Zur immanenten Kritik am Wert-Abspaltungstheorem

1. Teil

Streifzüge 42/2008

von Fritjof Bönold

Das Buch „Das Geschlecht des Kapitalismus“ (2000) von Roswitha Scholz lud nicht gerade zur Diskussion ein. Seine scharfen Abgrenzungen provozierten entsprechende Reaktionen. Im Argument 244/2002 stellt Frigga Haug fest, dass Scholz‘ Kritik an marxistisch-feministischen Theorien vor allem auf die wenig fruchtbare „Prüffrage“ hinausläuft, „ob sie die , Wert-Abspaltungstheorie‘ und die , fundamentale Wertkritik‘ verstanden haben“ (S. 91). Sie unterstellt Scholz sogar ein „Niedermachen von allem, was dem eigenen Gedanken nicht gehorcht“ (S. 96). Haugs Kritik an Scholz (2000) arbeitet nun aber meines Erachtens selbst auch mit einer Frage, die der Theorie von Scholz nicht gerecht wird, das heißt, diese nicht immanent kritisiert. Zudem übergeht Haug weitere Veröffentlichungen von Scholz und anderen krisis-Autoren. Haug befragt Scholz‘ Theorie nach Handlungsanweisungen. Dies kann und will ihre Theorie allerdings gar nicht wesentlich behandeln, auch wenn entsprechende Formulierungen („völlige Abschaffung“ etc. ) in Scholz‘ Rundumschlägen vorkommen.

Zum Kern der Differenz von Scholz und Haug kommt man vermutlich über den Verweis von Haug auf Marx, dieser wolle abstrakte Arbeit nicht abschaffen, weil „in die Gebrauchswertproduktion Arbeitskraft eingeht, was immer gilt“ (S. 95). Hier würden Scholz und Kurz sicher widersprechen, aber auch Moishe Postone (2003) oder Kornelia Hafner (1993). Gleichzeitig geht diese Differenz wiederum an der Frage nach der Kritik der modernen Geschlechterverhältnisse vorbei, die durch das Wert-Abspaltungstheorem ja eigentlich bearbeitet werden soll.

Es scheint so, dass Scholz und Haug einander, entgegen ihren eigenen Ansprüchen, letztlich identitätslogisch behandeln: Person, Text und politischer Zusammenhang werden identifiziert, um sich besser „bekämpfen“ zu können. Insbesondere die Kritiken von Schlosser (1993), Willlutzki (1995) und Wilting (2000) wenden dieses Verfahren gegen Scholz an. Sie „machen“ Scholz insbesondere „nieder“, indem sie das Theorem an der fragwürdigen Behauptung messen, dass der Kapitalismus das Geschlechterverhältnis nivelliert habe bzw. gerade dabei sei, dies zu tun. Diese Verfahren führen jedoch nicht weiter. Die moderate Besprechung von Behrens (2001) weist dagegen auf begriffliche „Ungereimtheiten“ des Theorems hin, auf Fragen der begrifflichen Konkretion, aber auch auf die Verwendung von Termini der Kritischen Theorie.

Im Folgenden übergehe ich die Kritiken von Scholz an anderen Theorien. Es soll allein versucht werden, das Wert-Abspaltungstheorem immanent zu kritisieren, indem Widersprüche, Leerstellen und offene Fragen des Konzepts benannt werden.

Wert-Abspaltung

Das Wert-Abspaltungstheorem (ausführlich: Bönold 2003, S. 482-518) versteht die modernen Gesellschaften zunächst als Arbeitsgesellschaften. Arbeit ist als gesellschaftliches Zwangsprinzip zu begreifen, das zu unterscheiden ist von der überhistorischen Notwendigkeit des Stoffwechsels der Menschen mit der Natur. Arbeit, Warentausch und die Wertform erscheinen als Kapital wie ein „automatisches Subjekt“ (Marx), das die Individuen zwar freisetzt, aber gleichzeitig in eine spezifische gesellschaftliche Form von „Markt und Staat“ presst. Die modernen Gesellschaften und ihre Kategorien (Arbeit, Tausch, Subjekt-Objekt etc. ) sind einem historischen Fetischzusammenhang unterworfen. Im Zuge seiner entwickelten historischen Reife sei eine Fetischkritik auf die Tagesordnung zu setzen.

