Der winterliche Skizirkus offenbart nichts weniger als Österreichs alpinen Größenwahn
von Franz Schandl
Des Winters tagt hierzulande immer eine Parallelregierung. Der Österreichische Schiverband (ÖSV) bestimmt das Programm, vor allem das Fernsehprogramm. Die Attraktivität des Schisports lebt und stirbt mit der Direktübertragung. Es ist eine konzertierte Aktion. Bestimmte Sportarten wie Schifahren und Schispringen sind national so aufgeladen und wesentlich, dass nach Möglichkeit sogar Trainingsfahrten und Trainingssprünge übertragen werden.
Wenn der Weltcup in Kitzbühel Station macht, wird der Tiroler Ort zur heimlichen Hauptstadt des Landes. Alle finden sich ein: der Geldadel, der Staatsadel, der Kunstadel, der Blutadel, der ganze Promiauflauf samt den dazugehörigen Medienfritzen und Wichtigmachern. Sport und Wirtschaft, Politik und Seitenblicke geben sich ein Stelldichein beim Stanglwirt. Es ist eine Society-Operette letzter Güte. Man ist von Belang und die ganze Welt schaut her. Und auch wenn das nicht stimmt, bildet man sich das ein, bis es zur Gewissheit geworden ist.
Der wahre Adel, das ist aber der Schiadel. Man denke nur an Gregor Schlierenzauer, den neuen Seriensieger der österreichischen Adler. Wie ein junger Held auf dem Feldherrenhügel stand er da am Gegenhang der Bergisel-Schanze von Innsbruck und nahm die Ovationen entgegen. Der Schisport ist in Österreich nicht bloß ein nationales Anliegen, sondern das patriotische Projekt schlechthin. Viele Fans dokumentieren durch die ins Gesicht geschmierte Flagge, wem sie gehören. Die Kriegsbemalung auf der Haut zeigt an, dass die Beziehung eine biologische zu sein hat. Die tatsächliche Kleinheit des Landes wird kompensiert durch alpinen Größenwahn. Die rot-weiß-rote Überlegenheit auf Schanzen und Pisten ist aber kein Wunder, sondern Folge eines industriellen Zuchtplans. Das Bild der Idole, vor allem das der Naturburschen, ist ein televisionäres Trugbild, eine Erfindung folkloristischer Werbespots.
Es geht um nationale Aufrüstung, und wie Uniformierte sehen die Wintersportler auch aus. Der Helm gleicht dem Stahlhelm, der Stecken einem Schwert und die Schier sind Lanzen. Skiausrüstung meint Rüstung. Disziplinierte Kader funktionieren wie kleine ideologische Staatsapparate, sind mobilisierte Truppen an der Front. „Unter dem Einfluss des Sports fühlen sich Menschen plötzlich maßgeblich“, heißt es im „Sportstück“ von Elfriede Jelinek. Der alpine Größenwahn ist das stabilste Fundament des Glaubens an Österreich. „Schi heil!“, schreien die Fans.
Siegen ist zu wenig, es geht um das Triumphieren. Freilich, je mehr der alpine Schilauf zur österreichischen Meisterschaft mit ausländischer Beteiligung gerät, desto weniger gilt ihm internationales Interesse. Die Erwartungen für Vancouver, wo im Februar die Olympischen Spiele stattfinden, sind nicht nur groß, sondern im wahrsten Sinne des Wortes: enorm. Wie immer haben sie übertroffen zu werden. Wenn ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel eine Medaillenzahl vorgibt, dann ist da stets die unterste Latte gemeint. Wird jener Pegel nicht erreicht, ist der nationale Notstand in Reichweite. So etwa nach dem letzten Wochenende, wo sogar ein Deutscher (Felix Neureuther im Slalom) schneller gewesen ist als „wir“. Schröcksnadel plant daher schon „Rache bei Olympia“.
Der Schisport ist durchaus als Lenkwaffe im Kampf der Standorte zu bezeichnen. Weil Österreich nur auf diesem Sektor Großmacht spielen kann, wird gerade hier überdimensional investiert. Österreichs Winterfremdenverkehr entwickelte sich Jahre lang parallel zu den Skierfolgen, während er in der Schweiz aufgrund des mäßigen Abschneidens stagnierte. So „erledigen die erfolgreichen Schiläufer die Arbeit von Botschaftern und Handelsdelegierten“, wusste die Wiener Tageszeitung Kurier zu schreiben.
