von Peter Klein
Wenn Andreas Zielcke den Klimaschutz am modernen Wohlleben und unserer „Verweichlichung durch Wohlstand“ scheitern sieht, dann zeichnet er ein reichlich idyllisches Bild vom Kapitalismus und seinem Wachstumszwang. Der Artikel klingt so, als folgten wir, die Insassen der „Wachstumsgesellschaft“ einer Logik, die besagt: eine Million Euro machen uns glücklich, zwei Millionen machen uns doppelt so glücklich. Deswegen seien wir verrückt aufs Produzieren und Konsumieren und schenkten dem armen Klima keinerlei Aufmerksamkeit.
Wer so argumentiert, verkennt den Zwang, unter dem ein kapitalistisches Unternehmen steht. Es braucht den Gewinn, um sich durch immer neues Investieren in verbesserte und erweiterte Produktionsanlagen gegen die Konkurrenz auf dem Weltmarkt behaupten zu können. Und die Mitarbeiter beugen sich den ach so beliebten Umstrukturierungsmaßnahmen des Managements, durch welche die Arbeit immer noch weiter effektiviert und intensiviert wird, nicht deswegen, weil sie ein erotisches oder lustbetontes Verhältnis zum vorgegebenen Renditeziel hätten. Ob sie Boni erhalten oder nicht – die Alternative zu „Leistung durch Leidenschaft“ heißt Entlassung und Arbeitslosigkeit.
Der „Souverän mit seinem starken Besitzstandsbedürfnis“ ist aufgesplittert in Millionen von Privatstandpunkten, die alle das gleiche Interesse antreibt, das beileibe kein gemeinsames ist: Sie müssen Geld verdienen, vollkommen egal auf welche Weise und mit welcher Art von Tätigkeit. Sie produzieren den Stahl nicht, um Stahl zu produzieren, sie bauen keine neuen Kraftwerke, um neue Kraftwerke zu bauen, sie ziehen keine Banken- und Versicherungspaläste in die Höhe und sie gehen auch nicht auf den Strich, um eben dies und nichts anderes zu tun, sondern einzig zu dem Zweck des Geldverdienens – um die Dinge bezahlen zu können, die sie fürs tägliche Leben brauchen: Wohnung, Kleidung und Nahrung. Bei dem heutigen Stand der Produktivkräfte muss viel Überflüssiges getan werden – überflüssig unter dem Aspekt des Klimaschutzes ebenso wie unter dem Aspekt eines angenehmen, angstfreien Lebens -, damit es unter dem Aspekt der Kapitalverwertung berechtigt erscheint, jenes Minimum von Menschen in Lohn und Brot zu halten, das zur Aufrechterhaltung des sozialen Friedens nötig ist. Wie groß dieses Minimum sein muss, wird unter den Bedingungen der aktuellen Wirtschaftskrise gerade in den USA getestet. Dort fehlt laut SZ vom 21.11.2009 „50 Millionen US-Bürgern das Geld, um sich genug Essen zu kaufen“ (Reymer Klüver: „Als lebten wir in der Dritten Welt“).
Wer angesichts dieser Verhältnisse von einem „Besitzstandsbedürfnis“ redet, der macht mich gruseln im Hinblick auf die Maßstäbe, die er im Zusammenhang mit der Kategorie des „Wohlstands“ und der Rede vom „begüterten Teil der Erde“ in Gebrauch hat. Der „begüterte Teil der Erde“ hat die „Tafel“ und die „Food Banks“ erfunden, man verhungert hier noch nicht, aber eine Menge unglücklicher Existenzen sind im Angebot – mit Suchtverhalten und neurotischen Fixierungen aller Art, den Workoholic nicht zu vergessen. Die Selbstmordrate ist angeblich gesunken, dafür gibt es einen Aufschwung bei Depressiven und Alkoholikern (mit lukrativer, das Sozialprodukt steigernder Arbeit für Therapeuten und Sozialpädagogen), und auch die Abteilung Amoklauf meldet Zuwächse.
Eine verbreitete Methode, „den Kopf in den Sand zu stecken“, ist es, das Wort Kapitalismus außen vor zu lassen und stattdessen die „Natur des Menschen“ anzuklagen. Gerade unter Klimaschützern ist sie beliebt. Der frontale Angriff auf den kapitalistischen Wachstumszwang brächte möglicherweise ja auch die gut bezahlten Jobs der Mahner und Warner in Gefahr.