von Peter Samol
Die aktuelle Debatte über einen drohenden Fachkräftemangel ist nicht neu. Trotzdem ändert sich seit Jahren nichts am eigentlichen Problem. Angesichts der Kostensenkungslogik des globalisierten Kapitalismus dürfte es sich eher noch weiter verschlimmern.
In Sachen Erholung von der Wirtschaftskrise ist Deutschland ein Musterknabe. Allerdings wird diese Erholung nahezu ausschließlich vom Export getragen. Die Binnenwirtschaft lahmt dagegen weiterhin. Daran ändern auch die überzogenen Jubelmeldungen über die mageren Steigerungen der Inlandsnachfrage nichts. Nun ist ein Warenexportüberschuss immer auch Export von Arbeitslosigkeit. Denn hierzulande werden dann relativ mehr Leute für die Erzeugung von Waren beschäftigt als in Griechenland, Spanien, den USA und anderswo, wo es einen Importüberhang gibt. Das hiesige Wachstum findet also auf Kosten anderer Länder statt.
Jetzt soll angesichts eines drohenden Fachkräftemangels schon wieder das Ausland für die Lösung eigener Probleme herhalten. Nach einem Bericht des Deutschen Industrie- und Handelkammertages (DIHK) haben 70 Prozent aller deutschen Unternehmen Probleme, offene Stellen mit passendem Personal zu besetzen. Auf der fieberhaften Suche nach einer Lösung für dieses Problem wird zunehmend die Anwerbung von Fachpersonal aus anderen Ländern ins Auge gefasst. Die Idee ist keineswegs neu. Bereits im Jahr 2007, gegen Ende jenes famosen „Aufschwungs“, der niemals so recht unten ankommen sollte, kursierte das Schreckgespenst vom Fachkräftemangel. Seinerzeit dachte unter anderem Annette Schavan (CDU), schon damals Bildungsministerin, laut darüber nach, qualifizierten ausländischen Arbeitskräften den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Auch heute finden sich etliche Politiker, die diese Idee für gut halten. Allerdings hat Deutschland im globalen Wettbewerb um internationale Fachkräfte eine miserable Ausgangsposition. Und es tut wenig, um daran etwas zu ändern. Schon weil lediglich zwölf Prozent der Unternehmen planen, verstärkt ausländische Fachkräfte anzuwerben. Darüber hinaus ist unter der jetzigen schwarz-gelben Regierung kaum mit einem angemessenen Einwanderungsrecht zu rechnen. Gerade in der Union und ihrer Klientel sind die Vorbehalte gegenüber Migranten ausgesprochen tief verankert. Die Tendenz, lieber Hürden zu errichten als Brücken zu bauen ist hier ungebrochen. Offener ist man da schon in der FDP. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) spricht sich etwa für eine Absenkung der Einkommensgrenze aus, um legale Einwanderungen von Arbeitnehmern zu ermöglichen. Es ist allerdings fraglich, ob dieses winzige bürokratische Stellschräubchen viel bewirken wird. Generell ist es eine hierzulande gern gehegte Illusion, dass Deutschland bei einer entsprechenden Öffnung von zuwandernden Arbeitnehmern überschwemmt würde. Das ist reines Fantasiedenken. Für gut ausgebildete Fachkräfte ist Deutschland völlig uninteressant. Angemessen sind hier allenfalls die Gehälter. Dagegen stehen komplizierte bürokratische Hürden, eine schwierige Sprache und vor allem ein abweisendes soziales Klima. Nicht zuletzt spielen eigene Landsleute beim Start in der Fremde eine wichtige Rolle. Die befinden sich jedoch bereits in anglophonen oder skandinavischen Ländern.
