Streifzüge 50/2010
von Severin Heilmann
„I, a stranger and afraid, in a world I never made.“ So lautet eine Zeile aus einem Gedicht von A.E. Housman und widerspiegelt ein fundamentales, wenngleich unterschwelliges Lebensgefühl: Diese Welt ist nicht die unsere, sie befremdet uns und – trotzdem wir nicht anstehen, es uns hier ein wenig behaglich einzurichten – wir verlassen sie so, wie wir kamen.
Fremd bin ich eingezogen
Auf die Welt kamen wir und nicht etwa aus ihr heraus, wie es doch nahe läge – ganz so, als hätte es uns hierher verschlagen. Und den Verdacht, dass diese Welt nicht unser Zuhause ist, dass wir Eindringlinge, Fremdkörper, Ruhestörer sind, finden wir in den Unsicherheiten und Fährnissen, die uns hier entgegenschlagen, bestätigt.
Für diese seltsame Gefühlslage und, damit verbunden, latente Feindschaft demgegenüber, was in der Diktion des Eindringlings Umwelt – nicht etwa Mitwelt – heißt, finden sich zwei Ansatzpunkte in unserer christlich-abendländischen Denktradition: beide, Schöpfungsmythos und das mechanistische Bild der Neuzeit haben Vorstellungen von Welt hervorgetrieben, die Denken, Sprache und Handeln maßgeblich und nachhaltig prägten.
Basierend auf dem 1. Buch Mose, der Genesis, lieferte der Töpfermythos den abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam die Vorstellung der Welt als Artefakt: Gott schuf die Welt, sie wurde gemacht. Gemacht wie vom Töpfer ein Topf oder vom Architekten ein Gebäude, seinem Plan gemäß. Doch der Lehm, aus dem Gott den Menschen formt, ist in jener Vorstellung essentiell formlos, geistlos und leblos – also muss der Herr Adam noch seinen eigenen Geist durch die Nase blasen, um ihn zu beseelen, zu informieren. Erst seine Intelligenz, seine Kraft und sein Wille lassen ein lebendiges Geschöpf aus der toten Erde sich erheben.
Das Geschöpf jedoch bleibt dem Schöpfer für immer untergeordnet und auf ewig von ihm getrennt. Unüberbrückbar bleibt auch die Kluft zu seinen Mitgeschöpfen, denn abgesehen vom gemeinsamen Erschaffer, fehlt ihm jeder direkte Bezug zu ihnen.
Ich, gemacht
Dieses monarchische Welterklärungsmodel hat seine Entsprechung in den hierarchischen Strukturen der antiken Königreiche. Die korrespondierende Weltvorstellung und Lebenswirklichkeit ist jene des seinem König und Gebieter ergebenen Subjekts. Seinen Gesetzen ist es unterworfen, auf seine Gnade angewiesen. Er hat es gemacht, auf dass es ihm wohlgefalle. Er ist der Prototyp des Machers. Nebenbei: Ist es nicht eigenartig, wenn noch heute Kinder gemacht werden?
Ein Autokrat dieser Sorte musste mit der Renaissance allmählich, dann mit der sogenannten Aufklärung vollends untragbar werden. Das Pendel schlug nun in die Gegenrichtung: „Der Alte“ war für die aufblühenden Naturwissenschaften, für die Exaktheit ihrer Voraussagen schlicht irrelevant geworden und seine proklamierte Allgewalt und mehr noch seine Allwissenheit wurden im aufgehenden Glanze eines neuen Selbstbewusstseins allzu lästig. Als Reaktion auf die unhaltbare und außer Mode geratene Weltsicht trat nun ein anderes Arbeitsmodell an deren Stelle: Das mechanistische Weltbild – das Universum als gigantisches Räderwerk. Der kosmische Gesetzgeber hatte ausgedient, die Gesetze – seltsam genug – behielt man. Auch die Annahme von formloser, toter Ur-Materie gefiel und wurde nun unter das Zepter von Zufall und Notwendigkeit subordiniert.
Vermochte das Konzept des Weltenherrschers noch ein Gefühl eines sinnvollen und in gewisser Weise behüteten Daseins zu vermitteln, so fand sich der aufgeklärte Mensch nun in einer erschreckend seelenlosen, freudlosen, blutleeren Weltmaschine wieder, einer Maschine, allein den Gesetzen von Energie und Kausalität gehorchend, blind und ziellos wirkend. Erfahrungen von Sinn, Schönheit, Liebe und Vernunft – nichts weiter als dem Zufall geschuldete Ausdünstungen komplex angeordneter, sich bewegender Atome. Ihr einziger Zweck: die Arterhaltung, um so die Erhaltung des Zweckes selbst zu erhalten. Kein Wunder, wenn Descartes in diesem Sinne Tiere für reduktiv erklärbare Automaten und ihre Schreie für das Quietschen einer Maschine hielt, und selbst jene, die sich Naturalisten nannten, mit ungeahnter Verachtung, ja Abscheu und Grausamkeit, kaltblütig wie ihre Welt selbst, gegen alle Natur vorgingen.
