Stunde der Heuchler?

von Peter Klein

Leserbrief zu Johan Schloemann, „Stunde der Heuchler“ (SZ vom 30.3.2011)

Indem Herr Schloemann „den westlichen, modernen Lebensstil“ zu einem „Ganzen“ zusammenfasst, verschafft er sich die Möglichkeit, das Thema der Ökologie mit jener logischen „Konsequenz“ zu behandeln, die nur in einem Entweder – Oder münden kann.

So kommt dann eine pauschalisierende Argumentation zustande, wonach ich, wenn ich warm duschen will, auch den Benzin saufenden Motor des Porsche Cayenne in Kauf nehmen muss: denn daran hängen ja 7 500 Arbeitsplätze, die ihren glücklichen Besitzern das Geld für „das gute ökologische Leben“ einschließlich der Dusche verschaffen. Und umgekehrt: Wenn mir die aufdringliche Reklame in den „leuchtenden Städten“ nicht passt, wenn mir die „kapitalistische Produktvielfalt“ und die Warenästhetik auf die Nerven gehen, dann, bitte sehr, „muss“ ich auch bereit sein, auf die Heizung in meiner Wohnung zu verzichten. Denn den „umgebenden Wohlstand“ gibt es eben nur im Ganzen. Das klingt doch sehr nach jenen Bäumen und Höhlen, auf die oder in die wir alle zurück müssen, wenn wir Bedenken gegen den „Fortschritt“ zum Beispiel in der Weltraumfahrt oder in der Waffenproduktion anmelden. Überall stehen „Arbeitsplätze“ auf dem Spiel.

„Wer A sagt, muss auch B sagen.“ Entweder Wohlstand (A) und kapitalistischer Ressourcenverschleiß (B) – oder Friede mit der Natur (A) und Steinzeit (B). Hannah Arendt bezeichnete diese Art Logik als den „Selbstzwang des deduzierenden Denkens“, der ein Kennzeichen der totalitären Ideologien sei. Wie kommt Herr Schloemann zu der Ansicht, dass die Kritiker der „kapitalistischen Unersättlichkeit“ so und nicht anders argumentieren müssten, wenn sie „konsequent“ und keine „Heuchler“ wären? Wieso meint er, bei ihnen einen klammheimlichen Terrorismus vermuten zu dürfen, von dem die „sanfte“ Version bereits in Freiburg zu besichtigen sei?

Der Grund dürfte folgender sein: Der bürgerliche Mensch, daran gewöhnt, in einem System zu leben, in dem überall der gleiche Imperativ (des Geldverdienens) regiert und überall nach dem gleichen, vom Markt vorgegebenen Schema entschieden wird, kann sich auch die Alternative nur in analoger Weise vorstellen: als ein System, das in allen Teilen gleichartig, aber entgegengesetzt funktioniert. Automatisch hält er Ausschau nach der „inhärenten Logik“ (Arendt ) des ökologischen Bewusstseins, nach dem Patentrezept und der universellen Wahrheit, von der etwa die Gegner von „Stuttgart 21“ bewegt werden. Es muss sich dort gleich ein ganzes „Lebensmodell“ befinden. Und dieses müsste uns, mit der „Konsequenz“ des Herrn Schloemann gedacht, Kargheit statt Wohlstand bescheren.

Da es bei der Ökologie aber um das Thema der Endlichkeit geht: des konkreten Lebens, der konkreten Bedürfnisse, der konkret vorhandenen Ressourcen, scheint sie mir grundsätzlich schlecht für die Ausbildung einer logischen Konsequenz geeignet zu sein. Wer dieses Thema für sich entdeckt hat, dürfte eher der Position Hannah Arendts zuneigen, die gegen den Dogmatismus der Logik die Offenheit für die „erfahrene und erfahrbare Wirklichkeit“ setzt. Das Dogma der immerzu notwendigen Geldvermehrung hinter sich lassen, heißt in diesem Sinne: kein neues Dogma verkünden, sondern die Fähigkeit des konkreten Denkens entwickeln und Entscheidungen je nach den vorhandenen Umständen, Möglichkeiten und Bedürfnissen treffen.

Warum sollte ein heute lebender Wut-Bürger, dem es in aller logischen Unbedarftheit nur darum geht, einen als sinnlos empfundenen Bahnhof zu verhindern, die Gefahr der Atomkraftwerke zu bannen und keine aus Chile herbeigeflogenen Äpfel zu kaufen, nicht einen, zugegeben: inkonsequenten, Schritt in diese Richtung darstellen können? Logische Inkonsequenz ist bekanntlich das halbe Leben – vielleicht sogar das ganze.

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