Notizen zum politischen Charakter von Jörg Haider
von Franz Schandl
Jörg Haider? Was war das? Jener ist zwar tot, aber das Staunen findet noch immer kein Ende. Vor allem das Begräbnis zeigte deutlich, wie sehr ihm dieses Land verbunden gewesen ist, und damit ist Österreich gemeint und nicht bloß das sonderbare Kärnten. Den Fall auf den Begriff zu bringen, das scheint nicht so richtig gelingen zu wollen.
Wird über Haider gesprochen, dann betonen die allermeisten stets den Dissens mit ihm und nicht den Konsens. Das ist schon etwas eigenartig, wenn man bedenkt, dass die Leitwerte, also die Bekenntnisse zu Privateigentum, Eigeninitiative, Arbeit, Leistung, Abendland und Marktwirtschaft, doch von Haider und all seinen Kontrahenten geteilt werden. Das ganze Arsenal der politische Mitte war also auch seines. Was ihn unterschied, war die rabiate Konsequenz, mit der er manches einforderte und vorantrieb.
Jörg Haider hatte den gemeinen Menschenverstand und die Leitwerte der Marktwirtschaft zu einem anschlussfähigen und scharfen Mix verrührt und logisch zugespitzt. Aus erfolgreich, tüchtig, arbeitsam, sauber, patriotisch wurde gerissen, trickreich, rücksichtslos, gesäubert, nationalistisch. Das volksgemeinschaftliche Wir-Gefühl korrespondierte mit der Ausgrenzung der anderen (Ausländer, Sozialschmarotzer, Bürokraten, Bonzen). Gut und böse sind in diesem dualistischen Weltbild stets zu finden und auszumachen. Auf dieser Klaviatur spielte Haider. Er verstand es ganz ausgezeichnet, Angst und Hilflosigkeit, Unwissen und Vorurteil zusammenzuführen. Das Zu-Kurz-Gedachte fand Sprachrohr und Verstärker.
Fassen wir einige typische Merkmale zusammen, die für Haider und die Freiheitlichen charakteristisch (gewesen) sind:
Erstens: Eine stramme abendländische Ausgrenzungspolitik, die zwischen rabiatem Regionalismus, renoviertem Nationalismus und modernem Eurochauvinismus changiert: Ja zum Standort und zur Festung Europa, Grenzen dicht, Ausländer raus.
Zweitens: Ein Antikapitalismus des dummen Kerls: alle Verwerfungen werden personifiziert und bestimmten Gruppen („Sündenböcken“) angelastet: Politiker, Bürokraten, Sozialschmarotzer, Spekulanten, Banken, Gauner, Gratisflieger etc.
Drittens: Ein fanatischer, klassenübergreifender Glaube an die produktive und wertschaffende Arbeit: In diesem Kult des kleinen Mannes darf der fleißige Inländer nicht um seinen Ertrag geprellt werden.
Aber in all diesen Punkten herrscht eine graduelle Differenz, die eine substanzielle Identität nicht zudecken sollte. Schwarz-blau war kein Betriebsunfall und rot-blau wäre es ebenso wenig. Man sollte sich nichts vorlügen: Insgeheim bewunderten viele, nicht nur Freunde, sondern auch Gegner, dass es da einen gibt, der ausspricht, was sich viele korrekte Demokraten nie trauen. Das Spiel mit der gezielten Provokation beherrschte keiner so wie Jörg Haider. Und das Publikum honorierte solch Verhalten. Es war dankbar für diese Art von Klartext, der da gesprochen wurde.
Die meisten Wähler wählen FPÖ und BZÖ nicht, weil sie auf die faschistischen Akzente setzen. Andererseits ist es ihnen auch egal, dass diese dort unzweifelhaft gepflegt werden. Sie sind weder Faschisten noch Antifaschisten, sie sind von der indifferenten Sorte, reichlich fragmentierte und diffuse Wesen, die auf kulturindustrielle Reflexe trainiert sind, somit gerne Stars anhimmeln und Fans abgeben. Jörg war der ihre. Er showmasterte sie.
Fragmentiert war auch das Chamäleon selbst. Die Vorschläge waren oft kunterbunter Natur. Von allem etwas und für alle etwas, das ist das Erfolgsrezept der Haiderei. Laut Eigendefinition sah er die FPÖ als eine „christlich-sozial-demokratisch-liberale Kraft“. Das ist nicht so falsch, so obskur es auch auf den ersten Blick erscheint. Es war Häme, nicht Demagogie, wenn Haider davon sprach, dass sozialdemokratische und christdemokratische Parteien immer wieder Inhalte der Freiheitlichen übernehmen. Das, was Haider wollte, war gesellschaftlich nie isoliert, es reichte weit über das freiheitliche Potenzial hinaus.
Virtuos und rigoros
Die Zuordnung zum Rechtspopulismus ist zwar nicht falsch, aber sie ist unscharf. Denn populistisch ist Politik sowieso, ohne den kulturindustriellen Klamauk kann sie in der Medien- und Eventgesellschaft gar nicht existieren. Die Scheidung in gute Demokraten und böse Populisten ist daher eine wunderliche, vor allem wenn man bedenkt, dass beide Begriffe (einmal griechisch und einmal lateinisch) das Gleiche ausdrücken. Haider hat diese populistische Politik nur sehr virtuos gehandhabt und rigoros ausgelebt.
Der Rechtsextremsimsbegriff hingegen, der führt, abgesehen davon, dass er aus der unseligen Totalitarismustheorie rührt, in die Irre. Er suggeriert die Gefährlichkeit von Rändern, von linken und rechten Extremismen, während die politische Mitte sozusagen als gemäßigte und extremismusfreie Zone durchgeht. Diese krude Betrachtung ist in ihrem systemkonformen Credo zutiefst ideologisch. Es schließt in seiner (links)liberalen Sichtweise gerade jene aus dem System aus, die es am radikalsten verkörpern.