Der Totalitarismus der Wertform besitzt aber nur eine scheinbare Universalität. Das Wert-Abspaltungstheorem besagt, dass Arbeit, Tausch und Wertförmigkeit eine „männliche Besetzung“ aufweisen. Was nicht im „männlichen“ Formprinzip aufgeht, wird abgespalten, abgewertet und „den Frauen“ zugeordnet. Hieraus ergibt sich ein „weiblicher“ Lebenszusammenhang, der für die „männliche“ Seite der Wertförmigkeit genauso Voraussetzung ist, wie die kapitalistische Produktion, der Markt und der Staat die Voraussetzungen für die „weibliche“ Seite sind: eine „gedoppelte Metaform“ (Scholz 2000, S. 59). Roswitha Scholz übernimmt zudem die theoretische Unterscheidung des Feminismus von „männlicher“ Öffentlichkeit und „weiblicher“ Privatheit und beansprucht, die bisher ungeklärte bzw. unhinterfragte Konstitution der Trennung zu begreifen. Die Wert-Abspaltung zeigt sich nach Scholz aber nicht nur in Gestalt getrennter Sphären von Tätigkeiten, sondern auch auf einer kulturell-symbolischen und einer sozialpsychologischen Ebene. Auf allen drei Ebenen finden Abspaltungen statt, die geschlechtliche Differenz und Hierarchie, das moderne Patriarchat, begründen. Scholz geht davon aus, dass die Sphärentrennung bzw. geschlechtshierarchische Arbeitsteilung ebenso wie die beiden anderen Erscheinungsebenen eine relative Selbständigkeit besitzen und so spezifischer theoretischer Instrumente bedürfen. In Gegenwartsanalysen konstatiert Scholz eine Verwilderung des Patriarchats. Einerseits wird durch die weibliche Erwerbstätigkeit bei zunehmender Massenarbeitslosigkeit weltweit das traditionelle Modell von Lohnarbeiter und Hausfrau in Frage gestellt, anderseits wird Frauen zunehmend die soziale und ökologische Verantwortung zugeteilt.

Scholz grenzt ihre Position gegen zwei Seiten ab, den Feminismus und den traditionellen Marxismus. Aus der Bestimmung moderner Geschlechterverhältnisse als Wert-Abspaltung leitet sie ihre Kritik am ontologischen Arbeitsbegriff im Feminismus ab. „Die weiblichen Reproduktionstätigkeiten haben … einen qualitativ-inhaltlich wie der Form nach anderen Charakter als die abstrakte Arbeit; deshalb können sie auch nicht einfach unter den Arbeitsbegriff subsumiert werden.“ (Scholz 2000, S. 109) Die abgespaltenen Tätigkeiten, die Frauen zugeschrieben werden, werden zwar als „Hausarbeit“, „Beziehungsarbeit“ oder „Erziehungsarbeit“ benannt. Diese Tätigkeiten und die dazugehörigen Dispositionen gehen aber gerade nicht in der Abstraktion Arbeit auf, die den „männlichen“ Formzusammenhang beschreibt. Die feministischen Theorien der geschlechtlichen Arbeitsteilung blieben auf die empirischen Erscheinungen fixiert und wagten bisher nicht, Formprinzipien zu formulieren, die die bürgerliche Gesellschaft als gleichzeitig patriarchal und kapitalistisch begreifen, so die Autorin. Der Feminismus sollte nach Scholz bzw. Trenkle (1991, 1992) weder die Arbeit affirmieren (Gleichheit) noch sich positiv auf eine scheinbare Unmittelbarkeit des Privaten (Differenz) beziehen, sondern beide „Geschlechtscharaktere“ kritisieren.

