von Severin Heilmann, Franz Schandl, Lorenz Glatz und Maria Wölflingseder
Richtig Reich…
…war A. Onassis bedauerlicherweise nicht. Vielmehr ein armer Mann mit viel Geld, gemäß eigener Einschätzung. Hierin ist die heikle Ambivalenz von Reichtum auf den Punkt gebracht. Denn Geld und Ware sind nur in einer Welt der Knappheit denkbar. Sie gründen auf Mangel und treiben Mangel hervor.
Wir leben so zwar in der Fülle, erleben permanent jedoch Knappheit. Bringen mit einem Maximum an Ressource stets nur Mangelware hervor. Betreiben einen gigantischen Maschinenpark, mit dem es ein Leichtes wäre, Arbeit als unbekömmlichen Broterwerb für immer hinter uns zu lassen, fordern aber gleichzeitig unsere bedingungslose Unterwerfung unter ihr drückendes Joch. Wir leben gleichsam im Paradies und backen unbehelligt davon unsere Brötchen weiterhin im Schweiße unseres Angesichts.
Kaum können wir uns noch vorstellen, dass es auch anders ginge. Denn wann immer wir versuchen nach vorn zu schauen, blicken wir doch nur durch den Rückspiegel unserer Erfahrung und entdecken erschrocken aber konsequent das Bisherige: Knappheit an Geld, Ressourcen, Energie, Nahrung; sehen Müllberge, Sachzwänge, Armut und Krieg. Unser ängstlicher Blick in die Zukunft nennt sich realistisch, klammert sich dabei jedoch eisern an die Denkstrukturen des Mangels und der Knappheit.
Dabei wissen wir doch gar nicht, wie reich, wie begütert und behütet wir eigentlich sind? Wir haben es ja noch nie ausprobiert: Durch welch unschätzbare Fülle an nützlichen Dingen sich unser aller Leben bereichern ließe, ist die ultimative Bedingung für ihr Vorhandensein – ihre Finanzierbarkeit oder Verwertung – gebrochen. Was an Energie, an Ressourcen disponibel würde, deren größter Teil heute in Produkte fließt, die gemäß jener Verwertungsbedingung für die Müllhalde bestimmt sind! Wie viel freie Zeit, wenn mit ihnen auch die in ihnen gebundene Arbeit verschwunden ist und die nötige gemeinschaftlich aufgeteilt! Was für ungeahntes Potenzial, was für Fähigkeiten, Fertigkeiten und Talente würden hierdurch wiederum freigesetzt, die gegenwärtig im Dienst der Geldvermehrung regelrecht vernichtet werden! Vielfalt der Ideen, Erfindungen, Entdeckungen, kreative, technische Hervorbringungen, sobald Patentschutz, Wissensverknappung, der kannibalische Konkurrenzwahn und lähmende Existenzangst der Vergangenheit angehören! Was zu tun, zu denken und fühlen wir vermögen, wenn wir uns direkt aufeinander beziehen und nicht über den mörderischen Fetischismus der Zahlen; dieser nicht mehr darüber gebietet, was machbar ist und was nicht, sondern ausschließlich das Wollen intrinsisch motivierter Menschen! Eine Positiv-Spirale wechselseitiger Befruchtung und Unterstützung würde in die Gänge kommen und ließe unsere allmählich verblassende kapitalistische Veranstaltung so erbärmlich aussehen, wie sie es ist.
Das alles wäre vielleicht mit einem Fingerschnippen zu bewerkstelligen, wir aber glauben so fest an die Dummheit der anderen und die eigene Ohnmacht, dass uns alles andere als das Bestehende, nicht möglich erscheint. Darin liegt unser eigentliches Unvermögen. Was aber, wenn wir das erstickende Denkkorsett des Mangels ablegen, mit der kleinmütigen Erbsenzählerei aufhören und uns stattdessen der Fülle und Vielfalt des Lebens gewahr zu werden trachteten und uns dann darauf verlegten, sie allen zuteil werden zu lassen? Dann hätten wir ihn alle, den anderen, den richtigen Reichtum.
