von Franz Schandl
Dadurch, dass Wirtschaften der Verwertung dient und primär Privatangelegenheit ist, wird jeder Betrieb zu einer Black Box. Die Zurschaustellung gilt dem Produkt, nicht der Produktion. Die Öffentlichkeit weiß eigentlich nicht, was wirklich vorgeht. Betriebs- und Geschäftsgeheimnis verhindern entsprechende Informationen. Derlei Kenntnisse gelten als geschäftsschädigend. Black Box bedeutet, dass das Resultat zwar an die Öffentlichkeit muss – d.h. am Markt nach Käufern sucht, denn nur der Kauf realisiert den Wert –, aber alles Werden, der ganze Vorlauf einem großen Geheimnis gleicht: Produktionsmethoden, Arbeitsprozesse, Standards, Betriebsabläufe, Maschinen, Technologien, Patent, Copyright. Vorenthaltung von Wissen ist geradezu konstitutiv. Ausschluss der anderen ist Prinzip der eigenen Durchsetzung. Auch hier zeigt sich, dass Misstrauen herrscht und dass nicht füreinander, sondern gegeneinander produziert wird. Unbefugten ist der Zutritt verboten.
Konkurrenten wollen exklusiv entwickeln, exklusiv herstellen und vor allem exklusiv abkassieren. Der produktive Vorteil (so er einer ist) ist mithin kein Geschenk an die Gesellschaft, sondern ein Vehikel für Profite und Extraprofite. Der clandestine Charakter spezifischer Entwicklungen verdeutlicht einmal mehr, was von der Offenheit bürgerlicher Gesellschaften zu halten ist. Nicht Kooperation steht an, auch nicht die Einsparung paralleler Abläufe, sondern das Erobern von Märkten. Eigentlich gibt es kein menschliches Anliegen, das für Geheimhaltung von Produktionsmethoden und Patenten sprechen könnte. Jene ist eine Ausgeburt der Form, nicht des Materials. Ohne Formdiktat der Konkurrenz würde alles zur Kooperation drängen, nicht zum Ausschluss.
Für den Konsumenten heißt Black Box: Wir haben keine Ahnung davon, was da woher kommt und folglich auf uns zukommt. Die Betroffenen haben die Folgen zu tragen, ohne die Gefahren zu kennen. Full risk, no fun. Dass es etwa einen Konsumentenschutz geben muss, sagt alles über die Eigenart kapitalistischer Produkte aus. Der Konsument bedarf ja nur dort eines gesonderten Schutzes, wo er ein schutzloses, also ausgeliefertes Wesen ist. Die Auslieferung liegt übrigens in seiner Belieferung. Oder wie es die Alltagssprache als Drohung ausdrückt: Wir sind geliefert.
„Unsere Gesellschaft basiert auf dem Geheimnis“, behauptet Guy Debord in seinem Werk „Die Gesellschaft des Spektakels“ (1967). Transparenz und Kontrolle sind dem Kapital wesensfremd. Es kann nur bestehen und sich entwickeln als private „Black Box“, wo Geschäftsergebnisse, also nackte Zahlen interessieren, nicht deren Zustandekommen und deren Ingredienzien, also die lebendigen Prozesse. Die offene Gesellschaft, die nichts mehr verbergen will, verbirgt sich selbst. Die Subjekte, die alles zu sehen, zu hören und vor allem zu spüren bekommen, sind blind, taub und gefühllos, was Motor und Getriebe, also Motivation und Antrieb anbelangt. Sie leben auf ihren Benutzeroberflächen, dienen den Apparaturen, indem sie diese bedienen. Der Organismus, obwohl überall zugegen, möchte unerkannt bleiben. „Obwohl menschgemacht und von uns allen mit in Gang gehalten, wird unsere Welt, da sie sich sowohl unserer Vorstellung wie unserer Wahrnehmung entzieht, von Tag zu Tag dunkler. So dunkel, dass wir sogar ihre Verdunkelung nicht mehr erkennen können; so dunkel, dass wir sogar berechtigt wären, unser Zeitalter ein ‚dark age’ zu nennen“, schreibt der erst zu seiner Bedeutung gelangende große Philosoph Günther Anders.
aus: Das Blättchen, no 17, 17. August 2009, S. 1-2