Scholz betont die Totalität moderner Gesellschaften („Wert-Abspaltung“) und widerspricht der alten marxistischen Vorstellung einer Basis („kapitalistische Produktionsweise“) und eines abgeleiteten Überbaus („Staat, Ideologie etc. „). Das moderne Geschlechterverhältnis ist nach Scholz integraler Bestandteil bürgerlicher Vergesellschaftung und keineswegs ein „Nebenwiderspruch“. Dieses Totalitätsverständnis subsumiert aber nicht „alles auf einen Begriff“, sondern versteht sich historisch gedoppelt und identitätslogisch beschränkt: Das Formprinzip kann nur bestimmt werden als historisch erscheinend. In seiner hierarchischen und doch nicht aufeinander reduzierbaren Zweiheit von Wert und Abspaltung ist es gedoppelt. Schließlich weiß sich Scholz‘ Totalitätsverständnis erkenntnistheoretisch beschränkt auf die Identitätslogik der Moderne. Das Wert-Abspaltungstheorem ist so auch nicht auf andere Gesellschaften übertragbar, sondern versteht sich als Kritik der modernen Geschlechterverhältnisse. Insgesamt nimmt die Abspaltungsthese der Wertformanalyse ihre herausfordernde Hermetik und hegelianische Geschlossenheit (zur Abgrenzung gegenüber „Großtheorien“, insbes. dem Marxismus als „Welterklärung“ s. Kurz (1992), S. 129-132). Sie modifiziert die Werttheorie und gibt so gleichzeitig der feministischen Theorie eine gesellschaftskritische Begründung. Ein sehr hoher und allgemeiner Anspruch also, der eine Vielzahl gesellschaftskritischer Positionen angreift.

Wert-Abspaltungstheorem – Leistung und Kritik

Möglich wäre zuerst einmal die Kritik, das Wert-Abspaltungstheorem falle zurück in die Makro-Theorien der siebziger und achtziger Jahre. Diese Kritik teile ich nicht, auch wenn ich verschiedene Probleme der Vermittlung der allgemeinen Aussagen zu anderen Theorieebenen und zur gesellschaftlichen Wirklichkeit sehe, wie ich gleich zeigen möchte. Tatsächlich versucht Scholz‘ Begründung moderner Geschlechterverhältnisse mit einer Formebene die Makro- wie Mikrotheorien zu unterlaufen. Das Wert-Abspaltungstheorem liefert einen Erklärungsansatz für die Trennung der Theorien in systemische Makro-Sichtweisen bzw. subjekt-handlungstheoretische Perspektiven. Die Ebene der Subjekttheorie schließt es mit ein (s. insbes. Kurz (1993)). Das Theorem versucht einerseits das Auseinanderfallen von automatischem Subjekt (Wert) und individuell-autonomem Handlungs-Subjekt („Mann“) aufzuzeigen; andererseits, wie beide Ebenen einander bedingen. Zudem weist es auf Grenzen hin, „Frauen“ von dieser Subjektform her zu begreifen.

Am Wert-Abspaltungstheorem ist weiterhin positiv herauszuheben, dass es versucht, sich der Enthistorisierung und Naturalisierung der modernen Geschlechterverhältnisse entgegenzustellen. Insofern setzt es die poststrukturalistische Dekonstruktion von modernen Selbstverständlichkeiten fort. Dabei gerät der Ansatz von Scholz bzw. der krisis-Gruppe aber nicht in ein Niemandsland der bunten Vielfalt und des anything goes, weil er sich selbst als Teil der modernen Verhältnisse begreift. Diese werden in ihrer Totalität allerdings erst in ihrer Krise sichtbar, sodass Scholz ältere Theorie-Ansätze nicht als bloße Fehler versteht, sondern, wie sich selbst, als Ausdruck ihrer Verhältnisse. (Falsch wäre es aber, diese Ansätze ausschließlichals Ausdruck dieser Verhältnisse zu betrachten. ) Neben einigen anderen Vorzügen, auf die ich hier nicht weiter eingehe, sehe ich jedoch auch Leerstellen und immanente Probleme im Wert-Abspaltungstheorem.

