Gemeinwohl-Ökonomie – eine tragfähige Systemalternative?

von Horst Müller

(ursprünglich erschienen auf: Praxisphilosophie.de)

„Der erste Schritt ist die Klärung, ob die Gemeinwohl-Ökonomie (oder ein ähnliches Modell) überhaupt wünschenswert und mehrheitsfähig ist.“ (Christian Felber)

Vorbemerkungen

Christian Felbers „Gemeinwohl-Ökonomie“ wird mit dem Anspruch vorgestellt, endlich den „vollständigen Dritten Weg“ gefunden zu haben und einen Entwurf für eine „konkrete Systemalternative“ darzustellen. Der Autor wird im Klappentext seiner grundlegenden Publikation als „Mitbegründer von Attac“ und „die prominenteste Stimme der Globalisierungskritik in Österreich“ vorgestellt. Felbers Initiative liegt die treffende Einsicht zugrunde: „Das gesamte System ist faul“, wir haben mit einer grundlegenden „Systemkrise“ zu tun und es geht überhaupt um ein neuartiges „Wirtschaftsmodell der Zukunft“.

Ich nehme Stellung anhand von 15 zusammenfassenden Thesen des Autors, beziehe mich auch auf das 150-Seiten-Buch „Gemeinwohl-Ökonomie – Das Wirtschaftsmodell der Zukunft“, sowie auf persönliche Eindrücke aus einem Vortrag. Die Kontrastfolie der Besprechung bildet die von mir entwickelte „Ökonomie des Gemeinwesens“ bzw. „Sozialwirtschaft als Systemalternative“, vorgestellt in einem Sammelband „Von der Systemkritik zur gesellschaftlichen Transformation“.

These Nr. 1: Die Gemeinwohlökonomie beruht auf denselben mehrheitsfähigen Werten, die unsere Beziehungen gelingen lassen: Vertrauensbildung, Kooperation, Wertschätzung, Demokratie, Solidarität. (Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen sind gelingende Beziehungen das, was Menschen am glücklichsten
macht und am stärksten motiviert.)

Felber geht von der Behauptung aus, dass „Werte das Fundament des Zusammenlebens“ sind und wir unser Handeln maßgeblich an solchen orientieren. So beruhten gelungene zwischenmenschliche Beziehungen und ein geglücktes Leben auf einer Reihe humaner Orientierungen wie etwa Wertschätzung, Kooperation und Solidarität: Das ist edel und ideal gedacht, auch wenn das „Fundament des Zusammenlebens“, das Marx 1845 eruierte, die materiell verankerte und institutionell formierte „Gesamttätigkeit“ alias „gesellschaftliche Praxis“ ist, in die sich die gesellschaftlichen Individuen ganz unterschiedlich einbezogen finden. Aber wer möchte einer Bekundung persönlicher humaner Gesinnung, die sich auch noch auf die neuere „Glücksforschung“ beruft, wer wollte dem Bekenntnis zur „Menschenwürde“ als höchstem Wert widersprechen?

Es folgt jedoch die keineswegs folgerichtige oder stichhaltige Grundthese: Auch das wirtschaftliche Leben, die sogenannte „freie Marktwirtschaft“ beruhe auf Grundwerten, allerdings auf Wertorientierungen wie „Gewinnstreben und Konkurrenz“ oder auch „wechselseitiger Übervorteilung“, was das „gesellschaftliche Vertrauen“ zerstöre. Folglich sollten an deren Stelle ein „Gemeinwohlstreben“ und „Kooperation“ treten. Leider sanktioniere auch der Gesetzgeber noch das negative „Konkurrenzieren“. Schließlich spalte der Widerspruch zwischen der Orientierung im Zwischenmenschlichen und den im Grunde asozialen Werthaltungen im Wirtschaftsverkehr die Individuen wie die Gesellschaft. Der Riss gehe mitten durch, er bedeute eine „kulturelle Katastrophe“.

Ich halte die hier vorgetragene Ansicht, dass die heute noch dominierende kapitalökonomische Praxis maßgeblich durch Handlungsmaximen bestimmt sei, für eine unannehmbare Fehldeutung: Der von den Betreibern der bestehenden Reproduktionsordnung nicht durchschaute politisch-ökonomische Wert- und Wirkzusammenhang des Geschehens, die Verselbständigung der von ihnen induzierten Entwicklungen und Tendenzen gegenüber ihren Absichten und Interpretationen, also der Status der „Entfremdung“ der bestehenden Praxisform, aus dem die größten Probleme, Krisen und Katastrophen erwachsen, wird von Felber nicht entsprechend benannt und gewichtet. Indem dieses Wurzelgeflecht unterhalb der kapitalökonomischen Sumpfblüte aber nicht freigelegt wird, liegt keine hinreichend konkrete Analytik jener ökonomischen Formbildungen und Figurationen vor, die im Gegenzug aufgehoben werden sollen.

Insbesondere hört man von einer „wechselseitigen Übervorteilung“ in der unternehmerischen „Kontrakurrenz“, während eine deutliche Bezugnahme auf das andere Grundverhältnis der Marktwirtschaft, auf das ziemlich einseitige, praktischsystemische Ausbeutungsverhältnis zwischen Kapital und Lohnarbeit, unterbleibt. Da gibt es sehr seltsame Formulierungen wie die vom „Erwerbszwang“ als „Beweggrund, einem Unternehmen beizutreten“. Liegt hier eine Form des „Machtgefälles in privaten Tauschbeziehungen“ vor, das „nicht das geringste Problem“ bedeutet, „wenn alle einander mit Achtung und dem Vorsatz der Wahrung der Würde entgegentreten würden“? Die Kapitalwirtschaft ist jedenfalls kein Tauschring in der Rechtsform eines Vereins, dem man nur eine neue Satzung verpassen müsste.

Felbers Systemkritik konzentriert sich auf die Anklage, dass die moderne kapitalistische Marktwirtschaft aufgrund asozialer Orientierungen der unternehmerisch Handelnden und eines fehlgehenden Anreizrahmens nicht die Effizienz und das Wohl aller befördert, wie ihre Ideengeber behaupten. Im Endeffekt werden dadurch Herrschaftsstrukturen konserviert, in Vielem ein ungemeiner Schaden angerichtet, vor allem die Menschenwürde verletzt und letztlich die Freiheit zerstört. Welche Folgen aus dem inkriminierten „Gewinnstreben“ und der
„Konkurrenz“ erwachsen, wird in zehn Kritik- und Krisenpunkten zusammengefasst. Das Spektrum reicht von Machtkonzentration über Standortkonkurrenz, ineffiziente bzw. verzerrte Preisbildung, soziale Polarisierung, Nichtbefriedigung von Grundbedürfnissen, Umweltzerstörung, Sinnverlust und Werteverfall bis zur Ausschaltung der Demokratie.

Zunächst referiert Felber in seinem Krisenkatalog Hauptpunkte der allenthalben artikulierten allgemeinen Systemkritik an der „kapitalistischen Marktwirtschaft“ alias Kapitalismus, dies gut sortiert und auf fassliche, zugespitze Weise, insgesamt mit einem Gestus radikaler Opposition, der enttäuschte oder angesichts aller Probleme zunehmend wütende Menschen unvermittelt ansprechen mag. Durchgängig mangelt es nicht an allen möglichen Befunden bezüglich herrschender Missstände. Auffällig ist dabei, dass in Felbers Problemkatalog die eklatierende Staatsverschuldung und überhaupt die drohende Zerstörung des Sozialstaats nicht genannt werden. In der Perspektive einer „sozialwirtschaftlichen“ Transformation liegen gerade hier Hauptkonsequenzen und eine zentrale Bruchlinie des politischökonomischen Systems.

Die eigentliche Aufgabe besteht allerdings nicht darin, die Kritik an offenkundig negativen Effekten des kapitalwirtschaftlichen Getriebes erneut auf einige Hauptnenner zu bringen und damit die Schönrednerei der Mainstreamdenke zu kontern, sondern eine, im höchsten geschichtlich-praktischen Sinn des Wortes, ‚realistische‘ Übergangs- beziehungsweise Transformationsperspektive zu eröffnen.

