Deusch-Mittelost

von Tomasz Konicz

Ist Mittelosteuropa zu einem ökonomischen „Hinterhof“ Deutschlands verkommen?

Deutschlands jüngste Exporterfolge scheinen nicht nur auf Kosten anderer Volkswirtschaften abzulaufen. Osteuropa profitiere besonders stark vom deutschen Exportboom, titelte etwa die Frankfurter Rundschau. Die Welt erklärte bereits zu Jahresanfang, der deutsche Aufschwung ziehe „ganz Osteuropa mit“. Tatsächlich konnten die Exporte Polens, Tschechiens und Ungarns in die Bundesrepublik im ersten Quartal dieses Jahres um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zulegen. Inzwischen fließt rund ein Drittel aller tschechischen Ausfuhren auf den deutschen Binnenmarkt, bei Polen und Ungarn geht rund ein Viertel der Exporte nach Deutschland.

Der rasante Aufschwung der deutschen Wirtschaft seit dem Ende der Krise verdankt sich vor allem dem Exportüberschuss. Das Wirtschaftswachstum seit dem Konjunktur-Tief Anfang 2009 speiste sich zu fast 70 Prozent aus dem Außenbeitrag (Ausfuhren minus Einfuhren). Die deutsche Export-Offensive hat international viel Ärger ausgelöst: Deutschland saniere sich auf Kosten des Auslands, hieß es, insbesondere auf Kosten einiger Euro-Staaten.
Frankfurter Rundschau

Dieser Vorwurf scheint im Fall Osteuropas nur bedingt zu greifen, da im vergangenen Jahr von den mittelosteuropäischen EU-Mitgliedsländern nur Polen ein größeres Handelsdefizit gegenüber Deutschland ausgebildet hat. Ungarn, Tschechien und die Slowakei weisen sogar gewisse Handelsüberschüsse gegenüber dem Vize-Exportweltmeister Deutschland aus. Mehr noch, die Exporte aus Mittelosteuropa in die Bundesrepublik bestehen vornehmlich aus Investitionsgütern, die derzeit von der deutschen Exportindustrie verstärkt nachgefragt werden. Deutschland Exportboom hat offenbar auch die Industrieproduktion etwa in Tschechien und der Slowakei belebt, sodass beide Länder im vergangenen Jahr immerhin ein Wirtschaftswachstum von 2,3 und 2,4 Prozent verzeichnen konnten.

Verlängerte Werkbänke

Bei einem genaueren Blick auf diese osteuropäische Konjunkturerholung wird aber schnell klar, dass sie nur Ausdruck der dominierenden Stellung deutscher Unternehmen innerhalb dieser Volkswirtschaften ist, die wiederum im hohen Maß vom deutschen Binnenmarkt abhängig sind. Ein großer Teil der „tschechischen“, „slowakischen“ oder „ungarischen“ Exporte nach Deutschland wird nämlich von deutschen Konzernen abgewickelt, die in diesen osteuropäischen Ländern Fertigungskapazitäten aufgebaut haben, um von den niedrigen Löhnen in dieser Region zu profitieren. Die meisten Länder Mittelosteuropas wurden so zu „verlängerten Werkbänken“ der westeuropäischen Industrie zugerichtet, in die arbeitsintensive Fertigungstätigkeiten ausgelagert wurden. Was also in der Außenhandelsstatistik als osteuropäische Exporte in die Bundesrepublik ausgewiesen wird, bildet im Endeffekt den Binnenaustausch von Waren innerhalb der globalen Produktionsketten westlicher – hier insbesondere deutscher – Konzerne. Ein Großteil der gesamten Exporte dieser mitteloseuropäischen Volkswirtschaften wird inzwischen von westlichen Unternehmen abgewickelt:

Der Anteil ausländischer Firmen an den Exporten stieg über die Jahre beträchtlich. 2006 machte er in Polen 60 Prozent, in Tschechien und der Slowakei 70 Prozent und in Ungarn gar 80 Prozent aus. Ein Gutteil der Handelsgüter wird mittlerweile zwischen Mutter- und Tochterkonzernen großer ausländischer Unternehmen hin- und her geschoben.
Hannes Hofbauer: EU-Osterweiterung

