Zentralasiens Arbeitsmigranten sind von der Wirtschaftskrise besonders hart betroffen. Kasachstan und Rußland schotten Arbeitsmärkte immer stärker ab
Auf Zentralasien dürften unruhige Zeiten zukommen. Die verarmten Republiken der Region sehen sich einer Finanzkatastrophe gegenüber. Wichtigster Grund ist, daß im Zuge der Weltwirtschaftskrise Hunderttausende Arbeitsmigranten, die zuvor in Rußland oder Kasachstan Beschäftigung fanden, derzeit ihre Jobs verlieren. Betroffen von dieser Entwicklung sind vor allem Kirgisien, Tadschikistan und Usbekistan. Zum einen gehen die Geldüberweisungen der Arbeitsmigranten rapide zurück. Diese bildeten eine zentrale Stütze der jeweiligen Volkswirtschaften. Andererseits strömen die in Rußland arbeitslos gewordenen Tagelöhner in ihre Herkunftsregionen zurück. Aufgrund der angespannten sozialen und ökonomischen Lage baut sich in allen drei genannten Staaten ein ernsthaftes Konfliktpotential auf.
Die Überweisungen hatten vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise gewaltige Dimensionen erreicht. Für Millionen Menschen in Zentralasien machten diese Zahlungen den einzigen Unterschied zwischen einem bescheidenen Lebensstandard und totaler Verelendung. In Kirgisien trug der Geldzufluß aus dem Ausland 15 Prozent zum Bruttonationaleinkommen (BNE) bei, in Usbekistan waren es sogar nahezu 20 Prozent. Medienberichte sprechen für 2008 von einer Milliarde US-Dollar, die von den im Ausland Arbeitenden nach Kirgisien überwiesen worden seien. In Richtung Usbekistan sollen allein in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres etwa zwei Milliarden US-Dollar geflossen sein.
Oftmals sparten die auf Baustellen in Moskau, St. Petersburg oder der kasachischen Hauptstadt Astana schuftenden Kirgisen, Usbeken oder Tadschiken ihr Einkommen, bis sie sich in ihren Herkunftsländern ein Haus bauen konnten. Damit profitierte die heimische Bauwirtschaft der drei Republiken und belebte die Konjunktur. In Tadschikistan sollen nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds sogar 1,8 Milliarden des 3,8 Milliarden US-Dollar betragenden Bruttonationaleinkommens auf die Geldüberweisungen der Arbeitsmigranten zurückzuführen sein. Laut Ministerium für Migration und Beschäftigung in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek sind zwischen einer halben Million und 800000 Kirgisen im Ausland beschäftigt oder auf Arbeitssuche. Die Anzahl der tadschikischen Arbeitsmigranten soll sich offiziellen Angaben zufolge auf nahezu 600000 belaufen. Neuesten Zahlen der asiatischen Entwicklungsbank zufolge stammen 79 Prozent der Auslandsüberweisungen nach Kirgisien aus Rußland, in Tadschikistan sind es sogar 98 Prozent. Die restlichen Geldzuflüsse kommen größtenteils aus Kasachstan.
Doch gerade diese beiden Zielländer der zentralasiatischen Arbeitsmigranten sind selbst von der Krise hart getroffen. Verstärkt versuchen Rußland und Kasachstan deshalb, ihre Arbeitsmärkte abzuschotten. So ist der kasachische Immobiliensektor, der bis Mitte 2007 von einen rasanten Aufschwung erfaßt war, nahezu zusammengebrochen. Binnen weniger Monate fielen die Immobilienpreise um 30 bis zu 50 Prozent, wie Schätzungen besagen. Das Land gehört zu den wichtigsten Erdölproduzenten im kaspischen Raum und hatte von den hohen Ölpreisen profitiert. Inzwischen werden kaum noch größere Bauprojekte in diesem Land in Angriff genommen. Zahlreiche Großprojekte in Astana und Almaty, vom Bürogebäude bis zum Mehrfamilienkomplex, verwandeln sich derzeit in Investitionsruinen. Bislang hat die kasachische Regierung umgerechnet drei Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt, um viele der nicht abgeschlossenen Bauvorhaben doch noch zu vollenden.
Angefacht von den steigenden Rohstoff- und Erdölpreisen sowie einer wilden Immobilienspekulation wuchs die kasachische Wirtschaft zwischen 2000 und 2007 im Schnitt um zehn Prozent. In diesem Jahr könnte das Land erstmals in die Rezession schlittern. Nun sind auch viele Kasachen, die ebenfalls im großen Umfang Hypothekenkredite aufgenommen hatten, von Zwangsvollstreckung bedroht. Auf dem Höhepunkt des Immobilienbooms mußte man für eine Wohnung in Almaty zwischen 50000 und 200000 US-Dollar aufwenden. Der Durchschnittslohn in Kasachstan lag bei 400 Dollar monatlich. Die Regierung hat nun ein nationales Arbeitsbeschaffungsprogramm initiiert, die Quoten für Arbeitsmigranten drastisch gesenkt und ein hartes Vorgehen gegen »illegale Ausländer« angekündigt. Ungelernte ausländische Arbeitskräfte werden ab 1. April generell vom kasachischen Arbeitsmarkt ausgeschlossen.
Ähnlich düster gestalteten sich die Aussichten für die in Rußland tätigen Wanderarbeiter aus Mittelasien. Der Kreml ließ die Quoten für die legal im Lande tätigen Arbeitsmigranten ebenfalls drastisch senken. Auch der russische Immobiliensektor bricht derzeit zusammen, die Beschäftigungsmöglichkeiten schwinden rapide. Zudem verbot Moskau im Januar die Anstellung von Ausländern im Einzelhandel, in dem traditionell viele Migranten ein Auskommen fanden. Laut offiziellen Angaben sind inzwischen 2,3 Millionen Russen arbeitslos gemeldet. Die dortigen Migrationsbehörden melden überdies einen raschen Anstieg der Anträge auf die Erteilung der russischen Staatsbürgerschaft durch Personen aus dem postsowjetischen Raum – da russische Unternehmen seit Ausbruch der Krise bevorzugt Ausländer entlassen. Ab dem 1. Juli schafft Rußlands Regierung obendrein die vereinfachten Antragsverfahren bei der Gewährung der russischen Staatsbürgerschaft für Bürger aus dem GUS-Raum ab.