Andere hegen die Hoffnung, dass künftig vermehrt Senioren, Frauen mit Kindern oder junge Leute ohne Berufserfahrung in Arbeit gebracht werden könnten. Personalchefs sollten endlich davon abrücken, sich nur auf junge, gesunde und gut ausgebildete Fachkräfte mit Berufserfahrung und ohne störenden Familienhintergrund zu kaprizieren. Ein solches Umschwenken der Personalpolitik würde allerdings Zusatzkosten verursachen. Etwa für schonendere Arbeitsbedingungen, familienfreundliche Arbeitszeiten oder für die Weiterbildung weniger qualifizierter Neueinstellungen. Kosten, die sich letztlich in den Produktpreisen niederschlagen, die Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten verringern und damit gerade jenen Exporterfolg gefährden, welcher dem ökonomischen Erfolg deutscher Unternehmen zugrunde liegt. Auch hier dürften also die Hoffnungen trügen. Es ist außerdem absehbar, dass die Alarmrufe über einen drohenden Fachkräftemangel bald schon wieder verstummen. Denn Importländer wie etwa Griechenland, England oder die USA werden bald wieder tiefer in die Krise rutschen und der deutschen Außenwirtschaft einen ausgesprochen harten Dämpfer verpassen. Damit dürfte sich die gegenwärtige Diskussion über den Fachkräftemangel schon bald so rasch erledigt haben wie einst diejenige von 2007.
Generell mutet die Debatte um den Fachkräftemangel reichlich bizarr an, wenn man bedenkt, dass seit etlichen Jahren weniger als die Hälfte aller Schulabgänger einen echten Ausbildungsplatz bekommt. Zwar sinkt demographiebedingt die Zahl der Anwärter, aber die Zahl der Lehrstellen sinkt noch schneller. Jahr für Jahr werden mehrere zehntausend Schulabgänger in reinen Warteschleifenmaßnahmen geparkt, die zu keiner anerkannten Qualifikation führen. Andere jobben oder gehen ersatzweise auf weiterführende Schulen, bis sie vielleicht eine Lehrstelle finden. Die Statistik der Arbeitsagenturen zählt all diese Jugendlichen als vermittelt, weswegen sie auch weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden.
Traditionell fällt es in die Zuständigkeit der Unternehmen und bestimmter staatlicher Stellen, wie beispielsweise Stadtwerken oder Behörden, ihren Nachwuchs beruflich zu qualifizieren und den Großteil der Kosten dafür zu tragen. Aber nur ein knappes Viertel aller deutschen Firmen bildet heute noch aus. Und auch staatliche Stellen halten sich bei ihrem Ausbildungsangebot immer stärker zurück, weil ihr Personal abgebaut wird und Leistungen privatisiert bzw. outgesourcet werden. Die Unternehmen bauen lieber hochwertige Lehrstellen ab und kaufen sich ihre Fachkräfte fertig auf dem Markt. Sofern sie dort noch welche vorfinden. Aber selbst ein leergefegter Arbeitsmarkt bietet kaum noch Anlass zu vermehrten Ausbildungsanstrengungen. Die Unternehmen stehen unter enormem Kostensenkungsdruck. Permanent müssen sie ihre Leistungskraft steigern, um sowohl in der nationalen wie auch in der internationalen Konkurrenz bestehen zu können. Durch die Immobilienkrise wurde diese Tendenz noch einmal verschärft. Denn wie in jeder großen Krise sehen sich die Unternehmen auch dieses Mal dazu gezwungen, auf breiter Front ihre eigene Wettbewerbsposition zu verbessern. Auch die deutsche Weltmarktstellung beruht in erster Linie auf rigiden Einsparungen. Nach dieser Logik nimmt Ausbildung zuviel Zeit und Geld in Anspruch. Jedenfalls deutlich mehr als andere Fertigungsschritte. Darüber hinaus drohen die Qualifikationen der Ausgebildeten rasch zu veralten. Eine neue Technologie kann etliche Fertigkeiten über Nacht wertlos machen. Außerdem ist niemals sicher, ob Menschen nicht einfach den Betrieb verlassen, bevor sich ihre Ausbildung rentiert hat. So wenig zu qualifizieren wie möglich ist daher schlicht ein Gebot der betriebswirtschaftlichen Vernunft. Und weil weniger in Ausbildung investiert wird, herrscht ein langsam, aber stetig wachsender Mangel an passgenauen Fachkräften, während gleichzeitig viele Millionen Menschen keine Arbeit finden.