Geschlecht, Sexualität und Familie

Was versteht das Wert-Abspaltungstheorem unter „Geschlecht“? Scholz übergeht im Wesentlichen die Argumente der feministischen Debatte zum Verhältnis von sex und gender und ordnet etwa Butlers Theoriekonzept ebenso wie „die“ Ethnomethodologie (im Verein mit neofaschistischen und sonstigen Ausschreitungen von Jugendlichen! ) „in den aus den Achtzigern herüberkommenden Simulations-Zeitgeist“ (1995, S. 35) ein. Sie geht von einem biologischen Geschlechtsunterschied aus, der kulturell überformt wird, von „biologischen Tatsachen“ und einer „physiologischen Zweigeschlechtlichkeit“, die „jeweils bewertet“ werden und die Grundlage der „kulturellen Geschlechtervorstellung“ bilden (2000, S. 96). Was hier „Grundlage“ und „Tatsachen“ meint, wird nicht ausgeführt, so auch nicht, welche Funktion „, sex‘ als analytische Kategorie“ (1995, S. 64) für das Wert-Abspaltungstheorem hat. Scholz verweist allerdings auf die Position von Holland-Cunz (Soziales Subjekt Natur. Frankfurt 1994). Wenn sie einen allgemeinen Zusammenhang von Wertform und den Gegensätzen von Kultur/Geist/Form zu Natur/Materie/Inhalt annimmt, bleibt dies Behauptung. Sie untersucht diese Gegensätze weder begrifflich noch z. B. in der Geschichte der Philosophie, Biologie oder Physiologie (und übergeht damit deren meines Erachtens zentrale Bedeutung für die modernen Geschlechterverhältnisse. Die historische Genese wird als Sphärentrennung oder allein als diskursiv-symbolische Hierarchie zwischen Männlichem und Weiblichem verhandelt. Dazu verweist sie auf feministische Studien wie die von Heintz/ Honegger (1981) oder Bennent (1985)). So scheint es widersprüchlich, wenn Scholz trotz einer unterstellten biologischen Zweigeschlechtlichkeit von einem „postmoderne(n) Ein-Geschlecht-Modell“ (2000, S. 40) spricht bzw. davon, dass Zweigeschlechtlichkeit „längst obsolet geworden“ ist (1997, S. 49). Eine nähere Thematisierung der naturalisierenden Wirkung einer (auch theoretischen) Rede von „den Männern und den Frauen“ fehlt bei Scholz bisher. Folge dieser Unklarheit ist damit auch, dass das Wert-Abspaltungstheorem Geschlechtlichkeiten im Plural, nicht thematisieren kann, also, grob gesagt, Handlungsstrukturen auch kollektiver Subjekte, wobei ich Geschlecht als eine Praxis von modernen Individuen ansehe (vgl. Bönold (2003), S. 47ff. ). Scholz hat keine Begriffe, um die Unterschiede und Hierarchien zwischen Frauen bzw. zwischen Männern zu benennen. Dies führt zu weiteren Problemen: Wenn Scholz beispielsweise sozialpsychologisch argumentiert, erscheinen die Individuen stereotyp vergeschlechtlicht als „Mann“ oder „Frau“. Dies ist selbst für die Periode der klassischen Abspaltung nicht akzeptabel. Für die „Postmoderne“ wird es sogar unlogisch: Scholz hatte mit Chodorow (1985) argumentiert, dass die Betreuung der Kleinkinder durch Mütter den „Grund“ der geschlechtsspezifischen Identitäten bildet. Da, nach Scholz, in der Postmoderne weiterhin die Frauen für die Kinderbetreuung zuständig sind, dürfte es aber zu keinen wesentlichen sozialpsychologischen Veränderungen kommen. Dies steht aber in Widerspruch zu ihrer Behauptung, dass es in der Postmoderne zu einer Auflösung der starren Zweigeschlechtlichkeit („gleichgeschlechtliche Gefühlscodes“ – 2000, S. 86) und der Zwangsheterosexualität kommt.

Solche empirische Zweifel und Widersprüche finden sich auch in den anderen Belegen für die These der Verwilderung des Patriarchats. So spricht Scholz z. B. pauschalierend von der „Auflösung der Familie“ (2000, S. 129, 133 und 177, anders noch 1992, S. 38) oder einer „verfallenden Kleinfamilie“ (2000, S. 23) – für die ganze Welt! Solche empirische Aussagen sind sehr erläuterungsbedürftig, zumal die angeführten Beispiele von Geschlechtermodellen aus den Massenmedien der neunziger Jahre stammen, während die Daten zur Individualisierungsthese von Ulrich Beck, die sie ebenfalls als Beleg für die Verwilderungsthese anführt, aus der Zeit vom Ende der sechziger bis Anfang der achtziger Jahren stammen. Wenn Belege aus den Massenmedien empirische Verhältnisse illustrieren sollen, so wäre zudem deren Rolle zu reflektieren. Es bleibt letztlich unklar, ob die behaupteten Veränderungen die Einstellungen und Normen in der Bevölkerung betreffen oder aber materielle Anerkennungsprozesse z. B. von Seiten des Staates vorliegen oder sonstige Ebenen gesellschaftlicher Wirklichkeit eine Rolle spielen.