Die Zurichtung dieser Länder zur verlängerten Werkbank gerade deutschen Industriekapitals äußert sich auch in einem sehr hohen Außenhandelsanteil, der in Mittel- und Osteuropa in 2009 bei 43 % der Wirtschaftsleistung lag. Zum Vergleich: der Außenhandelsanteil in der Eurozone im selben Jahr lag bei 26 % des BIP. Die Exportabhängigkeit ist vor allem in Ungarn, der Slowakei und der Tschechischen Republik aufgrund der dominierenden westlichen Fahrzeugindustrie besonders stark ausgeprägt. Die Exporte erreichen in der Slowakei und Ungarn 66 % des Bruttoinlandsprodukts, in der Tschechischen Republik sind es 60 %. Doch selbst diese Zahlen geben nur „das halbe Bild“ der ökonomischen Abhängigkeit Mittelosteuropas wieder, wie Springers „Welt“ ausführte:

Ökonomen zählen häufig Importe und Exporte zusammen, um einen Eindruck zu gewinnen, wie offen die betreffende Volkswirtschaft ist. Die Summe von Ein- und Ausfuhren liegt in der Tschechischen Republik und Ungarn bei jeweils rund 140 Prozent der Wirtschaftsleistung – beide sind über Handel eng verzahnt mit dem Rest Europas und der Welt.
Welt

Somit fungieren diese osteuropäischen Länder als reine Drehscheiben für transnational agierende Westkonzerne, in die arbeitsintensive Fertigungsschritte ausgelagert werden, was den Eindruck einer hohen „Offenheit“ dieser Volkswirtschaften erweckt. Diese extreme Zurichtung der mittelosteuropäischen Volkswirtschaften zu reinen Produktionsstandorten westlicher Unternehmen führte auch zu einer strikten Zweiteilung ihrer Wirtschaftsstruktur. Einerseits existieren Unmengen an unterkapitalisierten Kleinstbetrieben in einheimischem Besitz, die um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen. Andrerseits verbleibt die avancierte Exportindustrie fest in der Hand international agierender Konzerne. Hierbei kommt es kaum zu Verflechtungen zwischen diesen beiden ökonomischen Sphären. Ein Technologietransfer zum einheimischen Industriesektor – wie er beispielsweise in China initiiert wurde – findet nicht statt. Der Aufbau einer heimischen Exportindustrie nach chinesischem Vorbild konnte folglich nicht im nennenswerten Umfang realisiert werden. Hierzu sind diese Volkswirtschaften auch in vielen Fällen schlicht nicht groß genug. In den meisten mittelosteuropäischen Ländern kann man auch nicht von einem unternehmerischen „Mittelstand“ sprechen.

Schocktherapie durch Deindustrialisierung

Das Fehlen eines einheimischen Industriesektors in Mittelosteuropa ist größtenteils auf die desaströse Systemtransformation in der Region nach Zusammenbruch des autoritären Staatssozialismus zurückzuführen. Bevor diese ehemals staatssozialistischen Volkswirtschaften der Europäischen Union als scheinbar gleichberechtigte Mitglieder beitreten konnten, wurden sie jeglicher eigenständiger ökonomischer Potenzen beraubt. Dies geschah vermittels einer Enteignung dieser Volkswirtschaften, die zumeist unter dem Stichwort der Schocktherapie zusammengefasst wird. Den hoch verschuldeten Transformationsländern Mittelosteuropas machte der Westen ein unmoralisches Angebot: Entschuldung gegen Ausverkauf der Wirtschaft.

Während der Systemtransformation fand eine Deindustrialisierungs- und Enteignungswelle der gesamten industriellen Basis dieser Länder statt. Diese zerstörerische Dynamik wurde durch eine schockartige Öffnung der osteuropäischen Binnenmärkte erreicht. Hierdurch konnten die maroden osteuropäschen Unternehmen binnen kürzester Zeit niederkonkurriert werden. Die interessantesten Filetstücke aus der Konkursmasse des Staatssozialismus wurden hingegen vom westlichen Kapital übernommen. Als Beispiele seien hier die tschechischen Skoda-Werke, der polnische Süßwarenhersteller Wedel oder der rumänische Fahrzeughersteller Dacia genannt.