Severin Heilmann
Reich und Gut
Reichtum war für mich immer ein ausgesprochen positiver Begriff. Selbst in Zeiten, wo ich die Reichen mit den Bösen gleichsetzte, waren mir Reichtum und Luxus, die ich nie hatte, nicht fremd. Zumindest insgeheim, offiziell nötigte ich mir (und auch anderen) gelegentlich ML-artige Bekenntnisse ab, die schwer ideologietrunken Enthaltsamkeit propagierten. Aber das ist lange her.
Ein Lob der Armut ist so ziemlich das Letzte, was man aussprechen soll oder gar empfehlen kann. Armut kotzt wirklich an. Armut ist abzuschaffen. Ersatzlos. Die Leute sollen reich sein. Durchaus auch im Sinne von verfügen und haben. Das ist eine Bedingung, um ein gutes Leben bewerkstelligen zu können. Materielle Probleme sind, anders als andere, grundsätzlich lösbar, und sie sollten auch gelöst werden. Die Angst, unter die Räder zu kommen, oder das soziale Elend, die sind wirklich in historische Ausstellungen zu überführen.
Reichtum ist – anders als das individuelle Glück – kollektiv herstellbar. Analog zu Marx könnte man sagen: der Reichtum der freien Assoziation ist keine „ungeheure Warensammlung“, der die Ware als Elementarform zugrunde liegt, sondern der entfaltete und zugängige Einsatz und Schatz menschlicher Fähigkeiten, Tätigkeiten und Resultate. Wie diese sich konkret entwickeln und darstellen, hat Ausdruck und Folge selbstbestimmter (Ver-)Handlungen zu sein. Ökologische Verträglichkeit ist dabei eine vorausgesetzte Selbstverständlichkeit. Reichtum meint ideell wie reell Mannigfaltigkeit und Möglichkeit, meint Erlebnis und Erfahrung, meint Schönheit und Lust. Gut essen, gut trinken, gut reden, gut schlafen, gut bumsen, gut denken, gut wandern, gut wundern…
Es geht ums Gut, nicht um den Wert. Dieses Gut kennt viele, viele Facetten, es verweist nicht nur auf die Güter oder eine prinzipielle Einstellung. Gut sein heißt nicht gutmütig, duldend oder gar leidend zu sein. Im Gegenteil, nicht selten gilt es vielmehr, ausgesprochen scharf zu sein, sinnig wie sinnlich. Dumm stellen statt dumm sein, gehört ebenfalls dazu. Das alles und vieles andere ist mit inbegriffen, ansonsten wird das Gute ob seiner Rücksicht und Klugheit ranzig.
Reich ist, wer viel Zeit hat, wer viele Freunde und Freuden hat, wer vor allem sich selbst hat. Die Verlorenheit hat verloren zu gehen. Dass da etwas ist, auf das man bauen kann, auf das man sich verlassen kann, auf das man vertrauen kann. Die Ressourcen, uns solchen Reichtum zu bescheren, sind vorhanden, denken wir jene nur etwas anders als dies gemeinhin der Fall ist. Wir müssen nur zugreifen, die größte Ressource ist die menschliche Kommunikations- und Kooperationskraft, heute ist diese immense Produktivkraft schwer gestört durch das Gegeneinander der Konkurrenz. Was wir dafür zu opfern haben, sind lediglich die Fetische, denen wir heute dienen. Um die ist es allerdings nicht schade.
„Viel soll es sein und leicht soll es gehen, und vielleicht geht es“, lassen wir die Marie in unserem Theaterstück sagen.
Franz Schandl
Reich sein oder gut leben?