Athleten und Trainer, Serviceleute und Funktionäre gleichen wandelnden Litfasssäulen. Ihre Ausrüstung gehört dem Anzeigenmarkt. Artig haben die jeweils Aufgerufenen oder besser: Vorgeführten ihre Skier in die Kamera zu halten. Werbung ist allgegenwärtig: Auf Piste, Schanze, Loipe, im Ziel, am Material, an Körpern – überall drängen sich die Markennamen in den Vordergrund. Die Aufnahmegeräte haben alles einzufangen, kein Flecken soll der Reklame entgehen. Wichtiger als der sportliche Wettbewerb ist die kommerzielle Konkurrenz. Die Sichtbarkeit der Werber gibt ungefähr die Hierarchie der ökonomischen Fabrikate wieder.
Ummittelbar sichtbar ist auch einer, der bei Siegerehrungen und Interviews, bei Sondersendungen und Events nicht fehlen darf: Peter Schröcksnadel. Der 1941 gebürtige Innsbrucker ist seit 1990 Präsident des Österreichischen Skiverbandes (ÖSV) und seit 2009 auch Präsident der von den führenden Skinationen (Österreich, Schweiz, Frankreich, Italien) gegründeten European Ski Federation (ESF). Nicht außerdem, sondern in erster Linie ist Schröcksnadel aber ein äußerst umtriebiger Unternehmer. Die Firmen Sitour Management GmbH, sowie die Feratel Media Technologies AG, welche beide wiederum über zahlreiche Beteiligungen und Tochtergesellschaften verfügen, gehören zu seinem Herrschaftsgebiet.
Sitour Management, geführt von Schröcksnadels Sohn Markus, besitzt einige Skigebiete, hält Anteile an Bergbahnen und betreibt einen Radiosender („Antenne Tirol“). Inzwischen ist Sitour in 1000 Skigebieten weltweit präsent. „Stellen Sie sich ein Skigebiet ohne Leit- und Informationssystem vor“, heißt es auf der firmeneigenen Homepage. Sitour verkauft PR an Regionen, Layouts für Pistenauftritte, Videowalls und Plakatflächen, „großformatig präsentiert im Gelände“. Touristen sollen nirgendwo hin mehr können, ohne dass die Werbung sie verfolgt oder erwartet. Fragt sich nur wie lange das noch laufen kann, ohne in einem PR-Overkill zu enden.
Feratel, unter dessen Dach inzwischen auch Sitour eingegliedert wurde, zählt heute weltweit zu den führenden touristischen Unternehmungen. Zu den illustren Kunden gehören nicht nur Wintergebiete wie Kitzbühel, Davos, Zermatt, Ischgl, Sölden oder das Tiroler Zillertal, sondern auch Großstädte wie München, Nürnberg oder Basel. Destinationsmanagement nennt sich das. Stets geht es um die Logistik für Regionen, um die Erstellung von Tourismuskonzepten. Im Juli 2009 erhielt Feratel etwa den Zuschlag für das regionale Informations- und Reservierungssystem in der norditalienischen Provinz Trentino. Dieses läuft in Zukunft über das von Ferital entwickelte Modul Dekline(R) 3.0.
Der Vollständigkeit halber sei noch dazugefügt, dass der ÖSV selbst über seine Tochterfirma Austria Skiteam Handels und Beteiligungs GmbH zahlreiche Veranstaltungsgesellschaften sein Eigen nennt. Schröcksnadels Winterreich kann sich also sehen lassen, es ist Inbegriff und Kern der österreichischen Sportindustrie. Sein Reichsgebiet lässt sich als ökonomischer Komplex des führenden Gesamtanbieters für und von Skigebieten und Tourismusregionen begreifen. Seine öffentlichen Funktionen sind seinem wirtschaftlichen Treiben adäquat vorgeschaltet. Synergie nennt sich das in der Wirtschaftssprache.
Alles greift ineinander, ist kaum noch unterscheidbar: das Öffentliche vom Privaten, die Werbung von der Information. Letzteres wird auch gar nicht verschwiegen, im Gegenteil, es wird betont: „Top-Skizentren werden an den Liftstationen mit modernsten Videowalls ausgestattet und garantieren tagesaktuelle, werbewirksame Auftritte in einem trendigen Content-Mix aus Information und Unterhaltung für ein Millionenpublikum“, heißt es in einer Aussendung.
Unser guter Mann braucht also gar nicht extra für sich und sein Reich zu werben, als Sportfunktionär stehen ihm alle medialen Auftritte unentgeltlich zur Verfügung. Nation und Region rechnen sich prächtig. Das Patriotische verwandelt sich unter solcher Regie in bare Münze. Schnee, auch wenn es Kunstschnee sein mag, funktioniert wie weißes Gold. Wahrlich, Peter Schröcksnadel ist der Reichsschneeverweser der Alpenrepublik.
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