Der drohende Kollaps der Staatsfinanzen in südeuropäischen Euro-Ländern ist die direkte Folge der aggressiven deutschen Außenwirtschaftspolitik
von Tomasz Konicz
Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) dürfte die Lufthoheit über Deutschlands Stammtische sicher sein, nachdem er sich Ende Januar ausdrücklich gegen jegliche Finanzhilfen für das von einem Staatsbankrott bedrohte Griechenland aussprach. Es könne nicht sein, »daß jetzt die deutschen und französischen Steuerzahler die Mißentwicklung in Griechenland zu finanzieren haben«, polterte Brüderle anläßlich des Weltwirtschaftsforums in Davos in der Welt. Die Europäische Währungsunion sei jedenfalls nicht gefährdet, so der liberale Politiker: »Wenn sich alle an die Spielregeln halten, ihre Hausaufgaben erfüllen, dann funktioniert das auch.«
Brüderle vergaß allerdings die Welt-Leserschaft darüber in Kenntnis zu setzen, wer eigentlich die Spielregeln im Euro-Raum gemacht hat. Die strikten Vorgaben des Euro-Stabilitätspaktes wurden vor allem auf Betreiben Berlins realisiert. Die deutsche Politik sorgte auch dafür, daß die Europäische Zentralbank nicht befugt ist, griechische Staatsanleihen aufzukaufen, wie es etwa die britischen und amerikanischen Zentralbanken mit den Staatsanleihen ihrer Länder tun. Hierdurch wollten die deutschen Verfasser des Maastrichter Vertrags erreichen, daß jedes Euro-Land durch den »Finanzmarkt« zur strikter Haushaltsdisziplin genötigt wirde und »nicht auf die Solidarität aller zählen kann«, wie die Frankfurter Rundschau ausführte. Der Möglichkeit zum Gelddrucken vermittels des Aufkaufs der eigenen Staatsanleihen beraubt, droht Griechenland tatsächlich ein Staatsbankrott, sobald die Finanzmärkte nicht mehr bereit sind, griechische Obligationen weiter aufzukaufen.
Die Regeln der Eurozone gelten aber offenbar nicht für alle. Die Hegemonialmächte Deutschland und Frankreich kamen gleich bei Ausbruch der Weltwirtschaftskrise überein, sich eine großzügige Ausnahme von den Euro-Stabilitätskriterien zu gewähren und die Neuverschuldung beider Staaten aufgrund kostspieliger Krisenbewältigungsmaßnahmen weit über die vertraglich vereinbarte Drei-Prozent-Hürde des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen zu lassen.
Den größten Beitrag zur Eskalation der gegenwärtigen Euro-Krise leistete Deutschland. Berlin verfolgt seit Jahrzehnten eine aggressive, exportorientierte Wirtschaftspolitik, die in der – bis 2008 behaupteten – »Exportweltmeisterschaft« kulminierte. Den größten Absatzmarkt für das deutsche Kapital bildet die EU. An die zwei Drittel seines gesamten Außenhandels wickelt die BRD mit Ländern der Europäischen Union ab. Bereits 2005 erreichte der deutsche Handelsüberschuß mit den EU-Ländern mehr als 97 Milliarden Euro (Bei einem Gesamtüberschuß von 160 Milliarden Euro).
Die europäische Gemeinschaftswährung nahm den Euro-Ländern, die dieser deutschen Exportoffensive ausgesetzt waren, die Möglichkeit, mittels einer Währungsabwertung die Konkurrenzfähigkeit ihrer Wirtschaft wiederherzustellen. Das daraus erwachsene enorme ökonomische Ungleichgewicht zeigt sich drastisch an dem Pleitekandidat Griechenland, der in 2008 deutsche Waren im Wert von 8,3 Milliarden Euro einführte, während die Exporte sich lediglich auf 1,9 Milliarden Euro summierten. Auch im Warenverkehr mit anderen Pleitekandidaten der Eurozone wurden große Überschüsse erwirtschaftet. Das Handelsbilanzdefizit Italiens betrug 2008 gegenüber Deutschland rund 14 Milliarden Euro, Spanien verzeichnete ein Minus von 22,1 Milliarden.
Diese äußerst erfolgreiche Exportoffensive des deutschen Kapitals wurde vor allem durch eine binnenwirtschaftliche Verelendungsstrategie befeuert. Zwischen 2002 und 2008 stiegen die Bruttolöhne und Gehälter in Deutschland um durchschnittlich 15,2 Prozent, während sie im europäischen Durchschnitt um 31,9 Prozent zulegten. Inflationsbereinigt sind die Einkünfte laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sogar regelrecht eingebrochen: Die »Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmer« seien demnach im Zuge des Ausbaus des Niedriglohnsektors zwischen 2000 und 2008 in Deutschland um neun Prozent gesunken. Kein anderes EU-Land hat laut DIW in diesem Zeitraum einen derartigen Einbruch des Lohnniveaus verbucht.
Diese Entwicklung – mitsamt einer beständig steigenden Produktivität der deutschen Industrie – spiegelte sich auch bei den Lohnstückkosten wieder , also den Aufwendungen pro produzierter Wareneinheit. Während diese im Euro-Raum zwischen 1998 und 2007 laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung nahezu konstant blieben, sanken sie in Deutschland um über zehn Prozent. Die Lohnabhängigen in der BRD mußten sich also die Exportweltmeisterschaft des deutschen Kapital durch beständiges »Gürtel-enger-schnallen« vom Munde absparen.
Für die von der teutonischen Exportmaschine niedergewalzten Volkswirtschaften bedeutete das steigende Defizite, die entweder in permanent steigender Staatsverschuldung – wie im Fall Griechenlands –, oder in spekulativer Blasenbildung auf den Immobilienmärkten – wie in Spanien – mündeten. Bei der Verschuldung standen deutsche Banken den wirtschaftlich unterlegenen südeuropäischen Volkswirtschaften »helfend« zur Seite. Deutsche Institute, allen voran die Deutsche Bank, halten beispielsweise in Griechenland Forderungen in der Höhe von 47 Milliarden US-Dollar. In Portugal sind es 47 Milliarden und die Einwohner Spaniens stehen bei deutschen Kreditinstituten sogar mit 240 Milliarden US-Dollar in der Kreide. Die Krise bringt dieses ökonomische Dominanzsytem in Europa ins Wanken. Zumindest können die Hellenen sich sicher sein, daß Berlin ihren Staat nicht in die Pleite treiben wird – denn sonst müßte die deutsche Politik erneut einen milliardenschweren »Rettungsschirm« für die deutschen Banken aufspannen, die bislang an der Defizitbildung Griechenlands blendend verdienten.
aus: Junge Welt, 9. Februar 2010