Im Grunde lieben wir es ja, Mensch zu sein und zu leben; wir schätzen all die geistigen Errungenschaften, unsere Kunstsinnigkeit, unsere Empfindungsfähigkeit und die Mannigfaltigkeit unserer Gefühle, unsere technischen und kulturellen Hervorbringungen. Wir schätzen all dies, gleichwohl wir überzeugt davon sind, dass es letztendlich nur einer Laune der Natur geschuldet war, einer bloßen Fluktuation in den unendlichen Weiten eines lebensfeindlichen, empfindungslosen und zudem sinnlosen Universums. Und dieselbe Natur, ließen wir sie walten, würde uns mittels Entropiegesetz mitsamt unserer Kultur wieder in blanken Nonsens zurückkippen. Folgerichtig führen wir einen erbitterten Kampf gegen alles Wilde und naturhaft Primitive dieser Welt, und mit aller Anstrengung verfolgen wir ihre Unterwerfung unter unseren Willen, nicht zuletzt dank der technischen Beherrschung derselben Gesetze, denen wir uns selbst unterworfen glauben. Diese Dichotomie Mensch–Natur mündet unvermeidlich in die Entsubjektivierung der Natur und die Denaturalisierung des Subjekts. Natur, die er ist, bedeutet das für den Menschen somit gleichzeitig die Dichotomie Mensch–Mensch und die Trennung des Menschen und seiner Erfahrung von einer postulierten objektiven Wirklichkeit.
Ich, vollautomatisch
Nun, diese Sicht bringt einige praktische Probleme mit sich. Denn selbstverständlich unterliegen ihr zufolge nicht bloß die Dinge der Objektwelt notwendig den Gesetzen von Druck und Stoß (Descartes), sondern auch unsere eigene Gliedermaschine (ders.) selbst, in welcher wir uns wiederfinden, in welche wir aufgrund ungeklärter Umstände hineingeraten/-gestoßen/-gedrückt sind. Darum rechnen wir unseren Körper zum überwiegenden Teil auch zur Dingwelt hinzu, wie etwa im allgemeinen Sprachgebrauch ersichtlich: Wir sagen, wir haben einen Körper, nicht wir sind ein Körper. In ähnlicher Weise sprechen wir von meinen Füßen, meinen Händen usw., als gehörten sie zwar uns, sind aber nicht wir. Mein Herz schlägt ist gebräuchlicher als ich schlage mein Herz, und so fühlen wir uns wie Insassen in einem Vehikel, dessen Steuerung uns nicht gänzlich obliegt.
Denn nur Ich ist willentlich, Nicht-Ich unwillentlich. Die Schaltzentrale unseres Ich – so unser Empfinden – steckt irgendwo im Schädelrund; und es ist uns, als säße dort ein Homunculus vor Bildschirm und Lautsprecher, über Mikro und unzählige Sensoren und Betätigungshebel mit der Menschmaschine verbunden. Ist diese Annahme schon fantastisch genug, so mutet der Gedanke, dass auch in diesem wiederum eine Wahrnehmungs- und Entscheidungsinstanz ihre Innewohnung haben müsse usw. nachgerade bizarr an.
Als Sigmund Freud, seine Triebtheorie entwickelte, wurde es für dieses Relikt, als Agens unseres freien Willens, noch enger in seiner Apparatur. Freud sah die Libido als universale und zweckursächliche, jedoch blinde Lebenskraft wirken, als innersten Motivgrund für unsere Handlungen und schlug somit gleichfalls in die mechanistische Kerbe. Für ihn bestand die Konstituierung des Ich nicht nur in dessen fortschreitender Abscheidung von der Außenwelt, sondern auch in den Versuchen der Beherrschung der zunächst unbewussten psychischen Mechanismen sowie des Chaos in uns, des Kessels voll brodelnder Erregungen, der ihrer Tendenz nach aggressiven und destruktiven Triebenergie.