Im Endeffekt wurden nahezu alle osteuropäischen Volkswirtschaften eines eigenständigen ökonomischen Rückgrats – also eines im heimischen Besitz befindlichen Industriesektors – beraubt. Fast alle wichtigen Unternehmen in nahezu allen osteuropäischen Staaten befinden sich im Besitz westlicher Industriekonzerne. Es fand also de facto eine Deindustrialisierung dieser Region statt, die mit dem Verlust jeglicher autarken technologischen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten einherging. Erst danach fand eine periphere „Reindustrialisierung“ der Region durch die Investitionstätigkeit westlicher Großkonzerne statt, in deren Verlauf die gesamte Region sukzessive zu der besagten „verlängerten Werkbank“ umgeformt wurde.

Weite Teile Osteuropas verkamen ab den 90er Jahren zu einem Billiglohnstandort. Die enormen sozialen Verwerfungen und Hungerlöhne in Osteuropa strahlten auch auf den Westen aus, was ja zu der massiven Senkung des Lohnniveaus insbesondere in Deutschland beigetragen haben dürfte. Einerseits konnte also westliches Kapital Osteuropa als Absatzmarkt gewinnen, indem die heimische Konkurrenz noch in der Transformationsphase vernichtet werden konnte, andererseits fungierte die Region als Investitionsstandort, bei dem die besten Betriebe übernommen und arbeitsintensive Produktionsschritte ausgelagert werden konnten.

Deutsche Industrie ist der wichtigste Handelspartner

Die Exportindustrie der BRD kann getrost als der Hauptprofiteur der Systemtransformation in Osteuropa, wie auch der anschließenden Osterweiterung der EU bezeichnet werden. Deutsche Konzerne konnten in vielen Branchen zwischen Baltikum und Schwarzem Meer eine dominante Stellung erringen. Deutsches Kapital hat bis Ende 2008 rund 77 Milliarden Euro in den zehn osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten investiert. Über 10.000 Unternehmen mit deutscher Beteiligung gibt es bereits in diesen Ländern. Damit entfallen auf diese bereits über acht Prozent des gesamten Bestandes deutscher Direktinvestitionen im Ausland. Rechnet man auch den West-Balkan und die Region der ehemaligen Sowjetunion hinzu, so ergibt sich für das gesamte Osteuropa ein deutscher Bestand an Direktinvestitionen von mehr als 102 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von elf Prozent aller deutschen Direktinvestitionen. Damit erreicht die Region immerhin fast die Hälfte des deutschen Investitionsanteils in den USA (22 Prozent). Die deutschen Direktinvestitionen in Osteuropa übersteigen auch die Summe aller deutschen Investments in Asien, Zentral- und Südamerika zusammen (10,5 Prozent). Chinas Anteil betrug beispielsweise Ende 2008 gerade einmal zwei Prozent.

Die Bundesrepublik ist selbstverständlich der wichtigste Handelspartner der gesamten Region Mittelosteuropa. Bei nahezu allen einzelnen osteuropäischen EU-Neumitgliedern bildet Deutschland folglich auch den wichtigsten Handelspartner – sowohl beim Import wie beim Export. Die deutschen Exporte nach Osteuropa siegen von 5,1 Prozent aller Ausfuhren in 1990 auf 12,4 Prozent in 2008. Diese Region nahm somit mehr deutscher Waren auf als die USA (7,2 Prozent), Russland (4,5 Prozent) oder China (3,4 Prozent). Mittelosteuropa wird so zu einem Anhängsel der deutschen Exportindustrie, wodurch in der Region kaum noch eine eigenständige Wirtschaftspolitik betrieben werden kann. Diese hohe Abhängigkeit von der deutschen Exportindustrie äußert sich im derzeitigen Aufschwung, der auf Osteuropa ausstrahlt. Doch in der Krise riss der Einbruch der globalen Nachfrage nicht nur Deutschland, sondern auch dessen osteuropäische „verlängerte Werkbank“ in die Rezession, die im Fall Tschechiens und der Slowakei zu Wirtschaftseinbrüchen von mehr als vier Prozent führte.

