von Simon Junge
Simon Junge bewirtschaftet seit 2006 zusammen mit seinem Berliner Abnehmerkreis eine Gärtnerei in Pretschen (Spreewald). Diese sogenannte „Versorgungsgemeinschaft“ finanziert den Betrieb durch die monatlichen Beiträge der Teilnehmer (Richtsatz 70,- Euro pro Haushalt). Eine gelegentliche Mithilfe bei der landwirtschaftlichen Arbeit ist Teil der Vereinbarung. Das Angebot erstreckt sich hauptsächlich auf Gemüse, aber auch Obst und Saft. Zudem laufen Bemühungen, die Dioscorea Batata (Lichtwurzel) im Anbau so weit zu bringen, daß sie regulärer Teil des Angebots wird. Anbauplan und Finanzierung werden gemeinsam erarbeitet und beschlossen. Die Erträgnisse werden ohne weiteres Bezahlen oder Wiegen abhängig vom persönlichen Bedarf und Verfügbarkeit untereinander verteilt. Angestrebt wird, die Versorgung auf alle wesentlichen Bereichen der Ernährung zu erweitern; also auch Getreidebau, Milchwirtschaft etc. Hiefür wird dringend nach einem neuen Standort im Osten von Berlin gesucht, der Raum für 4 oder mehr Familien bietet und mindestens 5 ha Nutzfläche dabei hat.
Alle Informationen zum Projekt und zur Hofsuche, incl. Adressen, finden Sie im Internet unter www.land-und-leute.com. Alle Interessenten sind herzlich eingeladen, Kontakt aufzunehmen.
Ein Resümee unserer sozialen Wirksamkeit
Sei es Verantwortungsgefühl für die Welt, Gerechtigkeitssinn, sei es das unbestimmte Bedürfnis,Widersprüche, wie sie im Leben allerorten auftreten, zu überwinden: irgendeine Motivation wird der Leser brauchen, um mir in diese Ausführungen zu folgen. Es geht um Konsequenz. Konsequenz als soziale, praktische, lebensnotwendige Aufgabe – unangenehm, weil einen die Betrachtung der Konsequenz auch zur Erkenntnis der eigenen Inkonsequenz führt. Eigentlich geht es mir darum, einen Vorschlag für das gesellschaftliche Leben zu unterbreiten. Um das vorzubereiten, müssen wir erstmal der Frage nachgehen, ob unsere sozialen Ansprüche, unsere Fortschrittsgesinnung im Leben eine Berechtigung haben und wie weit es damit her ist. Es empöre sich nicht gegen mich, wem es damit nicht ernst ist und es erwarte nicht jener angenehme eingängige Gedanken, der sich diese Ernsthaftigkeit zugute hält. Wir haben ein tiefreichendes, umfassendes Problem vor uns und dessen Lösung wird Arbeit kosten.
Zunächst: Wir stehen in einer sozialen Struktur drinnen. Wir tragen an einer Kultur mit, die sich in hohem Maße auf Zerstörungsprozesse gründet. Schlaglichtartig zur Erklärung: Fundament unserer Industrie- und Konsumkultur sind Verbrennungsprozesse. Der Preis unseres Wohlstands ist krasse soziale Ungleichheit. Das Recht wird mißbraucht, die Ungleichheit zu erhalten. Der Charakter des modernen Konsums ist besinnungsloser Verschleiß. Verschleiß und Raubbau – an unserer Naturgrundlage, am Menschen selbst.
