von Julian Bierwirth
Der Mensch im Kapitalismus ist nicht bei sich zu Hause. Er ist den gesellschaftlichen Verhältnissen, die er doch selbst macht, ausgeliefert. Was inhaltlich nicht nur das Motiv Marxens war, sondern auch bei Adorno im Mittelpunkt stand, wollte Letzterer auch sprachlich zum Ausdruck bringen. Da das Ich nicht bei sich zu Hause ist, sollte auch das Reflexivpronomen sich möglichst weit vom zugehörigen Subjekt entfernt stehen. Eine Sprachmacke – aber eine mit Sinn.
Überhaupt spielte das Wohnen bei Adorno eine besondere Rolle. So lässt sich in gewisser Weise sagen, dass er Zeit seines Lebens – und nicht nur während der Zeit in den Vereinigten Staaten – im Exil lebte. Denn es sich einfach häuslich einzurichten im Kapitalismus, das kam für ihn nicht in Frage. Stets umgetrieben von dem Gefühl, der Faschismus könne zurückkehren, hatten er und seine Frau Gretel die Wohnung in Frankfurt niemals wirklich eingerichtet.
In den Minima Moralia formulierte er das grundsätzliche Problem kritischer Intelligenz, am Widerspruch von Anspruch und Wirklichkeit nicht zu vergehen, am Beispiel des Wohnens. Egal welche Wohnform, egal welchen Typus von Architektur die Einzelnen auch wählen mögen: überall sei es im Grunde unmöglich, schadlos zu wohnen.
Wer in seinen eigenen vier Wänden wohne, der mache sich schuldig, solange anderen das Wohnen versagt bliebe. Doch ohne Wohnung steige nur die Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Bedingungen. Und wer wollte schon an der „lieblosen Nichtachtung der Dinge“ teilhaben, die doch dem Kapitalismus immer schon innewohnt? Wobei auch das, kaum ausgesprochen, schon zur Ideologie wird für jene, „welche mit schlechtem Gewissen das Ihre behalten wollen.“
In genau diesem Sinne gibt es „kein richtiges Leben im falschen“. Nicht, dass wir nun eine Ausrede hätten, nichts zu tun. Wir müssen nur um die Beschränktheit unseres Handelns wissen und es stets aufs Neue auf seine praktischen Folgen für unser Leben und das Streben nach Emanzipation befragen.