Streifzüge 49/2010
von Dominika Meindl
Der Staat und ich – geht’s vielleicht eine Nummer kleiner? Ich meine, beides ist thematisch etwa so breit wie Russland oder ein Nachmittag im Zahnarztzimmer. Aber weil ich die Streifzüge so innig leiden mag, werfe ich flugs die stotternde Assoziationsmaschine an. Erstes kopfinternes Browse-Ergebnis: meine Beziehung zu Vater Staat. Hier ein paar vulgärpsychologische Weisheiten.
Väter nerven spätestens ab der Pubertät, das ist in ihrem ontologischen Bauplan so vorgesehen. Die Kinder trotzen analog. Müssen sie gehorchen, maulen sie wegen der autoritären Gewalt. Geschieht ihnen Böses, jaulen sie wegen der verletzten Sorgfaltspflicht. Der Vater hat es nicht leicht mit seinen Kindern und sie nicht mit ihm.
Gut, ein Vater ist notwendig, das verbindet den staatlichen mit dem leibhaftigen. Ohne strengen Staat ist der Mensch dem Menschen Wolf und ohne väterliche Intervention hätte ich meine kleine Schwester damals am Marterpfahl den Ameisen ausgeliefert. Das täte mir heute leid, denn sie hat sich mittlerweile zu einer recht netten Person zusammengewachsen. Dennoch habe ich mich weitestgehend den Anweisungen meines Vaters entzogen. Ich wünschte, das gelänge auf staatlicher Ebene genauso leicht.
Meine Mitgliedschaft im Staat basiert auf zufälligen Kriterien. Und sie geniert mich. Angesichts des törichten Treibens beim Staatsopernball möchte mein Antlitz alljährlich glühen wie ein bulgarischer Reaktor, wenn es mir nicht schon lange zu blöd wäre. Ein Land, dessen Identifikationsangebot zu guten Teilen aus weißen trippelnden Rössern, kalkhaltigen Gesteinsanhäufungen, picksüßer Kräuterbrause und galligen Marzipankugeln aus dem multinationalen Kraft-Konzern besteht.
Immerhin: besser als Bürgerin von Folterstaaten mit affig ausstaffierten Diktatoren zu sein. Es wäre mir echt peinlich, Nordkoreanerin zu sein. Und Gaddafis Frisur, hören Sie mir doch auf.
Aber: Echte Liebe kann auch im Negativvergleich nicht aufkommen. Ich mag meinen echten Vater doch nicht auch nur deswegen, weil die Nachbarskinder einen solchen hatten, der täglich im Feinripp vom Balkon rülpste. Ich kann die autoritäre Führungsschwäche meines Staates einfach nicht leiden. Wohl nicht von ungefähr klingt sein Name in meinem Dialekt wie der Befehl, den Mund zu halten. „Sei stad!“
So. In der Zwischenzeit sehe ich bei der thematischen Wanderung schon fast Wladiwostok und der Zahnarzt wischt mir schon die letzten Tränen von der Backe. Es folgt nur noch mein Fazit für die künftige Praxis: Ich nehme mir vor, weiterhin so wenig zu verdienen, dass ich Vater Staat nicht mit meiner Einkommenssteuer fördere. Muss mir halt dann der Papa bei Gelegenheit einen Zwanziger zustecken.