Streifzüge 45/2009
von Andreas Exner
„The Rise of China and the Demise of the Capitalist World-Economy“, so lautet der Titel von Minqi Li’s Erstlingswerk, das im November 2008 bei Pluto Press erschienen ist, übersetzt „Der Aufstieg Chinas und der Niedergang der kapitalistischen Welt-Ökonomie“. Li vereint darin zwei Qualitäten, die einzeln häufig, in Kombination jedoch selten sind: einen marxistischen Zugriff auf Gesellschaft und einen breiten ökologischen Horizont. Derart ausgestattet wagt er, was bis dato selten jemand tut: das Ende des Kapitalismus zu denken.
Das Buch untersucht die Dynamik des kapitalistischen Welt-Systems und analysiert, welche Rolle der Aufstieg Chinas in diesem Kontext spielt. Minqi Li befasst sich mit dieser Frage schon geraume Zeit und resümiert seine Ergebnisse gleich zu Beginn: „Ich argumentierte, dass der ökonomische Aufstieg Chinas das kapitalistische Welt-System in der Tat auf verschiedene Weise stark destabilisieren und damit zu seinem endgültigen Niedergang beitragen würde.“ Dies ist auch die Kernthese von „The Rise of China“.
Systemische Akkumulationszyklen
In den ersten beiden Kapiteln rollt Li im Schnellschritt die chinesische Geschichte auf, um Chinas industrielle Expansion in die Hegemonie- und Akkumulationszyklen einordnen zu können, die das Welt-System seit seinem Beginn vor rund 500 Jahren bestimmen.
Die Theorie der systemischen Akkumulationszyklen wurde von der Weltsystemschule entwickelt; vor allem in den 1990er Jahren. Ihre Grundidee findet sich bei Karl Marx, der im ersten Band des „Kapital“ schreibt: „Mit den Staatsschulden entstand ein internationales Kreditsystem, das häufig eine der Quellen der ursprünglichen Akkumulation bei diesem oder jenem Volk versteckt. So bilden die Gemeinheiten des venetianischen Raubsystems eine solche verborgne Grundlage des Kapitalreichtums von Holland, dem das verfallende Venedig große Geldsummen lieh. Ebenso verhält es sich zwischen Holland und England. Schon im Anfang des 18. Jahrhunderts sind die Manufakturen Hollands weit überflügelt und hat es aufgehört, herrschende Handels- und Industrienation zu sein. Eins seiner Hauptgeschäfte von 1701–1776 wird daher das Ausleihen ungeheurer Kapitalien, speziell an seinen mächtigen Konkurrenten England. Ähnliches gilt heute zwischen England und den Vereinigten Staaten.“
Fernand Braudel hatte in den 1980ern mit Blick auf den Kulminationspunkt einer spezifischen kapitalistischen Epoche die allgemeine These präzisiert, dass „jede kapitalistische Entwicklung dieser Größenordnung, wenn sie die Phase der finanziellen Expansion erreicht, ihre eigene Reife angekündigt hat: es ist dies ein Zeichen des Herbstes“. Giovanni Arrighi schließlich ordnete die Ausdehnung der Finanzmärkte, die sich seit den 1980er Jahren entwickelte, in dieses langfristige Muster ein und analysierte sie als jüngste Phase „finanzieller Expansion“ des kapitalistischen Welt-Systems.
Arrighi zufolge verläuft die Akkumulation nicht nur auf der Ebene des Einzelkapitals, sondern auch im Weltmaßstab als ein Zyklus G–W–G’, also von Geld–Ware–Mehrgeld. Den ersten Teil des Zyklus, die materielle Expansion G–W, zeichne aus, dass Profite vorrangig in der Warenproduktion generiert werden. Die materielle Expansion führt zu Überakkumulation, verschärfter Konkurrenz und zunehmender politischer Instabilität. Sie geht daher über in eine finanzielle Expansion W–G’, in der die Kapitalisten Profite vor allem durch finanzielle Anlagen und Finanzspekulation lukrieren; in der Form G–G’. Die finanzielle Expansion ergibt sich zum einen aus bestimmten „Angebotsbedingungen“ – die etablierten Handels- und Produktionskanäle können die Profite nicht mehr in vollem Umfang aufnehmen; zum anderen aus der zunehmenden Geldnachfrage und Konkurrenz um Geldkapital seitens der Staaten, die damit auf Finanzierungsschwierigkeiten aufgrund der nachlassenden Realakkumulation reagieren.