Eingangs, noch vor der eingehenderen Darstellung eines entsprechenden alternativen Wirtschaftsmodells, outet sich Felber zunächst als höchst engagierter Sinnvermittler. Die fragwürdige Überschätzung der Einflussmöglichkeiten praktischethischer Handlungsorientierungen im bestehenden Arrangement und Korsett der gesellschaftsgeschichtlich kristallisierten Praxisformen, die am Ende das Programm der ganzen Gemeinwohl-Ökonomie prägt, bestätigt sich in einer programmatischen Bildungsidee: Die neuen Wertorientierungen einer Gemeinwohlökonomie sollen der „neuen Generation“ auf dem Wege der Erziehung und Bildung beigebracht werden:

These Nr. 14: Um die Werte der Gemeinwohl-Ökonomie ähnlich tief in der neuen Generation zu verankern wie heute das sozialdarwinistische und kapitalistische Menschenbild, schlage ich fünf neue Pflichtgegenstände vor: Gefühlskunde, Wertekunde, Kommunikationskunde, Demokratiekunde und Naturerfahrens- oder Wildniskunde.

Die Behauptung, dass in Erziehung, Ausbildung und Studium heute ein „sozialdarwinistisches und kapitalistisches Menschenbild“ vorherrsche, ist natürlich eine grobe Verzeichnung der bestehenden Bildungswirklichkeit und gesellschaftlichen Bewusstseinszustände, die vielstimmige und widerstreitende Praxisperspektiven aufweisen. Selbst der Schriftsteller Günter Grass hat versammelten Journalisten dieser Tage erklärt, es gebe jetzt „etwas bislang Unaussprechliches zu tun, nämlich die Systemfrage zu stellen“. Grass hat als Politikus sozusagen die Sprache wiedergefunden.

Felbers Plädoyer entgegen ist an die Marxsche These zu erinnern, dass die alte „Lehre von der Veränderung der Umstände und der Erziehung vergisst, dass die Umstände von den Menschen verändert werden und der Erzieher selbst erzogen werden muss. Sie muss daher die Gesellschaft in zwei Teile – von denen der eine über ihr erhaben ist – sondieren“. Das Naturell des hier ins Spiel gebrachten erhabenen Teils wurde in Felbers Vortrag deutlich angesprochen: Die Rede ist von einem „Indikator designen“, „Erfolgsmaßstab kreieren“, von der Notwendigkeit einer „neuen Definition“. Das „Gemeinwohl“ oder konkret eine „Gemeinwohlbilanz“ ist dieser definitive Deus ex Machina, der jetzt als „Leitstern“ hochgehalten wird, und an dem sich das wirtschaftliche Leben der Zukunft orientieren soll.

Was bedeutet aber Felbers effektheischender Bildungsappell praktisch mehr als beispielsweise einen erweiterten Ethik- und Sozialkundeunterricht, vielleicht ein Lehrfach am Leitfaden „Neue Werte braucht die Wirtschaft“? Das angedeutete Belehrungs- und Umerziehungsprogramm für die „neue Generation“ orientiert nicht auf wirklich kritisches und enthüllendes, gesellschaftliches, politisch-ökonomisches und historisches Wissen sowie auf Erfahrungen und Erkenntnisgewinn in realer gesellschaftlicher Auseinandersetzung, sondern setzt Akzente wie Gefühls- und Wildniskunde. Da war die von Herbert Marcuse einmal beschworene „neue Sensibilität“ schon einmal stichhaltiger und bieten die Attac-Sommerakademien mehr.

Ich möchte an diesem Punkt festhalten, dass die für die bestehende Wirtschaftsweise essenzielle „Gewinnorientierung“ sowie „Konkurrenz“ keine Werthaltungen oder Handlungsmaximen darstellen, die wie solche abgeschüttelt oder ohne Weiteres in einem höheren Modus von „Kooperation“ aufgehoben werden können. Es liegen in vorgegebenen Strukturen verankerte, instituierte Praxisformen dar. Diese verbinden sich, nach dem Ansatz von Bourdieus „Theorie der Praxis“, mit persönlichen „Habitus“-Formen und sei’s operativen, sei’s illusionären Gedankenbildungen. Immer wieder wird deutlich: Den sozialtheoretischen Untergrund von Felbers Denken bildet eine durch Ethik eingeklammerte Handlungstheorie, versetzt mit habermasianischen Konsenshoffnungen, aber keine tiefer gehende, praxiswissenschaftliche Form- und Transformationsanalytik.

Die Fixierung auf subjektive Handlungsorientierungen bzw. das Ausweichen vor einer wissenschaftlich unabdingbaren Auseinandersetzung mit der von Marx begonnenen Kapital- und Entfremdungsanalyse ist allerdings ebenso opportun wie konsequent: Felber lässt bereits im Auftakt zu seiner Kapitalismuskritik durchblicken, dass er nicht auf eine Veränderung oder Aufhebung der praktisch-funktionalen Kernstruktur der
Kapitalwirtschaft orientiert und orientieren kann, weil diese ihm im ja eher als fehlgeleitete „Marktwirtschaft“ erscheint. Seine Vorschläge laufen daher auf die Verordnung eines grundlegend veränderten ethischen und sozial-ökologischen „Anreizrahmens“ oder die Rekrutierung eines anders eingestimmten Führungspersonals für die bestehende Ökonomik hinaus.

These Nr. 2: Der rechtliche Anreizrahmen für die Wirtschaft wird von Gewinnstreben und Konkurrenz umgepolt auf Gemeinwohlstreben und Kooperation.

Unternehmerischer Erfolg wird umdefiniert von Gewinn- auf Gemeinwohlstreben. Die Idee einer möglichen „Umpolung“ des Orientierungs- und Anreizrahmens für unternehmerisches Handeln unter marktwirtschaftlichen Bedingungen ist die tragende Idee der Gemeinwohl-Ökonomie. Das entscheidende Instrument, das solches gewährleisten soll, ist die gesetzlich zu fixierende Aufstellung einer „Gemeinwohlbilanz“. Diese soll die sozial-ökologische Ausrichtung und Konsequenz einer wirtschaftlichen Aktivität dokumentieren und damit einer Bewertung oder Zertifizierung nach einer Punkteskala zugänglich machen. Die „Umpolung“ soll effektiv werden, indem den Unternehmen entsprechend ökonomische Vorteile gewährt werden und sie, vor allem wohl mit Blick darauf, ihre Gemeinwohlstrebungen verstärken. Die besseren Unternehmer, dann angeblich auch „zum Mitgefühl und zur Empathie fähig“, können am Ende vielleicht sogar billiger anbieten und sich jedenfalls gegen weniger gemeinnützliche Angebote immer mehr durchsetzen.

Die praktizierte Gemeinwohlorientierung soll den Unternehmen auch ermöglichen und sie motivieren, sich jetzt grundsätzlich kooperativ zu anderen Produzenten zu verhalten. Die Branchen sollen selbstständig eine Art „subsidiäre Planung“ durchführen und Probleme gemeinsam lösen, statt in „Kontrakurrenz“ zu verharren. Wer sich dem verschließt, hat Pech: Er hat es schwerer und läuft „Gefahr, in Konkurs zu gehen“:

These Nr. 4: Gemessen wird das Gemeinwohl in der neuen Hauptbilanz aller Unternehmen: der Gemeinwohlbilanz. Je sozialer, ökologischer, demokratischer und solidarischer Unternehmen agieren und sich organisieren, desto bessere Bilanzergebnisse und höhere Gemeinwohl-Stufen erreichen sie: maximal sind 1000 Gemeinwohl-Punkte erzielbar.

These Nr. 5: Die Unternehmen mit den besten Gemeinwohlbilanzen erhalten rechtliche Vorteile. Niedrigere Steuern, geringere Zölle, günstigere Kredite, Vorrang beim öffentlichen Einkauf und bei Forschungsprogrammen, … Dadurch können sie ihre höheren Kosten decken.