Während Scholz unkritisch die These vom Zerfall der Familie fortschreibt, kommt sie auch auf die Heterosexualitäts-Norm im modernen Geschlechterverhältnis zu sprechen, was sie sonst in der Regel übergeht. Historisch sind Hetero- und Homosexualität als wissenschaftliche Identitätskonstrukte aber nicht „gleichursprünglich“ (2000, S. 148), wie sie fälschlich suggeriert. Sie sind dies höchstens begrifflich-logisch. Denn erst Ende des 19. Jahrhunderts setzen R. v. Krafft-Ebing und A. Schrenk-Notzing die Definition von (männlicher) Homosexualität als (perverse) Identität, nicht als eine Handlung, durch. Dagegen tritt wenig später die Wissenschaft von K. H. Ulich und H. M. Hirschfeld an, nach der Homosexualität ein Naturphänomen und keine Krankheit ist. Weibliche Homosexualität wurde noch später wissenschaftlich definiert und diszipliniert. Vgl. Ariès/Béjin (1990), Schmidt (2000) und Eder (2002).

Die Norm der (Hetero-) Sexualität hat bei Scholz allerdings keine besondere Bedeutung. Das Verhältnis von Hetero- zu (männlicher und weiblicher) Homosexualität betrachtet sie nicht. Insofern Sexualität einen Zwang darstellt, setzt sie auf provozierende Weise sogar Hetero- und Homosexualität für die Gegenwart gleich: „So gesehen könnte genauso gut von weiblicher und männlicher Zwangshomosexualität wie von Zwangsheterosexualität gesprochen werden. In der Postmoderne aber muss die alte Geschlechterdichotomie nicht mehr in Frage gestellt werden, weil es sie schlichtweg nicht mehr gibt; sie ist den neuen Globalisierungsverhältnissen eines zunehmend krisengeschüttelten warenproduzierenden Patriarchats einfach nicht mehr angemessen. In diesem Zusammenhang spricht auch einiges dafür, dass die heutige Attraktivität des Transi-Seins viel mit der Verdrängung des grauen Krisenalltags und der damit zusammenhängenden düsteren Zukunftsaussichten zu tun hat.“ (Scholz 2000, S. 149)

Ein Stück vorher wird viel leiser gesagt: „Meines Erachtens hat eine gewisse Lockerung (nicht: Aufhebung) zwangsheterosexueller Normen viel mit der Notwendigkeit von Flexi-Identitäten im Zuge von kapitalistischen Globalisierungsprozessen zu tun.“ (Scholz 2000, S. 147, Klammer im Original) Der Zusammenhang wird nur durch den Hinweis auf „eine Wohlstands-Individualisierung“ und „eine weitgehende Säkularisierung“ (ebd. ) in den Metropolen angedeutet, bleibt aber letztlich offen. Auch der Zusammenhang der Institutionen Familie und Heterosexualität bleibt unklar.

Solche Reduktionen und Widersprüche der Argumentation lassen das Wert-Abspaltungstheorem „fleischlos“ bzw. unvermittelt mit der Wirklichkeit erscheinen. Die Kritik von Scholz an der Frauenforschung in der Sozialwissenschaft, diese blende den gesellschaftlichen Formzusammenhang aus, wäre insofern auch umzukehren, als Scholz soziologische bzw. sozialpsychologische Zusammenhänge sehr selektiv liest.

Geschlechtliche Besetzungen, Geschlechterhierarchie und die Unbestimmbarkeit des Abgespaltenen

Neben diesen Problemen, die den Begriff wie die Empirie des „Gegenstandes“ betreffen, sehe ich als theoretisches Hauptproblem des Wert-Abspaltungstheorems, wie die geschlechtliche Besetzung von Wert bzw. Abspaltung konkret verstanden werden kann. Das Wert-Abspaltungstheorem steht und fällt damit, dass die Analogisierung von Wert und Mann/Männlichkeit bzw. Abspaltung und Weiblichkeit expliziert wird. Wertformanalyse bleibt „leeres Begriffsgeklapper“, solange nicht historisch veranschaulicht und belegt wird, was die Begriffe erst als konkret (gesättigte) allgemeine erweist. Zuerst müssen die Begriffe freilich einmal entfaltet werden.