Ich setze die Zustimmung des verehrten Lesers voraus und mache die Grundtendenz zur Zerstörung zum Ausgangspunkt dieser Überlegungen. Wie sieht es demgegenüber mit unseren Idealen aus? Wie steht es um unsere Gesinnung? Sind wir nicht gerne sozial, ökölogisch, lieben wir nicht die Gerechtigkeit? Gerade der Leser dieser Website wird, da bin ich mir sicher, sich eine fortschrittliche Gesinnung zugute halten. Und weiter: wie greift nun diese Gesinnung tatsächlich ins Leben ein? Was kommt dabei heraus an sozialer Wirksamkeit? Wenn Sie versuchen, darüber einen Überblick zu gewinnen, wird es möglicherweise unübersichtlich. Wir sind wirksam, von morgens bis abends (…auch wenn wir nicht wählen gehen, vielleicht sogar im Schlaf?) – wir wirken mit an einer Vielzahl von Verhältnissen, auch durch Unterlassung. Eine Übersicht können wir gewinnen, wenn wir uns folgende Fragen stellen:
– Für wen arbeiten wir?
– Wem geben wir unser Geld?
– Womit verbringen wir unsere Zeit?
…hier wäre nun eine Pause nötig, um zu bilanzieren. Bilanzieren Sie in aller Ruhe!
– Doch selbst wenn die eigene werte Persönlichkeit bei dieser Bilanzierung noch vorteilhaft abschneidet, so muß der Blick in die gesellschaftlichen Verhältnisse uns lehren, daß dies wohl die Ausnahme bildet. Oder kann gar jemand von sich sagen, daß er bewirkt, daß die Dinge eher den Bach hinauf- als hinuntergehen?
Die Bilanz muß nüchtern sein. Sie spiegelt die uns umgebende Realität. Manch einer wird empört sein: ich solle doch nicht in Bausch und Bogen alles niedermachen. Und Sie haben recht: Es ist zum Verzweifeln. Man spürt die Ohnmacht, wenn man sich den Verhältnissen mit Bewußtsein aussetzt. Nicht wenige haben darüber den Verstand verloren. Dieses Bewußtsein muß weh tun. Es soll uns mit schmerzhafter Vehemenz hinführen zu der Frage: wie läßt sich die vorherrschende Dynamik umkehren? Wie tragen wir den Aufbau hinein in die Zerstörung? Ohne daß wir in irgendeiner Weise an dieser Frage leiden, werden wir nicht ins Handeln kommen.
Um jetzt diese Schrift nicht zum bloßen Aufsatz verkommen zu lassen sei vorweggenommen, daß es mir eigentlich darum geht, einen Ansatz zu finden, in dem gerade das erreicht werden kann, daß wir in eine konstruktive Dynamik kommen. Ich muß nur erst feststellen, daß zwischen unserer Gesinnung und unserem tatsächlichen Tun eine Lücke klafft. Dies ist ein Vorwurf! Wir sind Teil des Problems! Wir können die Ansprüche aus unserer Gesinnung im Alltäglichen nicht erfüllen. Wir sind sozial inkonsequent. Als Begründung sind wir gewohnt zu verweisen auf die Verhältnisse, die uns zwingen, so oder so zu handeln. Das will ich auch unumwunden zugeben: ja, die Verhältnisse zwingen uns. Wir haben es nicht nur mit mangelndem Willen zu tun, sondern auch mit einer echten Not, mit einem Mangel an Alternativen. Über seine eigene Faulheit sei sich jeder selbst Rechenschaft schuldig. Hier soll es nur darum gehen, was man tun kann, wenn man bereits gewillt ist, sozial konsequent zu handeln.