These Nr. 6: Die Finanzbilanz wird zur Nebenbilanz. Kapital wird vom Zweck zum Mittel. Es dient nur noch dazu, den neuen Unternehmenszweck (Beitrag zum allgemeinen Wohl) zu erreichen. Bilanzielle Überschüsse dürfen verwendet werden für: Investitionen (mit sozialem und ökologischem Mehrwert), Rückzahlung von Krediten, Rückstellungen in einem begrenzten Ausmaß; Ausschüttung an die MitarbeiterInnen (bis zum 20-fachen des Mindestlohns) sowie für zinsfreie Kredite an Mitunternehmen; nicht verwendet werden dürfen Überschüsse für: Ausschüttung an Personen, die nicht im Unternehmen mitarbeiten; feindliche Aufkäufe anderer Unternehmen; Investitionen auf den Finanzmärkten (diese gibt es nicht mehr).

Ich habe in einem Diskussionsbeitrag auf einer Veranstaltung mit Felber verkürzt und zugespitzt erklärt, worauf das praktisch hinausläuft: Die Unternehmen, auf Grundlage welcher Eigentumsverhältnisse auch immer, erwerben durch eine so oder so mögliche Rechenschaftslegung über ihre Gemeinwesenorientierung ein sozialökologisches
Label, das ihnen in verschiedener Hinsicht gesetzlich bestimmte ökonomische Vorteile bringt. Was ist das aber anderes als eine kräftig erweiterte Subventionierung, wie sie in den verschiedensten Gestalten gemeinnützigkeitsorientierter, sozial-ökologischer oder überhaupt wirtschaftspolitischer Steuer- und Förderkonzepte bereits existiert? Wir erhielten durch die Konversion des Systems zu einer Gemeinwohlökonomie ein neues, aufwendiges, sozial-ökologisch ausgerichtetes Subventions- oder Umverteilungssystem auf durchaus markt- und kapitalwirtschaftlicher Grundlage.

Es wird eine Art Ratingagenturen für Gemeinwohl brauchen, die dann kontrollieren und bestimmen, dass Investitionen aus „bilanziellen Überschüssen“, Verzeihung: aus dem erzielten Mehrwert, nur bei einem zu erwartenden „sozialen und ökologischen Mehrwert“, Verzeihung: bei zusätzlichem Nutzen für ein irgendwie und gar nicht so einfach zu bestimmendes Gemeinwohl, getätigt werden. Hinter dem Vorschlag allgemein verbindlicher und zertifizierbarer Gemeinwohlbilanzen und dadurch begründeter, auch gesetzlich verankerter Ansprüche lauern juridische Fallgruben unausgemessener Tiefe und bürokratische Monster, die der Erfinder dieser Ideen vielleicht am Wenigsten von der Leine lassen möchte.

Überdies besagt die Logik der Praxis, dass man heterogenen Nutzen im Prinzip nicht, praktisch nur mit äußersten Verrenkungen auf einer allgemeinen Wert- bzw. Punkteskala darstellen kann. Auf entsprechenden Annahmen beruht schon der Schwachsinn bürgerlicher Nutzentheorie bzw. subjektiver Wertlehre. An dieser Problematik wird man sich beim geforderten „Finden von Messkriterien“ und der „Ableitung harter Erfolgskennzahlen“ bezüglich des „allgemeinen Ziels“, des Gemeinwohls abarbeiten. Die jüngst einberufene Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ operiert bei ihrer Suche nach einem „ganzheitlichen Wohlstands- und Fortschrittsindikator“ jenseits des BIP auf dem gleichen Minenfeld: Dass es in einer gespaltenen Gesellschaft, vor offenen Zukunftshorizonten, in diesen Fragen eine Objektivität oder einen allgemeinen Konsens geben könnte, ist nur eine schillernde Hirnseifenblase.

Alle Kriterien, die man hier erfinden kann, sind konzeptuell und interessensmäßig durchtränkt. Warum wohl fällt im Gemeinwohlkonzept unter „Soziale Gerechtigkeit“ die Lohnspreizung, aber fehlt das Kriterium, inwiefern der gezahlte Durchschnittslohn für eine anständige Rente reicht? Jedenfalls ist absehbar, dass messbare und vergleichbare „Gemeinwohlstufen“ einer Schraubenfabrik, eines Kindergartens und einer Kläranlage als künftige Kriterien für Wirtschaftsförderung und Investitionslenkung nicht leicht auszumachen sind oder höchst umstritten bleiben.

Die Grundannahme ist, dass der „rechtliche Anreizrahmen“ der Wirtschaft auf die beschriebene Weise „umgepolt“ würde auf „Gemeinwohlstreben“. Ich sehe dagegen zunächst einmal, dass die funktionelle Basis der Verwertungswirtschaft oder der von Felber gelegentlich wenigstens angesprochene „Verwertungszwang“ im Grunde unangetastet bleiben. Es bleibt die letztendlich zwingende, einzelbetriebliche Überschussrechnung, also die kapitalwirtschaftliche Hülle, als Grundbedingung wirtschaftlicher Aktivität.

Nur tritt neben die herkömmliche Wirtschaftsrechnung – die wie bisher ausweist, inwiefern etwa Ersatz- und überschießende Neuinvestitionsmittel sowie persönliche Einkommen in den Formen von Lohn oder Gewinn erwirtschaftet wurden, eine sozialökologische Gemeinwohlbilanz mit ihrem nicht unproblematischen Bewertungs- bzw. Punktesystem. Dass dieses die Wert- und Mehrwertbilanz zur „Nebenbilanz“ macht, ist meines Erachtens nur mehr eine haltlose Deklaration. Es ist pures Wunschdenken, dass dann „der Gewinn kein Ziel mehr ist“, sondern nur noch eine sozusagen formelle oder untergeordnete Bedingung des Tuns darstelle.

Realistisch und sinnvoll wäre die Forderung nach einer allgemeinen Dokumentierung und öffentlichen Ausweisung der gesellschaftlich-wirtschaftlich bedeutsamen Aspekte ökonomischer Aktivitäten, wenn man sie vor allem als ein zusätzliches Instrument der externen, nicht primär internen und freiwilligen Kritik und Kontrolle gegenüber einer
verdunkelnden Unternehmens- und losgelassenen Kapitalwirtschaft verstünde. Hierzu liefern die für die „Gemeinwohl-Matrix“ vorgeschlagenen Kriterien einige wertvolle Anhaltspunkte. Aber was kommt dabei heraus, wenn wie vorgesehen die Gemeinwohlbilanzen und „Gemeinwohlprüfungen“ primär „unternehmensintern“ generiert werden? Als Hebel einer systemischen Umpolung in größerem Maßstab wird sich das alles als ein Trugbild erweisen, und als instituierte Unternehmenskontrolle in gesellschaftlichem Auftrag setzt solches ein Wirtschaften auf einer bereits wirklich wertfunktionell veränderten, in meiner Sicht „sozialwirtschaftlichen“ Systembasis voraus.

These Nr. 7: Da Gewinn nur noch Mittel, aber kein Ziel mehr ist, können Unternehmen ihre optimale Größe anstreben. Sie müssen nicht mehr Angst haben, gefressen zu werden und nicht mehr wachsen, um größer, stärker oder profitabler zu sein als andere. Alle Unternehmen sind vom allgemeinen Wachstums- und vom
wechselseitigen Fresszwang erlöst.

Die These, dass die operativen Einheiten einer Gemeinwohlökonomie „nicht mehr gewinnorientiert“ seien, wird auch durch ständige Wiederholungen nicht glaubwürdiger: Wenn bilanzielle Überschüsse weiter eine Existenzbedingung sind, stellen sie eben praktisch-objektiv Ziele dar. Der „Kern des Problems“ liegt aber noch
tiefer: Die Gemeinwohlökonomie bleibt ein System von über Märkte und monetär vermittelte Tauschprozesse verbundenen Warenproduzenten, auch wenn man sich nach Felbers Vorschlägen in den Branchen und selbst darüber hinaus abstimmt. Der Witz der Marxschen ökonomischen Theorie besteht gerade in dem Nachweis, dass
diesen realen Verhältnissen der Charakter, das ökonomische Kalkül und die Tendenzen einer Verwertungs- bzw. Kapitalwirtschaft inhärieren, welche die darin eingespannten Betreiber nicht überspielen oder gar außer Kraft setzen können.