Was genau ist es, das „einfach nicht warenförmig geregelt werden (kann)“ (Scholz 1993, S. 36) und damit „abgespalten“ wird? Der Text legt nahe, die Antwort zunächst in unterschiedlichen Tätigkeitsformen und sich daraus ergebenden „Sphären“ zu suchen (vgl. z. B. Scholz (2000), S. 108 oder 114): So findet man geschlechtstypisch besetzte Tätigkeitsformen wie die „Hausarbeit“ und Kindererziehung als typische Tätigkeiten von Frauen oder die „männliche“, öffentliche Sphäre. Scholz ordnet also Tätigkeiten und Sphären einerseits der Wertform bzw. der Abspaltung zu. Andererseits dürfe man dies aber nicht soziologisch missverstehen; die Wert-Abspaltung sei auf der gesellschaftlichen Oberfläche nur bedingt nachzuweisen, so Scholz.

Zwar sei die Abspaltung nicht auf „den Begriff“ zu bringen, dennoch zeige sie sich – beispielsweise an den Tätigkeiten, die sich um den Konsum drehen. Nach Scholz und Kurz fällt die Konsumtion von Waren aus der Wertlogik heraus (vgl. Kurz (1992), S. 141ff. , Scholz (2000), S. 20f. und 109). Die Selbstverwertungsbewegung des Kapitals degradiert die Waren zu Zwischenstationen der Bewegung des Werts. Werden die zur privaten Reproduktion gekauften Waren konsumiert, so fallen diese ebenso wie „die damit verbundenen vor- und nachgelagerten Tätigkeiten“ (Scholz 2000, S. 20) „aus dem ökonomischen Formzusammenhang heraus“ (ebd. ). Das stimmt nun aber nicht bzw. nur bedingt. Der Konsum von Waren und die damit verbundenen Tätigkeiten führen nicht nur aus der Warenbewegung heraus, sondern gleichzeitig in sie zurück, da sie produktiver Konsum sind, das heißt, den Wert der Arbeitskraft produzieren. Weiterhin produziert sich das bürgerliche Subjekt in seinen Bedürfnissen, Wünschen, der „Sinnstiftung“ etc. über den Konsum und die „Kulturindustrie“ (Horkheimer/Adorno). Konsum ist zentrale Reproduktionsform bürgerlicher Subjektivität (s. a. Bösch (2000), S. 118ff. ). Davon bleibt unberührt, dass der Konsum und das berühmte „Braten des Schnitzels der Hausfrau für ihren Gatten“ Momente besitzen, die nicht durch polit-ökonomische und subjekt-kritische Bestimmungen erfasst werden können.

Ein weiterer Versuch, Wert und Abspaltung Phänomenen der „soziologischen Oberfläche“ zuzuordnen, findet sich in „Das Geschlecht des Kapitalismus“ (2000). Hier verweist Scholz auf zwei gegensätzliche „Zeitlogiken“ der Tätigkeitsformen: eine männliche Logik des Zeit-Sparens und eine weibliche der Zeit-Verausgabung (S. 92-94 und 116). Auch dieser Rückgriff auf eine je nach Tätigkeitsform spezifische Zeitlogik erläutert diese Zuordnungen begrifflich meines Erachtens weiter nicht, sondern bleibt phänomenologisch. Zudem lassen sich eine Vielzahl an Beispielen und Strukturen finden, die der These zweier Zeitlogiken widersprechen.

