von Andreas Exner
Den Protesten nutzte bis jetzt ein Effekt der Überraschung. Die Gegenseite brauchte Zeit. Sie musste die Lage einschätzen, mobilisierte ihrerseits und startet den Angriff auf die Trägerinnen und die Träger der Veränderung. Die Facebook-Gruppe “Studieren statt blockieren” sammelt die Kräfte der Konservendose. Es werden sogar studentische Stimmen laut, die ohne Genierer pro Studiengebühren schreien.
Sollte man Peitschen zur Selbstgeißelung verteilen?
Seitens der offiziellen Politik ist ein sinnvoller Vorschlag nicht in Sicht. Anstatt die Proteste produktiv aufzugreifen, schasselt man sie oberflächlich ab. Hahn wollte mit lächerlichen 34 Millionen punkten. Faymann glaubt, er stellt es sich mit allen gut, und stellt sich dabei de facto blöd: den kritischen Studierenden heuchelt er Verständnis, im selben Atemzug wird verkündet, Zugangsbeschränkung sei nötig. Noch mehr pusht Finanzminister Josef Pröll den neoliberalen Konkurrenzgedanken: „FH-Absolventen werden bald konkurrenzfähiger sein als ihre Kollegen von der Universität wenn die Entwicklung so weiter geht”.
Der Gegenangriff enthält drei Momente. Erstens sei zur Sicherung von Qualität eine Beschränkung des Zugangs nötig; zweitens sei Konkurrenzfähigkeit das oberste Gebot, die Unis hätten deshalb keinen Spielraum für mehr Freiheit; drittens gefährde eine Debatte über Ziel, Funktion und Ausgestaltung der Universitäten jene, “die studieren wollten”.
Der Gegenangriff bewegt sich damit auf genau dem elenden Terrain, das die Misere grad erst hochgezüchtet hat: Selektion der Verwertbaren anstelle der Entfaltung menschlicher Potenziale; Konkurrenz um Kapital und Profit im verallgemeinerten Standortwettbewerb anstelle der Lösung der vielfältigen globalen Krise; hirnlose Leistungsillusion anstelle kritischer Reflexion über den künftigen Entwicklungspfad einer Gesellschaft, die so wie sie derzeit beschaffen ist, nur an die Wand fahren kann.
Dem Gegenangriff ist zu kontern.
Einerseits durch erneute Überraschung. Militanz erfüllt dabei eine wichtige Funktion. Protest an sich ist militant. Er überschreitet Tabus, erregt Aufmerksamkeit. Den physischen Bewegungsspielraum über die Grenzen des gesetzlich Erlaubten auszudehnen verhilft auch dem Denken zu neuem Spielraum. “Move your ass and your mind will follow” greift zu kurz, ganz falsch aber ist es in einem Klima stagnativer Untertanenmentalität österreichischer Provinienz auch nicht. “Reclaim the streets” gehört zu “Reclaim your life”. Freilich, Überraschung wirkt als Effekt und kann immer nur punktuell Impulse geben.
Viel mehr als bis dato sichtbar wurde, muss die Konterbewegung deshalb auf inhaltliche Debatten setzen. Nur sie könnten den studentischen Protest verallgemeinerungsfähig werden lassen. Andernfalls wird der oppositionelle Diskurs, der erst in kleinen Ansätzen existiert, rasch eingekesselt.
Strategisches Kernziel muss dabei sein, das gegnerische Terrain zu unterlaufen.
Wer sich auf Debatten um die Konkurrenzfähigkeit und die Finanzierbarkeit unter den gegebenen Verhältnissen einlässt, hat sich aus einer Position der relativen Stärke bereits in die der absoluten Schwäche manövriert. Gegen die Waffen des Status quo kommt auch ein noch so ausgeklügeltes “alternatives Finanzierungskonzept” schlicht nicht an. Nicht weniger ist eine Falle, mit einer angeblichen Umwegrentabilität altbackener “Bildungsideale” zu argumentieren, zum Zwecke der Erhöhung der Fähigkeit zur kapitalistischen Konkurrenz. Das Kapital scheißt auf umfassende Kenntnisse in Latein, und wer Goethe ist, interessiert die Börse nicht. Darüberhinaus unterbuttert der Diskurs der Finanzierbarkeit das Ziel einer egalitären Gestaltung der Universität, ganz zu schweigen von einer Umgestaltung der Lehrinhalte.