Das heißt alles in allem, dass die in der bestehenden waren- und kapitalwirtschaftlichen Grundfiguration immanente Rationalisierungs-, Akkumulations- und Expansionsmotorik mit der vorgeschlagenen „Umpolung“ nicht abgeschaltet werden kann: Der Wachstumszwang und damit die Tendenz zu immer neuer Kapitalkonzentration und Überakkumulation im nationalen und internationalen Maßstab ist verankert in der Überschussrechnung, als conditio sine qua non des Ganzen, wesentlich in Verbindung mit der innerlich notwendigen Gliederung der Produktion in Produktionsmittel- und Konsumgüterproduktion. Die Konkurrenz exekutiert den intrinsischen, im ökonomischen Kalkül der Kapitalwirtschaft verankerten Wachstumszwang, der weder vulgärökonomisch durch Profitgier noch geldtheoretisch mit Verweis auf den Zinseszins erklärt werden kann.

Das Konzept der „Sozialwirtschaft als Systemalternative“ besagt zum Kernproblem, der Brechung des kapitalwirtschaftlichen Akkumulationszwangs, dass es dazu einer werttheoretisch fundierten Veränderung innerhalb der sozial-ökonomischen und sozialstaatlichen Gesamtkonfiguration bedarf, bei der eine neuartige „Kapitaltransfersteuer“ ins Spiel kommt. Sodann unter anderem, dass das „konstante Kapital“ im Zuge der Produktivitätsfortschritte nicht mehr als konstant behandelt, sondern regelmäßig abgewertet werden kann und muss. Es verwandelt sich in der neuen, höher vergesellschafteten Reproduktionsordnung in „instrumentelles Kapital“, in eine neue ökonomische Formbildung. Darin reflektiert sich etwa auch die Überholtheit der bestehenden privat- oder einzelkapitalistischen Eigentumsordnung. Dazu hat auch Felber Vorschläge:

These Nr. 9: Großunternehmen über 250 Beschäftigten gehen teilweise in das Eigentum der Beschäftigten und der Allgemeinheit über, über 5.000 Beschäftigten zu hundert Prozent. Die Öffentlichkeit wird durch dafür gewählte Abgeordnete „regionaler Wirtschaftsparlamente“ vertreten. Die Regierung hat keinen Zugriff auf öffentliche Unternehmen.

These Nr. 10: Das gilt auch für die „Demokratischen Allmenden“, die dritte Eigentumskategorie neben der großen Mehrheit (kleiner) Privatunternehmen und eines kleinen Anteils von gemischtbesessenen Großunternehmen. „Demokratische Allmenden“ sind Grundversorgungsbetriebe im Bildungs-, Gesundheits-, Sozial-, Mobilitäts-, Energie- und Kommunikationsbereich: die „Daseinsvorsorge“.

Dass größere Unternehmen in einer Wirtschaft der Zukunft nicht mehr Privateigentum sein können oder sollen, ist eine klassische Grundannahme der sozialistischen Theorie und eine gut begründbare Forderung jedes ernsthaften Alternativdenkens, die man etwa beim immanenten, opportunen, kapitalwirtschaftlich effektiven Push eines „Green New Deal“ vergeblich sucht. Aufgrund der neueren Diskussion über die Bedeutung der lokalen und regionalen Ebene für ein sozialökologisches Wirtschaften kann die Idee einer regionalen Vertretung in den Unternehmensleitungen und „regionaler Wirtschaftsparlamente“ als ebenso wenig originell oder vielmehr selbstverständlich gelten.

Der Pferdefuß des Konzepts der Gemeinwohlökonomie stampft hier zunächst mit der Aussage „Die Regierung hat keinen Zugriff auf öffentliche Unternehmen“ und ein zweites Mal mit der Bestimmung der besonderen „Eigentumskategorie“ „Demokratische Allmenden“. Diese sollen sozusagen regierungsfern, „direkt“ und „souverän“, das heißt „von der Bevölkerung kontrolliert und gesteuert werden“.

In der Sprache des Konzepts der „Sozialwirtschaft“ geht es hier um die volkswirtschaftliche Hauptabteilung „Sozialwirtschaftliche Dienste“, deren Wertschaffen unter der Hegemonie der Kapitalwirtschaft systemisch negiert und unterdrückt oder per Privatisierung auch zwangsweise inkorporiert wird: Indem hier eigentlich keine Waren, sondern die allgemeinen und gemeinsamen Grundlagen, wenn man so will, das zivilisatorische Gehäuse der modernen Gesellschaft reproduziert werden, können und sollen diese Felder gesellschaftlicher Arbeit zukünftig nicht durch wirtschaftliche Einheiten analog den andersartigen, warenwirtschaftlichen Marktteilnehmern geführt werden. Sie können und müssen vielmehr im Wesentlichen aus gesellschaftlichen, staatlich und steuerlich vermittelten Fonds finanziert, auf diese Weise praktisch „inwertgesetzt“ werden und können ihre Dienste und Angebote, wie Kindergärten, Schulen, Nahverkehr usw. auf diesem Wege im Prinzip kostenlos bzw. gegen Gebühren und Beiträge anbieten. Das meint nicht nur die sonst diskutierte „Sozialpolitik als Infrastruktur“, sondern stellt ein wer- tund reproduktionstheoretisch fundiertes Transformationskonzept dar.

Auch Felber lehnt eine Verfasstheit der Betriebe im „öffentlichen Sektor“ im Sinneb „klassischer Staatsunternehmen“ ab und plädiert für ein eigenes Leitungs- und Organisationsmodell im Sinne öffentlicher Grundversorgungsunternehmen, verkennt aber das grundlegend andere, nicht warenwirtschaftliche ökonomische Naturell der „sozialwirtschaftlichen Dienste“. Daher lobt er, wenn ein „Volksbetrieb“ ohne öffentliche Zuschüsse auskommt und wie ein, in seinem Sinne, richtiges Unternehmen funktioniert. In sozialwirtschaftlicher Perspektive ist dagegen die Finanzierung aus öffentlichen Quellen wert- und reproduktionstheoretisch unabdingbar, kommt durch die neuartige „Kapitaltransfersteuer“ ins Lot und schafft so auch, über die sogenannte „Daseinsvorsorge“ hinaus, die Basis für eine jetzt noch blockierte Daseinsentfaltung.

Im Bereich der „Demokratischen Allmenden“ oder richtiger „Sozialwirtschaftlichen Dienste“ fallen sowohl die steuerliche Erhebung der Mittel und deren überlegte Zuteilung, wie übergreifende Planungen und Dispositionen in
gesamtgesellschaftlicher Perspektive, praktisch und funktional gesellschaftlichen Instanzen zu – abgestimmt von der Ebene der „kommunal verfassten urbanen Praxis“ bis hinauf zur Ebene eines Gesamtstaats- und Regierungshandelns. Derart geht es hier also wesentlich um das Steuersystem, den Staats- und Sozialhaushalt und die brennende Problematik der Staatsverschuldung, kurz: die Zukunft des Sozialstaats.

Felbers Gedanke einer direkten und souveränen Steuerung dieser Angelegenheiten „durch die Bevölkerung“, wobei die Regierung „keinen Zugriff“ hat, setzt sich zwar gleichermaßen von liberalistischer Idiotie wie von Staatsplanwirtschaft ab, geht aber an der Aufgabe vorbei, dem höheren Grad der realen Vergesellschaftung auch einen entsprechenden Ausdruck in den Modi der Selbstorganisation der modernen Wirtschaftsgesellschaft zu geben. Aus der Abneigung gegenüber sozialistischer Planifikation und basisdemokratischen Vorbehalten gegenüber dem Staat erwächst die Gesamtorientierung auf eine Unternehmens- und Unternehmerwirtschaft, die sich angeblich von selbst gemeinnützlich optimiert und in dieser Weise auch noch in einem schrittweisen Prozess gegen die alte Profit- und Konkurrenzwirtschaft durchsetzen soll.