So zwingt bekanntlich die Hektik einer Hausfrau und die Länge ihres „Arbeitstags“ durchaus zur Zeitersparnis, ja die „methodische Lebensführung“ und „Selbstdisziplinierung“ der Menschen in der Moderne hat sich immer auch im Privaten und gerade dort vollzogen (vgl. beispielsweise für die Sexualität Foucault (1977) und bei Scholz selbst: (1992), S. 20 Fn. 2. ), während so mancher Arbeitstag damit „rumgebracht“ wird, die Zeit „totzuschlagen“. Das soll heißen: Mit einer phänomenologischen Darstellung („Zeit sparen bzw. ausgeben“) sind keine präzisen Abgrenzungen der Tätigkeitsformen möglich. Dies wäre vermutlich nur durch eine begriffliche Vermittlung mit den Begriffen der allgemeinen Ebene zu erreichen. Der laut Scholz von Frigga Haug stammende Begriffsentwurf unterschiedlicher Zeitlogiken in Beruf und Haushalt ist deshalb aber nicht gleich zu verwerfen. Ich will, wie oben anhand des Konsums, aber zeigen, dass er bisher unzureichend entfaltet ist. Auffällig ist, dass diese Versuche, allgemeine Ebene und Tätigkeitsformen zu analogisieren, auch ohne den Abspaltungsbegriff auskommen. Scholz gebraucht ihn dabei höchstens metaphorisch und könnte ihn durch einen anderen Ausdruck mit ähnlicher Bedeutung ersetzen. So stiftet er begrifflich deshalb eher Verwirrung.

Geht man also davon aus, dass die geschlechtlichen Besetzungen (bisher) nicht (allein) substanziell zu fassen bzw. abzuleiten sind, so bleibt die Frage der Relationen, die zur Bestimmung und Vermittlung beitragen könnten. Man gelangt damit zur Frage, welchen Charakter die Hierarchie im Geschlechterverhältnis hat. Das Wert-Abspaltungstheorem geht davon aus, dass neben der theoretischen wie empirischen Gleichursprünglichkeit oder Parallelität die Wert-Abspaltung ein hierarchisches, ein „patriarchales“ Verhältnis darstellt: „Das weibliche Abgespaltene ist … das Andere der Warenform als ein für sich stehendes; andererseits bleibt es aber unselbständig und minderbewertet, gerade weil es sich um das abgespaltene Moment im Zusammenhang der gesellschaftlichen Gesamtreproduktion handelt.“ (Scholz 2000, S. 21) Das Macht- bzw. Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern, das Patriarchat, resultiert nach Scholz aus einer Dominanz des Werts („Markt und Staat“) gegenüber der restlichen, „minder bewerteten“ Gesellschaft. Hier kulminiert nun aber die Bestimmung der Abspaltung zu einer paradoxen Formulierung: „Gegenüber der männlich besetzten, realabstraktiven Form repräsentiert das abgespaltene Weibliche nicht die andere, befreite, konkret-gesellschaftliche Form, sondern vielmehr das , Andere‘ der Form selber und überhaupt, d. h. die Formlosigkeit. Die realabstraktive, totalisierende Warenform duldet keine andere Form neben sich; sie rächt sich an dem, was sie nicht vollends aufsaugen und integrieren kann, indem sie es zur Formlosigkeit degradiert.“ (Kurz 1992, S. 144) Die „Form der Formlosigkeit“ (Scholz 2000, S. 21) ist der „stille Winkel, das Nicht-Systemische des Systems“. (Kurz 1992, S. 125) Ist also die weibliche Abspaltung unbestimmbar?

Die hierarchischen Relationen im Geschlechterverhältnis werden offenbar von einem erkenntnistheoretischen Problem bestimmt. Kurz und Scholz problematisieren die Möglichkeiten, das Abgespaltene zu erkennen, generell. So kann man die erkenntniskritische Position des Wert-Abspaltungstheorems in drei Punkten zusammenfassen: Erstens stellt sie theoretische Produktionen, ihre eigene inbegriffen, in historischen Zusammenhängen dar. Diese Kontextualisierung relativiert die scheinbare Autonomie des theoretischen Subjekts und zeigt seine/ihre Vermitteltheit mit dem Objekt. Zweitens betont Scholz in Anlehnung an Adornos Erkenntnistheorie, dass die Individuen nicht in den modernen Zuordnungen identitätslogisch aufgehen. (vgl. Scholz (2000), S. 174ff. ) Es „muss … davon ausgegangen werden, dass die gesellschaftlichen Einzelnen weder in den gesellschaftlichen Strukturen aufgehen noch dass sie sich diesen entziehen können“. (Ebd. , S. 175) Zum Dritten betont nun Scholz (2000, S. 20ff. ) zusammen mit Kurz (1992), dass die „männliche“ Besetzung der Wissenschaft zur Folge hatte, dass die Abspaltung/das Weibliche nicht wahrgenommen wurde. Sie bezweifeln sogar prinzipiell, das abgespaltene Weibliche mit begrifflichen Denkformen verstehen zu können. „Weil die Theorie selber ein Resultat der Abspaltung im historischen Prozess ist, kann sie weder den Vorgang der Abspaltung noch das Abgespaltene als eigenen gesellschaftlichen Raum erfassen.“ (Kurz 1992, S. 126) So ist beispielsweise „das definitorische, klassifizierende und hierarchisierende Denken“ (ebd. ) gefangen in der Unterscheidung innen/außen. Das Abgespaltene sei nun aber weder innerhalb noch außerhalb der Warenform: „Das Paradoxon ist gerade die Immanenz der Abspaltung, die mit Begriffsbildungen wie , dunkle Rückseite‘ oder , immanentes Gegenteil‘ nur unzulänglich angedeutet werden kann.“ (Ebd. ) Die , Bestimmung‘ des vom Wert Abgespaltenen sei paradox bzw. letztlich nicht durchführbar.

