von Peter Pichl
Gewissheit hat ein Ablaufdatum, Anlaufdatum nicht minder. Gewissheit hat eine Bandbreite der Belastung und der Zustimmung, hat etwas von einem Pass oder ist ein Schlüssel, der Zugänge und Übergänge erlaubt. Gewissheit wird erzeugt, grenzt ein und aus. Wenn Gewissheiten aneinander geraten, ist dann Feuer am Dach oder Wasser im Keller?
Gewissheit hat Machart, je nachdem, woraus sie besteht, wofür sie gebraucht wird. Von der Gewissheit bis zur Ungewissheit gibt es eine Skala, zu der Vermutung, Ahnung, Zweifel gehören. Mathematisch erscheint sie als Wahrscheinlichkeit. Sogar da, in den Gefilden formaler Eineindeutigkeit gibt es gegensätzliche Ansichten und Vorgangsweisen betreffend den Gegensatz zwischen Übergang (Analogie) und Stufe (Diskretion). Der Zwang, sich für eine oder eine gegensätzliche Lösung zu entscheiden, ist ein eigenes Problem: Wer oder was erzeugt diesen Zwang, wie äußert er sich, wie wirkt er auf die gegnerischen Entscheidungen und deren Umstände und Bedingungen.
Einige Volksweisheiten geben dazu Hinweise: „Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“, ist eine solche. In der auslösenden Kontroverse (vgl. Streifzüge Nr. 43-46) über die Bedeutung des Rausches wird deutlich, was alles dabei zu Tage kommt und unter den Teppich gekehrt oder dort vermutet wird. Nicht selten sind solche Differenzen stellvertretend für nicht Zugegebenes oder nicht Eruierbares. Genauso oft sind sie immanent, sind nicht eindeutig lösbar oder sind aneinander räumlich, zeitlich, öffentlich oder privat gebunden. Oft genug liegt die Entscheidungsmöglichkeit auf einer anderen Ebene, in einem anderen Bereich usf. Das Trennende und das Gemeinsame von Streit in unterschiedlichster Form, Bedeutung und Wirkung stellt sich als Hintereinander heraus. „Unkenntnis schützt vor Strafe nicht“, gilt ja genauso umstritten wie die Differenzen über Schuld und Sühne. Zu allen Fällen sind daher die unterscheidenden und einigenden Faktoren möglichst präzise zu definieren. Da ist dann mehr zu gewinnen als der Streit.