von Andreas Exner
Das Recht auf Leben ist bedingungslos, also auch das Recht auf „Lebensmittel“: Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Menschenrecht. Es stärkt gewerkschaftliche Kämpfe und sichert individuelle Freiheit. Wie aus dem Grundeinkommen auch eine tragfähige gesellschaftliche Perspektive wird, dazu im Folgenden.
Das Kapital ist seit 2008 in einer fundamentalen Krise. Die Auswirkungen von Konjunkturpaketen, staatlichen Bankgarantien und erneuten Anlegerillusionen „arbeitslosen Reichtums“ an den Börsen werden rasch verblassen. Die Inflation des „fiktiven Kapitals“ der Börsen ist nicht gestoppt. Sie hat sich nur auf den Staat verschoben. Und damit direkt auf die Lohnabhängigen. Staatsbankrott ist nur eine der Gefahren, die nun an die Stelle der „Kernschmelze“ des Finanzsystems getreten sind.
Sozialpolitik in der Krise
Die Krise hat eine Vorgeschichte, die bis in die 1960er Jahre zurückreicht. Das Wachstumsmodell der Nachkriegszeit, das heute viele nostalgisch als Zeit der „Vollbeschäftigung“ verklären und glauben, man könne es mit ausreichend „politischem Willen“ wiederherstellen, scheiterte damals an einer Reihe von Faktoren: Steigende Kapitalkosten, der Widerstand der Arbeiter_innen und sinkende Produktivitätszuwächse führten zu einem Fall der Profit- und Wachstumsraten des Kapitals.
Dieses ging deshalb ab dem Ende der 1970er Jahre zu einer Gegenoffensive über: dem Neoliberalismus. Die Profitraten erholten sich durch eine Verdichtung der Arbeit, Sozialabbau, stagnierende Reallöhne und eine Verbilligung der Rohstoff- und Energiepreise. Dazu kam ein neues, instabiles „Wachstumsmodell“ des Vermögensbesitzes: die Reichen konnten sich mühelos noch reicher rechnen – auf den liberalisierten Finanzmärkten.
Dieses System musste früher oder später kollabieren. Wenn die Ansprüche auf Mehrwert, die an den Finanzmärkten in Form von Wertpapieren gehandelt werden, das Gesamtvolumen des Mehrwerts übersteigen, wird das System prekär. Kommen Anleger zum Schluss, dass sie ihre Ansprüche nicht mehr in Geld flüssig machen können, verkaufen sie aus Angst vor Verlusten und in der Hoffnung, ihre Gewinnerwartungen in Bares umsetzen zu können. Machen das viele Anleger zugleich, setzt eine Panik ein. Alle wollen verkaufen, die Kurse der Wertpapiere fallen. Die überzähligen Ansprüche auf Mehrwert werden vernichtet. Eine umfassende Krise setzt ein: Unternehmen bankrottieren, Kredite werden verknappt.
Schließlich beißen Massen von Lohnabhängigen ins Gras. Die einzige Möglichkeit für das Kapital, seine Profitrate wiederherzustellen besteht dann darin, die Löhne noch stärker nach unten zu drücken, Sozialleistungen weiter abzubauen und überschüssige Kapazitäten zu vernichten. Vollbeschäftigung durch Staatsverschuldung zu finanzieren war schon in den letzten dreißig Jahren nicht erfolgreich. Nun ist das vollends illusionär.
Bezahlte und unbezahlte Arbeit
Mehrwert fällt nicht vom Himmel. Nur unter der Herrschaft des Kapitals nimmt der Überschuss an Produkten, den Menschen erzeugen, die Form von abstraktem Wert, von Geldgewinn, von Mehrwert an. Zur fortwährenden Produktion dieses Überschusses müssen Menschen gezwungen werden: sie müssen mehr arbeiten als sie arbeiten müssten um ihren Lebensunterhalt zu produzieren. Mehrwert wird nur durch Arbeit geschaffen – unbezahlte Arbeit, wohlgemerkt. Wären die Löhne gleich dem Gesamtwert der Produkte, wäre also alle Arbeit bezahlt, die unter dem Regiment des Kapitals getan wird (d.h. exklusive Hausarbeit etc.), so gäbe es keinen Gewinn.