Nun kann nicht geleugnet werden, dass begriffliches Denken und logisches Schlussfolgern im Abendland durch Männer und die Wertform geprägt wurde. Andererseits ist zu bezweifeln, ob es damit notwendig zum Ausschluss sämtlicher anderer Erkenntnismöglichkeiten kam. Außerdem bleibt die Frage, unter welchen Umständen die Identität von Denk- und Warenform erkannt werden kann, wenn sie einem Fetischzusammenhang entspringt. Neben diesen allgemeinen Fragen fällt für Scholz‘ eigene Theorieproduktion eine Ambivalenz auf, die zumindest Zweifel an der Unbestimmbarkeit des Weiblichen aufkommen lassen kann. So spricht Scholz einerseits in der Tradition der Frauenforschung, aus der ihre Fragen und Begriffe kommen. Andererseits beweist doch aber dieselbe Frauenforschung, dass es möglich ist, die Lebenswelt und die Erfahrungen von Frauen zur Sprache zu bringen. Weiblichkeit war zwar aus gutem Grund für Freud ein Rätsel, aber für Chodorow eben nicht mehr (in dieser Form). Zudem bleibt daran zu erinnern, dass jede Vernunftkritik als Kritik wie als Kritik der Vernunft eben dieser notwendig verbunden bleibt: Dass Bestimmungen des Abgespaltenen möglich sind, machen diese (zusammen mit Männlichkeit) ja erst kritisierbar! Wäre die Abspaltung unbestimmbar, so könnte Scholz z. B. auch nicht sinnvoll von einer „Dialektik von Wert und Abspaltung“ sprechen. Ist „Abspaltung“ also ein Nicht-Begriff? Tatsächlich sind gewisse Tätigkeiten von „Frauen“, ihre Rolle in der patriarchalen Symbolordnung oder auch typische Sozialisationsprozesse durchaus (auch im Sinne des Theorems) bestimmbar, nämlich diejenigen, die sich auf Markt und Staat direkt beziehen. Abspaltung und „Frauen“ sind also nicht das Gleiche, können nicht einfach analog gesetzt werden. Wo liegt aber dann die Grenze der Abspaltung? Ist nicht von verschiedenen Weiblichkeiten zu sprechen und von verschiedenen Stufen der Abgrenzung, das heißt auch von einer gestuften Hierarchie? Wäre es nicht sinnvoller, diese Stufen zu unterscheiden, statt von einer Abspaltung zu sprechen?

Die Aussage, dass sich „etwas“ der Wertform „letztlich widersetzt“, wird also von Scholz nicht konkretisiert, weder substanziell, relational noch auf anderer Ebene funktional. Entsprechend fehlt z. B. eine Geschichte der Okkupation jener Tätigkeiten, die zunächst im Privaten erledigt wurden. Weil dem Begriff Kriterien fehlen, an denen zu messen wäre, was sich der Wertform widersetzt und weshalb, bleibt die Empirie reduziert auf Beispiele und Andeutungen. Auch die zentrale Frage der Vermittlung der geschlechtlichen Besetzung (zur Ebene von gesellschaftlichen Tätigkeiten etc. ) bleibt also meines Erachtens bisher begrifflich (und damit historisch-empirisch) unbeantwortet.


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