Die Gegner der Veränderung wehren sich im Grunde mit Händen und mit Füßen. Nicht dass sie bereits substanziell in Frage gestellt wären, keineswegs. Dies kann überhaupt nur auf längere Sicht gelingen, die Proteste sind dafür nur ein hoffnungsvoller Anfang. Aber die unumschränkte Sicherheit ihrer Denkposition ist gefährdet. Man muss nur die hilflose Fassungslosigkeit in den Postings sehen, wenn die Argumentation vieler Studierender so aufgefasst wird, wie sie zumindest dem blanken Inhalt nach daherkommt: Als eine humane Respektlosigkeit gegenüber den inhumanen Kriterien des Kapitals – dass sich Bildung rechnen muss; die Universität den Bedürfnissen der Wirtschaft dient; Zweck eines Studiums in Ausbildung für den Arbeitsmarkt besteht, das heißt für den Dienst unter Kapital und Staat.
Nope, sagt die Bewegung – und die Konservendose staunt.
Sich des eigenen, erst Schritt für Schritt zu entwickelnden Terrains einer gänzlich anders aufgezogenen Debatte zu vergewissern, ist Hauptbedingung eines wie immer gearteten Erfolgs – der im besten Falle mittelfristig kommt. Die andere Bedingung eines Erfolgs der Bewegung besteht darin, die Universität projektiv als Teil einer Solidarischen Ökonomie zu positionieren und erste konkrete Schritte dahin zu setzen.
Ein Teil der Studierenden hat in seiner selbstbewussten Ablehnung der Zumutungen kapitalistischer Prinzipien dieses Neuland bereits betreten. Es gilt, das Bewusstsein davon fortlaufend zu schärfen, auch zu strukturieren. Will der Protest jene Mobilisierungspotenziale lukrieren, die er braucht um eine Perspektive aufzumachen, so wird er die Front zum neoliberalen Gegenangriff für alle sichtbar klären müssen.
Es geht darum, die Regeln des diskursiven Spiels grundlegend zu verändern: Konkurrenz ist kein Argument, Profit ist kein Argument. Wenn von Qualität des Studiums die Rede ist, dann fragen wir, von welchen Qualitätskriterien eigentlich die Rede ist. Erfüllen sie die Kriterien einer Solidarischen Ökonomie, die den vielfachen Krisen wirksam begegnen kann? Wenn nicht: uninteressant.
Wir setzen die Prioritäten, konkret und machbar. Finanzierbarkeit ist von gestern, im Doppelsinn.
Solange die stofflich-konkreten Prioritäten klar sind und an Zuspruch gewinnen um ihrer selbst willen, wird der Gegner von selbst Vorschläge zur Finanzierung bringen, schlicht um den Protest einzuhegen. In letzter Konsequenz würde eine solche Bewegung das Kapital freilich an eine Grenze treiben, über die es nicht hinauskann ohne sich selbst zu entleiben. Das gute Leben, das möglich ist, ist nicht finanzierbar. Parallel wird daher die Frage der direkten Aneignung der stofflichen Ressourcen der Wissensproduktion und ihres Zusammenhangs mit der Gesellschaft insgesamt virulent.
All diese Fragen tauchen perspektivisch auf. Aber gerade deshalb müssen sie schon jetzt bei allen sich bietenden Gelegenheiten in die Gesellschaft und unter die Studierenden getragen werden. Eine disziplinierende Stufentaktik des “die Leute abholen wo sie stehen” und “langsam auf neue Ideen bringen” hat noch nie funktioniert. Sie ist im Grunde eine leere Phrase, weil sie den Status quo festschreibt anstatt jene Veränderungen zu bewirken, die sie für sich in Anspruch nimmt. Lenin hätte seine Freude.
Das heißt keineswegs, dass keine konkreten Forderungen erhoben werden sollten, wie die Gegner der Veränderung behaupten. Es heißt vielmehr genau das: eine konkrete Forderung ist eine, die sich von der abstrakten Finanzierbarkeit nicht abhängig macht. Es heißt auch nicht, sich auf “große Fragen” zu fixieren und gegen “kleine Schritte” auszuspielen. Dies alles sind teils gewollte, teils ungewollte Missverständnisse.
Noch einmal anders gesagt: Es geht um ein neues Prinzip gesellschaftlicher Gestaltung. Nicht, was der Verwertung des Kapitals und dem Erfolg im Standortwettbewerb dient, darf kümmern; einzig interessieren muss, was die ökologische Krise bewältigen kann, das um sich greifende Elend der kapitalistischen Zustände überwindet und gesellschaftliche Freiräume schafft und ausdehnt. Das Richtmaß einer studentischen Bewegung, die unmittelbare Verbesserungen auf den Weg und eine gesellschaftliche Veränderung, die ihre möglichen Erfolge abstützt, befördern kann, liegt in dem, was stofflich und menschlich machbar und erfordert ist.
Die verrückte Idee, machbar sei, was finanzierbar ist, ist den Gegnern der Veränderung zurückzuwerfen.
Sollen sie selbst schauen, wie sie damit glücklich werden.