Das sogenannte ozeanische Gefühl vieler Menschen – „ein Gefühl der unauflösbaren Verbundenheit, der Zusammenhänge mit dem Ganzen der Außenwelt“, das sich „nur übel in das Gewebe unserer Psychologie fügt“, war für Freud ein infantiles Relikt, das es im Zuge der Ich-Werdung zu überwinden galt. Das reife und gesunde Ich besitze ein einheitliches, gegen alles andere gut und scharf abgegrenztes Gefühl seiner selbst, eine stabile Außengrenze, welche lediglich in pathologischen Fällen oder „auf der Höhe der Verliebtheit“ zu verschwimmen drohe. Ursprünglich ozeanische Triebbündel, die wir waren, sind wir als reife Personen zivilisierte, in unseren jeweiligen Körpern isolierte Sublimierungsapparate. Um den gewonnenen Grad an Sittlichkeit zu wahren, ist es, so Freud „die Hauptaufgabe der Kultur, ihr eigentlicher Daseinsgrund, uns gegen die Natur zu verteidigen“.
Handlungen geschehen, aber es gibt keinen Handelnden
Ungleich eleganter als etwa noch Konrad Lorenz, der in seinem etwas plump geratenen Psychohydraulischen(!) Triebstaumodell das mechanisch verstandene Verhalten von Lebewesen in einen Reiz-Reaktion-Schematismus zu pressen trachtete, ist indes die Herangehensweise jüngerer Proponenten der naturalistischen Schule. Mittels bildgebender Verfahren und in aufwändig angelegten Versuchsreihen führen sie Nachweis darüber, dass freie Willensakte des Menschen eine Schimäre sind, eine Fiktion des sich selbst eben bloß intentional wähnenden Ich(-Gefühls). Tatsächlich würden strikt kausale Prozesse in neuronalen Schaltkreisen nachträglich zwecks Konstituierung und Bestätigung der eigenen Subjektivität als willentlicher Entschluss interpretiert.
Eine weitere Erschütterung erfährt die erodierte Subjektform in der empirischen Tatsache, dass jene Ich-Identifikation, die sich gemeinhin als abgegrenzt erlebte Subjektivität vorstellt, eine spezifische, keineswegs aber eine zwangsläufige ist. In entsprechenden Experimenten kann die räumliche Einheit von Körper und Ich-Bewusstsein aufgelöst werden. Damit ist „die Perspektive der ersten Person ausschließlich ein Darstellungsphänomen, dem nichts in der objektiven Struktur der Welt entspricht. Wir sind nicht auf mysteriöse Weise mit einer besonderen innerweltlichen Person und ihrem Standpunkt identisch, sondern wir besitzen in diesem Sinne überhaupt keine Identität: Wir sind eine intern mehr oder weniger stark korrelierte Menge aus physischen und psychologischen Eigenschaften, die sich durch die Zeit bewegt. Die Einheit des Selbstbewußtseins ist eine repräsentationale Fiktion.“ (Thomas Metzinger)
Wenn diese Schlussfolgerung, so irritierend sie auf den ersten Blick scheinen mag, zutreffend ist, dann sind die Neurowissenschaften auf ihrer Suche nach dem Ich in eine ähnlich absurde Situation geraten wie die Physik auf ihrer Suche nach den vermuteten kleinsten, nicht weiter teilbaren Teilchen: Der Gegenstand der Suche hat sich schlicht aufgelöst. Mit anderen Worten: Das der Untersuchung zugrunde liegende Arbeitsmodell wurde durch das Resultat der Untersuchung selbst infrage gestellt. Das Modell war der Subjektbegriff. Ich, lautet das vorläufige Ergebnis, gibt es nicht. Das jedoch steht in scharfem Kontrast zu unserem Realitätsempfinden, einem Empfinden allerdings, das keine andere Basis hat als wiederum das Empfinden selbst. Unsere Lage ist absurd. Was also tun? Wie damit umgehen? Wie das Problem lösen?
„A mystery to be experienced“
„Life is not a problem to be solved but a mystery to be experienced“, so Aart van der Leeuw. Eben, warum überhaupt ein Problem? Es verschwindet ja niemand von der Bildfläche, bloß weil es keine Ichs gibt. Vielmehr steht die Erweiterung unseres Subjektivitätsbegriffs an, die Neumodellierung unseres Selbstbildes. Das freilich wird unser Verständnis des Nicht-Ich, des Anderen, der Natur, dessen also, was im Zuge der Ich-Sozialisierung in die Fremdartigkeit hinein abgespalten wurde, nicht unberührt lassen. Dazu einige Überlegungen:
In dem Maße, in dem die Vorstellung von Ich als konsistenter, eingekörperter Trägereinheit intentionaler Akte an Kontur verliert, gewinnt das als verschieden davon gedachte Andere an Raum. Eine neue Sichtweise müsste sich daher aus einem ganzheitlichen Verständnis der untersuchten Systeme speisen, denn der reduktionistische Ansatz endet unweigerlich in Aporien. In der Ökologie etwa ist diese Betrachtungsweise selbstverständlich: Um organische Systeme einigermaßen exakt beschreiben zu können, bedarf es ihrer Einbettung in größere Strukturzusammenhänge. Anders als in der Mechanik treten in jenen Eigenschaften hervor, die durch die Einzelbeobachtung ihrer Komponenten weder absehbar noch hinreichend erklärbar sind, sogenannte Emergenzphänomene. So kann das System Blume nicht detailiert ohne das System Biene beschrieben werden; und beide nicht, ohne die Wirkbeziehungen der nächst niedrigeren Organisationsstufen, aus denen sie emergieren. Andererseits müsste auch das Makrosystems Wald und Wiese einbezogen werden, deren Teil sie wiederum sind usf.