Die finanzielle Expansion ist in allen Akkumulationszyklen bisher Begleiterscheinung einer sich erschöpfenden hegemonialen Macht. Der absteigende Hegemon kann seine Vorrangstellung auf diesem Weg ein letztes Mal über die Runden retten, indem er seine finanzielle Macht ausbaut und sich damit noch eine Zeit lang trotz abnehmenden technologischen und produktiven Vorsprungs gegenüber der Konkurrenz behauptet.
Die Phase der finanziellen Expansion bricht zusammen, sobald die Möglichkeiten der Realwirtschaft offenkundig überdehnt sind und der Abstieg des Hegemons aufgrund seiner nachlassenden Fähigkeit, das Welt-System zu seinen Gunsten zu regulieren, unabwendbar ist. Es folgt eine Phase, die Arrighi „systemisches Chaos“ nennt, in deren gewalttätigem Verlauf der Aufstieg eines neuen, mächtigeren Hegemons ansetzt.
Marx gegenüber betont Arrighi, dass die Reihe der Hegemonialmächte nicht eine schlichte Abfolge führender Staaten, also keine „Wiederkehr des Immergleichen“ darstellt, sondern durch immer größere Ausdehnung, Ressourcenausstattung und Weltmacht des jeweiligen Hegemons charakterisiert ist.
China im Zyklus
Vor Beginn des kapitalistischen Welt-Systems war China die größte ökonomische Macht. Seit 1500 begann China im Bruttoinlandsprodukt pro Kopf gemessen hinter Westeuropa zurückzufallen; wie Li zeigt, stellte es allerdings noch bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts „die weltweit größte territoriale Ökonomie unter einer einzigen politischen Jurisdiktion, die für ein ganzes Drittel des globalen Bruttoprodukts aufkam“, dar. Im Verlauf desselben Jahrhunderts sank China aber in die Semiperipherie des kapitalistischen Welt-Systems ab.
Die sozialistische Revolution in China kehrte diesen Abstieg um. Und die Akkumulation der 1950er, 1960er und 1970er Jahre machte schließlich das „Wachstumswunder“ Chinas seit den 1980er Jahren möglich. Li betont die Erfolge der maoistischen Ära beim Kapitalaufbau und in der Entwicklung technischer Kompetenz. Die zusehends eigenzentrierte Entwicklung äußerte sich schon früh in sinkenden Importquoten maschineller Ausrüstungsgüter, aber auch in einem hohen Grad von wirtschaftlicher Diversifikation. Noch beachtlicher waren die Erfolge in den Bereichen Gesundheit und Bildung.
In den 1980er Jahren wurde China ein Stützpfeiler des Neoliberalismus. Seine riesige industrielle Reservearmee erlaubte es, Löhne durch Produktionsverlagerung zu senken und noch mehr wurde diese als eine Drohung gegen die ArbeiterInnen der Zentren eingesetzt. Chinas Niedriglohnsektoren versorgten das Zentrum mit billigen Industriegütern, was positiv auf die Profitraten der dort engagierten Kapitalien wirkte. Li begründet dies mit dem Theorem des „ungleichen Tauschs“: Durch diesen Mechanismus hätten sich die Zentren einen Teil des Mehrwerts, den die lebendige Arbeit in China produzierte, angeeignet. Der vierte für den Neoliberalismus positive Beitrag Chinas war sein rasches BIP-Wachstum, wodurch sich das globale Wirtschaftswachstum deutlich beschleunigte. Schließlich wäre ohne China auch das Zahlungsbilanzdefizit der USA nicht denkbar; und ohne dieses Defizit nicht die neoliberale globale Ökonomie.
Den Neoliberalismus bestimmten ein hohes Zinsniveau, finanzielle Krisen und eine teilweise Absenkung der Reallöhne. Dazu kam, dass viele Staaten ihre Ausgaben reduzierten, um für Geldkapital attraktiv zu bleiben. Damit wurden alle drei Komponenten der effektiven Nachfrage angegriffen: öffentliche Ausgaben, produktive Investitionen und der Massenkonsum. Die finanzielle Instabilität führte viele Staaten dazu, mittels Handelsbilanzüberschüssen ausländische Währungsreserven aufzubauen.
Diese Strategie erforderte ebenso wie das Wachstum der Weltwirtschaft bei gleichzeitiger Stagnation der Nachfrage einen „Schuldner und Konsumenten letzter Ordnung“ – und das waren die USA, die 2001 bis 2005 mehr als 90 Prozent der weltweiten Ersparnisse an sich zogen. 2006 stieg China zum weltweit größten Gläubiger auf und die Welt wurde im Ganzen gesehen sogar zu einem kleinen „Schuldner“, wie Li zeigt.