Beispiel Ungarn

In Ungarn scheint die Diskrepanz zwischen einem unterentwickelten heimischen Wirtschaftssektor und der westlichen Exportindustrie besonders krass hervorzutreten: In dem krisengeplagten Land sollen laut dem Finanzdienstleister Opten nur 14 Betriebe mit Jahreseinnahmen von mehr als 70,1 Millionen Euro (500 Millionen Forint) existieren, die sich ausschließlich im Besitz ungarischer Staatsbürger befinden. Zugleich konnte Ungarn Ende 2010 milliardenschwere Investitionen deutscher Konzerne verbuchen. In Ungarn arbeiten inzwischen 150.000 Menschen allein an den verlängerten Werkbänken deutscher Konzerne.

Zudem konnten gerade aufgrund der globalen Krisendynamik neue Investitionen in Produktionsstandorte der Autoindustrie angelockt werden, die weit über bloße Montagetätigkeiten hinausgehen. Bereits im Herbst vergangenen Jahres kündigten mehrere Fahrzeughersteller an, ihre Produktionskapazitäten in Ungarn massiv auszubauen. So wird Opel an die 500 Millionen Euro in den Ausbau seines Motorenwerks in südungarn Investieren. Daimler wiederum treibt den Aufbau einer gänzlich neuen Fabrik zur Herstellung der A-Klasse voran. Auch bei dem ungarischen Audi-Werk in Györ tritt neben der reinen Montagetätigkeit die Einführung komplexer Produktionsabläufe.

Die Audi-Fabrik in Györ ist vor allem wichtig als Standort für die Motorenfertigung im gesamten VW-Konzern. Zusätzlich werden in Györ auch die Audi Modelle TT und das A3 Cabrio zusammengesetzt. Mit seinen 5 600 Beschäftigten ist Audi Hungaria im vergangenen Jahr auf einen Umsatz von knapp vier Mrd. Euro gekommen. Die Autos werden in Györ bislang aber nur montiert. Die Fahrzeugteile kommen aus den deutschen Audi-Werken fertig nach Ungarn. Die Fabrik wird jetzt zu einer kompletten Produktionsstätte aufgerüstet, in der die Autos nicht nur zusammengesetzt werden, sondern wo die Fahrzeuge den ganzen Fertigungsprozess von Grund auf durchlaufen. Dazu gehört etwa, dass Györ eine eigene Lackiererei bekommen wird.
Handelsblatt

Diese erreichte Fertigungstiefe des ungarischen Automobilclusters, die im Aufbau nahezu vollständiger Produktionsketten gipfelt, geht klar über das beschränkte Konzept einer auf arbeitsintensive Fertigungsschritte abgestimmten „verlängerten Werkbank“ hinaus. Ähnlich verhält es sich mit der westlichen Automobilindustrie in Tschechien oder der Slowakei, wo ebenfalls ganze Wertschöpfungsketten von Automobilkonzernen aufgebaut wurden, ohne dass die Überreste der tschechischen oder slowakischen Industrie im nennenswerten Umfang einen Technologietransfer initiieren konnten.

Diese „abgekapselte“, dennoch tief greifende ökonomische Durchdringung durch westliches Kapital erstreckt sich in Ungarn auch auf den Bildungssektor: Inzwischen gehen deutsche Konzerne dazu über, in enger Koordination mit den ungarischen Bildungseinrichtungen – hier vor allem mit den Hochschulen – ganze Forschungsabteilungen aufzubauen. Bosch stampfte bereits vor fünf Jahren in Budapest ein Forschungs- und Entwicklungszentrum aus dem Boden, in dem 500 Ingenieure Beschäftigung finden und das seit Kurzem weiter ausgebaut wird. Der Bosch-Konzern initiierte auch eine enge Kooperation mit sechs ungarischen Fachhochschulen und Universitäten, in deren Rahmen etwa technische Wettbewerbe und Informationsveranstaltungen organisiertund auch Lehrpläne abgestimmt werden. Am so genannten „Bosch-Tag“ wirbt der Konzern offen an Ungarns Hochschulen für sich.

