Krise als Chance

Wer zahlt, bestimmt: Deutschland will Regeln in EU und Euro-Raum ändern – zum Vorteil der eigenen Exportwirtschaft

von Tomasz Konicz

Deutschlands Führung gibt sich Mühe. Seit Wochen forciert sie ihre Anstrengungen, die gegenwärtige Systemkrise zu einer umfassenden Transformation der Europäischen Union zu nutzen. Zugunsten der eigenen Wirtschaftsinteressen. Spitzenpolitiker überboten sich in der letzten Zeit mit Forderungen, die auf eine Verletzung der Souveränität von EU-Mitgliedsstaaten abzielen. »Drastische Konsequenzen aus der Griechenland-Krise« forderte beispielsweise Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Bild am Sonntag. Nach ihrem Willen sollen die Mitgliedsstaaten ihrer demokratischen Rechte innerhalb von EU-Gremien beraubt werden, wenn deren Regierungen gegen die Defizitgrenzen des Euro-Stabilitätspaktes verstoßen: »Es muß künftig möglich sein, einem Land, das seine Verpflichtungen nicht einhält, zumindest vorübergehend das Stimmrecht zu nehmen«, so Merkel gegenüber dem Springer-Blatt. »Kein Geld – Keine Stimme«, so die Logik dieser wohl an dem preußischen Zensuswahlrecht orientierten Vorstellungen.

Souveränität im Visier

Es gebe »keine Tabus« bei dem Bemühen der Bundesregierung, »radikale Änderungen beim Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt« durchzusetzen, berichtete das Magazin Focus unter Berufung auf Regierungskreise. Demnach werden in der Koalition sogar Möglichkeiten sondiert, künftig »den freiwilligen oder zwangsweisen Ausstieg von Mitgliedern« der EU zu legalisieren, die von der BRD-Wirtschaft niederkonkurriert wurden. Ökonomisch erschöpfte und hochverschuldete Volkswirtschaften, die mit ihrer Defizitbildung die Exportüberschüsse des deutschen Industriekapitals kompensieren, sollen künftig aus der Währungsunion ausgeschlossen werden, bevor Transferzahlungen zu deren Stabilisierung notwendig würden.

Weitere Forderungen Berlins umriß Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bei einer europapolitischen Grundsatzrede am 27. April. Laut dem Nachrichtenportal german-foreign-policy mahnte er ebenfalls »tiefgehende Anpassungen in der Euro-Zone« an. Er wolle dabei keinerlei »Denkverbote« dulden. Westerwelle zielte insbesondere auf die Einschränkung des Kernbereichs staatlicher Hoheitsrechte, auf die Haushaltssouveränität von EU-Mitgliedsländern. Laut dem Außenminister müsse es künftig möglich sein, daß die Regierung eines Euro-Landes ihren Haushaltsentwurf »zuerst der Euro-Gruppe« vorlege »und erst dann dem nationalen Parlament«. Durch dieses Vetorecht Brüssels bei der Haushaltsplanung der Mitgliedsstaaten würde ein zentrales Politikfeld der Kontrolle demokratisch gewählter Volksvertretungen entzogen.

Etliche dieser Vorstellungen finden sich in einem Forderungsschreiben, das Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy im Vorfeld des EU-Sondergipfels vom Freitag an die Präsidenten von EU-Kommission und EU-Rat richteten. Darin ist beispielsweise von einer »Stärkung der finanzpolitischen Überwachungsmechanismen innerhalb des Euro-Raums einschließlich wirksamerer Sanktionen im Rahmen des Defizitverfahrens« die Rede. Laut dem Handelsblatt sollen bei diesen Vorschlägen tatsächlich die Forderungen Westerwelles umgesetzt werden, wonach die Haushaltsentwürfe zuerst der Euro-Gruppe vorzulegen seien. Merkel und Sarkozy fordern überdies eine »Ausdehnung der Überwachung auf strukturelle Fragen sowie Wettbewerbsfähigkeitsentwicklungen«. Hierbei sollen dem Blatt zufloge künftig ähnliche Strafverfahren gegen Euro-Länder mit einem zu hohen Leistungsbilanzdefizit greifen, wie es laut Euro-Stabilitätspakt derzeit bei Volkswirtschaften der Fall ist, deren Neuverschuldung mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt. Offensichtlich bemüht sich Berlin, die gesamte EU nach seinem Bild zu formen.

Dabei ist Deutschland auch weiterhin – und trotz europaweiter Proteste– nicht bereit, von seiner aggressiv-exportorientierten Wirtschaftspolitik abzurücken. Im Gegenteil. Wie german-foreign-policy Ende April berichtete, startete die Bundesregierung eine erneute Offensive. Bei deren Initiierung kündigte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle an, deutsches Kapital noch stärker »auf Auslandsmärkten zu unterstützen« und sich hierbei vor allem auf »Schwellenländer« zu konzentrieren. Das Netz deutscher Außenhandelskammern solle erweitert, die Verfahren zur Vergabe von Exportkreditgarantien beschleunigt und der politische Kampf um die Errichtung weiterer Freihandelsabkommen intensiviert werden, so Brüderle. Dabei kommt Deutschlans Exportmotor seit Anfang dieses Jahres erneut auf touren. Der Überschuss in der Handelsbilanz erhöhte sich von circa acht Milliarden Euro im Januar auf 12,6 Milliarden im Februar 2010. “Deutschland exportiert sich aus der Krise” titelte beispielsweise Spiegel-Online. Es stellt sich nur die Frage, auf wessen Kosten diesmal diese Exportoffensive ablaufen wird.

Militärische Option

Künftig möchte Berlin die Potentiale der EU auch militärisch instrumentalisieren, um der »unsichtbaren Hand des Marktes« notfalls mit der eisernen Faust des Militärs nachzuhelfen. So forderte Westerwelle bei der besagten Grundsatzrede, die Militarisierung der EU entschieden zu forcieren: »In Zukunft werden wir vor Herausforderungen stehen, von denen wir heute noch gar nichts ahnen«, drohte Westerwelle. Folglich bestehe das »langfristige Ziel der Bundesregierung« in dem »Aufbau einer europäischen Armee«. Die Militarisierung der EU solle nach den Vorstellungen des BRD-Außenministers zu einem »Motor für das weitere Zusammenwachsen Europas werden«.

Klartext über die von Westerwelle prognostizierten »Herausforderungen« spricht bereits die zweite Garnitur der deutschen Politiker. Er sehe nun eine »Ära des Energieimperialismus« weltweit heraufziehen, schrieb der CDU-Politiker Friedbert Pflüger in einem Beitrag für die Zeitschrift Internationale Politik. Laut Pflüger, der bereits als außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium tätig war, kehrten derzeit »Nationalismus, Kolonialismus und Imperialismus des 19.Jahrhunderts« zurück auf die Weltbühne. Der globale »Kampf um Energie, Rohstoffe und Wasser« werde die geopolitischen Auseinandersetzungen des 21. Jahrhunderts prägen, wobei künftig der Ausbruch von »Energiekriegen« nicht auszuschließen sei.

Sollte sich Berlin mit seinen Vorstellungen innerhalb der EU nicht durchsetzen können, so scheint auch ein Auseinanderbrechen der Eurozone und eine Neuorientierung deutscher Geopolitik nach Osten möglich. Die Achse Berlin-Moskau würde dann an die Stelle der derzeitigen strategischen Allianz zwischen Deutschland und Frankreich – den dominanten Mächten der EU – treten.

leicht gekürzt in: “Junge Welt”, 10.05.2010

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