Schuldenberge und Überkapazitäten
Li hält in seinem Buch, das im November 2008 erschienen ist, deutlich fest: Die Instabilität dieses schuldenbasierten Regimes muss in den Abstieg der USA einmünden: „Wenn der Konsum einbricht, ist es äußerst wahrscheinlich, dass die US-Ökonomie in eine tiefe Rezession mit einer anschließenden dauerhaften Stagnation fällt, wenn man sich das überproportionale Gewicht des Konsums in der US-Ökonomie vor Augen hält.“ Diese Prognose erhärtet sich inzwischen mit jedem Monat ein Stück mehr.
Die Möglichkeit einer neuen finanziellen Blase nach dem Muster von dot.com oder der vor 2008 expandierenden Immobilienspekulation verneint er. Dass der Dollar in Form eines Crashs abwertet, hält er für wahrscheinlich. Li ist deshalb überzeugt, dass die USA die hegemoniale Stellung verlieren werden.
Die Frage freilich ist, ob China die niedergehenden USA nach dem Muster bisheriger hegemonialer Transitionen beerben können oder nicht. Li ist skeptisch. China hing nämlich bis zum Sommer 2008 vor allem vom US-Konsum ab. Dazu kam, dass sein exzessives Investitionsniveau die Rohstoff- und Energienachfrage massiv in die Höhe trieb – eine wesentliche Ursache der steigenden Rohstoff- und Energiepreise in den Jahren vor 2008. Hätte China seinen Investitionsgalopp aufrechterhalten – so muss man im Anschluss an Li, jedoch bereits im Konditional formulieren – wären massive Überkapazitäten die Folge gewesen (die jetzt aufgrund einbrechender Nachfrage wachsen). Dazu kommt, dass Chinas Pool ungenutzter Arbeitskräfte vor dem Sommer 2008 rapide abschmolz, was bereits zu rascher steigenden Löhnen geführt hatte.
Festzuhalten bleibt, dass ein etwaiger Aufschwung – der unwahrscheinlich ist – diese Tendenzen erneut in Gang setzen würde.
Ein Dreischichten-Modell
Um die Frage zu klären, ob China der kommende Hegemon des kapitalistischen Welt-Systems werden könnte, orientiert sich Li an einem Dreischichten-Modell des internationalen Staatensystems: Zentrum, Peripherie und Semiperipherie: „Chinas innere soziale Transformation und sein Aufstieg im Welt-System drohen die Stabilität der Semi-Peripherie zu unterminieren und aus diesem Grund die ganze dreischichtige Struktur“, denn: das kapitalistische Welt-System kann Li folgend nur existieren, wenn eine mittlere Schicht das Zentrum von den sozialen Spannungen und Ansprüchen der Peripherie abschirmt.
„Das mittlere Stratum ist zugleich Ausbeuter und ausgebeutet. Indem die herrschenden Eliten dem mittleren Stratum Zugang zu einem Teil des Surplusprodukts ermöglichen, kaufen sie sich die potenzielle politische Führung der ausgebeuteten Masse“. Mit dem Wechsel Chinas in die Kategorie der „Wohlstands-Semiperipherie“ würden, so Li, die globalen Machtverhältnisse massiv verändert – zum Nachteil des Zentrums, das nun einen immer größeren Teil des globalen Surplus mit der drastisch gewachsenen oberen Hälfte des mittleren Stratums teilen muss; und zu Ungunsten der Stabilität des Welt-Systems, da die addierten Ansprüche von Zentrum und erweiterter Semiperipherie immer schwerer auf der Peripherie lasten. Auch in einem „Szenario der Angleichung nach unten“, wonach Chinas industrieller Aufstieg die „Wohlstands-Semiperipherie“ unter Konkurrenzdruck und zum ökonomischen Abstieg bringt, wäre der Effekt destabilisierend, „nachdem die Staaten des Zentrums an der Spitze sich möglicherweise vereintem Widerstand und Rebellion der Peripherie und der Armuts-Semiperipherie gegenübersehen.“
Li hält im Anschluss an Wallerstein deshalb fest, dass das Welt-System durch seine inneren Tendenzen über die Grenzen seiner Selbstregulationsfähigkeit hinausgetrieben wird, mit anderen Worten, „das existierende Welt-System sich seiner Endkrise nähert.“ Das Welt-System hängt von billigen Löhnen, niedrigen Steuern und geringen Umweltkosten ab. Alle drei Parameter zeigen jedoch eine steigende Tendenz, die sich durch den Aufstieg Chinas noch beschleunigt. Damit verringert sich der Profit, und die Akkumulation lässt nach.
