Streifzüge 48 /2010
2000 Zeichen abwärts
von Lorenz Glatz
„Sie war auf Prozac“. – „Wer nicht?“ – Dialog vor einer Leiche in der Gerichtsmedizin (in der TV-Serie CSI Miami). Antidepressiva sind kein Indiz mehr. Die WHO erwartet, dass Depression in den nächsten Jahren „zur häufigsten Erkrankung nach Krebs und Herz-Kreislauf-Problemen“ wird. Allein in Österreich sind nach ärztlichen Schätzungen zehn Prozent der Bevölkerung diesbezüglich „klinisch auffällig“ bzw. „manifest krank“. Wie viele darüber hinaus zumindest an der Kippe stehen müssen, zeigt ein wacher Blick in jeder U-Bahn zur Stoßzeit (wenn eins sich denn noch zum Beobachten hochkriegen kann). Und was da – legal, illegal, scheißegal – alles eingeworfen oder runtergesoffen wird, um über die Runden zu kommen, findet sich nur zum geringsten Teil in den Statistiken ärztlicher Verschreibung.
Chemie ist aber längst nicht nur für Borderliner und Loser ein Muss. Bei der Depression mögen die Frauen noch führen, „im feindlichen Leben“, im „Schaffen und Streben“ haben die Männer die Nase noch vorn. Wer sich im freien Wettbewerb behaupten will, braucht mehr als Kreativität, Commitment und Genie, braucht Doping. Als chemische Keule gegen die Konkurrenz sozusagen. Im Sport ist es ja schon seit Jahrzehnten gang und gäbe (dort haben die Frauen auch schon aufgeholt) und sorgt jährlich für die schönsten Skandale. Und für einen lukrativen Rüstungswettlauf zwischen den Labors der Lieferanten und den Ausstattern der Prüfer. Im Showbusiness gehören die Drogen zum Nimbus. Auch Fernsehmoderatoren sollen nicht mehr reüssieren können, wenn sie nicht vor dem Auftritt eine Straße Kokain in die Nase ziehen. Und nicht einmal an den Unis dienen Drogen einfach nur dem Spaß. In den USA erwägt man Dopingtests für Prüflinge an den Unis, denn jeder vierte hilft chemisch nach, wissen diverse Studien. Und jeder fünfte Lehrer auch. Schlucken oder Schluss mit der Karriere. Und wer weiß, ob nicht auch schon VerkäuferInnen bei Billa, Peek & Clockenburg und wie sie allen heißen, so um ihre Arbeitsplätze kämpfen (müssen). Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht – was eigentlich? – genug.