Man sollte aus dem Scheitern der krypto-kapitalwirtschaftlichen Zentralplanwirtschaft keine solchen falschen Umkehrschlüsse ziehen: Hier wie in großen Teilen der linksalternativen Debatte, insbesondere in Konzepten einer „solidarischen Ökonomie“, werden die ökonomischen Funktionen und zukünftig durchaus zentralen sozialökonomischen Aufgaben staatlicher Institutionen nicht ausreichend ins Auge gefasst, oder die Staatsdebatte konzentriert sich einseitig auf den politischen Staat. Ich spreche hier von Staatlichkeit im Sinne notwendiger und möglicher gesellschaftlicher, politisch-ökonomischer Selbstorganisation. Ins Blickfeld rückt so ein heute schon
breites, in konkreten Ansätzen entwicklungsfähiges Ensemble gesellschaftlicher Organe und Institutionen auf allen Ebenen und in allen Dimensionen der gesellschaftlichen Praxis.

Für das gegenüber Staat und Regierung auf Distanz gehaltene Konzept einer Unternehmens- und Gemeinwohlökonomie ist dem gegenüber charakteristisch, dass im Abschnitt „Beispiele und Vorbilder“ praktisch ausschließlich partikulare, alternativgenossenschaftliche Keimformen und Gegenmodelle, von Biolandwirtschaft über die Mondragon-Kooperative und Open Source-Bewegung bis zum Fair-Trade-Handel vorgestellt werden. Die Hoffnung, man könne aus diesen Rettungsinseln und Experimentierfeldern im stürmischen kapitalistischen Weltmeer eine „flächendeckende Unternehmenslandschaft“ bauen, ist aber weit überzogen und rührt nicht wirklich an die systemischen Grundfesten der bestehenden, neoliberalistisch umgemodelten sozialkapitalistischen Formierung und dessen, was Immanuel Wallerstein kapitalistisches „Weltsystem“ nennt.

These Nr. 3: Das Gemeinwohl wird in einem breiten demokratischen Prozess von unten vordefiniert, später an einen direkt gewählten Wirtschaftskonvent übergeben und per Volksabstimmung in der Verfassung verankert.

These Nr. 13: Neben dem demokratischen Wirtschafts- oder Gemeinwohlkonvent werden weitere Konvente für die Vertiefung der Demokratie einberufen: Bildungskonvent, Medienkonvent, Daseinsvorsorgekonvent.

Die Generalformel „Gemeinwohl“ ist für die Gesellschaft zunächst nicht konkreter als für den Papst die Seligkeit: Wer möchte am Ende nicht solidarisch, ökologisch, demokratisch und friedlich leben – das sind grundlegende „mehrheitsfähige“ Maßstäbe oder Zielbestimmungen dieses zunächst hochabstrakt beziehungsweise scheinkonkret daher kommenden Zentralgestirns der Orientierung.

Nun sollen „Konvente“, zuerst ein oberster Wirtschafts- und Gemeinwohlkonvent, dann auch Konvente für andere Felder der gesellschaftlichen Praxis, das „Gemeinwohl“ definieren und das Volk über solche Kodices beschließen. Nach solcher Initialisierung, die auf eine Anreicherung der Verfassung mit Gemeinwohlzielen hinausläuft, würde aber die weitere Entwicklung wieder der derart nur juridisch angeleiteten Selbststeuerung von Unternehmen der
Gemeinwohlwirtschaft überlassen. Deren Kreis soll sich nicht per Dekret, sondern kraft Überlegenheit des Konzepts erweitern und zur dominanten Form werden. Auf Denglisch: „Ein Bottom-up-Prozess zum Mitmachen!“

Tatsächlich wird so der Prozesszusammenhang einer wünschenswerten Selbststeuerung der modernen Wirtschaftsgesellschaft, ihrer künftig erwünschten bewussten Koordinierung, Planung und Kontrolle, zum Sandkastenspiel vereinfacht: Es gibt bereits auf dem Boden unserer zerspaltenen und gegensätzlichen Gesellschaftlichkeit ein komplexes institutionelles Geflecht von Interessen-, Entscheidungs-, Diskussions-, Forschungs-, Meinungs- und Beratungsgremien, die auf allen Ebenen, Lebens- und Wirtschaftsgebieten existieren.

Wo in einem solchen, sei‘s auch künftig transparenten, demokratischen und solidarischen Gefüge Probleme zu lösen und Entscheidungen getroffen werden müssen – von einem lokalen Projekt oder kommunalen Haushaltsplan über relevante Infrastrukturinvestitionen, Konzepte zur Regionalentwicklung bis hinauf zu den Budgets und Konzepten der Ministerien, des Staatshaushalts und der Sozialversicherungen – wird die für den sozialen Prozess und auch eine reale Demokratie konstitutive Widersprüchlichkeit oder Perspektivität, in der Sprache moderner Soziologie, der „agonistische Streit“ durchschlagen.

Mit Blick darauf halte ich den gemeinwohlökonomischen Versuch, eine Art Grundgesetz für die Wirtschaft zu erlassen und die Selbststeuerungsmodalität und -kapazität der modernen Gesellschaft durch höher organisierte und legitimierte Enquetekommissionen, genannt Konvente, zu binden und in eine einfache Form zu bringen, schlicht für illusionär. An das wirkliche Problem der praktisch-systemischen Formbestimmtheit einer historischen Wirtschaftsweise muss jedenfalls ganz anders herangegangen werden. Hilft hier das Zauberwort „Demokratisierung“ weiter?

These Nr. 12: Die repräsentative Demokratie wird ergänzt durch direkte Demokratie und partizipative Demokratie. Der Souverän muss seine Vertretung korrigieren, selbst Gesetze initiieren und beschließen, die Verfassung ändern und wichtige Bereiche der Wirtschaft – wie die Banken – kontrollieren können.

Mit der Forderung, die „Hauptbühne“ der repräsentativen Demokratie durch Elemente „direkter Demokratie“ zu ergänzen und allenthalben die „demokratische Partizipation“ zu verstärken, rennt Christian Felber offene Türen ein, an denen die Vertreter der zivilen, sozialen, alternativen und sozialistischen Bewegungen Spalier stehen. Natürlich wird die Systemopposition weiter auf ein viel Mehr an demokratischer Partizipation, vor allem an Volksbefragungen und Volksabstimmungen, in Richtung eines „historischen Ausbaus demokratischer Beteiligungs- und Kontrollrechte“ hinarbeiten.

In dieser Absicht geißelt Felber verkommene Eliten und Lobbyisten und teilt dem Volk, dem wahren „Souverän“, das erste und das letzte Wort zu. Das „souveräne Volk“ soll sogar die Verfassung neu schreiben! Ich möchte das Projekt einer „Verankerung“ des „Gemeinwohls“ in der Verfassung nicht weiter kommentieren, sondern auf andere Möglichkeiten zur „Weiterentwicklung der Demokratie“ hinweisen:

Der jetzigen konstitutiven Rolle und den zukünftigen Möglichkeiten der Kommunen als sozusagen „fraktalen“ sozialwirtschaftlich-gesellschaftlichen Grundeinheiten und zugleich Orten der möglichen Entfaltung realer Demokratie gilt noch viel zu wenig Aufmerksamkeit. Konsequenterweise könnte der Deutsche Städtetag in den Rang eines Hauptverfassungsorgans erhoben werden.

Auch ist die stets wünschenswerte demokratische Partizipation kein Generalschlüssel für eine bessere Zukunft, sondern verlangt Transparenz und wirkliches Wissen: In der Konzeption der „Sozialwirtschaft“ wird hier der Schwerpunkt gesetzt auf eine Initiative gegen affirmative Wissenschaftlichkeit, vor allem die herrschende Wirtschaftslehre, auf eine praxisphilosophisch-praxiswissenschaftliche Neubesinnung, auf eine notwendige Revolutionierung der Wissenschafts-, Wirtschafts- und Sozialinformatik, das heißt der Informationssysteme, die den gesellschaftlichen Individuen und in institutionellen Zusammenhängen auf allen Ebenen und in allen Bereichen Orientierungs- und Entscheidungsgrundlagen liefern. Die Chancen, die die neuen Informationstechniken und Medien bieten, könnten kaum besser genutzt werden.