Zur Tat
eine zentrale Rolle kommt der Landwirtschaft zu. Landwirtschaft kann man nicht nur so betreiben, daß man durch den sensiblen Umgang mit Boden, Tieren und Landschaft aufbauend, belebend wirkt, sondern auch durch die soziale Struktur, die sich um diese Prozesse bildet. Denn so, wie die aufmerksame ökologische Bewirtschaftung zum Boden und zur Landschaft gehört, gehört die Bildung von gemeinschaftlicher Verantwortung ins soziale Gewebe, das die Landwirtschaft umgibt. Aus dem ersten entstehen Nahrungsmittel, die den Menschen gesunden, aus dem zweiten entstehen Kräfte, die heilend in der Gesellschaft wirken. Ein wenig nüchterner ausgedrückt: in der Landwirtschaft ist es verhältnismäßig leicht, Erzeuger-Verbrauchergemeinschaften zu bilden, (zunächst) Zweckgemeinschaften, die das verwirklichen, was die eigentliche Aufgabe der (Land-)Wirtschaft ist: die Versorgung mit Gütern ausgehend vom tatsächlichen Bedarf. Man möge sich bitte klar machen, daß der Drang zur persönlichen Bereicherung eine der wesentlichen Triebfedern in der unheilvollen Dynamik des heutigen Wirtschaftslebens ist. Aber die Aufgabe der Wirtschaft ist eine gemeinnützige! Dahin führt uns organisch eine Vereinigung der Interessen von Erzeugern und Verbrauchern. Beachtet man dies nicht, so führt das dazu, daß beide Seiten bestrebt sind, sich gegenseitig auszunutzen. Und wenn kein Nutzen mehr aus der Sache herauszuziehen ist, hört die Beziehung einfach auf. Das führt im Ernstfall zum wirtschaftlichen Zusammenbruch. Die Wirtschaft wie sie heute ist, wird einfach aufhören uns zu versorgen, wenn sie keinen Nutzen mehr aus uns ziehen kann! Sehen Sie aus dem Fenster: diese Dinge kommen auf uns zu!
Es geht also nicht um Wohltätigkeit, mit der wir nach Feierabend unser erfrorenes Gewissen anwärmen, sondern daß wir unser Geld, unsere Arbeit, unsere Zeit in eine nachhaltige Wirtschaft geben. Auf die Landwirtschaft bezogen heißt das: wir leiten das Geld, das wir fürs Essen ausgeben und die Zeit, die wir fürs Einkaufen verwenden, in sinnvolle Zusammenhänge um. Verschiedene Beispiele, z.B. „Farmer John“, zeigen, daß auf diesem Wege ein gesundes, tragfähiges Wirtschaftsleben entsteht. Die Landwirtschaft ist aber keine reine Wirtschaftsveranstaltung. In ihr wird Natur gepflegt und Kultur geschaffen. Wenn sich hier Gemeinschaft bildet, so ist dies der sicherste Ausgangspunkt für eine konstruktive gesellschaftliche Dynamik.
Wenn diese sinnvollen Zusammenhänge einmal da sind, kann aus ihnen durch Alltäglichkeiten konstruktive Dynamik entstehen. Einfach durch Entscheidung für die Alternative werden wir im angestrebten Sinne wirksam. Allerdings sind in weiten Bereichen der Gesellschaft keine oder nur Scheinalternativen vorhanden. Unter solchen Verhältnissen einen Anfang zu machen, ist schwer. Denken Sie an das Gesundheitssystem: eine Kasse aufzubauen, bei der nicht die Maßnahme, sondern der Fortschritt zur Gesundung vergütet wird, ist unter den heutigen Gegebenheiten sogar unmöglich (obwohl ich darauf brenne, in dieser Ansicht korrigiert zu werden). Aus der Landwirtschaft heraus wird dieser Anfang am ehesten zu machen sein. Wenn wir eine neue Gesellschaft wollen – hier kann man ansetzen. Das muß man sich trauen am Anfang. Man muß sich trauen, zum Marktstand des kaltfüßigen Biobauern zu gehen und ihn zu fragen, ob er nicht gemeinsame Sache machen wolle mit seinen Kunden. Man muß sich festlegen. Die Freiheit, spontan gerade jetzt und gerade dort hineinzugehen und sich vom Überfluß der Ladenregale inspirieren zu lassen, muß man (ein Stück weit) aufgeben und sich auf eine Verbindlichkeit einlassen. Verbindlichkeit ist die Kraft des gemeinschaftlichen Impulses. Diese Möglichkeit gehört in das Bewußtsein jedes Einzelnen und sie verlangt nicht Revolution, sondern sie fließt in den Alltag ein