Bisher konnten Akkumulationskrisen durch den Übergang der Hegemonie auf eine jeweils mächtigere Herrschaftsstruktur, geeignet die wachsende Komplexität des Systems zu regulieren gelöst werden – vom genuesisch-spanischen Machtkomplex auf Holland, anschließend auf das englische Empire, und von dort auf die USA. „Allerdings hat im Verlauf des Niedergangs der US-Hegemonie keine der großen Mächte (inklusive China) eine glaubhafte Chance die USA zu ersetzen und die nächste Hegemonialmacht zu werden. In dem Ausmaß, worin das existierende Welt-System seine Fähigkeit, sich durch eine neue hegemoniale Macht zu erneuern und zu restrukturieren, erschöpft, hat es seine eigene historische Grenze erreicht“, meint Li.
Die ökologischen Grenzen der Akkumulation
Chinas hegemoniale Potenziale sieht Li in mehrfacher Hinsicht beschränkt: Erstens ist der technologische Abstand gegenüber den Zentren zu groß, zweitens verfügt China nicht über ausreichende militärische Kapazitäten, drittens weist China ein ungünstiges Verhältnis von natürlichen Ressourcen und Einwohnendenzahl auf.
Sieht man sich den vor Ausbruch der Krise projektierten Energieverbrauch Chinas bis 2035 an, ist leicht zu erkennen, dass es China grundsätzlich nicht gelingen kann, mit den USA auf konsumtiver Ebene gleichzuziehen – „im Jahr 2035 wäre praktisch kaum noch Energie übrig für die Welt außerhalb von China, Indien, die USA und die Eurozone. Es ist sicherlich unmöglich, dass ein solches Szenario Wirklichkeit wird.“
Li widmet sich eingehend den verschiedenen Aspekten dieses unmöglichen Szenarios: die Verknappung fossiler Ressourcen, aber auch die begrenzten Vorräte an Uran sowie von technologisch wichtigen Metallen zeigen klar, dass die Kapitalakkumulation an innere Grenzen stößt. (Die Ökologie ist für das Kapital in seiner doppelten Eigenschaft, Stoff und Wert zu sein, keine äußere Beschränkung. Sie bildet vielmehr eine innere Grenze der Akkumulation – die Ware ist eben nicht nur Wert, sondern auch Gebrauchswert.)
Windkraft und Solarenergie könnten Li zufolge physisch gesehen zwar rund 75 Prozent des weltweiten Endenergieverbrauchs des Jahres 2005 (in Form von Elektrizität) decken, doch überfordert der dafür notwendige Ausbau und der Unterhalt dieser Technologien das System finanziell; jedenfalls solange man gleiches Konsumniveau wie vor der Krise unterstellt.
Würde der gesamte Endenergieverbrauch der Welt durch Erdöl gedeckt, so kalkuliert Minqi Li, beliefen sich die Kosten auf 4 Prozent des Weltbruttoprodukts. Schon die Produktion von Elektrizität erhöht die Kosten der Energiebereitstellung jedoch deutlich. Würde der gesamte Endenergieverbrauch durch Elektrizität gedeckt, stiegen die Kosten deshalb auf 12 Prozent des Weltbruttoprodukts.
Die Kosten eines Umbaus des Energiesystems bei heutigem Konsumniveau sind freilich in Beziehung zur Weltersparnis zu setzen, das heißt zu jener Summe, die für Investitionen zur Verfügung steht. Die globale Bruttoersparnis beträgt rund 20 bis 25 Prozent des Weltbruttoprodukts, netto beläuft sie sich auf 10 bis 15 Prozent. Würde nun der weltweite Endenergiebedarf mittels Windenergie gedeckt, so betragen die Ausgaben für die Energiebereitstellung 26 Prozent des Weltbruttoprodukts. Ein Viertel der weltweiten Wertschöpfung müsste also direkt oder indirekt der Energiebereitstellung gewidmet werden.
Die hohen Kosten der Elektrizitätsspeicherung und der nötigen Back-up-Kapazitäten sind in diesem Anteil noch nicht eingerechnet. Ein Kostenanteil in Höhe von einem Viertel der globalen Wertschöpfung entspräche einem Rohölpreis von 180 US-Dollar pro Fass. Die gesamte Weltnettoersparnis wäre in diesem Fall aufgebraucht. Ein solcher Ausbau ist folglich nur denkbar, wenn andere Ausgaben, vor allem jene für den Konsum, eingestellt werden. Dieselbe Kalkulation für Solarthermie schließlich ergibt Summen, die nicht mehr aufzubringen sind, von anderen Solartechnologien gar nicht zu reden; die sind laut Li kostenmäßig und auf den heutigen Energiebedarf bezogen „ganz einfach keine Option“.