Folgender Gedanke leuchtet unmittelbar ein: Biene und Blume sind nur Bezeichnungen für zwei Aspekte ein und desselben Gesamtsystems Biene-Blume. Die Unterscheidung ist eine rein praktisch funktionale, keine wesentliche. Im Auge der Floristin ist der Aspekt Biene praktisch nebensächlich, dem Bienenzüchter ist es der Blumenaspekt des Systems. Mit den jeweiligen Begriffsbildungen zersplittern wir aber sprachlich die Welt, vergessen es sodann und halten die benannten Objekte für eine Ansammlung mehr oder weniger bezugslosen Mobiliars unserer Wirklichkeit – Räder in der Maschine. Jene Objekte sind jedoch viel eher Aspekte oder Symptome der Makroebene ein und desselben Systems. Nicht anders sind es wir.
Unsere Sprache birgt noch andere Tücken: Kaum eine sinnvolle Aussage kommt ohne grammatikalisches Subjekt aus. Das korreliert mit unserer Art der Betrachtung: Hinter jeder Aktion, jedem Prozess sehen oder denken wir ein initial tätiges Subjekt. Kein Prädikat, kein Prozess, keine Handlung ohne es! Dies impliziert neben der klassischen Subjekt-Objekt-Spaltung auch jene eindimensionale Subjekt-Objekt-Kausalität, die den eingangs thematisierten Weltanschauungen entspricht: Töpfer-Mythos und Automaten-Mythos gründen auf derselben Logik. Allerdings, entgegen unserm Begriff hat das Machen einer Maschine mit dem Wachsen eines Organismus keinerlei Gemeinsamkeit.
Ich, anders
„The fact that man produces a concept ,I‘ besides the totality of his mental and emotional experiences or perceptions does not prove that there must be any specific existence behind such a concept. We are succumbing to illusions produced by our self-created language, without reaching a better understanding of anything. Most of so-called philosophy is due to this kind of fallacy.“ (Albert Einstein)
Der Versuch des Ich, sich mit den Mitteln des Verstandes zu begreifen, führt stracks in die gleiche Subjekt-Objekt-Falle: Es wird zum Gegenstand seiner eigenen Betrachtung, oszilliert zwischen Beobachter und Beobachtetem. Und scheint es dann auch so, als dass ich weiß, dass ich weiß, würde ich doch auch gerne jenes Ich sehen, das mich sieht, wenn ich weiß, dass ich weiß, dass ich weiß usf. – dieses reine Ich bleibt also Phantom. Überhaupt lässt sich „unsere intern mehr oder weniger stark korrelierte Menge aus physischen und psychologischen Eigenschaften“ (Thomas Metzinger) erst extern, erst im Bezug zum Anderen, in der Interaktion mit ihm erfahren, ist überhaupt nur deswegen vorhanden. Wir sind das Ensemble aller unserer Beziehungen.
Das Ich und das Nicht-Ich, das Andere, das sind zwei notwendig sich ergänzende Prinzipien. Es gilt: wo kein Ich, da auch kein Anderes, aber auch umgekehrt: wo kein Anderes, da kein Ich. Beides wäre demnach wechselseitig aufeinander angewiesen oder: Ich ginge Hand in Hand mit dem Anderen. Es ist nicht nur die Druckerschwärze, die dies hier lesbar macht, es ist gleichermaßen auch der weiße Hintergrund. Wir aber tendieren dazu, den Hintergrund auszublenden und als belanglos zu erachten. Gute Architektur etwa ist aber keine, die sich das Solide zum Inhalt macht. Sie besteht gerade in den Freilassungen, in dem, was fehlt, im eingefassten Raum, der Öffnung. Sie entwickelt sich aus der Leere, so wie die vom Ton „umspielte“ Stille Musik wird. Die Essenz von Stille und Raum und auch des vorliegenden weißen Hintergrunds ist nichts. Ohne etwas Nichts aber wäre nichts etwas. Ob Text, Architektur oder Musik, ihr Wesen ist Muster, Form, Rhythmus – die Alteration, das Spiel von nichts und etwas. Ohne das eine ist das andere nicht denkbar, nicht erkennbar, nicht fühlbar. Ohne Andersartigkeit des Anderen keine Erfahrung der Eigenartigkeit des Eigenen. Nichts und Etwas, Nicht-Ich und Ich bedingen einander. Meine Haut ist nicht Grenze, sondern Brücke, Schnittstelle zum Anderen.
