Bei der Finanzkrise ist kein Ende in Sicht. Die Realwirtschaft und als bombensicher geltende Staatsanleihen sind bereits betroffen. Wie schwarz ist die Zukunft?
von Peter Samol
Die US-Hypothekenkrise ist noch lange nicht ausgestanden. Ende Januar waren es die so genannten Monoliner, spezielle börsennotierte Versicherungen für Wertpapiere, die für drastische Kursstürze an den Finanzmärkten in aller Welt sorgten. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass ein Großteil der versicherten Titel auf zweitklassigen Hypotheken basierte, geriet die gesamte Branche ins Trudeln. Niemals würden die Versicherer in der Lage sein, für die drohenden gigantischen Verluste aufzukommen. Gerettet wurde die Branche schließlich durch den Eingriff einer Aufsichtsbehörde des US-Bundesstaates New York und eine konzertierte Aktion internationaler Banken.
Am Montag vergangener Woche stand die fünftgrößte amerikanische Investmentbank, Bear Stearns, kurz vor der Pleite und wurde zu einem Schnäppchenpreis an die drittgrößte, JP Morgan Chase, verkauft. Das geschah unter tatkräftiger Mithilfe der US-Notenbank Fed, die die Übernahme mit einer Zusage von 30 Milliarden Dollar schmackhaft machte. Seit der Wirtschaftskrise in den dreißiger Jahren hat die Fed keine Bank mehr mit Geld unterstützt, geschweige denn mit einer so hohen Summe.
Gerüchten zufolge sollen 30 bis 50 weitere amerikanische Banken am Rande des Ruins stehen. Zur Sicherung der Finanzmärkte hat die US-Notenbank außerdem die Leitzinsen von drei auf 2,25 Prozent gesenkt. Im September 2007 lagen sie noch bei 5,2 Prozent. Auch die jüngste Senkung konnte lediglich die gegenwärtige Alarmstimmung dämpfen, gegen künftige Schocks stellt sie jedoch keinen wirksamen Schutz dar.
Der Handel an den Finanzmärkten beruht letztlich auf Vertrauen bzw. dem Glauben (das Wort »Kredit« kommt vom lateinischen »credere« = glauben), dass man zur Verfügung gestelltes Geld mitsamt attraktiver Rendite zurückerhält. Dabei ist es zweitrangig, ob die Wertpapiere, die man erwirbt, »echte« Werte darstellen. Es reicht aus, wenn genügend Leute an ihren Wert glauben.
Banken sind auf das Vertrauen ihrer Kunden angewiesen. Geht das Vertrauen verloren und fordern die Bankkunden ihr eingelagertes Geld zurück, treiben sie die Bank in den Ruin. Eine Bank kann nämlich das eingelagerte Geld niemals vollständig zurückzahlen, weil es zum größten Teil wiederum in den Krediten und Wertpapieren steckt, mit denen sie ihr Geld macht. Wird zu viel Geld auf einmal von ihr gefordert, ist die Bank illiquide, sprich zahlungsunfähig. Damit daraus kein Bankrott wird, helfen sich Banken normalerweise gegenseitig mit kurzfristigen Krediten aus.
Seit der amerikanischen Hypothekenkrise vertrauen sich die Banken aber gegenseitig nicht mehr und stellen einander entweder gar kein Geld mehr zur Verfügung oder verlangen sehr hohe Zinsen dafür. Daher ist die Liquidität der Banken kaum noch gesichert. In der gegenwärtigen Vertrauenskrise können schon bloße Gerüchte gravierende Folgen haben. An solchen Gerüchten ist auch Bear Stearns gescheitert. Plötzlich wollte niemand dieser Bank mehr Geld leihen.
Die Vertrauenskrise erfasst indessen auch weitere Bereiche. Im Sommer des vergangenen Jahres betraf sie lediglich Wertpapiere, die auf minderwertigen US-Hypothekendarlehen basierten. Dann traf es Unternehmen in der Realwirtschaft, die es immer schwerer haben, Kredite zu erlangen. Das erhöht die Gefahr, dass sie in Zahlungsschwierigkeiten geraten und Bankrott machen. Mittlerweile trifft es mit Staatsanleihen von Ländern wie Italien oder Griechenland sogar Papiere, die bisher als absolut krisenfest galten.