Dabei betont Minqi Li, dass „zusätzlich zu diesen Problemen herauszustellen ist, dass die Produktion erneuerbarer Energien gegenwärtig auf fossile Brennstoffe angewiesen ist sowie auf nicht erneuerbare Mineralien als materielle Inputs. Das bedeutet, dass die Expansion erneuerbarer Energien durch das limitierte Angebot nicht erneuerbarer Ressourcen behindert werden könnte.“ Diesen Hinweis bekräftigt Li, indem er die Grenzen von Effizienzsteigerungen und der Biomasseproduktion analysiert.
Die Folgerung, die Li daraus zieht, ist eindeutig: „Nach 2050, während die fossilen Ressourcen weiter abnehmen, überalterte Nuklear- und Wasserkraftanlagen nicht mehr vollständig ersetzt werden können und das Potenzial der Ausweitung erneuerbarer Energien sich erschöpft hat, wird die kapitalistische Welt-Ökonomie (falls sie dann noch existiert) in einen permanenten Niedergang einmünden.“
Resümee
So zeichnet Li das Bild eines gesellschaftlichen Systems, das aufgrund begrenzter natürlicher Produktionsgrundlagen und einer Überdehnung seiner hegemonialen Struktur in die Endkrise eingetreten ist. Für Li ist das freilich weder ein Grund zur Resignation noch dafür, schlicht abzuwarten, sondern ganz im Gegenteil das Argument, den Kapitalismus mit größter Geschwindigkeit in bewusster Aktion aus der Welt zu schaffen: „Allem voran muss sich die Menschheit dafür einsetzen, das globale kapitalistische System so rasch wie möglich abzuschaffen. Um die totale Selbstzerstörung der Menschheit zu vermeiden, wäre – von diesem Standpunkt aus gesehen – sogar der Feudalismus besser als der Kapitalismus; klarerweise wäre irgendeine Art von Sozialismus zu bevorzugen. Wenn dieser Versuch scheitert, so wird die kapitalistische Welt-Ökonomie aufgrund ihrer eigenen Bewegungsgesetze auseinander fallen, wie ich im Buch argumentiere; und zwar nicht später als in der Mitte des 21. Jahrhunderts. Allerdings wäre zu diesem Zeitpunkt schon zu viel Zeit verloren um globale Katastrophen zu verhindern. Es wird Mitte des 21. Jahrhunderts auf der ganzen Welt wahrscheinlich sozialistische Regierungen geben. Aber die Aufgabe zukünftiger sozialistischer Regierungen bestünde nicht mehr länger darin, Katastrophen zu verhindern, sondern im Versuch, diese zu überleben, während sie stattfinden.“
Problematisch ist, dass Li ein Weiterbestehen des Staates voraussetzt. Auch bleibt sein Bild der sozialistischen Alternative vage. Ein nachgerade gefährliches Terrain ist schließlich die Bevölkerungsdebatte, auf die Li peripher Bezug nimmt. Zwar wäre es offenkundiger Unsinn zu behaupten, die Anzahl der Erdbewohnenden spiele für die Möglichkeit ihres auskömmlichen Lebens keine Rolle, doch scheint mir die Annahme, eine drastische Reduktion der Bevölkerungszahl sei vonnöten, ebenso problematisch. Li jedenfalls stützt sich unkritisch, wie mir scheint, auf Quellen, die davon ausgehen, dass die Weltbevölkerung dramatisch sinken muss, um unter veränderten natürlichen Bedingungen einen annehmbaren Lebensstandard für alle gewährleisten zu können.
Die Generallinie der Argumentation von Li beeinträchtigen diese Einwände freilich nicht. Und so ist ihm – mit Ausnahme der Hoffnung auf eine „Welt-Regierung“ – darin beizupflichten: „Wenn die katastrophischen Folgen des Klimawandels nicht verhindert werden können, so wird die ganze Menschheit um das Überleben kämpfen müssen. Sofern der Überlebenskampf allerdings unsere besten intellektuellen und moralischen Potenziale mobilisiert, dann könnte die Menschheit unter einer sozialistischen Weltregierung die Krise in einer relativ geordneten Weise überleben, während sie die wichtigsten Errungenschaften der kapitalistischen Zivilisation, nicht zuletzt jene der modernen Wissenschaft und Technologie, bewahrt.“
Minqi Li: Rise of China and the Demise of the Capitalist World-Economy, Pluto Press 2008, 192 Seiten, ca. 25 Euro (Taschenbuchausgabe 2009 bei Monthly Review Pr, ca. 15 Euro)