Das Kapital ist kein Ding und nicht bloß Geld, sondern die Zwangsbeziehung zwischen zwei Klassen von Menschen: Lohnabhängigen und den Besitzern von Produktionsmitteln. Das Kapital ist somit nichts anderes als die andere Seite der Lohnarbeit – Menschen, die keine Produktionsmitteln besitzen, müssen ihre Fähigkeiten auf einem Arbeitsmarkt verkaufen. Die Besitzer von Produktionsmitteln kaufen diese Ware, um aus ihrer Nutzung Gewinn zu ziehen.
Das Kapital beruht freilich nicht nur auf der Lohnarbeit und ihrer Ausbeutung. Diese selbst basiert auf vielen Formen von Arbeit, die allesamt unbezahlt sind und unsichtbar gemacht werden: Hausarbeit, Arbeit von Schüler_innen und Studierenden, Ehrenamt – ja, alle Leistungen, die freiwillig und in Eigenmotivation erbracht werden. Und dazu gehört auch ein großer Teil der Lohnarbeit. Deshalb ist „Dienst nach Vorschrift“ ja eine Kampfmaßnahme.
Darüber hinaus beruhen das Kapital und sein Ausbeutungssystem auf der unbezahlten Leistung der vergangenen Generationen: dem gesamten akkumulierten Wissen, den gesellschaftlichen Fähigkeiten und Strukturen, die unbezahlt geschaffen wurden und täglich neu erzeugt und weiterentwickelt werden. Viele dieser Leistungen sind grundsätzlich nicht bezahlbar, selbst wenn man das wollte, weil überhaupt nicht einem Individuum zuzurechen oder gar zu quantifizieren. Mit zunehmenden Maschineneinsatz wird das akkumulierte Wissen die „eigentliche Produktivkraft“ – es ist unmöglich, die maschinell verstärkte kooperative Kraft der Lohnabhängigen in irgendeinen Geldwert oder „Lohn“ zu pressen.
Die Erpressungsmacht des Kapitals
Historisch ist eindeutig: Menschen machen sich dann zu „Lohnsklaven“, wenn sie keine andere Lebensmöglichkeit mehr haben. Diesen Zustand schaffte blutige Enteignung. Überall dort, wo Menschen mehr lohnarbeiten sollen als sie selbst dies wollen oder überhaupt erst auf einen Arbeitsmarkt gezwungen werden, muss man ihnen zuerst einmal wegnehmen, was ihnen ein Leben ohne oder mit wenig Lohnarbeit möglich macht: kostenlose staatliche Leistungen, ausreichende Arbeitslosenunterstützung, Subsistenzmöglichkeiten, Gemeineigentum, öffentliche Güter. Dies bewerkstelligt die Staatsgewalt.
Nicht umsonst sprach Marx von der „industriellen Reservearmee“ als Voraussetzung für kapitalistische Produktion: Menschen, die keine andere Möglichkeit als Lohnarbeit haben, um sich einigermaßen am Leben zu halten, aber nicht beschäftigt sind und deshalb Druck auf alle ausüben, sich dem Kapital (zu miesen Bedingungen) zu verkaufen. Überall dort, wo der Zwang zur Lohnarbeit gelockert wird und Lohnarbeitslosigkeit ihren Stachel verliert, verliert das Kapital deshalb auch seine absolute Durchsetzungsmacht.
Aus Sicht einer emanzipatorisch orientierten Gewerkschaft, die Freiheit erweitern will anstatt ein „anderes Management“ zu spielen, muss es daher zuerst darum gehen, Lohnarbeit zurückzudrängen. Lohnabhängige sind Kapitalabhängige, Antikapitalismus ist Kampf gegen die Lohnarbeit und der Aufbau einer Alternative.
Vollbeschäftigung? Nein Danke!
Die aktuelle Krise reicht über die Vernichtung der überzogenen Ansprüche auf Mehrwert weit hinaus. Hinzu treten eine Klima- und Energiekrise in beispielloser Dimension. Auch aus diesem Grund ist eine Rückkehr zur Vollbeschäftigung ein Halluzinationsprogramm. Dies kann auch Arbeitszeitverkürzung – so wichtig sie als solche ist – nicht leisten. Verkürzte Arbeitszeit ohne Lohnausgleich ist keine Option; mit Lohnausgleich verschärft sie jedoch den Druck auf das Kapital und untergräbt sich als Beschäftigungsstrategie folglich selbst.
Dazu kommt, dass viele Branchen aus ökologischen Gründen drastisch einzuschränken oder stillzulegen sind: die Autoindustrie, ihre Zulieferer, weite Teile des Marketings, der Infrastrukturbranchen (Straßenbau etc.), große Teile der chemischen Industrie, alle damit befassten Finanzinstitutionen und so fort.