Ein neues demokratisches Leben ist auch kaum vorstellbar ohne gleichzeitige grundlegende Korrekturen hinsichtlich gesellschaftlicher Ungleichheiten, ohne reale Chancengleichheit. In diese Richtung zielt ein Maßnahmenbündel, bei dem Felber sich sicher ist, dass es per Volksabstimmung eine klare Mehrheit fände:

These Nr. 8: Die Einkommens- und Vermögensungleichheiten werden begrenzt: die Maximal-Einkommen auf das 20-fache des gesetzlichen Mindestlohns; Privatvermögen auf 10 Millionen Euro; das Schenkungs- und Erbrecht auf 500.000 Euro pro Person; bei Familienunternehmen auf zehn Millionen Euro pro Person. Das darüber hinaus gehende Erbvermögen wird als „Demokratische Mitgift“ an alle Nachkommen der Folgegeneration verteilt: gleiches „Startkapital“ bedeutet höhere Chancengleichheit.

Wie Felber angibt, sprechen sich in Probeabstimmungen bei seinen Vorträgen die Versammelten regelmäßig für eine Verdienstobergrenze in Höhe des 10-fachen des gesetzlichen Mindestlohns aus. Der praktische Sinn dieser und der sachverwandten anderen, stets Beifall erheischenden Forderungen besteht aber doch vor allem darin, die mit der Bildung von Privatvermögen und mit Schenkungen, wachsenden Unternehmensgrößen, dem überkommenen Erbrecht und Immobilienbesitz verbundenen Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten und sozialen Polarisierungen erneut aufmerksam zu machen und die generelle Richtung wünschenswerter Reformen anzudeuten. Hoffnung, so Ernst Bloch, soll Kurs auf eine „konkrete Utopie“ nehmen, sich dabei aber vorm „Auspinseln“ der Zukunft hüten. Wenn es auch ein Verdienst Felbers ist, die bezeichneten, sonst gerne tabuisierten Fragen auf die Tagesordnung zu setzen, so bleibt dabei seine Neigung zu Lösungen mit dem Rezeptblock doch zu stark.

Wären die gemeinwohlökonomischen Anklagen und Forderungen zur Verhinderung von „Eigentumsungleichheit“, besonders darauf gegründeter politischer Machtkonzentration, anders zu verstehen denn als Richtungsanzeigen, könnte man mit gleichem Recht und ebenso gut fordern, dass es jetzt gleich gelte, die sogenannte Machtfrage zu stellen. Als Richtungsanzeigen weisen sie aber im Hinblick auf den bestimmenden Systemkern ebenso wenig eine eigentliche transformatorische Wertigkeit auf wie etwa die sogenannte Reichensteuer oder die keineswegs systemwidrigen Finanztransaktionssteuern.

Aus alldem ist die Lehre zu ziehen, dass ein „Wirtschaftsmodell der Zukunft“, das ernst genommen werden will, natürlich jenseits einer grün-rot verblendeten, praktisch weniger alternativen als vielmehr korrektiven Wirtschaftspolitik zu suchen ist. Aber auch zu verbal radikalen und ultimativen Postulaten sollte gebührender Abstand gehalten werden. Meiner Ansicht nach gehört beispielsweise das „Garantierte Grundeinkommen“ in diese Kategorie. Seine Verfechter finden auch in Felber keinen Verbündeten, denn im Vollbildmodus der Gemeinwohlökonomie gibt es „nur eine bescheidene Grundsicherung“, die gerade fürs „Überleben“ ausreicht: „Wer ein gutes Leben haben möchte, muss etwas dafür tun“.

Im Zentrum eines politisch-ökonomisch fundierten Transformationskonzepts sollte eine Praxisanalytik der subjektiven Kräfte, materiellen Potenzen, systemischen und institutionellen Formen stehen, in denen sich, so Marx, bereits „im Schoße“ des Bestehenden etwas Neues kristallisiert, dem Geburtshilfe gegeben werden kann.
Nach meiner Untersuchung handelt es sich hierbei um das Produktivkraftensemble einer noch überwiegend latent existierenden „sozialwirtschaftlichen Reproduktionsordnung“, der ein nachweislich nicht mehr verwertungswirtschaftliches, sondern haushälterisches „ökonomisches Kalkül“ innewohnt.

Auch in diesem Zusammenhang stellen sich schwierige Fragen hinsichtlich der Geld- oder Finanzsphäre, die meiner Ansicht nach, abgesehen von aller berechtigten Kritik an finanzkapitalistischen Operationen und Perversionen, gegenwärtig weder als zureichend analysiert noch als positiv beantwortet gelten können:

These Nr. 11: Eine wichtige Demokratische Allmende ist die „Demokratische Bank“. Sie dient wie alle Unternehmen dem Gemeinwohl und wird wie alle Demokratischen Allmenden vom demokratischen Souverän kontrolliert und nicht von der Regierung. Ihre Kernleistungen sind garantierte Sparvermögen, kostengünstige Kredite, ökosoziale Risikokredite sowie kostenlose Girokonten. Die Finanzmärkte in der heutigen Form wird es nicht mehr geben.

Der Vorschlag lautet, die „Spieltische des globalen Finanzkasinos“ zu schließen, beispielsweise auch Finanzinvestments von Unternehmen zu verbieten, und ein ganz anderes Finanzsystem zu instituieren. In dessen Mittelpunkt steht die „Demokratische Bank“: Ein subsidiär-kooperativer „Banken-Verbund“ von der Zentralbank bis hinunter zu Instituten vor Ort. Dieser neue Banktyp erfüllt die Kernaufgaben eines gemeinwohlverpflichteten Kreditinstituts für Privat, für die Unternehmen und den Staat, führt auch die Gemeinwohlprüfung für Kredite durch
und finanziert sich dabei aus kostendeckenden Gebühren. Es soll in Zukunft weder Kredit- noch Sparzinsen herkömmlicher Art geben, also auch kein persönliches Einkommen aus Zinsen.

Mit der „Demokratischen Bank“ ist eine Alternative zur finanzkapitalistischen Welt gezeichnet, welche die Frage des Zinses grundsätzlich aufwirft, auch das Problem der Inflation anspricht und den Bogen bis zur Idee einer neuartigen „Welthandelswährung“ als „neutraler Verrechnungseinheit für den internationalen Handel“ spannt. Was hier wie ein ausgekochtes Rezept vorgetragen wird, wäre tunlichst erst einmal zu prüfen und zu diskutieren im Hinblick auf andere Vorschläge, welche den notwendigen Exodus aus dem finanzkapitalistischen Irrwitz betreffen. So erklärt beispielsweise auch DIE LINKE, das europäische Banken- und Finanzsystem gehöre dauerhaft unter gesellschaftliche Kontrolle.

Solche gesellschaftliche Kontrolle ist allerdings, bei genauerem Hinsehen, in Felbers Konzept gerade nicht intendiert: Eher könnte man von der Instituierung eines gemeinwohlökonomisch verfassten, konzertierten Bankunternehmensbetriebs sprechen, der in Felbers Worten „too essential to fail“ ist. Eben daher wird das Wörtchen Vergesellschaftung konsequent vermieden und stellt man sich das Ganze so vor, dass mit der Gründung einer neuen genossenschaftlich verfassten demokratische.bank.at, einfach ein Anfang gemacht werden kann. Ein schönes Projekt, auch aus Sicht der finanzkapitalistischen Konkurrenz vermutlich „too tiny to matter“.