Wie immer in einer solchen Situation hebt eine allgemeine Spekulantenschelte an. Was dabei übersehen wird, ist die Tatsache, dass der kreditfinanzierte Häuserboom in den USA eine längst überfällige allgemeine Wirtschaftskrise hinausgezögert hat. Alles in allem haben die US-Bürger mit Hilfe der Kredite ca. 800 Milliarden Dollar aus ihren Immobilien gezogen und damit die Warenüberschüsse der Welt aufgekauft. Möglich war das einzig und allein mit dem Geld aus der Finanzsphäre. Die wohlfeile Spekulantenschelte geht vollkommen fehl.
Der Kern des Problems liegt in der kapitalistischen Produktionsweise selbst. Wegen der in den vergangenen Jahrzehnten enorm angestiegenen Produktivität können nämlich immer mehr Waren von immer weniger Arbeitskräften hergestellt werden. Dadurch entsteht eine zahlungsunfähige Überschusspopulation. Einen Zugriff auf den Warenberg hat im Kapitalismus bekanntlich nur, wer zu seiner Entstehung beigetragen, sprich gearbeitet, hat.
Diese kapitalistische Spielregel hat zur Folge, dass einerseits immer mehr Waren auf immer weniger Käufer treffen, andererseits für immer höhere Geldbeträge keine Anlagemöglichkeit mehr in einer Warenproduktion besteht, die ja derzeit schon gigantische Überschüsse produziert. Wie kann man nun die überschüssige Geldmenge mit der überschüssigen Bevölkerung zusammenbringen, ohne mit diesem Schritt die eigentlich fällige Wertkorrektur, sprich eine Inflation, auszulösen? Innerhalb der kapitalistischen Systemlogik liegt die Lösung allein darin, vermittelt über die Finanzmärkte fiktive Werte zu schaffen und sie den Mittellosen zukommen zu lassen. So erhöht das überzählige Geld nicht unvermittelt die Kaufkraft, und die Preise bleiben stabil.
Das geschah im Fall der amerikanischen Kreditnehmer dadurch, dass man ihnen über die Kredite Immobilien verschaffte. Diese stellten den Gegenwert für Geld dar, das sie zu Konsumzwecken ausgeben konnten. Dabei erhöhten weiter steigende Immobilienpreise nicht nur die vermeintliche finanzielle Absicherung, sondern dienten auch als Grundlage für weitere Kredite, mit denen die Immobilienbesitzer weiter einkaufen gehen konnten. Auf diese Weise hat die viel gescholtene Finanzsphäre lange Zeit verhindert, dass eine längst überfällige weltweite Wertkorrektur eintrat.
Das Ganze ging gut, bis die Kreditzinsen stiegen und die Immobilienpreise einbrachen. Die Entwicklung kehrte sich um. Die Blase platzte, die Finanzmärkte gerieten in eine Krise und der weltweite Warenkonsum brach ein. In der gegenwärtigen Krise erfolgt außerdem das, was die Finanzsphäre bisher verhindert hat, nämlich die Wanderung großer Geldmengen in die Realwirtschaft. Angesichts des allgemein schwindenden Vertrauens in bisherige Anlageformen flüchten die Anleger verstärkt in reale Werte. Sie erwerben häufiger Anteile an Gold, Energieträger und Rohstoffe und treiben damit deren Preise nach oben. Das schlägt wiederum auf die Warenpreise durch und treibt so die Inflationsrate hoch. Außerdem fallen immer mehr amerikanische Konsumenten als Kunden für die Waren der Welt aus. Die Folge dürfte eine globale Absatzkrise sein, die das weltweite Wirtschaftswachstum stoppen wird.
In der Summe droht eine so genannte Stagflation – eine wirtschaftliche Stagnation bei gleichzeitiger Preissteigerung. In Deutschland ist die Krise bereits angekommen. Im vergangenen Jahr gingen die Ausfuhren in die USA um fast sechs Prozent zurück, und der Außenhandel wird weiter schrumpfen. Auch die periodisch beschworene Stärkung der Binnenkaufkraft wird weiterhin ausbleiben, nicht zuletzt angesichts einer auch hierzulande steigenden Inflation.
Die negativen Auswirkungen setzen jedoch mit erheblicher Verzögerung ein, was die Mehrzahl der deutschen Wirtschaftsforscher zum Anlass nimmt, fürs erste mit ihren Schönwetterprognosen fortzufahren. Die entbehren allerdings jeder Grundlage. Wenn sich in der Finanzwelt nicht eine neue Blase findet, die sowohl die inflationären Tendenzen neutralisiert als auch den Warenabsatz sichert, dann sieht es für die Zukunft äußerst düster aus.
aus Jungle World vom 27.03.2008