von Tomasz Konicz
Im Vorfeld der mit Spannung erwarteten China-Visite von US-Präsident Barack Obama bemüht sich Peking um eine Entspannung der zuletzt arg strapazierten Beziehungen. So deutete die chinesische Notenbank am Montag eine mögliche Aufwertung der chinesischen Währung Renminbi (Volksgeld) an. Die USA, Japan und Europa fordern dies seit langem vehement, da der bewusst niedrig gehaltene Wechselkurs dem neuen Exportweltmeister erhebliche Vorteile beim Außenhandel verschaffe. Obama kündigte bereits an, bei seinem Antrittsbesuch auch über Währungsfragen reden zu wollen.
Neben der Sicherheitspolitik und dem Klimawandel dürften vor allem die Wirtschaftsbeziehungen beider Staaten im Mittelpunkt der dreitägigen Konsultationen vom 15. bis 18. November stehen. Chinas Botschafter in den USA, Zhou Wenzhong, kritisierte im Gespräch mit China Radio International die jüngsten protektionistischen Maßnahmen Washingtons: »Seit dem Amtsantritt von Barack Obama haben die USA rund zehn Antidumping- und Antisubventionsuntersuchungen gegen chinesische Produkte gestartet. Wir bedauern das natürlich sehr.« Washington müsse bei der »Ablehnung des Handelsprotektionismus und der Befürwortung des freien Handels eine klarere Position beziehen«, forderte Zhou.
Tatsächlich sind die Vereinigten Staaten für die chinesische Exportindustrie schlicht überlebensnotwendig. Mit einem Exportanteil von 21 Prozent sind sie Chinas größter Handelspartner. Die Importschwemme aus dem Billiglohnland stimulierte gleichzeitig Chinas Wirtschaft zu einer gewaltigen Überschussproduktion. Auch für die USA ist China mittlerweile größter Handelspartner. Mit 19 Prozent des Warenaustauschvolumens löste die Volksrepublik im vergangenen Jahr Kanada als Nummer eins ab.
Dieser Handel hat einen volkswirtschaftlich hoch giftigen Aspekt: Er ist völlig unausgewogen und wird fragwürdig finanziert. So hat der überbordende US-Konsum in der letzten Dekade (die USA verbrauchten pro Jahr etwa fünf bis sechs Prozent mehr, als ihre Volkswirtschaft an Gütern produzierte, d.Red.) zwar als globaler Konjunkturmotor gewirkt und China auf Platz drei der Weltwirtschaftsmächte katapultiert – allerdings auf Kosten eines ständig gestiegenen Handelsbilanzdefizits der USA. Die chinesischen Exportüberschüsse in die Vereinigten Staaten stiegen von 68 Milliarden US-Dollar 1999 über 162 Milliarden im Jahre 2004 und auf 268 Milliarden im vergangenen Jahr. Verknappt gesagt: China kreditierte die Konsumsause in den USA und bekam dafür bedrucktes Papier, dass sich jenseits des Pazifik schnell drucken lässt.
Dieses dramatische wirtschaftliche Ungleichgewicht drohte zu Beginn der Weltwirtschaftskrise Chinas Ökonomie ins Wanken zu bringen, als die monatlichen Überschüsse im US-Handel von 27 Milliarden Dollar im Oktober 2008 auf 14 Milliarden im Februar 2009 einbrachen. Denn die Volksrepublik hat erhebliche Kapazitäten aufgebaut, die ausschließlich auf die Bedienung der US-Importeure ausgerichtet sind – Millionen Arbeitsplätze inklusive.
Inzwischen scheint erst einmal Entwarnung angesagt. Das US-Handelsdefizit mit China steigt wieder stark an, im August betrug es bereits 20 Milliarden Dollar. Was nichts anderes heißt, als dass der US-Markt im Gegenzug maßgeblich zum Auftürmen gewaltiger chinesischer Außenhandelsüberschüsse beiträgt. Allein im Oktober belief sich der Saldo des gegenseitigen Handels auf nahezu 24 Milliarden US-Dollar zugunsten Pekings – doppelt soviel, wie im September. Diese Deviseneinnahmen beflügelten die Investitionstätigkeit Chinas, die bis zu 43 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen konnte. Zum Vergleich: die Investitionsrate beträgt in den USA, wo vor Krisenausbruch der durch Schulden finanzierte private Konsum eine zentrale Rolle spielte, nur 16,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, in der EU sind es 23 Prozent.
