Die Wiedergänger

Im Zuge der Weltwirtschaftskrise erlebt der Internationale Währungsfonds eine nicht für möglich gehaltene Renaissance.

von Tomasz Konicz

Keine Abkehr von neoliberalen Konzepten

Mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) erfuhr auf dem jüngsten G-20-Gipfel eine der internationalen Finanzorganisationen eine enorme Aufwertung, die eigentlich schon auf dem Friedhof der Weltgeschichte verortet wurde. Während der IWF im vergangenen Jahr nur noch Kredite von rund einer Milliarde US-Dollar vergab, erhielt er jetzt Finanzierungszusagen in Höhe von 750 Milliarden US-Dollar, womit ihm eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung der Weltwirtschaftskrise zukommen soll. Die marginale Rolle, die der Währungsfonds in den vergangenen Jahren spielte, resultierte aus der Weigerung vieler Staaten, sich den brutalen »Strukturanpassungsprogrammen« zu unterziehen, die mit einer Kreditvergabe des IWF in der Regel einhergehen.

Diese neoliberalen Programme, die vielen verschuldeten Volkswirtschaften an der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems aufgenötigt wurden, beschleunigten die globalen Verelendungsschübe der letzten Dekaden. Selbst das Wirtschaftsblatt Forbes mußte jüngst eingestehen, daß die Kontroverse über die »Rettungspläne« des IWF in Asien und Lateinamerika in den vergangenen Jahrzehnten wohl dazu führen werde, daß viele unter Druck geratene Regierungen ihren Kreditbedarf zuerst in China, Rußland oder bei Staatsfonds zu decken versuchen werden. Der Währungsfonds könnte dennoch eine gewichtige Rolle spielen, da allein in diesem Jahr laut Forbes circa 500 Milliarden US-Dollar an Auslandsschulden fällig werden.

Die Nichtregierungsorganisation Jubilee, die sich dem Kampf für einen Schuldenerlaß zugunsten der ärmsten Länder verschrieben hat, warnt bereits vor der Gefahr einer erneuten Schuldenkrise. Durch den IWF könnten sogar bis zu 850 Milliarden US-Dollar im Rahmen der Krisenbekämpfung fließen, doch stecke der »Teufel in den Details«, so der Vorsitzende von Jubilee USA, Neil Watkins: »All das für Entwicklungsländer bestimmte Geld wird in Form von Krediten und nicht als Subventionen gewährt.« Das sei ungefähr so, als ob man mit dem Auto in ein Haus fahre – und danach dem Hausbesitzer einen Kredit anbiete, um den Schaden zu beheben. Für die Krise seien schließlich die reichen Nationen verantwortlich, doch unter deren Auswirkungen litten vor allem arme Länder.

Nicholas Dearden, der Direktor von Jubilee, zitierte in einem kürzlich publizierten Bericht eine Einschätzung der Weltbank, der zufolge inzwischen 43 Länder aufgrund der Krisenfolgen »besonders gefährdet« seien. Darunter die Philippinen, wo 2009 rund acht Milliarden US-Dollar an Schulden fällig werden und das verarmte Bangladesch, das dieses Jahr 1,7 Milliarden US-Dollar zurückzahlen müßte. Die G20 fokussierten sich weiter auf ausufernde Kreditvergabe, und nicht auf den Schuldenerlaß, oder gar eine Umstrukturierung des Internationalen Währungsfonds, monierte Dearden.

An Lippenbekenntnissen zu einer Reform des IWF fehlte es auf dem G-20-Gipfel wahrlich nicht. So sollen laut einer Deklaration Schwellenländer wie Brasilien, Rußland, Indien und China mehr Einfluß innerhalb des Fonds erhalten und die USA ihre Sperrminorität verlieren. Allerdings sollen auch laut dieser Deklaration die Entwicklungsländer weiterhin marginalisiert bleiben; das Prinzip der Stimmgewichtung nach Kapitalanteil der Mietgliedstaaten wird nicht angetastet. Immerhin erklärte der IWF vor kurzem, seine Anforderungen für die Vergabe eines Kredits vermittels der Einführung einer »flexiblen Kreditlinie« deutlich gesenkt zu haben. An diese Kredite, deren Höhe nicht starr begrenzt ist, sollen keine Vorbedingungen geknüpft werden. Doch in den Genuß dieser »flexiblen Kreditlinie« kämen nur Staaten mit »starken fundamentalen Kennzahlen« und nicht jene, die auf diese Unterstützung tatsächlich dringend angewiesen sind.

Die tatsächliche Praxis des IWF hat ohnehin nichts mit den Sonntagsreden über eine »Reform« dieser Institution gemein. Allein in Europa mußten bereits Ungarn, Belarus, Lettland, die Ukraine, Serbien und Rumänien vermittels Krediten des Währungsfonds vor dem Staatsbankrott gerettet werden. In all diesen Fällen bestand der IWF weiterhin auf rabiaten »Sparmaßnahmen«, die den bereits einsetzenden Wirtschaftsabschwung noch verstärken. So wurde Serbien genötigt, im Gegenzug für einen IWF-Kredit von drei Milliarden Euro die Steuern zu erhöhen und Haushaltskürzungen vorzunehmen. Lettland, dessen Wirtschaft in diesem Jahr um bis zu 12 Prozent schrumpfen könnte, muß auf Druck des IWF die Löhne im öffentlichen Dienst um zehn Prozent senken. Ungarn wurde genötigt, Sozialleistungen und Energiesubventionen zu kürzen und das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Der Währungsfonds weigert sich immer noch, der Ukraine weitere Tranchen eines bereits gewährten Kredits auszuzahlen, da ihm die von Kiew bereits eingeleiteten Sozialkürzungen nicht weit genug gehen. Einen ähnlichen Stillstand gibt es bei den Kreditverhandlungen zwischen dem IWF und der Türkei, da Ankara sich weigert, ausgerechnet in der Krise die Staatsausgaben zu begrenzen.

Watkins machte in diesem Zusammenhang auf die »doppelten Standards« aufmerksam, die derzeit bei der Krisenbewältigung zur Anwendung gelangen: »Wir sehen die alte Politik des IWF, die in den letzten 20 Jahren betrieben wurde«. Dies sei genau das Gegenteil der Politik, welche die Vereinigten Staaten und andere entwickelte Länder als Reaktion auf die Krise betrieben. Während in den Metropolen vermittels expansiver Geldpolitik und keynesianischer Konjunkturprogramme die destruktive Krisendynamik zumindest verzögert werden kann, wird die Peripherie durch den IWF auf neoliberale Hungerdiät gesetzt.

aus: “Junge Welt”, 14.04.2009

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