Die griechische Industrie kollabiert, die Wirtschaft des Landes schrumpft. Hauptursache ist die verfehlte Krisenpolitik Brüssels und Berlins
von Tomasz Konicz
Griechenland steht vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Angefacht durch immer neue – von Brüssel und Berlin oktroyierte – »Sparpakete«, beschleunigt sich in dem Mittelmeerland der wirtschaftliche Niedergang. Dies stößt breiteste Bevölkerungsschichten ins Elend und läßt eine Haushaltskonsolidierung vollends illusionär werden. Nach einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 4,5 Prozent im Jahr 2010 gehen Prognosen für das laufende Jahr davon aus, daß Griechenland in einer schweren Rezession verbleibt. Um die vier Prozent soll die Wirtschaft in Hellas 2011 schrumpfen. Dabei bleibt die Dynamik dieser ökonomischen Kontraktion unverändert hoch, wie etwa die Zahlen für das erste Quartal 2011 unter Beweis stellen: Das griechische BIP ging in diesem Zeitraum sogar um 5,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. Somit befindet sich das 11,3 Millionen Einwohner zählende Land seit gut zweieinhalb Jahren in der Rezession.
Extreme Lohnsenkung
Maßgeblich angetrieben wird dieser dauerhafte Schrumpfungsprozeß der Wirtschaft durch den Kollaps der griechischen Industrieproduktion. Angaben des griechischen statistischen Amtes zufolge sank der Warenausstoß des verarbeitenden Gewerbes im April 2011 um elf Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Noch deutlicher wird dieser massive Rückgang, wenn die Werte vom April 2011 mit dem Ausstoß der griechischen Industrie 2007 verglichen werden: Der lag knapp 30 Prozent höher. Anfang vergangenen Jahres klang die Rezession in Hellas bereits ab, ehe im zweiten Quartal 2010 die massiven Kürzungen in Athen beschlossen wurden. Sie waren von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) erzwungen worden und lösten den erneuten Krisenschub aus. Insgesamt wurden Steuererhöhungen und Ausgabenstreichungen in Höhe von mehr als 30 Milliarden Euro verordnet.
Dieses drastische »Sparprogramm« führte zu einem massiven Einbruch des Lohnniveaus in Griechenland. Die realen Arbeitnehmerentgelte lagen im ersten Quartal 2011 um 17,2 Prozent unter dem Höchstwert vom ersten Quartal 2009. Diese extreme Absenkung hatte einen katastrophalen Einbruch der Binnennachfrage zur Folge, wie etwa an den Einzelhandelsumsätzen ersichtlich wird, die im April 2011 um 27,7 Prozent gegenüber dem Höchststand vom März 2008 zurückgingen – faktisch ein Zusammenbruch. Rund 64000 Geschäfte mußten im Verlauf der Krise Konkurs anmelden. Noch dramatischer wurde es für das verarbeitende Gewerbe. Im März 2011 sanken die Inlandsaufträge für die griechische Industrie um 7,3 Prozent gegenüber dem Vormonat, gegenüber dem Juli 2008 fiel die Binnennachfrage für die griechische Industrie sogar um 47 Prozent. Im vergangenen Jahr mußten bereits an die 60000 Kleinunternehmen ihre Pforten schließen.
Griechenland sei »von ökonomischen Dilettanten in die Depression gespart« worden, bemerkte hierzu der renommierte Wirtschaftsblog www.querschuesse.de: Es sei »Faktum, daß Griechenland weder seine Staatsschulden von 354,5 Milliarden Euro noch die Auslandsschulden in Höhe von 420 Milliarden Euro« zurückzahlen könne. Der dramatische Wirtschaftseinbruch ließ auch die griechischen Steuereinnahmen deutlich zurückgehen, während die Ausgaben für das rasch anschwellende Arbeitslosenheer explodierten. Zwischen Januar und April 2011 mußte Athen so ein Defizit von 11,5 Milliarden Euro verzeichnen, was einen Anstieg von 82 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum bedeutet, also fast eine Verdoppelung. Das widerlegt eindrucksvoll das populistische Geblöke im bürgerlichen Politik- und Pressebetrieb, das Volkswirtschaften gern mit Privathaushalten gleichsetzt und mit sadistischer Genugtuung immer weitere Kahlschlagsprogramme für Griechenland fordert.
aus: Junge Welt, 21.7.2011