Autos, Einzelhandel, Energie

Wie dominant der deutsche Fahrzeugbau in Mittelosteuropa inzwischen ist, lässt sich auch an der Liste der 10 größten Konzerne in Mittelosteuropa ersehen. Die Tochtergesellschaften deutscher Autobauer konnten in diesem Ranking drei Plätze belegen: Skoda-Auto kommt hier auf Platz drei, Volkswagen Slowakia auf Platz sechs, Audi Ungarn auf Platz sieben. Starke Positionen konnte auch die Deutsche Telekom in der Region erringen, die in Ungarn den Größten Telekommunikationsanbieter Magyar Telekom kontrolliert. Vor Kurzem übernahm die Deutsche Telekom weitere zehn Prozent an dem griechischen Telekommunikationsunternehmen OTE, womit der deutsche Aktienanteil an OTE auf 40 Prozent erhöht wurde. OTE besitzt aber auch eine sehr starke Position in Südosteuropa, wo der griechische Konzern die Mehrheit an der rumänischen RomTelecom hält und an dem Mobilfunkmarkt in Serbien, Bulgarien, Albanien und Mazedonien beteiligt ist.

Im Energiesektor haben die deutschen Konzerne RWE und E.ON etliche spektakuläre Übernahmen absolviert. So erwarb RWE den größten tschechischen Gasversorger, während E.ON den größten Gashändler Ungarns kontrolliert.

Einen weiteren Schwerpunkt deutschen Engagements in Mittelosteuropa bildet der Einzelhandel. Hier ein Beispiel aus Polen: Mit einem Umsatz von mehr als Milliarden Euro bildet etwa die Metro-Gruppe-Polska den führenden Einzelhandelskonzern Polens. Somit ist Otto Beisheim, der ein ehemaliges Mitglied der Leibstandarte Adolf Hitler gewesen sein soll, einer der größten privaten „Arbeitgeber“ Polens, für den knapp 24.000 der bis 1945 als „Untermenschen“ titulierten Polen schuften dürfen.

Deutsche Medienmacht

Von besonderer politischer Brisanz ist aber vor allem die erdrückende Dominanz deutscher Konzerne auf dem Medienmakrt Osteuropas. Auch Polen hat „seine“ BILD-Zeitung, die dort auf den Namen Fakt getauft wurde. Das Blatt ist polnischer Marktführer und gehört selbstverständlich dem Axel-Springer-Verlag. Seine Machart und die Inhalte gleichen dem großen deutschen Vorbild. Fakt ist aber nur das Flaggschiff des größten deutschen Zeitungskonzerns in Polen. Daneben wurde von dem deutschen Marktführer auch ein Derivat der Tageszeitung „Die Welt“ auf den polnischen Markt platziert, das den Namen Dzeinnik trägt.

Der deutsche Verlag hat sich gewissermaßen auf das „Klonen“ von Zeitschriftenformaten spezialisiert: Springer wirft in Polen Ableger fast seiner gesamten deutschen Titel auf den Markt: Neben dem Wochenmagazin Newsweek-Polska sind das etliche Frauenblätter, Jugendmagazine (darunter Popcorn), Automagazine und Computerzeitschriften. Der deutsche Großverlag konzentriert sich dabei auf überregionale Publikationen. Zudem

Eine ganz andere Strategie verfolgt die deutsche Verlagsgruppe Passau (PNP). Die bayrischen Mittelständler haben sich vor allem auf den Erwerb von Regionalzeitungen spezialisiert. So besitzt PNP inzwischen eine Monopolstellung auf den regionalen Zeitungsmärkten in Wroclaw, Poznan, Gdansk, Lodz, Katowice und Krakow und Olsztyn. Über eine starke Präsenz auf dem polnischen Pressemarkt verfügen auch der Bauer-Verlag, das mehrheitlich zu Bertelsmann gehörende Hamburger Verlagshaus Gruner+ Jahr und der Münchner Burda-Konzern.