Wer angesichts dieser Herausforderung nach dem Staat ruft, wiederholt nur die realsozialistische Illusion. Der Staat ist kein neutrales Instrument, um Produktion vernünftig zu planen, sondern er hängt von Kapitalverwertung ab, weil er daraus seine Steuermittel gewinnt. Er ist strukturell kapitalabhängig. In einer Gesellschaft, in der Menschen bewusst über ihre Produktion bestimmen, gibt es zwar Institutionen, die dies regeln, jedoch keinen abgespaltenen Herrschaftsapparat namens Staat.
Grundeinkommen und Solidarische Ökonomie
Eine Strategie, die den Kampf gegen die Lohnarbeit mit unmittelbaren Verbesserungen und dem Aufbau einer Solidarischen Ökonomie zusammenführt, ist daher das Gebot der Stunde. Dabei ist zu beachten, dass nur ein Teil der existierenden Betriebe in Selbstverwaltung zu überführen sind. Wie gesagt: Ein Großteil ist schlicht stillzulegen. Das ist ein wichtiger Grund, weshalb Sozialleistungen von Lohnarbeit entkoppelt werden müssen. Andernfalls ist eine Lockerung der Fixierung auf den Erhalt der bestehenden Arbeitsplätze unmöglich.
Dabei ist klar, dass vorderhand weiterhin eine Geldwirtschaft existiert. Zwar muss die Priorität sein, Infrastrukturen wie Ressourcen kostenlos zugänglich zu machen und Verkaufsbeziehungen soweit wie möglich zurückzudrängen. Dennoch braucht es ein „Übergangsprogramm“, um den Aufbau einer Solidarischen Ökonomie zu vollziehen. Hier setzt das Grundeinkommen an.
Als eine bedingungslose, individuelle Geldzahlung über der Armutsgefährdungsschwelle, die das Menschenrecht auf Leben realisiert, ist es zugleich die einzige bedarfsorientierte Geldleistung. Sie wird allen ausbezahlt und jenen wieder weggesteuert, die über ausreichende Einkommen verfügen. Dies geschieht progressiv, unterbindet also nicht den „Anreiz“, einer Lohnarbeit nachzugehen, wie herkömmliche Sozialhilfe und Arbeitslosengeld.
Ein Grundeinkommen ist keine Subvention für den Niedriglohnsektor. Ganz im Gegenteil stärkt es gewerkschaftliche Arbeitskämpfe, sodass Arbeit zu miesen Bedingungen abgelehnt werden kann. Der solidarisierende Kampf gegen die Lohnarbeit und Schritte zur praktischen Entkoppelung von Auskommen und Einkommen können die Defensive der Gewerkschaften, die sich vor dem Hintergrund der hohen strukturellen Arbeitslosigkeit seit den 1980er Jahren immer weiter verschärft, überwinden.
Die fundamentale Krise des Kapitals macht jede Strategie, die entweder auf einen „neuen Aufschwung“ hofft wie der „Green New Deal“ oder aber das Unding eines „nicht-wachsenden Kapitalismus“ anzielt, unbrauchbar. Vonnöten ist vielmehr ein „Übergangsprogramm“, das dem Umbau von Produktion und Verteilung zu einer Gesellschaft der Gemeingüter Orientierung gibt. Die Würde von Erwerbslosen, die sich in Geiselhaft von Gewerkschaften befinden, die sie als Argument für „Vollbeschäftigung“ benutzen, würde im Kampf um ein Grundeinkommen endlich respektiert. Staatsbürokratie, die sich erfrecht, „finanzierungswürdige“ Aktivitäten zu definieren und dem aus der Sicht des Kapitals „unwürdigen“ (weil nicht verwertbaren) Lebenswandel eine „aktivierende Arbeitsmarktpolitik“ als neoliberales Umerziehungsprogramm entgegenstellt, wäre mit einem Grundeinkommen praktisch aufzubrechen.
Das Grundeinkommen ist jedoch nicht der Weisheit letzter Schluss. Es ist in mittlerer Sicht zu einem Grundauskommen zu transformieren. Als eine Geldleistung ist es zu überwinden. In einer Gesellschaft, in der blinde Marktbeziehungen durch bewusste Kooperation ersetzt werden, muss die Bedeutung von Verkaufsbeziehungen zurückgehen. Der Arbeits- und Warenmarkt verschwindet zugleich mit dem Kapital und der Geldwirtschaft.