Der Kotzker Rebbe sagte: „If I am I because you are you and you are you because I am I, then I am not I and you are not you.“ Was hätten wir auch davon, würde – sagen wir aus Kostengründen – die komplette Streifzüge-Ausgabe ohne Verkleinerung hier auf diese eine Seite gedruckt…? Schwarz und Weiß meint, die explizite Verschiedenartigkeit – Druckerschwärze und Papier – als Komplementäre der impliziten Einheit – Text – zu begreifen: Verschiedenartigkeit als Ausdruck reziprok aufeinander bezogener Andersartigkeiten. Schwarz gegen Weiß meint, die explizite Verschiedenartigkeit als Gegensatz zu verkennen, tendiert aufgrund dessen zum Entweder-Oder, zielt auf Vernichtung des Verschiedenen: Verschiedenartigkeit als Ausdruck bezugsloser gegenseitiger Fremdartigkeiten. Leben unter dieser Prämisse heißt Überleben, ist beständiger Kampf gegen Nicht-Ich. Die Angst vor der Auslöschung durch den Gegenpart ist allgegenwärtig. Seine Auslöschung, die ultima ratio. Der Knopf wird von einem durch und durch angsterfüllten Menschen gedrückt werden.
Denken wir uns als gemacht, teleologisch bestimmt oder als isolierte Automaten, kausal bedingt? So oder so, beide Konzeptionen befördern uns als Fremde aus uns fremden Gründen in eine uns fremde Welt, zu anderen Fremden, die ihre eigene Fremdheit hier seltsamerweise weniger befremdet als unsere Fremdartigkeit. Die zwei eingangs skizzierten großen Weltmythen entsprechen nicht unserer Erfahrung von Ganzheitlichkeit, Prozesshaftigkeit und Irreduzibilität unseres Daseins und sind schlichtweg unerfreulich. Sie drängen die nach Albert Camus einzig relevante Frage auf, die nach dem Selbstmord. Wozu sich herumschlagen, wenn doch alles sinnlos ist? Eine taugliche Vorstellung von Welt muss eine sein, die von der hedonistischen Prämisse ausgeht, dass nämlich das Leben hier im Prinzip lustvoll und freudvoll ist.
Ich, Ereignishorizont
Eine Vorstellung, die Abhilfe verspricht und dabei weder weniger plausibel ist noch schwächere wissenschaftliche Evidenz aufweist als die zwei genannten, könnte beispielsweise so aussehen: Wir alle leben aufgrund unseres Sensoriums in einem spezifisch menschlichen Universum. Wir können nicht sagen, was es genau ist – es weicht vor unserem Blick zurück, sowie wir unsere technisch verstärkten Sinne auf es richten, im subatomaren wie im kosmischen Maßstab; so wie unser Hinterkopf uns entwischt, wenn wir uns umdrehen, um ihn zu sehen.
Darum: Wenn / das Bild vom abgespaltenen Ich eine Fiktion ist / wir in einer reziproken Beziehung mit allem anderen stehen / wir deshalb ein Symptom, ein emergentes Phänomen all dieser Wirkbeziehungen sind / wir uns selbst nicht unmittelbar erkennen können / auch das Universum, in das wir mit zunehmender Eindringtiefe unserer Instrumente immer weiter vorstoßen, sich dieser Inbetrachtnahme beständig entzieht – wenn all dem so ist, ist es da nicht angemessen, uns als holographische Aspekte des Universums selbst zu verstehen, in allem, was ist, sich widerspiegelnd, wieder findend?
„A human being is a part of the whole called by us ,the universe‘, a part limited in time and space. He experiences himself, his thoughts and feelings, as something separate from the rest – a kind of optical illusion of consciousness. This delusion is a kind of prison for us, restricting us to our personal desires and affection for a few persons nearest to us. Our task must be to free ourselves from this prison by widening the circle of understanding and compassion to embrace all living creatures and the whole of nature in its beauty.“ (Albert Einstein)