Die Ideen für einen öffentlich-gemeinnützigen Bankensektor konvergieren mit dem Ansatz, dass das Finanzsystem im Zusammenhang einer „Sozialwirtschaft“ nur die besondere Ausformung eines „sozialwirtschaftlichen Dienstes“ darstellen kann, also öffentlichen Charakter aufweist und in die gesamtwirtschaftliche Selbstorganisation integriert ist, sich aus Gebühren finanziert und keine Ausrichtung auf die Aneignung von Mehrwert für sich selbst aufweist. Das alles geht schon sehr weit, ist aber noch eine Fahrt auf Sichtweite, die ohne einen geld- und finanztheoretischen Salto Mortale wie das „endgültige Ende arbeitsloser Kapitaleinkommen“ auskommt.

Ich habe den Eindruck, dass die hier vorgelegten Konzepte und damit verbundenen Lösungsansprüche weit überdehnt sind, dass insbesondere das Konzept von good money, das keinen Zins mehr abwirft, geld- und reproduktionstheoretisch nicht fundiert ist. Eine Tendenz zur Überdehnung, zum Auspinseln und zur Konstruktion
der Zukunft, zur selbstverliebten Vorwegnahme von Totallösungen ist auch sonst in den Darlegungen überall gegenwärtig, nicht zuletzt in der Ankündigung eines Siegeszuges der „Gemeinwohl-Ökonomie“. Daher ist zu begrüßen, dass das Ganze in seiner letzten These auf einen zwar sehr beschränkten, aber erkennbar realeren
Boden zurückgeführt wird:

These Nr. 15: Da in der Gemeinwohl-Ökonomie unternehmerischer Erfolg eine ganz andere Bedeutung haben wird als heute und deshalb ganz andere Führungsqualitäten gefragt sein werden, werden die sozial verantwortlichsten und kompetentesten, die zum Mitgefühl und zur Empathie fähigen, die über sich hinaus sozial und ökologisch denkenden und fühlenden Menschen tendenziell nachgefragt werden und als Vorbilder gelten.

Die „Kleine Geschichte der Gemeinwohl-Ökonomie“, die sich gar nicht so klein von Platons „Politeia“ bis zu einem für 2012 bis 2015 geplanten „Gemeinwohl-Konvent“ (ver)spannt, resümiert sich in der Erwartung, dass in den nächsten Jahren „Tausende oder Zehntausende von Unternehmen dem Prozess beitreten und diesen mitgestalten“.

Auch die Bayerische Verfassung von 1946, Art. 151 gehört zu den Marksteinen dieser Geschichte. Hieß es doch bereits dort, „Alle wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“. Es ist Christian Felber und seinen MitstreiterInnen vielleicht entgangen, dass das keine taugliche Referenz ist, sondern ein schlagendes Beispiel,
wie sich ein abstraktes Sollen und volksfreundliche Generalformeln in der Realität gesellschaftlicher Praxis blamieren, weil realiter Anderes dahintersteht oder sich dagegen durchsetzt.

Daher komme ich zu dem Schluss, dass das Konzept der Gemeinwohlökonomie im Rahmen der vielstimmigen Diskussion über eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Alternative einige anregende Aspekte aufweist und die strittige Diskussion durch sprudelnde Ideen belebt, in Kernfragen aber eher desorientiert. Das Rad der Geschichte wird wenig ruckeln, wenn sich eine kleinere oder größere Anzahl von UnternehmerInnen, die für sich die angesprochenen „Führungsqualitäten“ gerne reklamieren, als Sponsoren und Pioniere einer Initiative für die „Gemeinwohl-Ökonomie“ platzieren und daraus ein Plus ziehen. Ein wenig umstürzlerisches Resultat!

Weiterdenken

Eine Wirtschaftsweise jenseits der kapitalwirtschaftlichen Formen und Gesamtprägung kann nicht primär durch eine Revision von Handlungsorientierungen oder einfach per Dekret, beispielsweise durch neue Stimuli oder auch ein alternatives wirtschaftliches oder internationales Government instituiert werden.

Sie erfordert vielmehr eine praktisch-systemische Rekonfigurierung der sozial- und nationalökonomischen Praxis, eine Konstituierung neuartiger Organisations- und Vermittlungsformen gesellschaftlicher Arbeit und Aneignung, eine entsprechend veränderte Wirtschaftsverfassung, so dass das Ganze dann insgesamt nicht mehr im Sinne einer kapitalwirtschaftlichen Verwertungsökonomie funktioniert. Das heißt insbesondere, dass ohne ein ausgewiesenes werttheoretisches Kernstück nichts Vertrauenswürdiges zustande kommen kann. Erst die ausschlaggebende Entlastung vom Verwertungszwang eröffnet die Möglichkeit, dass sich zivilisiertere menschliche
und gesellschaftliche Orientierungen habitualisieren, gesellschaftlich durchsetzen und sich im Laufe der eröffneten historischen Übergangsperiode auch internationale Verhältnisse partnerschaftlich und solidarisch neu ordnen.

Die nicht nur traditionell „kritische“ und antithetisch grundierte, sondern weiter gehend praxiswissenschaftliche, utopistische Methode der Transformationsforschung besteht darin, von einer Darstellung der realen wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklungsbewegung der politisch-ökonomischen Sozialformierung auszugehen.
Es kommt darauf an, dass zentrale, eklatierende Widersprüche innerhalb der Reproduktionsorganisation oder schließlich ein latent angelegtes, neuartiges Produktivkraftensemble erkennbar werden. Daran kann in der Perspektive gesellschaftlicher Transformation angeknüpft werden. Anders bleibt Hoffnungsdenken abstrakt utopisch, verläuft sich in ‚Donquichoterie‘.

Die Frage nach der „utopistischen“ Methode führt auf den Punkt, dass es ohne eine Restitution philosophisch-wissenschaftlicher und damit auch praktisch-dialektischer Denkgrundlagen und Wissenschaftlichkeit nicht recht vorwärts gehen wird: Ein kritisches Denken und Alternativstreben, das sich noch auf dem Boden bürgerlicher
Philosophie, Sozial- und Wirtschaftstheorie bewegt, kann das andere Ufer nicht erreichen. Aber auch traditionell „kritische“ Theorie und politische Ökonomie erweisen sich in der „Übergangs“-Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts als unzureichende Modi. Überhaupt sind die Kerngebiete linker Philosophie, Praxiswissenschaftlichkeit und Weltsicht von einer enormen Auszehrung betroffen: Das Jahrhundertversagen der „Kritik der politischen Ökonomie“ im ‚Positiven‘ hat hier seine Pfahlwurzel.

Der Gegenstand, der auf derart überlegte Weise aufzuschließen ist, ist nicht das, was man gemeinhin unter „soziale Marktwirtschaft“ oder totalisierend unter „Kapitalismus“ versteht. Die Wirtschaft der Gesellschaft beruht auf einem Gesamtsystem gesellschaftlicher Arbeit und Aneignung, das im Kern die industriewirtschaftliche Warenproduktion, die durchgreifend vermittelnde und moderierende Rolle des Steuer- und Sozialstaats und damit zusammenhängend ausgedehnte Produktionen allgemeiner gesellschaftlicher Existenzbedingungen umfasst. Letztere sind eigentlich keine Waren im üblichen Sinn. Dieser in hohem Maße real vergesellschaftete, jetzt in einen Formwechsel und Übergang hinein treibende oder gezogene Reproduktionszusammenhang wird in der traditionellen marxistischen Kapitaltheorie seit 100 Jahren nur unzureichend abgebildet und liegt völlig außerhalb der Reichweite der stupenden neoklassisch-neoliberalen Wirtschaftsideologie.

