Verzockt in Osteuropa

Österreich könnte erstes westliches Land sein, das durch Zusammenbruch der »Subprime«-Konjunktur in Zahlungsschwierigkeiten gerät

Von Tomasz Konicz

So schnell kann es gehen: Noch vor wenigen Monaten bejubelten die Wiener Zeitungen die führende Position ihres Landes auf den Märkten Osteuropas. Jetzt wird gejammert. Das Magazin Profil fragte unlängst, ob dem Land nicht gar der Staatsbankrott drohe. Selbst unter Analysten werden Zahlungsschwierigkeiten Österreichs nicht ausgeschlossen. Allerdings ist da noch Brüssel vor. »Die EU hat (… ) klargemacht, daß sie für jedes Land einstehen wird«, sagte Gunter Deuber, Osteuropa-Experte der Deutschen Bank, dem Handelsblatt.

Wie die jW Anfang Februar bereits berichtete, haben die österreichischen Geldhäuser in Osteuropa Kredite in Höhe von 224 Milliarden Euro vergeben, was etwa drei Vierteln der jährlichen Wirtschaftsleistung der Alpenrepubilk entspricht. Und ein erheblicher Teil davon dürfte schon jetzt faul sein. Insgesamt haben westeuropäische Banken Darlehen im Wert von 1500 Milliarden US-Dollar (ca. 1150 Milliarden Euro) zwischen Baltikum und Schwarzmeer vergeben. Neben den Österreichern waren es Geldhäuser aus Italien, Frankreich, Belgien, Deutschland und Schweden, die für 84 Prozent der Verschuldung in dieser Region verantwortlich sind.

Die österreichischen Banken machten prächtige Gewinne in Bulgarien, Rumänien oder Kroatien, solange die auf massiver Kreditaufnahme fußende Defizitkonjunktur noch am Laufen war. Die Raiffeisen-Zentralbank (RZB) erzielte 79 Prozent ihres Gewinns 2007 in der östlichen Peripherie der EU und in Rußland, bei der Ersten Bank waren es 65 Prozent. Die UniCredit-Tochter Bank Austria konnten immerhin die Hälfte ihres Gewinns in der Region realisieren. Doch nun betteln die einst als »osteuropäische Pioniere« gefeierten Geldhäuser bei der Regierung in Wien um staatliche Unterstützung. Die Erste Bank mußte den Firmenwert ihrer Töchter in der Ukraine und Serbien bereits komplett abschreiben und den der weitaus größeren rumänischen Tochter BCR bislang um über eine Milliarde auf 2,7 Milliarden Euro verringern.

Die konjunkturellen Auswirkungen dieses Wirtschaftsbooms auf Pump im Osten Europas glichen denen der Immobilienspekulationen in den USA. »Osteuropa könnte sich zu Europas Subprime entwickeln«, bemerkte der Analyst Richard McGuire treffend. Ähnlich wie bei der Hypothekenvergabe an Schuldner mit schlechter Bonität in den USA sind auch in Osteuropa Menschen mit geringen Einkünften vor allem Devisenkredite von den Banken aufgeschwatzt worden. Der aus dieser Kreditaufnahme resultierende Nachfrageschub feuerte die Konjunktur an und brachte etlichen der sich immer weiter verschuldenden Volkswirtschaften unsinnigerweise den Ruf ökonomischer »Tigerstaaten« ein.

Die entstandene Nachfrage wurde wiederum von westlichem Kapital abgeschöpft, da sich auch der Einzelhandel Osteuropas fest in westeuro­päischer Hand befindet. Ein Blick auf die Leistungsbilanz der betroffenen Länder auf dem Höhepunkt des Booms offenbart die Dimension dieser Blasenbildung: Kam Lettland 2007 auf ein Defizit von 22,9 Prozent seines jährlichen Bruttosozialprodukts (BSP), Bulgarien auf 21,4 Prozent. Kaum besser standen Serbien (16,5 Prozent), Estland (16), Rumänien (14,5) und Litauen (13,3 Prozent) da. Die vom westlichen Finanzkapital vermittels Kreditvergabe generierte Nachfrage wurde von westlichem Handelskapital abgeschöpft.

Die private Verschuldung in Mittelosteuropa liegt jetzt bei circa 55 Prozent des BSP, in Südosteuropa sind es nahezu 60 Prozent. In Bulgarien stieg diese 2007 um 60,4 Prozent an, in Rumänien um 55,2 Prozent. Aufgrund des niedrigen Lohnniveaus in den meisten dieser Länder droht nun ein regelrechter Tsunami an faulen Krediten, ähnlich den reihenweise platzenden Hypotheken in den USA. In Rumänien, Bulgarien und Kroatien macht der Schuldendienst durchschnittlich bis zu 30 Prozent des verfügbaren Einkommens aus, in Polen und Tschechien sind es immerhin zehn bis 15 Prozent. Besonders hart betroffen sind die baltischen Ländern, die Ukraine und Ungarn. Als Absturzkandidaten gelten Rumänien und Bulgarien. In Polen, Tschechien, Slowenien und der Slowakei hat die Krise noch keine katastrophalen Ausmaße angenommen.

Dabei drohen selbst moderat verschuldete Länder wie Polen aufgrund des freien Falls ihrer Währungen in die Schuldenfalle zu geraten. So verlor der polnische Zloty seit Sommer 2008 nahezu 50 Prozent seines Wertes gegenüber dem Euro. Ähnlich sieht es beim ungarischen Forint oder dem russischen Rubel aus. Da aber viele Osteuro­päer Kredite in Fremdwährungen aufgenommen haben, verteuert sich deren Rückzahlung nun radikal. Die ersten Entlassungswellen in Osteuropa tun ein übriges, um immer mehr Schuldner in den Bankrott zu treiben.

Österreichs Banken werden einen Großteil ihrer 224 Milliarden Euro nicht wiedersehen. Das scheint sich sogar auf »den Märkten« herumgesprochen zu haben. Der Spread – die Zinsdifferenz – zwischen österreichischen und deutschen Staatsanleihen liegt inzwischen bei 1,34 Prozent. Österreich sei nun »riskanter als Italien«, jammerte der Standard. Die deutschen Staatsanleihen sind deswegen so begehrt, weil es vor allem die aggressive teutonische Wirtschaft war, die die kreditfinanzierte Nachfrage abschöpfte und deutsches Finanzkapital nur moderat an der Kreditvergabe beteiligt war. Die Länder Ostmitteleuropas und Osteuropas haben im ersten Halbjahr 2008 für 84 Milliarden Euro deutsche Waren aufgenommen. Die Region war für die deutsche Exportwirtschaft wichtiger als die USA (59,2 Milliarden Euro) oder China (43,6 Milliarden Euro).

Junge Welt 21.02.2009

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