Dürftige Analysen versteifen sich in Analogien auf bestimmte Sequenzen und meinen daraus ein Charakteristikum ableiten zu können. Belege für dies und jenes lassen sich immer finden. Haider wurde so zumeist in obsessiver Manier als Wiedergänger des Nazismus und nicht als gesellschaftlicher Exponent der aktuellen Entwicklungen diskutiert. Indes, der Faschismus fiel in die Aufstiegsgeschichte des Kapitalismus, der sogenannte Rechtspopulismus ist Folge seines Niedergangs. Seine Aggressivität ist mehr defensiv als offensiv, sie will exkludieren, nicht inkludieren. Nicht einmarschieren, sondern ausweisen, ja gar nicht erst reinlassen.
Analogiebildung ersetzt keine inhaltliche Untersuchung. Jene Sicht fragte weniger nach der praktizierten Politik, sondern nach den Sagern des Unsäglichen. Da fündig zu werden, war nicht schwer. Derweil war es gerade die etablierte Politik in Österreich und Europa, die Haiders Forderungen ohne dessen Getöse umsetzte. Vergessen wir nicht, dass die Brüsseler Demokraten an den europäischen Südküsten Menschen im Meer versenken. Dazu braucht man gar keine Rechtsextremisten. Die FPÖ dient als Projektionsfläche, um von den obligaten Wahnsinnigkeiten des bürgerlich-demokratischen Betriebs ablenken zu können. Das Ungustiöse will sich partout nicht in seinem Konzentrat erkennen.
Haider ist mit der Bezeichnung Nazi nicht erfasst, was nicht meint, dass da nichts Nazistisches oder Antisemitisches an ihm gewesen wäre. Die Freiheitlichen sind aber kein faschistisches Projekt, auch wenn unzweifelhaft faschistisches Potenzial dort Eingang findet und sich betätigt. Doch das ist nicht ausschlaggebend, wäre es dominant, wäre die FPÖ bedeutungslos. Haiders Rückgriffe auf den Rechtsextremismus genannten Faschismus waren selektiver Natur, gehörten zu einem bunten Ensemble verschiedener Referenzen, er arbeitete mit Versatzstücken, plante etwas Neues, keine Neuauflage. Haiders Rolle war nicht die des revitalisierten Nazis, sondern die des durchgeknallten Bürgers.
Die FPÖ ist auch kein drittes Lager mehr. Noch vor dem sozialdemokratischen und dem christlichsozialen Block erodierte hierzulande der deutschnationale, bemisst man dies nicht vornehmlich an stereotypen Aussagen einiger rechter Kämpen. Die Lager sind weitgehend einem Wanderzirkus der Wechselwähler gewichen. So wenig die FPÖ als Lagerpartei zu fassen ist, so wenig darf sie auch als Klassenpartei angesehen werden. Die Freiheitlichen (FPÖ wie BZÖ-Kärnten) sind eine Volksbewegung postmodernen Zuschnitts.
Aufhetzen statt verhetzen
Die wahre Sendung des Jörg Haider war die Soap Opera, inklusive theatralischem Abgang. In den von allen Medien abgespulten freiheitlichen Reklameblöcken hatte gar vieles Platz: der Musikantenstadel, die Disko, Hollywood, das Abendland, Saddam Hussein, die Kriegsteilnehmer, alle Anständigen und Fleißigen, die Nazis, österreichische Schirennläufer, das Bundesheer ohne Abfangjäger, die Kronen Zeitung, der Standort, Bungel jumping, Schnellfahren, der Alpinismus, der Fitnesskult, die Seitenblicke, u.v.m. Die Nähe zu Starmania ist bestechend. Das Johlen, Stampfen, Kreischen, der Fans basiert auf einer ganz spezifischen mentalen Grundkonstitution, und ist kein gewöhnliches Interesse. Die Anhänger fragten auch nie „Warum?“, sondern stets „Gegen wen?“ Vergessen wir daher auch jene elementare Differenz nicht: Haider verführte nicht, er führte auf. Haider verhetzte nicht, er hetzte auf.
Es verging kaum ein Monat, in dem Haider nicht irgendetwas einfiel, das er einem genügsamen Publikum servierte. Diese Steilvorlagen rutschten als PR-Matrizen in diverse Vervielfältigungsmaschinen. Haider bediente gerade ob seiner überaffirmativen Schärfe die quotengeilen Medien am besten. Diese funktionierten wie verfolgende Gefolgschaften. Kaum rief der Meister, waren die Multiplikatoren zur Stelle. Selbst wenn sie ihn nicht mochten, (be)achteten sie doch niemanden so wie ihn. Es war eine populistische Symbiose zu beiderseitigem Nutzen: Er steigerte ihre Auflagen, sie steigerten seine Stimmen.
Der Kärntner Landeshauptmann war lange Zeit jener (Post)Politiker, der dem kulturindustriellen Anforderungsprofil am besten entsprochen hat. Er glich einer Sirene. Haider in Frage zu stellen, hieße allerdings den gesamten kulturindustriellen Komplex aus Medien, Politik und Entertainment einer kritischen Analyse zu unterziehen. Aber über dieses synchronisierte Parallelprogramm, wird nicht geredet, da ginge es nämlich wirklich ums Eingemachte. Ästhetisierung der Politik ist nämlich kein ausschließlich faschistisches Kriterium, sondern ein durch und durch bürgerliches Merkmal, das immer deutlicher zu Tage tritt und Politik zusehends als großes Simulationstheater ausweist.
aus: Gedenkdienst No 1/09, April 2009, S. 3.