Dass unsere Atmosphäre sauerstoffreich, die des Mars hingegen daran arm sei, ist für beide kein Problem. Auch dass ein Lebensraum fischarm, ein anderer fischreich sei, kann ein Vergleich sein, der wenig über beider Qualität sagt. Dass es aber in einer menschlichen Gemeinschaft Reiche und Arme gibt, ist seit Anbeginn ein Ärgernis, ein Skandal.
Reichtum ohne Armut ist so wenig wie Hitze ohne Kälte. Ob eins das will oder nicht: Wer Reichtum will, nimmt Armut in Kauf. „Wär’ ich nicht arm, wärst du nicht reich“ (Brecht), stimmt. Es lässt sich nicht damit lösen, dass alle reich würden. Nicht bloß wegen der Sprachlogik. Auch wegen der Funktionsweise. Mit dem Reichtum ist es nämlich wie mit der Herrschaft. Die können auch nur wenige haben. Sonst ist sie nämlich keine. Cupido profunda imperi et divitiarum (Sallust), abgrundtiefe Gier nach Herrschaft und Reichtum, gehören schon in antiker Kritik an den herrschenden Zuständen ganz zu Recht zusammen.
Was Reich-sein-Wollen erstrebt, ist nicht einfach gutes Leben, liegt nicht im Kreislauf von Bedürfnis und Sättigung, sondern ist ein ewiges Mehr der einen auf Kosten der anderen, ohne auch nur die einen zu befriedigen. Reichtum findet früh im Geld seine adäquate Form und wird später im Kapital zum gesellschaftlichen Zwang zu Armut und ökologischem Desaster. Reichtum ist als Ausschluss anderer, als Eigentum und Herrschaft in die menschliche Geschichte getreten und ist von Anfang an bekämpft worden, weil er die Lebensgrundlagen der Gemeinschaft untergräbt.
Seine Eigendynamik entkoppelt auch den Reichen vom Wohlbefinden, dampft die sinnliche Lust am Genuss des Umgangs mit Mitmensch und Natur ein zum „verfluchten Hunger nach Geld“, nicht erst in modernen Zeiten, sondern schon bei Vergil. Viel, nein mehr muss man haben, was auch immer es ist.
Reichtum und gutes Leben grundsätzlich in einen Topf zu werfen, ist in unseren Zeiten ein Essential demokratischer Weltanschauung. Armut ist ein Versagen in der Ausnützung natürlicher und menschlicher, vor allem der eigenen Ressourcen. Reichtum ist das, was wir (uns) zu leisten haben und doch nie so recht erreichen, ein Bedarf, der selbst bedürftig, immer neu sich herstellt, idealiter als Sucht, deren Stoff sich günstig produzieren und (ver)kaufen lässt. Dauerrausch (vom Alko- bis zum Workoholik) als Glück und Antidepressiva für den Wachzustand, so sieht ein reiches Leben nicht selten aus.
Dem gegenüber hat gutes Leben heute wenig Platz, es ist im Wortsinn utopisch. Es ist vor allem etwas, woran es mangelt: Zeit haben, Zeit lassen, genießen, was und so lange es uns Freude macht, tun und geben, teilen und empfangen, so viel von allem, wie uns bekommt, Rausch und Erwachen, Leidenschaft und Ruhe, allein und geborgen. Entwicklung und Fortschritt, Neugier und Forschung als wachsender und gelingender Umgang der Menschen miteinander und mit der Natur. Und vieles, von dem wir träumen, es am Morgen aber nicht mehr wissen. Es gilt, eine geänderte Welt zu verstehen.
Lorenz Glatz
Arm oder reich oder…?
Meine Freundin Gabi hat zwar nicht studiert, aber einen guten Job. Anspruchsvoll, sicher nicht schlecht bezahlt. Und eine Tochter hat sie auch, hübsch und gescheit, die letztes Jahr maturiert hat. Als ich Gabi neulich zufällig traf, hatte sie gerade Ausgang von ihrer stationären Behandlung. Sie hat ein schweres Burn-out und kann schon seit langem nicht mehr arbeiten.