Die Überwindung des Patriarchats
Eine Solidarische Ökonomie muss die patriarchale Spaltung zwischen „wichtiger“ und „unwichtiger“ Arbeit praktisch überwinden. Vorstellungen, man könne das Patriarchat und seine geschlechtliche Arbeitsteilung durch eine „Aufteilung von Hausarbeit“ angreifen oder eine Gleichbezahlung von Frauen und Männern, sind dem Problem so wenig angemessen als wollte man die Kapitalherrschaft durch ein wenig „Mitbestimmung“ überwinden.
Das Patriarchat besteht ja gerade darin, dass bestimmte Eigenschaften, Tätigkeiten und „Sphären“ strukturell als unwichtig definiert und diskriminiert werden, weil sie der Verkaufsbeziehung und der Marktkonkurrenz nicht entsprechen. Die angeblich „weiblichen“ Tätigkeiten und Verhaltensweisen werden zwar strukturell den „Frauen“ zugeschrieben. Das heißt aber nicht, dass das Patriarchat nicht auch die „Männer“ prägt und unterdrückt. (Wie ja auch die Kapitalisten keinesfalls als Richtlinie eines „guten Lebens“ dienen können. Befreiung ist nicht teilbar.) Eine wirkliche Kritik des Patriarchats heißt nicht, das „Weibliche“ und das „Männliche“ bestehen zu lassen und ein wenig „Umverteilung“ zu spielen. Sie muss die Zwangsdefinition von „weiblich“ und „männlich“ in Frage stellen.
Die Idee der „Aufteilung der Hausarbeit“ greift aber noch aus einem anderen Grund viel zu kurz. Die Trennung der Gesellschaft in „Betriebe“ einerseits und „Haushalte“ andererseits ist ja gerade innerer Kern und Resultat des Patriarchats. Solange Produktion für einen Markt und von Mehrwert (Profit) das Ziel sind, muss eine Sphäre ausgekoppelt werden, in der die Arbeitskraft für das Kapital wiederhergestellt wird, Kinder gezeugt und erzogen werden etc.: durch die „Liebe der Frau“ oder, neuerdings, Migrantinnen aus dem Süden. Markt und Kapital können für sich nicht bestehen. Sie brauchen ein „Anderes“, das notwendigerweise eine untergeordnete Rolle spielt, obwohl und weil es die Basis für Markt und Kapital ist.
Um diesen Tiefenkern des Patriarchats abzuschmelzen, müssen die Zentralität des Marktes und der Lohnarbeit praktisch überwunden werden. Das geschieht weder durch eine „Umverteilung von Arbeit“ – Geschirrabwaschen, Ausdruck von Weichheit, unverzweckte Betätigung und Lust etc. werden immer „unwichtig“ und diskriminiert bleiben, egal ob dies nun biologischen Frauen oder Männern sozial eingeschrieben wird. Noch geschieht es automatisch in einer Solidarischen Ökonomie, wenn sie die kapitalistische Form des „Betriebs“ – egal ob selbstverwaltet oder nicht – weiter von der „Haushaltssphäre“ (dem Geschirrabwaschen, dem Unverzweckten, der Lust etc.) abspaltet.
Das Grundeinkommen bricht parziell den Marktzwang und die Definitionsmacht des Kapitals und damit der Lohnarbeit darüber, was „wichtig“ und was „unwichtig“ ist, auf. Und es baut der realsozialistischen Falle vor, per Parteidekret oder politischem Gremium entscheiden zu wollen, was denn nun „gesellschaftlich nützlich“ und was „Privatvergnügen“ sei.
Der Weg entsteht beim Gehen
Das Grundeinkommen, und in weiterer Folge ein Grundauskommen erlauben es also, sich parziell vom Patriarchat und dem Marktzwang zu entkoppeln. Je weiter die Entkoppelung fortschreitet, desto mehr untergräbt diese Entwicklung aber klarerweise auch die Basis der Geldleistung „Grundeinkommen“: das Kapital selbst. Dies war die Strategie der radikalen italienischen Arbeiter_innenbewegung, die in den 1970er Jahren mit der Forderung eines „politischen Lohns“ (Grundeinkommens) das Kapital in die Enge treiben wollte (und an der staatlichen Repression und den angepassten Gewerkschaften scheiterte).