Einen großen Teil dieser Überschüsse legte Peking in US-Devisen an. China hält derzeit US-Staatsanleihen im Volumen von 800 Milliarden Dollar, auf zwei Billionen Dollar belaufen sich die gesamten Devisenreserven der Volksrepublik.
Hier erst schließt sich der symbiotische Schuldenkreislauf zwischen Washington und Peking: Die USA liehen sich praktisch das Geld von China, mit denen sie chinesische Waren bezahlten. Im Umkehrschluss bedeutet dies, daß China den USA das Geld verlieh, das es beim Warenverkauf in die USA erwirtschaftete. Durch den massiven Aufkauf von US-Staatspapieren konnten die Zinsen in den Staaten lange Zeit niedrig gehalten werden. Das befeuerte den kreditfinanzierten Immobilienboom und die Schuldenaufnahme der US-Konsumenten zusätzlich. Beide Seiten profitierten davon. China sicherte sich mit den gewaltigen Krediten seinen wichtigsten Absatzmarkt, während der wichtigste Zweig der US-Wirtschaft, der Finanzsektor, durch die »Verbriefung« der US-Schulden Traumgewinne erzielte. Diese ökonomische Symbiose wird im angelsächsischen Raum inzwischen »Chimerica« genannt.
In dieser innigen Verbindung verharren beide Staaten. Weder Washington noch Peking können »Chimerica« so einfach verlassen. Die in geopolitischer Konkurrenz befindlichen Großmächte sind zur ökonomischen Kooperation genötigt. Die USA müssen weiter auf die Bereitschaft Pekings zur Finanzierung ihres Staatsdefizits bauen. China wird seinen wichtigsten Absatzmarkt auf absehbare Zeit nicht verlieren wollen. Beiden ist zudem klar, dass die staatlich finanzierten Konjunkturmaßnahmen weiter aufrechterhalten werden müssen, will man nicht den ökonomischen Kollaps riskieren. Auch kann Peking nicht einfach die erworbenen US-Staatsobligationen auf den Finanzmärkten abstoßen. Dies würde zu einem Zusammenbruch des ohnehin schon schwindsüchtigen US-Dollars führen. Bei einer unkoordinierten, globalen Flucht aus dem Greenback könnte eine Hyperinflation einsetzen – und die chinesische Regierung könnte sich am Ende für ihre Dollarreserven vielleicht nur noch eine Runde Reisschnaps bestellen.
Es ist klar, dass diese auf einen beständig wachsenden Schuldenberg fußende widersprüchliche ökonomische Schein-Symbiose nicht in alle Ewigkeit fortgesetzt werden kann. Folglich stellen die zur fortgesetzten Kooperation verurteilten Konkurrenten im Vorfeld der Obama-Visite eigentlich einander ausschließende Forderungen aneinander. China möchte beispielsweise die protektionistischen Maßnahmen Washington ausgeräumt sehen, während chinesische Politiker zugleich ihre Sorge um den ständig fallenden US-Dollar ausdrücken, der doch nur deswegen im Verfall begriffen ist, weil Washington mit exzessiver Verschuldung und Gelddruckerei seiner Konjunkturprogramme finanziert, die doch indirekt auch zur aktuellen Belebung der chinesischen Exporte in die USA beitragen. Obama wiederum will auf eine Aufwertung der chinesischen Währung drängen, um das Handelsdefizit der USA abzubauen – dies ließe aber den gerade erst wieder anspringenden chinesischen Konjunkturmotor erlahmen und würde Chinas Fähigkeit und Interesse untergraben, die amerikanische Defizitbildung zu finanzieren.
Die Dynamik dieser widersprüchlichen ökonomische Verflechtung der zu „Chimerica“ zusammengewachsenen Großmächte wird maßgeblich den weiteren Krisenverlauf und die Weiterentwicklung des spätkapitalistischen Weltsystem prägen.
Erschien leicht gekürzt in: “Junge Welt”, 14.11.2009