- und Aneignungsweise des Kapitalismus aufhebt.
Literatur
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Baukrowitz, Andrea/Berker, Thomas/Boes, Andreas et al. (Hg.): Informatisierung der Arbeit – Gesellschaft im Umbruch, Berlin: edition sigma, S. 98-115.
Bauwens, Michel (2009): „How the law of asymmetric competition should affect innovation policy“. http://o.ly/tsg (letzter Zugriff November 2010).
Grassmuck, Volker (2006): „Wissenskontrolle durch DRM: von Überfluss zu Mangel“. In:
Lohoff, Ernst (2007): „Der Wert des Wissens. Grundlagen einer Politischen Ökonomie des Informationskapitalismus“. krisis – Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft, Nr. 31, S. 13-51.
Meretz, Stefan (2007): „Der Kampf um die Warenform. Wie Knappheit bei Universalgütern hergestellt wird“. krisis – Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft, Nr. 31, S. 52-89.
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Zuerst erschienen in: Schröter, Jens et al. (Hrsg., 2010), Kulturen des Kopierschutzes 1 (= Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften, Jg. 10, Heft 1), S. 37-51, Lizenz: CC-by-sa