Freunde 2.0: Segensreiche Entleiblichung der Interaktion

Streifzüge 48/2010

von Dominika Meindl

Freunde sind das Salz in der Ursuppe des Lebens. Ohne meine Freunde wüsste ich nicht, dass meine Frisur an einen totgefahrenen Frosch gemahnt. Dass Tschäcki Lugners Neuer im Sternzeichen und vom Gesicht her Ratte ist. Dass meine Hose backbords auch schon mal loser gesessen hat. Dass weibliche Frettchen an Östrogenvergiftung verenden, wenn ihnen in der Brunftzeit kein Fretterich sexuell beiwohnt. Dass meine Kolumnen früher viel pfiffiger waren. Trotz dieser mit Dank kaum aufzuwiegenden informativen Liebesdienste in der Vergangenheit sehe ich meine Freunde immer weniger.
Die Nullerjahre haben uns nämlich eine eminente Entleiblichung der Freundschaft beschert. Trefflich lässt sich über Facebook spotten oder in Bedenken ob der Verlotterung echter, gelebter Intersubjektivität verfallen. Doch dank „FB“ muss ich nicht mehr aus der Wohnung, wenn ich wissen will, was KathiKevinMarcelFranz gerade umtreibt. Da spare ich mir allerlei Unbill, vom falschen Outfit bis zum Tritt in Hundekot.
Eine wunderliche Wendung ist auch die Intimisierung der Einblicke. Unter vier Augen hätten mir meine gschamigen Kumpane nie gestanden, dass sie einen neuen Freund / den alten in den Wind geschossen / ihre lesbische Freundin geheiratet / das Geschlecht gewechselt haben. Auf Facebook habe ich tatsächlich all das und noch viel mehr erfahren. Im Internet können meine Freunde ihrem Bekenntnisdrang nachgeben, ohne durch gerunzelte Stirnen und Reaktionen wie „Aber der alte war doch noch ganz gut“ behelligt zu werden.
Heute habe ich 279 digitale Freunde. Früher hatte ich analog so viele Menschen nicht einmal gekannt. Gut, dass die auch nicht mehr so oft außer Haus gehen. Man stelle sich vor, ich gäbe eine Geselligkeit und alle kämen. Da wäre der Kühlschrank ratzfatz leergefressen, Mägen knurrten, Prügeleien entstünden im Unterzucker.
Ein immenser Vorteil besteht auch im Hygienischen. Was man sich bei der realen Interaktion alles holen kann! Von bösen Blicken über ungeplante Schwangerschaften bis zum Schnupfenvirus. Da doch lieber nur ein Virus auf dem Computer. Von den Einsparungspotenzialen im kränkelnden Gesundheitsbereich ganz zu schweigen.
Nachteilig könnte freilich das Fehlen echter sozialer Kontrolle sein – einst die Kernkompetenz privater Human Ressources. Schon heute wirkt sich das amikale Ausbleiben negativ auf vieler Menschen Wohnungsreinlichkeit aus. Auf den Sitzgelegenheiten sedimentieren sich Zettel, Zeitungen und Zigarettenschachteln. In den Ecken tollen die Staubmäuse mit den Silberfischen umher. Unschön.
Damit die Kemenate sich nicht schleichend anhand von Kleingetier und Raviolidosen in eine Mülldeponie verwandelt, empfiehlt es sich dringend, ab und zu echte Menschen hereinzubitten. Es müssen ja nicht die engsten Freunde sein, denn das sind oft die strengsten. Man kann durchaus einmal den Rauchfangkehrer oder einen Zeugen Jehovas einlassen und an deren Miene ablesen, ob es sie schon ekelt. Gelingt die Übung, kann man einander später bestimmt auf Facebook noch näher kommen und sich über das Paarungsverhalten von Nagetieren austauschen.

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