Die weltweite Durchsetzung der kapitalwirtschaftlichen Ökonomik hat schließlich nicht nur alle realen, sondern zugleich die damit aufgeworfenen theoretischen Probleme noch einmal potenziert. Felbers handlungs- und demokratietheoretisch naive Grundauffassung resümiert sich hier so: „Kapitalismus heißt, dass dem Vermehrungsbedürfnis des Kapitals prinzipiell moralisch und rechtlich stattgegeben wird“. Entsprechend heißt es in „Thesen zur Globalisierung“, die Globalisierung sei ein „zielgerichtetes politisches“, „ein vorsätzliches Projekt der Regierungen im Interesse des Kapitals“ und fuße infolgedessen heute sogar auf einer „soliden völkerrechtlichen Grundlage“. Daher sei es auch „naiv, im nachhinein eine politische Regulierung der ökonomischen Globalisierung“ zu fordern. Vielmehr wiesen die tausend Gesichter der globalen, sozialen und alternativen Initiativen auf den Weg einer Transformation „von innen“ und unten. Die daran anschließenden „Thesen gegen den Weltmarkt“ laufen auf ein wortreiches Plädoyer für „überschaubare“ und „kleinräumige“ Strukturen“ hinaus, also gegen Massenproduktion, Großunternehmen und größere Wirtschaftsräume – je größer, desto schlimmer ist buchstäblich Alles:

Es ist unannehmbar, wie hier in völlig einseitig verabsolutierender Denkmanier nur die Schrecknisse einer arbeitsplatzvernichtenden, sozial und ökologisch zerstörerischen großen Industrie und größerer Räume des Wirtschaftsverkehrs ausgemalt und in ein Plädoyer für überschaubare Kleinstrukturen, für Selbstversorgung wie bei „Biobauern, Handwerkern und Nahversorgern“ umgemünzt werden. Die Potentialität moderner wissenschaftlich-industrieller Produktionsformen und ausgedehnterer Beziehungen im Wirtschaftsverkehrs besteht an sich ebenso darin, von Hunger und Arbeitszwang zu befreien und vor allem eine künftige Emanzipation der nicht warenproduzierenden Arbeit, der sozialwirtschaftlichen Dienste zu ermöglichen. Deren vom Verwertungszwang befreite Formbestimmung ermöglicht dann die Realisierung ökologisch-solidarischer und emanzipatorischer Verfahrensweisen und Ziele. Diese systemalternative Struktur verlangt aber wesentlich die Einschaltung und Vermittlung des Sozial- und Nationalstaats, seine künftige Ermächtigung gegen die „entbettete“ und ihn zugleich einklammernde Kapitalökonomie. Deren globale Physiognomie trägt raubtierhafte Züge und beruht mitnichten auf Grundlagen, die als rechtlich oder gar völkerrechtlich bezeichnet werden könnten.

Eine entscheidende formationelle Umstimmung kann jedenfalls nicht durch die zunehmende Agglomeration von partizipativer, genossenschaftlicher und regionalökonomischer „Solidarischer Ökonomie“ erreicht werden. Diese Idee weitergedacht würde man im besten Fall auf das ökonomische Konzept von Marx im Jahre 1871 zurückfallen. Dieser setzte unter den Gegebenheiten des damaligen Industriekapitalismus darauf, dass künftig „die Gesamtheit der Genossenschaften die nationale Produktion nach einem gemeinsamen Plan regeln, sie damit unter ihre Leitung nehmen“ sollte. Nach dem Zusammenbruch der Zentralpanwirtschaft und der Entwicklung des modernen Sozialkapitalismus ist es unumgänglich, die Angelegenheit ganz neu zu durchdenken. Auf dem schwachen politischökonomischen Niveau der „Gemeinwohl-Ökonomie“ wird man dabei aber zu keinem tragfähigen Ergebnis kommen.

Um den in den tollen Ideen der Gemeinwohlökonomie versteckten und meiner Ansicht nach weniger gemeinwohligen als vielmehr gemeingefährlichen Hinterhalt zu erkennen, ist hier im Rückblick aufs Ganze darauf aufmerksam zu machen, dass Felber für eine sozial-ökologische, sich selbst regulierende Unternehmerwirtschaft
plädiert, die den Sozialstaat mehr oder weniger überflüssig macht. In seinem Kanon der Systemprobleme kommt der Staatsverschuldung oder der Verteidigung des Sozialstaats, in der Theorie der Sozialwirtschaft eine Hauptbruch- und -kampflinie, kein zentraler Stellenwert zu: Der Sozialstaat erscheint in der glückverheißenden
Gemeinwohlökonomie so überflüssig oder sogar „systemwidrig“, dass er schon jetzt wenig Beachtung findet.

In unglaublicher Naivität wird verkündet, dass in etwa die Gewährung von „vier Freijahren“ oder „Karenzjahren“ pro Erwerbsleben „als soziale Sicherung ausreichen werden“, weil in der Gemeinwohlökonomie „die Zahl der vom System Ausgespienen sinken wird“. So etwas wie Sozialhilfe sei nur noch in Einzelfällen nötig: Dem Gemeinwohldenker wie anderen Sozialstaatsfernen entgeht an dieser Stelle, dass gerade eine künftige solidarische Ökonomik das Fundament für eine Gesellschaftlichkeit bietet, in der die sozialstaatlich vermittelte Verwirklichung gesellschaftlicher Solidarverhältnisse und Emanzipationsprojekte einen größeren Anteil am Gesamtprodukt beanspruchen könnte als unter der heutigen repressiven Verwaltung gesellschaftlicher Notstände.

So werden nicht nur die notwendigen gesamtökonomischen Vermittlungsfunktionen des Staates verfehlt, die sich in der reiferen sozialkapitalistischen Figuration ausgebildet haben, sondern vor allem die in diesem widersprüchlichen Szenario enthaltenen transformatorischen Potentiale. Ich plädiere daher für eine Emanzipation
des Sozialstaatlichen im Kontext der veränderten Reproduktionsordnung einer Sozialwirtschaft, in der die Wertbildung der sozialwirtschaftlichen, und das heißt auch solidarischen Dienste positiv und unverkürzt zur Geltung kommt. Diese Praxisformierung impliziert zugleich praktisch-objektiv veränderte, solidarische Eigentumsverhältnisse oder eine höher stehende Wirtschafts- und Gesellschaftsverfassung.

Die alles entscheidende Frage, um die gegenwärtig gerungen wird, lautet: Wie kann die Wirtschaft der Gesellschaft betriebswirtschaftlich, nationalökonomisch und allerletztlich global rekonfiguriert und in der eröffneten historischen Übergangsperiode, im Gefüge energiegeladener gesellschaftlicher Machtfelder, wohl auch im Gefolge unvorhersehbarer Brüche und Krisen, real transformiert werden?

Nur so scheint es möglich, die katastrophische Haupttendenz der bestehenden Wirtschafts- und Sozialform zu brechen und eine negative Transformation zu verhindern. Es heißt daher zu Recht: „Empört Euch!“. Der Weltsystemtheoretiker Immanuel Wallerstein spricht gar von einem bevorstehenden „Kampf auf Leben und Tod“. Man kommt aber zur sozialen Wahrheit, Praxis und konkreten Alternative nicht, indem man nach (Leit)Sternen greift, wie in Christian Felbers Gemeinwohlökonomie.

Ausgewählte Literatur und Links

Felber, Christian: Die Gemeinwohl-Ökonomie. Das Wirtschaftsmodell der Zukunft. Deuticke Verlag, Wien 2010. Zusammenfassung: http://www.christianfelber.at/schaetze/gemeinwohl.pdf

Einblick bei Amazon: http://www.amazon.de/Die-Gemeinwohl-%C3%96konomie-Das-Wirtschaftsmodell-Zukunft/dp/3552061371

Sonstige Webadressen:

Startseite

http://www.gemeinwohl-oekonomie.org

Müller, Horst: Zur wert- und reproduktionstheoretischen Grundlegung und Transformation zu einer Ökonomie des Gemeinwesens. S. 157-228 in Horst Müller (Hg): Von der Systemkritik zur gesellschaftlichen Transformation. BoD-Verlag, Norderstedt 2010. http://www.praxisphilosophie.de/prxpubl2010.htm

Der Sammelband bei Amazon: http://www.amazon.de/Von-Systemkritik-zur-gesellschaftlichen-
Transformation/dp/3839188229/ref=sr_1_13?ie=UTF8&qid=1290548986&sr=8-13

Sonstige Webadressen:

http://www.praxisphilosophie.de/start.htm

http://www.heise.de/tp/artikel/26/26202/1.html

image_print