Maria, meine Freundin seit Jugendtagen, hat auch einen gut bezahlten Job. Mit ihrem Mann und ihrer Tochter, die noch zur Volksschule geht, bewohnt sie heute ein schickes Haus in der besten Gegend Salzburgs. Aufgewachsen ist sie im Lungau mit acht Geschwistern auf dem Bauernhof. Ihr Mann ist mit Leib und Seele Musiker, aber seine Verdienstmöglichkeiten sind nicht riesig. Die Raten fürs Haus sind hoch und müssen noch lange bezahlt werden. Obwohl meine Freundin sehr kunstsinnig ist, hat sie selten Zeit und Muße, auch nur ein Buch zu lesen. Sie beneidet mich darum, in meinem Leben großteils das gemacht zu haben, was ich gerne mache: Lesen, denken, schreiben, organisieren, was mir wichtig erscheint, und natürlich Beziehungen verschiedenster Art zu pflegen, mit Menschen aus ganz unterschiedlichen Kreisen. Ja, darüber bin ich der Tat glücklich! Aber der Preis dafür ist hoch: wenig Geld, Schikanen seitens des Arbeitsamts und keine Altersvorsorge. Aber wer wird denn so anspruchsvoll sein? Fast so etwas wie „Selbstverwirklichung“ und finanzielles Auslangen und gar noch Gesundheit?
Apropos finanzielles Desaster: Viele haben ihren oft hart erarbeiteten Reichtum nicht nur via Aktien verloren, sondern auch beim Versuch, sich wegen hartnäckiger Arbeitslosigkeit „selbständig“ zu machen. Das Gastgewerbe eignet sich dafür besonders gut. So erging es auch Martin im ersten Wiener Gemeindebezirk. Nicht nur Arbeitslose werden behandelt, als ob sie etwas verbrochen hätten. Auch jene, die im wahrsten Sinn des Wortes alles geben, ihr ganzes Vermögen finanzieller, körperlicher, geistiger und seelischer Natur, um dem Verwertungszwang Genüge zu tun, werden, wenn die Geschäfte nicht gewinnbringend sind, wie Schwerverbrecher behandelt. Wenn du gar nix mehr hast, wird dir sogar noch das Bankkonto und die Unterhose genommen.
Ivo erging es ähnlich mit seinem Lokal im achten Bezirk. Er arbeitete jahrelang von früh bis spät, nur um die Miete (lediglich die fürs Lokal) zahlen zu können. Die hohe Summe für die Renovierung hat Milanka, seine Frau, mit ihren ganzen Ersparnissen bezahlt. Auch die sind nun weg, weil er keinen Nachfolger fand. Einen Kredit stottert sie heute noch von ihrem Gehalt ab, das für drei reichen muss. Milanka hat übrigens wie so viele AkademikerInnen in Österreich, die aus Ländern kommen, deren Bewohner bei uns diskriminiert werden, einen „unterqualifizierten“ Job.
Wer in der Gastronomie wenn schon nicht reich werden, so doch erfolgreich sein will, der läuft dann mitunter jahrelang 14 Stunden pro Tag, sieben Tage pro Woche, 52 Wochen im Jahr. Trotz oder wegen der tollen Ideen zur Bereicherung der Esskultur. Bis dann selbst bei jemand so Großem und Starkem wie Mirko in Berlin das Rückgrat vier Monate lang komplett versagt, und der dann erst langsam wieder sitzen und gehen lernen musste. Weder Martin noch Ivo oder Mirko wird sich trotz seines so benannten Berufsstatus als besonders „selbständig“ gefühlt haben. „Frei“ und „unabhängig“ heißt „selbständig“ heute mitnichten.
Und reich oder arm, was heißt das schon? Wo doch alles höchst schräg und maßlos verquer ist!
Maria Wölflingseder