Begünstigt wurde die schnelle Eroberung des polnischen und des gesamten osteuropäischen Marktes durch die Fähigkeit der kapitalstarken deutschen Konzerne, über längere Zeiträume auch mit Verlusten zu operieren – bis ein Großteil der Konkurrenz vom Markt verschwunden war. Daneben betreiben die Ableger deutscher Medienkonzerne meist eigene Druckereien und Werbeagenturen, die ebenfalls eine kostengünstige Produktion gewährleisten.

Aufgrund dieser Vorteile westlicher Medienkonzerne ist längst der gesamte osteuropäische Medienmarkt fest in ausländischer Hand. Das polnische Nachrichtenmagazin Wprost schreibt, dass dieser zu 85 Prozent vom westlichen Kapital kontrolliert wird. Drei Viertel davon würden auf deutsche Konzerne entfallen!

Polen, Tschechien und Ungarn gelten als die Länder, in denen westeuropäische Medienkonzerne die größte Marktdominanz aufbauen konnten. Diese Konzerne sollen einen Anteil von 80 Prozent am gesamten Pressemarkt dieser drei Länder haben. In Tschechien kontrollieren deutsche Verlage – insbesondere die umtriebige PNP – 82 Prozent der Regionalzeitungen. In Ungarn sind es 75 Prozent des gesamten Pressemarktes, und selbst in der kleinen Slowakei geben deutsche Medienkonzerne an die 30 Titel heraus. Der WAZ-Konzern hat sich hingegen auf Südosteuropa spezialisiert: In Kroatien, Serbien, Rumänien und Bulgarien bringt dieser deutsche Medienriese gut drei dutzend Zeitschriften und 20 Zeitungen heraus.

Ein von der European Federation of Journalists bereits 2003 herausgegebener Bericht kam zu einem vernichtenden Urteil bezüglich der Konzentrationsprozesse auf dem osteuropäischen Medienmarkt, der einem Prozess der „Kolonialisierung“ durch „ausländische Mediengruppen“ seit 1989 ausgesetzt gewesen sei:

Das alte Staatsmonopol bei den Medien, speziell bei der Presse, wurde ersetzt durch kommerzielle Monopole.

Das Engagement deutscher und westlicher Medienkonzerne in Osteuropa hat auch einen brisanten politischen Beigeschmack. Seit Jahren deuten Hinweise auf eine Beeinflussung der öffentlichen Meinung in Mittelosteuropa im Sinne deutscher Interessen. Wie Wprost berichtete, sollen die in Tschechien erscheinenden und im deutschen Besitz befindlichen Zeitungen Mlada Fronta Dnes und Lidove Noviny das den Sudetendeutschen während ihrer Umsiedlung widerfahrene Leid verdächtig oft betonen und die Benes-Dekrete als „Unrecht“ bezeichnen.

Besonders hervorgetan bei der Meinungsmache hat sich übrigens Springers Wochenblatt „Neewsweek-Polska“ im März 2004. Damals steuerten die deutsch-polnischen Spannungen um das in Berlin geplante „Zentrum gegen Vertreibungen“ und die Entschädigungsforderungen der „preußischen Treuhand“ auf einen Höhepunkt zu. Am 28. März publizierte Newsweek einen antisemitischen Artikel, der eine Welle von Klagen jüdischer Alteigentümer auf Rückgabe ihres ehemaligen Eigentums in Polen halluzinierte. Der Export antisemitischer Ressentiments, deren Ausleben dem gewöhnlichen Springerredakteur durch seinen Arbeitsvertrag in Deutschland verwehrt wird, sollte offensichtlich den internationalen Ruf Polens in einer Zeit verstärkter geschichtspolitischer Spannungen mit Deutschland beschädigen.

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