Solange überhaupt Kapital akkumuliert und ein Markt besteht, ist auch eine Finanzbasis für das Grundeinkommen gegeben. Es muss zudem nicht auf einen Schlag eingeführt werden, sondern sollte bei der Abschaffung aller Kontrollen des Arbeitslosengeldes beginnen. Dies ist ein realpolitisch umsetzbares Ziel. Wenn es scheitert, dann an Machtbedürfnis, Kapitalkonformität und Staatshörigkeit politischer Funktionäre oder an der internalisierten Unterwerfung der Lohnabhängigen. Diese, das zeigen Umfragen, sind oft mehrheitlich für ein Grundeinkommen, meinen aber zugleich, „die Anderen“ würden es „missbrauchen“. Einmal davon abgesehen, dass hier unklar ist, wie ein Grundeinkommen „missbraucht“ werden sollte, ist eine solche Haltung leicht als Projektion des eigenen, uneingestandenen Hasses auf Lohnarbeit und Herrschaft auf die „Arbeitsscheuen“ und „Asozialen“ zu entziffern: das Grundmuster rechter Ideologie.
Wer meint, ein Grundeinkommen würde planvolle gesellschaftliche Produktion verunmöglichen, sagt genau das: Herrschaft ist naturnotwendig und kann nicht überwunden werden. Das ist rechte Ideologie, keine linke Position. Tatsächlich steckt auch ein verqueres Bild des Menschen und von Tätigkeit dahinter. So als würde kein Geschirr abgewaschen, würden keine Kinder aufgezogen, würde kein Ehrenamt ausgeübt, würde nicht unbezahlte Kreativität und Motivation selbst in der Lohnarbeit die treibende Kraft darstellen, nur weil all das nicht bezahlt und von anderen Menschen erzwungen ist. Tatsächlich reagieren Menschen auf Notwendigkeiten, die sie erkennen, indem sie Probleme eigenständig und kooperativ lösen. Sie werden tätig, weil das ihr Menschsein ausmacht (und sie anders keine biologische Evolution hätten vollziehen können) – eine Alltagsrealität, selbst im Kapitalismus. Die Ideologie der Kapitalherrschaft freilich ist eine andere.
Das Grundeinkommen ist jetzt – im Unterschied zu den Kämpfen der 1970er Jahre – mit einer erweiterten Perspektive und zugleich mit dem Aufbau einer Solidarischen Ökonomie der Selbstverwaltung und der zwischenbetrieblichen Kooperation wiederaufzunehmen.
Die Solidarische Ökonomie alleine hat nicht unbedingt eine befreiende Wirkung. Unter Marktbedingungen verschärft sie zumeist den Arbeitszwang zur Selbstausbeutung. Eine „vollständige“ Solidarische Ökonomie ohne bedingungslose soziale Sicherheit kann leicht in Repression durch Gruppendruck und eine Fixierung in einzelne Projekte, Betriebe, Zusammenhänge münden. Es muss etwas hinzutreten, das wirkliche Freiheit schafft, Kreativität ermöglicht, und den Wechsel zwischen Zusammenhängen problemlos erlaubt.
Es sollte klar geworden sein, dass das Grundeinkommen kein fertiges Programm der Zukunft, sondern eine unmittelbare Notwendigkeit darstellt. Es geht nicht um das Wolkenkuckucksheim von „Finanzierungsmodellen“. Das gute Leben und das Ende des Kapitals sind nicht „finanzierbar“. Vielmehr geht es um gesellschaftliche Kämpfe, die Lohn- und Kapitalabhängigkeit parziell zurückdrängen und Freiräume für eine Solidarische Ökonomie aufmachen. Vollbeschäftigung ist Gefängnisjargon. Und von gestern.
Dabei ist keineswegs gesagt, dass Menschen, die einander ein Grundeinkommen zur Verfügung stellen und gegen Staat und Kapital erkämpfen, sich so verhalten werden, wie das Gewerkschaftseliten, Linksintellektuelle oder „moralische Instanzen“ gerne hätten. Befreiung ist – das sollte man aus der Geschichte gelernt haben – nicht zu verordnen. Wir können nur die Bedingungen ihrer Möglichkeit begünstigen. Das aber wäre schon ziemlich viel.
Lesetip: Exner/Rätz/Zenker (Hg.): „Grundeinkommen. Soziale Sicherheit ohne Arbeit“, Deuticke, 2007
Text aus der Zeitschrift der AUGE/UG, die „Alternative“, S.24ff. – Download hier.
Andreas Exner ist parteifreier AK-Rat der AUGE/UG in Kärnten (die Liste trägt dort den Namen „Grüne/UG“). Das Grundeinkommen war eine der Forderungen der Grüne/UG im Kärntner AK-Wahlkampf.